(Stand der Bearbeitung: 5. Mai 2019)
© Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)
mit freundlicher Unterstützung der jurmatiX GbR, Ottweiler
Häufig soll in einem Klageverfahren über mehrere Klagebegehren des Klägers bzw. mehrerer Kläger entschieden werden (objektive oder subjektive Klagehäufung). Bevor mit der Fallbearbeitung begonnen wird, muss man sich daher fragen, was der Kläger/die Kläger von wem eigentlich will/wollen. Stellt sich hierbei heraus, dass ein Kläger/die Kläger verschiedene Ziele mit seiner/ihrer Klage erreichen will/wollen (etwa Aufhebung verschiedener Verwaltungsakte), so ist im Folgenden die Zulässigkeit und Begründetheit jedes einzelnen Klagebegehrens getrennt voneinander zu untersuchen. Soweit in der zweiten Zulässigkeitsprüfung rechtlich dieselben (nicht bloß ähnliche) Erwägungen anzustellen sind, kann auf die erste Zulässigkeitsprüfung verwiesen werden.
Grundsätzlich sollte nicht erst gemeinsam die Zulässigkeit und dann gemeinsam die Begründetheit verschiedener Klagebegehren geprüft werden. Dies führt regelmäßig nur zur Verwirrung. Insoweit sind zwei Ausnahmen denkbar
I. Für alle gestellten Anträge sind durchgängig dieselben Zulässigkeitsvoraussetzungen maßgeblich
Fälle, in denen völlig unproblematisch ist, dass für beide Begehren durchgängig dieselben Zulässigkeitsvoraussetzungen maßgeblich sind, liegen etwa vor, wenn
- ein Behördenschreiben verschiedene an denselben Adressaten gerichtete Verwaltungsakte im materiellem Sinne enthält, wie etwa im Rathausbrand-Fall, im Scheunenabbruch-Fall und im Ungesund-Fall (hier muss das Vorliegen einer Klagehäufung auch gar nicht problematisiert werden; vgl. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 45).
- der Kläger aus demselben Rechtsgrund verschiedene ihrer Rechtsnatur nach gleichartige Leistungen vom Beklagten verlangt, wie etwa im Wasser-Fall.
- zwei Kläger verfolgen gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grunde beruhende Ansprüche, wie etwa im Genug-Vergnügt-Fall
Wenn hier die Frage, ob ein oder mehrere Klagebegehren vorliegen, nicht völlig offensichtlich ist, sollte diese Frage knapp vor der eigentlichen Zulässigkeitsprüfung kurz nach der Fallfrage angesprochen werden, wie etwa beim Nächtliche-Schlagfertigkeit-Fall oder im Genug-Vergnügt-Fall.
Die Prüfung der Zulässigkeit der Klagehäufung, also der Frage, ob das Gericht über beide Klagen in einem gemeinsamen Verfahren entscheiden kann oder ob es die Verfahren nach § 93 Satz 2 VwGO trennen muss, erfolgt dann i.d.R. am zweckmäßigsten ganz am Ende des Gutachtens bei Darstellung des Gesamtergebnisses, etwa so:
"Der Antrag zu 1) ist zulässig und begründet, der Antrag zu 2) ist dagegen unzulässig. Über beide Anträge kann das Gericht gemeinsam in einem Verfahren entscheiden, da hier die objektive Klagehäufung gemäß § 44 VwGO zulässig ist"
oder so
"Beide Klagen sind zulässig und begründet, jedoch kann das Gericht nicht über beide Klagen gemeinsam entscheiden, da weder die Voraussetzungen einer zulässigen objektiven Klagehäufung nach § 44 VwGO noch einer zulässigen subjektiven Klagehäufung nach § 64 VwGO i.V.m. §§ 59 ff. ZPO vorliegen. Das Gericht wird daher hinsichtlich des zweiten Antrags gemäß § 93 Satz 2 VwGO das Verfahren abtrennen."
II. Es ist nicht klar, ob ein Kläger mit zwei oder mehreren ausdrücklich gestellten Anträgen oder ausdrücklich erklärten Rechtsschutzzielen verschiedene Klagebegehren verfolgt
In diesen seltenen Fällen stellt der Kläger in seiner Klageschrift ausdrücklich zwei verschiedene Anträge oder deutet verschiedene Rechtsschutzziele an, es lässt sich aber nicht ohne eine detaillierte Prüfung sagen, ob er hiermit auch verschiedene Begehren i. S. d. § 88 VwGO verfolgt. Hier kann die Frage, ob tatsächlich zwei verschiedene Begehren vorliegen, auch im Rahmen der verschiedenen Stationen der Zulässigkeitsprüfung erfolgen, wie wir dies etwa im Gothic-Fall oder im SaarheimInform-Fall gemacht haben. Möglich wäre hier auch eine Analyse des Klagebegehrens vor Eintritt in die Zulässigkeitsprüfung in Form von Vorüberlegungen, was aber den Leser irritieren kann, wenn es sich nicht um eine Aufgabenstellung handelt, die ausdrücklich aus der Sicht rechtsanwaltlicher Beratung zu bearbeiten ist.