Hinweis zur Prüfung des
Regelungsinhalts eines Verwaltungsaktes
(Stand der Bearbeitung: 10. Dezember
2022)
©
Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)
mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim
Nicht immer ist eindeutig, welcher Regelungsgehalt
einem bereits erlassenen Verwaltungsakt zukommt, was also genau von ihm
geregelt wird (zur Prüfung der Frage, wann eine bestimmte bereits erlassene Maßnahme
einen Verwaltungsakt darstellen kann, siehe diesen Hinweis).
Typischerweise stellt sich diese Frage
- bei begünstigenden Verwaltungsakten in
Zusammenhang mit der Frage, welche Rechte der Begünstigte aus diesem Verwaltungsakt genau
herleiten kann und ob dieser mit (ggf. welchen) Nebenbestimmungen i.S.d.
§ 36 Abs. 2 VwVfG (bzw. der entsprechenden Bestimmung des konkret anzuwendenden
Verwaltungsverfahrensgesetzes) erlassen wurde (siehe hierzu z. B. den Ihr-Kinderlein-kaufet-Fall, den Sanitäter-Fall, den Wasser-Fall und den Unschuldslamm-Fall).
- bei belastenden Verwaltungsakten in Zusammenhang
mit der Frage, welche Belastung dem Betroffenen eigentlich auferlegt wird, welche
Verpflichtungen sich für den Betroffenen also aus dem Verwaltungsakt ergeben und an
welchen Vorschriften diese Verpflichtungen bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der
Maßnahme zu messen sind. Im Rahmen der Prüfung einer Anfechtungsklage erfolgt die
Auslegung des angefochtenen Verwaltungsakts deshalb am Anfang der Begründetheitsprüfung
noch vor Prüfung der Ermächtigungsgrundlage und der formellen Rechtmäßigkeit des
Bescheides (vgl. hierzu den Dissonanzen-Fall
und den Rathausbrand-Fall).
Im Grundsatz bestimmt sich der Inhalt eines Verwaltungsaktes nach
den insoweit entsprechend anzuwendenden §§ 133, 157 BGB. Maßgebend für den Inhalt
der Erklärung ist somit nicht der innere Wille des Bearbeiters, sondern der erklärte
Wille, wie ihn der Adressat von seinem Standpunkt aus bei verständiger
Würdigung verstehen durfte.
Anmerkung: Siehe hierzu und zum Folgenden U. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35
Rn. 76 ff.
Im Einzelnen bedeutet dies:
- Auszugehen ist zunächst vom Wortlaut des
verfügenden Teils des Verwaltungsaktes unter Zuhilfenahme seiner Begründung. Wurde der
Verwaltungsakt beantragt und dem Antrag stattgegeben, kann auch der Antrag und die ihm
beigefügten Unterlagen für die Bestimmung des Regelungsinhalts des beantragten
Verwaltungsakts herangezogen werden (siehe hierzu den Unschuldslamm-Fall).
- Ergänzend hinzugezogen werden können auch die (für den
Betroffenen erkennbaren) Umstände vor und beim Erlass der Maßnahme. Zu
diesen Umständen kann zählen, welche Aufgaben eine Behörde mit einer
bestimmten Maßnahme (für den Betroffenen erkennbar) verfolgt, in welchem Umfang die
Behörde befugt war, einen bestimmten Sachverhalt zu überprüfen und eine Entscheidung zu
treffen. Insbesondere kann vielfach aus dem Umstand, dass in einem Verwaltungsakt eine
bestimmte Regelung enthalten ist, auch geschlossen werden, dass diese Regelung implizit
einen früher erlassenen Verwaltungsakt aufhebt, der der nunmehr getroffenen Regelung
entgegensteht (sog. konkludente Aufhebung, siehe hierzu den Dissonanzen-Fall, den Rathausbrand-Fall und den Sanitäter-Fall).
- Bei Zweifeln über den Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts kann
jedoch nicht ohne weiteres - wie dies vielfach angenommen wird - auf die Vermutung
gesetzeskonformen Verhaltens zurückgegriffen werden (sog. gesetzeskonforme
Auslegung). Dies ist allenfalls möglich, wenn die Rechtslage allen Beteiligten
bekannt ist bzw. hierüber (nach der insoweit notwendigen Parallelwertung in der
Laiensphäre) vernünftigerweise kein Zweifel besteht. Nur dann erscheint aus der Sicht
des Adressaten und sonstiger Betroffener die Annahme als gerechtfertigt erscheint, dass
die Behörde nicht mehr (und nicht weniger) regeln wollte, als ihr das Gesetz
gestattet. Ansonsten belastet eine gesetzeskonforme Auslegung den Adressaten mit der
Unsicherheit, dass zwischen ihm und der Behörden Meinungsverschiedenheiten über die
Gesetzeskonformität bestehen.
Anmerkung: So bereits (!)
RGZ 9, 202, 206.
- Verbleiben nach diesen Auslegungsschritten Unklarheiten,
gehen diese vielmehr grundsätzlich zu Lasten der Behörde. Dies gilt
jedoch nicht bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung, da
diesselbe Auslegungsvariante im Hinblick auf die jeweils geschützten Rechtspositionen
für einen der Betroffenen günstig, für einen anderen Betroffenen oder den Adressaten
ungünstig sein kann und sich auch nicht immer ersehen lässt, welche der verschiedenen
Auslegungsvarianten für die Behörde belastend wäre. In solchen Fällen gibt es keine
"Im-Zweifel-Auslegung".
Lässt sich der Regelungsinhalt eines Verwaltungsaktes nach diesen
Auslegungsschritten nicht verlässlich bestimmen, ist der Verwaltungsakt zu unbestimmt und
somit wegen Verstoßes gegen § 37 Abs. 1 VwVfG (bzw. der entsprechenden Bestimmung des
konkret anzuwendenden Verwaltungsverfahrensgesetzes) rechtswidrig.
Nichtigkeit nach § 44 Abs. 1 VwVfG (bzw. der entsprechenden
Bestimmung des konkret anzuwendenden Verwaltungsverfahrensgesetzes) liegt demgegenüber
nur vor, wenn der Verwaltungsakt in sich widersprüchlich oder
völlig
unverständlich ist.
Anmerkung: Siehe hierzu Sachs, in:
Stelkens/Bonk/Sachs,
§ 44 Rn. 114; U. Stelkens in:
Stelkens/Bonk/Sachs, § 37 Rn.
7.
Ergebnis einer Prüfung des Regelungsinhalts eines Verwaltungsakts
kann auch sein,
- dass ein Schreiben sowohl einen Verwaltungsakt im
materiellen Sinne wie eine sonstige behördliche Maßnahme enthält, z. B.
ein Verwaltungsinternum.
Richtet sich eine Klage gegen eine solche Doppelmaßnahme, liegt
in beiden Fällen streng genommen eine (im Regelfall unproblematisch zulässige objektive)
Klagehäufung vor. Im ersten Fall bedarf dies allerdings - anders als im zweiten Fall -
regelmäßig keiner Erwähnung.
Anmerkung: Siehe hierzu U. Stelkens,
in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35
Rn. 45 und diesen Hinweis
zur Klagehäufung.