(Stand der Bearbeitung: 27. Februar 2022)
© Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)
mit freundlicher Unterstützung der jurmatiX GbR, Ottweiler
Wird in einer Klausur - direkt oder verklausuliert - nach den Erfolgsaussichten eines Widerspruchs gefragt, ist grundsätzlich - wie auch bei einer Klage - vorab die Zulässigkeit eines Widerspruchs zu prüfen. Das ergibt sich z.B. aus § 72 VwGO, der der Ausgangsbehörde die Möglichkeit zur Abhilfe nur für den Fall eröffnet, dass sie den Widerspruch für begründet hält, und mit dieser Wortwahl die Bejahung der Zulässigkeit offensichtlich voraussetzt.
Aus dem Vorschaltcharakter des Widerspruchsverfahrens folgt, dass Rechtsschutz durch die Verwaltungsbehörden prinzipiell in demselben Umfang wie durch die Verwaltungsgerichte gewährt wird. Deshalb gelten die für die Klage zu prüfenden Sachentscheidungsvoraussetzungen grundsätzlich in gleicher Weise für den Widerspruch; sie werden häufig als Sachbescheidungsvoraussetzungen bezeichnet.
Die Prüfung dieser Voraussetzungen erfolgt im Allgemeinen in derselben Reihenfolge wie bei einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (siehe hierzu diesen Hinweis); im Einzelnen ist regelmäßig zu untersuchen (zur Begründetheit eines Widerspruches siehe hier):
Die Prüfung der Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges ist zwingend zuerst zu prüfen, weil davon abhängt, ob die Verwaltungsgerichtsordnung mit ihren Regelungen über Zuständigkeit und Statthaftigkeit sowie Frist und Form Anwendung findet. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs muss auch im Widerspruchsverfahren geprüft werden, weil § 68 VwGO das Widerspruchsverfahren mit der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs verknüpft.
Anmerkung: Siehe hierzu Hufen, § 6 Rn. 2.
Im Einzelnen sind folgende Konstellationen denkbar:
- Nach dem Sachverhalt hat die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nicht abgeholfen und ihn der Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vorgelegt (so im Dr.-Eisenbart-Fall und im Sanitäter-Fall): Die Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde muss hier unmittelbar nach der Frage der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs geprüft werden, weil auch ein unzulässiger Widerspruch nur von der zuständigen Behörde zurückgewiesen werden darf.
- Nach dem Sachverhalt ist zu fragen, ob dem Widerspruch abgeholfen werden soll (vgl. § 72 VwGO): Hier ist die Zuständigkeit der "Abhilfebehörde" zu untersuchen, also zu fragen, ob diese die Ausgangsbehörde i.S.d. § 70 VwGO ist, da nur die zuständige Behörde einem zulässigen Widerspruch abhelfen darf (so ebenfalls im Dr.-Eisenbart-Fall).
- Nach der Fallfrage soll geprüft werden, ob ein noch einzulegender Widerspruch Aussicht auf Erfolg hat (so im Nicht-ohne-meine-Hose-Fall und im Sammy-Fall): Dann kann (muss aber nicht) die Prüfung der Stelle, bei der der Widerspruch einzulegen ist, auch am Ende der Zulässigkeitsprüfung erfolgen, weil nur die Erhebung eines zulässigen Widerspruchs sinnvoll ist (vgl. hierzu § 70 VwGO).
Zum Behördenbegriff der §§ 68 ff. VwGO siehe im Übrigen diesen Hinweis.
Hier ist zu beachten, dass es keine mit § 40 Abs. 1 VwGO, Art. 19 Abs. 4 GG vergleichbare Generalklausel bezüglich des Vorverfahrens gibt. Der Widerspruch ist vielmehr nur dann zulässig, wenn ausdrücklich ein Widerspruchsverfahren angeordnet ist. Dies ist der Fall
- bei dem Anfechtungswiderspruch (§ 68 Abs. 1 i.V.m. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO), soweit das Widerspruchsverfahren nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist; Voraussetzung ist, dass sich der Widerspruchsführer gegen einen Verwaltungsakt im Sinne der Legaldefinition des § 35 VwVfG, des § 31 SGB X, des § 118 AO und der entsprechenden Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder wendet, die als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch für die Auslegung der VwGO maßgeblich ist.
Anmerkung: Zum Verwaltungsaktsbegriff der VwGO U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 12, 15.
- bei dem Verpflichtungswiderspruch (§ 68 Abs. 2 i.V.m. 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO), soweit das Widerspruchsverfahren nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist; Voraussetzung ist, dass der Widerspruchsführer einen Verwaltungsakt im Sinne der Legaldefinition des § 35 VwVfG, des § 31 SGB X, des § 118 AO und der entsprechenden Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder begehrt, die als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch für die Auslegung der VwGO maßgeblich ist
Anmerkung: Siehe zum Verwaltungsaktsbegriff der VwGO erneut U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 12, 15.
- jedoch nicht nach herrschender Meinung bei einem Fortsetzungsfeststellungswiderspruch (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO), soweit es nicht ausdrücklich angeordnet ist.
Anmerkung: Siehe hierzu Hufen, § 6 Rn. 13 m.w.N.
- wenn im Klageverfahren eine allgemeine Leistungs- oder Feststellungsklage statthaft wäre, soweit das Vorverfahren ausdrücklich - wie vor allem in § 54 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG - angeordnet ist.
Anmerkung: Siehe hzu den sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen Jäde, Rn. 130.
Entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO wird allgemein für die Zulässigkeit eines Widerspruchs eine Widerspruchsbefugnis verlangt; es gibt keinen "Popularwiderspruch", vielmehr muss der Widerspruchsführer die Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte geltend machen. Dies ergibt sich auch aus § 70 Abs. 1 VwGO, nach dem "der Beschwerte" Widerspruch einlegen kann. Die Adressatentheorie (siehe hierzu diesen Hinweis) findet Anwendung.
Dies bestimmt sich wegen § 79 SVwVfG, weil das Vorverfahren ein Verwaltungsverfahren ist, nach § 11 SVwVfG (doch sind die für den Verwaltungsprozess geltenden Erwägungen hier in entsprechender Weise anzustellen), bedarf jedoch regelmäßig keiner näheren Prüfung [anders dann, wenn ein Fall des § 11 Nr. 2 SVwVfG - Beteiligtenfähigkeit teilrechtsfähiger Vereinigungen - vorliegt].)
Dies bestimmt sich nach § 70 VwGO.
Anmerkung: Siehe zur Fristberechnung siehe den Feuer-und-Flamme-Fall und den Soccer-Arena-Fall.
Ist die Frist verstrichen, so ist zu fragen, ob die Widerspruchsbehörde trotzdem dem Widerspruch stattgeben kann, was sehr umstritten ist.
Anmerkung: Siehe hierzu Hufen, § 6 Rn. 32 und den Ausgehöhlt-Fall sowie den Genug-Vergnügt-Fall.
Denkbar ist bei Verstreichen der Frist auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, sofern ein entsprechender Antrag vorliegt (§ 70 Abs. 2 i.V.m. § 60 VwGO).