Seniorenresidenz - oder:
Oh Du Fröhliche ...

Zum vierten Advent (22. Dezember 2024)

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim

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Das Stadtviertel "Hohenzollernpark" im Ortsteil "Alt-Saarheim" der Stadt Saarheim ist ganz überwiegend mit Villen im Gründerzeitstil bebaut. Es überwiegt die Wohnnutzung, jedoch befindet sich dort auch eine renommierte Privatklinik ("Louisenklinik"). Die Villen stehen durchgehend in großen parkähnlichen Gärten und haben zumeist nicht mehr als zwei Vollgeschosse. Sie werden fast ausschließlich von alleinstehenden älteren Damen bewohnt, die zum "ganz alten Saarheimer Adel" (und zu den regelmäßigen Kunden der Privatklinik) gehören. Eine dieser älteren Damen, Erna von Trottwitz, die in dem Anwesen Prinz-Wilhelm-Straße 6 wohnte, ist jedoch im Alter von 96 Jahren verstorben: Am Abend des vierten Advents letzen Jahres vergaß sie die Kerzen ihres prachtvoll dekorierten Adventskranzes auszupusten. Während sie friedlich schlummerte, setzen die vier Kerzen ihres Adventskranzes denselben und dann das ganze Wohnzimmer in Brand. Die Feuerwehr fand Erna von Trottwitz in ihrem Bett mit roten Wangen und lächelndem Munde: Sie war an einer Rauchvergiftung gestorben. Niemand wusste, was sie kurz vor ihrem Tode noch Schönes erblickt hatte und in welchem Glanze sie zur Weihnachtsfreude eingegangen war...

Frau von Trottwitz wurde jedoch von ihrer Tochter Hildegard beerbt, die mit dem reichsten Landwirt des Ortes, Karl Knupper, verheiratet ist. Da die Villa auf Grund des Brandes vollständig instabil geworden war, musste sie vollständig abgerissen werden. Daher fand sich Hildegard Knupper (zu ihres Ehemannes nicht geringer Freude) just zur Weihnachtszeit als Eigentümerin eines riesigen unbebauten Grundstücks in einer der besten Wohngegenden Saarheims wieder. Das Absingen des Liedes "Oh Du Fröhliche" bekam daher an diesem Weihnachtsfest im Hause Knupper eine etwas ambivalente Bedeutung. Jedenfalls hatte Hildegard Knupper den Verdacht, dass Karl Knupper die Fröhlichkeit der Weihnachtszeit weniger auf ihren eigentlichen Anlass als auf den lang ersehnten Erbfall mit den hiermit verbundenen unerhofften Möglichkeiten bezog, seinen Reichtum zu mehren. Denn wer hat, dem soll gegeben werden.

In der Zeit zwischen den Jahren reifte daher folgender Plan in Knupper. Er will auf diesem Grundstück eine "Seniorenresidenz der Luxusklasse" errichten. Er denkt an ein achtstöckiges Gebäude mit 20 Wohneinheiten in den fünf oberen Geschossen, in denen "betreutes Wohnen" stattfinden soll. Vorgesehen sind zudem ein Indoor-Swimming-Pool, mehrere Gemeinschaftsräume sowie Einrichtungen zur Krankenversorgung und Altenpflege. Sein Schwiegersohn, Gunter Grossklos, der Leiter der Außenstelle Saarheim der Unteren Bauaufsichtsbehörde des Saarpfalz-Kreises ist, machte Knupper jedoch beim sonntäglichen Familienessen darauf aufmerksam, dass für ein solches Vorhaben eine Baugenehmigung nicht erteilt werden könne; denn es füge sich nicht in die nähere Umgebung ein. Dies sei maßgeblich, weil kein Bebauungsplan für das Stadtviertel "Hohenzollernpark" bestehe.

Anstatt sich hierduch entmutigen zu lassen versteht Knupper dies als einen Hinweis darauf, seine guten Beziehungen zur Saarheimer Stadtverwaltung "spielen zu lassen". Kurzerhand lädt er den Oberbürgermeister der Stadt Saarheim, Oskar Obenauf, und den Vorsitzenden der Mehrheitsfraktion im Saarheimer Stadtrat, Christian Dietrich Unverricht, in den Saarheimer Ratskeller zum Essen ein, schildert ihnen sein Projekt und macht bei dieser Gelegenheit deutlich, dass sie ihm in Zusammenhang mit einem früheren Projekt (ein Vergleichsvertrag in Zusammenhang mit einem weiteren Großvorhaben war "geplatzt") "noch etwas schuldig" seien. Auch könne der "Wirtschaftsstandort Saarheim" durch die Ansiedlung "kaufkräftiger, jedoch naturgemäß wenig mobiler" Senioren nur gewinnen.

Gesagt getan: Obenauf und Unverricht sehen sich angesichts der "früheren Schulden" und der Tatsache, dass man einem der reichsten Einwohner Saarheims nicht einfach so einen "Wunsch abschlagen könne" in Zugzwang, woraufhin der Stadtrat der Stadt Saarheim auf ihr Anraten - unter Einhaltung aller Förmlichkeiten, wobei von der Möglichkeit des § 13a BauGB kein Gebrauch gemacht wurde - den Bebauungsplan "Seniorenresidenz Hohenzollernpark" beschließt. Dieser Bebauungsplan beschränkt sich darauf, für das Grundstück "Prinz-Wilhelm-Straße 6" ein Sondergebiet "Seniorenheim" festzusetzen. Zudem wird nach den §§ 16 ff. BauNVO das Maß der baulichen Nutzung dieses Grundstückes so festgesetzt, dass dort entsprechend den Vorstellungen Knuppers ein achtstöckiges Gebäude mit einer Grundfläche von 20 x 20 Metern errichtet werden kann. Bereits die unmittelbar angrenzenden Grundstücke werden von diesem Bebauungsplan nicht mehr erfasst, weshalb man im Stadtrat der Meinung ist, dass es keiner weiteren Erwägung darüber bedürfe, ob und gegebenenfalls wie die Belange der angrenzenden Nachbarschaft von diesem Projekt betroffen sein könnten.

Kurz nach Bekanntgabe des Bebauungsplans beantragte Knupper eine Baugenehmigung für ein dem Bebauungsplan entsprechendes Vorhaben beim Landrat des Saarpfalz-Kreises als untere Bauaufsichtsbehörde. Diese hält es nicht für geboten, nach § 71 Abs. 1 Satz 2 LBO die Nachbarschaft zu beteiligen, da nicht erkennbar sei, inwieweit durch bebauungsplankonforme die Errichtung der Seniorenresidenz ihre öffentlich-rechtlich geschützten Belange beeinträchtigt werden könnten. Daher wurde die Genehmigung unter Beachtung aller Formvorschriften - aber eben ohne Beteiligung der Nachbarschaft nach § 71 Abs. 1 Satz 2 LBO - antragsgemäß erteilt.

Die Eigentümerin des nördlich gelegen Nachbargrundstückes, die 76-jährige Irene Igelbauer, ist über das Vorhaben Knuppers und den geplanten Zuzug "aller dieser alten Leute" empört. Sie ruft sie deshalb den Saarheimer Rechtsanwalt Rudi Rathgeber um Hilfe. Dieser legt umgehend Widerspruch gegen die Knupper erteilte Baugenehmigung ein. Darüber hinaus beantragt er namens seiner Mandantin beim Verwaltungsgericht des Saarlandes, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegenüber der Knupper erteilten Baugenehmigung wieder herzustellen: Das von Knupper geplante Gebäude halte zwar bauordnungsrechtliche Vorgaben, insbesondere die bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften, gerade noch ein. Dennoch habe das etwa 25 Meter hohe Gebäude eine erdrückende Wirkung: Da nur 18 Meter vor dem Wohnzimmerfenster von Frau Igelbauer gebaut werden solle, werde sie vom besten Zimmer des Hauses eine "Aussicht" auf die 5 Meter hohe und 20 Meter lange geschlossene Betonaußenwand der unteren Geschosse der "Seniorenresidenz" haben. Von den Balkonen der oberen Geschosse aus würden die Bewohner der "Seniorenresidenz" zudem einen "guten Blick" auf die Gartenterasse von Frau Igelbauer haben, so dass sie diese letztlich nicht mehr nutzen könne, wolle sie sich nicht wie ein "Ausstellungsstück" vorkommen. Fast den ganzen Tag über werde zudem das Grundstück von Frau Igelbauer beschattet werden; überdies sei ihr der tägliche Zu- und Abgangsverkehr von Besucherfahrzeugen, Liefer-, Kranken- und Leichenwagen unzumutbar. Der Bebauungsplan "Seniorenresidenz Hohenzollernpark" sei zudem nichtig und könne daher für Knupper keine Baurechte begründen: Er sei nur durch klassische "Klüngelei" zu Stande gekommen; eine "echte Abwägung" habe nicht stattgefunden.

Knupper, der zu dem Verfahren beigeladen wird, hält diesen Antrag für abwegig: Frau Igelbauer habe Gelegenheit gehabt, ihre Bedenken gegen sein Vorhaben im Rahmen des Planaufstellungsverfahrens nach den §§ 1 ff. BauGB geltend zu machen. Dies habe sie - was zutrifft - versäumt. Nun sei es zu spät, auch wenn nicht auszuschließen sei, dass sich sein Vorhaben in der beschriebenen Weise negativ auf das Grundstück von Frau Igelbauer auswirke. Zudem hätte sie sich erst einmal an die Bauaufsichtsbehörde wenden müssen, bevor sie das Gericht anrufe. Schließlich sei die ihm erteilte Baugenehmigung auch rechtmäßig: Sie sei vom Bebauungsplan gedeckt und es könne den Nachbarn nicht gestattet werden, zu verhindern, dass er entsprechend den Festsetzungen eines Bebauungsplans baue. Jedenfalls sei das Verfahren des Eilrechtsschutzes nicht geeignet, um über die Wirksamkeit eines Bebauungsplans zu entscheiden.

Hat der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beim Verwaltungsgericht des Saarlandes Aussicht auf Erfolg?

Lösungsvorschlag

Zu einer nach Berliner Landesrecht zu lösenden Fallvariante bei den Hauptstadtfällen

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