Gothic

© Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

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Einer der schönsten Friedhöfe des Saarlandes ist der Saarheimer Waldfriedhof, der 1869 angelegt worden ist und von der Stadt Saarheim getragen wird (vgl. § 2 BestattG), die auch Eigentümerin des Friedhofsgrundstücks ist. Wegen zahlreicher denkmalgeschützter Grabstätten und seiner Lage im Wald, der den Friedhof teilweise über die Friedhofsmauern einzunehmen scheint, hat er eine sehr spezielle Ausstrahlung von Stille, düsterer Romantik und Wehmut - vor allem, wenn man weiß, das dort 1924 fünf Jugendliche unter bis heute ungeklärten Umständen zu Tode gekommen waren, nach dem sie sich (erfolgreich?) an einer Geisterbeschwörung versucht hatten (doch das ist eine andere Geschichte).

Der Waldfriedhof entspricht jedenfalls heute in vollem Umfang den Anforderungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BestattG, nach dem Friedhöfe öffentliche Einrichtungen sind, die den Verstorbenen als würdige Ruhestätte und zur Bewahrung ihres Andenkens dienen. Diese Zweckbestimmung des Friedhofs wird in der nach § 8 BestattG von der Stadt Saarheim erlassenen Friedhofssatzung, die nach deren § 1 für alle Friedhöfe der Stadt Saarheim gilt, wie folgt konkretisiert:

§ 5 Öffnungszeiten

(1) Die städtischen Friedhöfe sind während der an den Eingängen bekannt gegebenen Zeiten für den Besuch geöffnet.

(2) Die Stadt kann das Betreten aller oder einzelner Friedhofsteile aus besonderem Anlass vorübergehend untersagen.

§ 6 Verhalten auf dem Friedhof

(1) Jeder hat sich auf den städtischen Friedhöfen der Würde des Ortes und der Achtung der Persönlichkeitsrechte der Angehörigen und Besucher entsprechend zu verhalten.

(2) Kinder unter 10 Jahren dürfen die städtischen Friedhöfe nur in Begleitung und unter Verantwortung Erwachsener betreten.

(3) Auf den städtischen Friedhöfen ist insbesondere nicht gestattet,

a) die Wege mit Fahrzeugen aller Art und Sportgeräten (z. B. Rollschuhen, Inlineskater), ausgenommen Kinderwagen und Rollstühle, zu befahren,

b) der Verkauf von Waren aller Art, insbesondere Kränze und Blumen, sowie das Anbieten von Dienstleistungen,

c) an Sonn- und Feiertagen oder in der Nähe einer Bestattung Arbeiten auszuführen,

d) die Erstellung und Verwertung von Film-, Ton-, Video– und Fotoaufnahmen, außer zu privaten Zwecken,

e) Druckschriften zu verteilen,

f) Abraum und Abfälle außerhalb der dafür bestimmten Stellen abzulagern,

g) den Friedhof und seine Einrichtungen und Anlagen zu verunreinigen oder zu beschädigen, Einfriedungen und Hecken zu übersteigen und Rasenflächen (soweit sie nicht als Wege dienen), Grabstätten und Grabeinfassungen zu betreten,

h) zu lärmen und zu spielen, zu essen und zu trinken sowie zu lagern,

i) Tiere mitzubringen, ausgenommen Blindenführhunde.

(4) Totengedenkfeiern sind 10 Tage vorher bei der Stadt Saarheim - Friedhofsverwaltung - zur Zustimmung anzumelden.

(5) Die Anordnungen des Friedhofspersonals sind zu befolgen.

§ 7 Ausnahmen und Sondernutzungen

(1) Ausnahmen von den Anforderungen der § 6 Absätze 2 bis 4 und weitere Nutzungen der städtischen Friedhöfe bedürfen der Erlaubnis der Stadt Saarheim. Die Erlaubnis ist zu versagen, soweit dies den Zweck des Friedhofs und die Ordnung auf ihm unzumutbar beeinträchtigt.

(2) Die Befugnisse des Eigentümers des Friedhofsgrundstücks, Nutzungen zu untersagen oder zu gestatten, die vom Widmungszweck des Friedhofs nicht gedeckt sind, bleiben unberührt. Dazu gehört auch die Befugnis des Eigentümers, für die Nutzung ein Entgelt zu verlangen.

Auf die besondere Atmosphäre des Saarheimer Waldfriedhofs war nun ein "Locationscout" aufmerksam geworden, der beauftragt worden war, Drehorte für einen Film aufzufinden, konkret für einen Thriller, der im "Gothic-Millieu" spielt, und gleichzeitig zeigt, wie eine junge Frau versucht, den Tod ihrer gesamten Familie bei einem Autounfall zu verarbeiten. Auf Anfrage erklärte sich die Stadt Saarheim auch bereit, Teile des Friedhofsgeländes als Drehort für den Film "Angel of Death" - eine deutsch-britisch-rumänische Koproduktion - zur Verfügung zu stellen. Die Friedhofsverwaltung hatte dies als vereinbar mit dem Widmungszweck des Friedhofs angesehen, weil das Filmprojekt als künstlerisch wertvoll erscheine, sich mit der Frage der Trauerbewältigung auseinander setze - und deshalb ein Bezug zu der mit dem Friedhof verfolgten gemeindlichen Aufgabe bestehe - und schließlich, weil die Dreharbeiten hauptsächlich nachts und damit außerhalb der Öffnungszeiten des Friedhofs stattfinden sollten. Daraufhin wurde zwischen der Stadt und der federführenden Produktionsfirma - Movietraum Inc. - vereinbart, dass die Stadt für die Bereitstellung des Friedhofsgeländes für die Dreharbeiten ein Entgelt i.H.v. 5000,- Euro pro Drehtag erhalten sollte. Ferner wurden vertraglich nähere Regelungen zur konkreten Ausgestaltung der Nutzung, versicherungsrechtlichen Fragen u. ä. getroffen. Tatsächlich verliefen die Dreharbeiten dann auch weitgehend problemlos.

Nachdem "Angel of Death" in die Kinos gekommen war, erhielt er sehr schnell "Kultstatus" gerade auch im "Gothic-Milieu". Als bekannt wurde, wo insbesondere die spektakuläre Schlussszene gedreht worden war, wurde daher der Waldfriedhof vermehrt von Fans des Films "heimgesucht", ohne dass hierdurch allerdings nennenswerte Konflikte mit den anderen Friedhofsbesuchern entstanden. Der Oberbürgermeister der Stadt Saarheim, Oskar Obenauf, freute sich vielmehr über die erhöhte Popularität, die neben dem Waldfriedhof auch die Stadt Saarheim durch den Film für den Tourismus gewonnen hatte. Allerdings hatte er mit Folgendem nicht gerechnet:

Im Januar dieses Jahres ging bei der Friedhofsverwaltung der Stadt Saarheim ein Schreiben der Gothic-Events GmbH mit Sitz in Leipzig ein, in dem beantragt wurde, in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November dieses Jahres von 22:00 bis 4:00 Uhr auf dem Saarheimer Waldfriedhof - konkret auf dem großen Platz vor der Trauerhalle - eine "Gothic Party" veranstalten zu können, wobei durch verschiedene Maßnahmen sicher gestellt werden solle, dass bis zur Öffnung des Friedhofs am 1. November (Allerheiligen) alle Spuren der Veranstaltung effektiv beseitigt seien und durch Absperrung sichergestellt werde, dass sich Besucher nur auf dem Hauptweg zwischen Friedhofstor und "Trauerhallenplatz" und auf dem "Trauerhallenplatz" selbst aufhalten könnten. Auf dem Trauerhallenplatz selbst solle eine Bar aufgestellt und eine Musikanlage aufgebaut werden, auf der hauptsächlich Gothic- und Death-Rock aber auch andere Sorten der Dark-Musik gespielt werden solle, zu denen dann "szenetypisch" auch getanzt werden solle. Selbstverständlich sei man bereit, für die Überlassung des Friedhofs ein angemessenes Entgelt zu entrichten und auch sonst einen Vertrag zu unterzeichnen, wie sie in der Branche zwischen Eventveranstaltern und den Eigentümern von Grundstücken üblich seien, die für die Durchführung von "Events" nicht besonders eingerichtet sind. Werbung und Kartenvorverkauf würden dann über die üblichen (szenetypischen) Kanäle laufen.

Auf etwas überraschte Nachfrage des mittlerweile für die Friedhofsverwaltung der Stadt Saarheim zuständigen Stadthauptsekretärs Gerd Mütlich teilte die Gothic-Events GmbH mit, dass sich nach ihrer Auffassung bereits dem Grunde nach ein Anspruch auf Genehmigung der Veranstaltung und Abschluss des Nutzungsvertrags aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebe, da der Waldfriedhof bereits schon einmal für die Dreharbeiten des Films "Angel of Death" außerhalb seiner Öffnungszeiten und jenseits seines Widmungszwecks Privatunternehmen gegen Entgelt zur Verfügung gestellt worden sei.

Angesichts der - jedenfalls für ihn bestehenden - Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage entscheidet sich Mütlich, die Angelegenheit liegen zu lassen und zu hoffen, dass sich die Anfrage "von selbst" durch Zeitablauf erledige. Dreieinhalb Monate später wird der Stadt Saarheim jedoch vom Verwaltungsgericht des Saarlandes eine Klageschrift der Gothic-Events GmbH zugestellt, in der beantragt wird,

1. die Stadt Saarheim - Friedhofsverwaltung - zu verpflichten, der Gothic-Events GmbH nach § 7 Abs. 1 der Friedhofssatzung der Stadt Saarheim eine Ausnahmegenehmigung für die Durchführung der "Gothic-Party" in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November dieses Jahres von 22:00 bis 4:00 Uhr auf dem Saarheimer Waldfriedhof zu erteilen, und

2. die Stadt als Eigentümerin des Friedhofsgeländes zu verpflichten, mit der Gothic-Events GmbH einen Event-Nutzungsvertrag über die Nutzung des Friedhofsgrundstücks entsprechend der beiliegenden Beschreibung für ein Entgelt von 5000,00 Euro zu Bedingungen zu schließen, wie sie im Eventgewerbe üblich seien.

In der Klageschrift wurde zur Begründung zunächst die schon mündlich gegenüber Mütlich gegebene Begründung wiederholt und der Gegenstand und die Organisation der "Gothic Party" selbst so beschrieben wie in dem Zulassungsantrag. Darüber hinaus wird nunmehr geltend gemacht, es bestehe auch ein Anspruch aus Art. 8 Abs. 1 GG auf Überlassung des Friedhofsgeländes für die Durchführung der "Gothic Party". Denn hierbei handele es sich nicht nur um eine Party, sondern solle zugleich auch ein politisches Statement abgegeben werden: Denn mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hätten sich Friedhöfe zu einem tabuisierten Ort entwickelt, der insbesondere von den jüngeren Generationen gemieden und aus dem Leben verbannt werde. Die Party solle daher den Friedhof - und damit auch den Tod - enttabuisieren und zu einem normalen Lebensbestandteil erklären. Dass ein Zugang zur Party nur nach Erwerb von Eintrittskarten ermöglicht werden solle, stehe einer Qualifizierung als Versammlung nicht entgegen. Jedenfalls sei die Stadt nach § 7 der Friedhofsordnung zur ermessensfehlerfreien Entscheidung über ihr Nutzungsbegehren verpflichtet, worauf sie einen Anspruch habe.

Oberbürgermeister Obenauf wendet sich daraufhin unmittelbar an den Saarheimer Rechtsanwalt Rudi Rathgeber mit der Frage, ob die Klage Aussicht auf Erfolg hat und ob er ihm deshalb empfehlen würde, die Gothic-Events GmbH klaglos zu stellen, auch um Gerichts- und Anwaltskosten zu vermeiden und mögliche Amtshaftungsansprüche zu vermeiden. Dabei sei davon auszugehen, dass die Angaben der Gothic-Events GmbH zur Art und Weise der beabsichtigten Durchführung der Party den örtlichen Gegebenheiten Rechnung trage und als grundsätzlich machbar erscheine.

Sollte Rathgeber eine solche Empfehlung erteilen?

Lösungsvorschlag

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