Stand der Bearbeitung: 29. April 2024
© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)
mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim
Siehe hierzu
aus der Rechtsprechung: VGH München, 23 N 90.2272 v. 28.10.1994 = NVwZ-RR 1995, 345 ff.; OVG Münster, 15 A 4751/01 v. 28.1.2003 = NWVBl. 2003, 380 ff.; VG Düsseldorf, 5 K 7535/01 v. 30.12.2003 = NVwZ-RR 2004, 610 ff.;
aus der Literatur: Gruber, NuR 1997, 521 ff.; Hünnekens/Kröcher, NWVBl. 2004, 88 ff.; Pielow/Finger, Jura 2007, 189 ff.
Rudi Rathgebers Aufforderung nach ist zu prüfen, ob der an Knupper gerichtete Bescheid, mit dem dieser verpflichtet wird, sein Quierbrücker Grundstück binnen dreier Monate an die städtische Regenwasserkanalisation anzuschließen und das Niederschlagswasser über diese Kanalisation abzuleiten, rechtmäßig ist.
I. Formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides
Der Oberbürgermeister der Stadt Saarheim war zum Erlass des Bescheides zunächst nach § 59 KSVG zuständig, da er die Geschäfte der laufenden Verwaltung und die ihm übertragenen Selbstverwaltungsangelegenheiten der Gemeinde erledigt und die Gemeinde nach außen vertritt. Bei der Verpflichtung zur Errichtung der Grundstücksentwässerungsanlagen und zur Benutzung der städtischen Abwässersysteme gegenüber den Bürgern handelt es sich um ein Handeln der Stadt Saarheim nach außen.
Da es sich bei dem Bescheid um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 Satz 1 des nach seinem § 1 Abs. 2 anwendbaren SVwVfG handelt, waren vor dessen Erlass die §§ 9 ff. SVwVfG zu beachten, insbesondere müsste Knupper nach § 28 Abs. 1 SVwVfG vor Erlass der Maßnahme angehört worden sein. Diese Anhörung ist hier jedoch in dem Telefonat Knuppers mit Gerd Mütlich von der Stadtverwaltung zu sehen, das eine Woche, bevor der Bescheid bei Knupper eintraf, stattgefunden hatte und in dem Knupper über alle wesentlichen Punkte des Schreibens vorab informiert und ihm Gelegenheit zur Stellungsnahme gegeben wurde.
Insgesamt ist der an Knupper gesandte Bescheid dementsprechend formell rechtmäßig.
II. Materielle Rechtmäßigkeit des Bescheides
Fraglich ist jedoch, ob der Bescheid auch materiell rechtmäßig ist. Insoweit stützt sich der Bescheid auf § 3 der "Satzung zum Anschluss der Quierbrücker Höhen an die Regenwasserkanalisation der Stadt Saarheim". Insoweit ist zunächst unproblematisch, dass die in dem Bescheid ausgesprochenen Verpflichtungen inhaltlich von § 3 dieser Satzung gedeckt sind. § 3 der Satzung lässt sich zudem auch entnehmen, dass die Stadt berechtigt sein soll, die Verpflichtung zur Durchsetzung der sich aus § 3 erlassenen Verpflichtungen gerade durch Verwaltungsakt festzusetzen.
Anmerkung: Zum hiermit angesprochenen Problem der sog. "Verwaltungsaktbefugnis" siehe diesen Hinweis.
Diese Satzung kann jedoch nur dann eine taugliche Rechtsgrundlage für den Bescheid sein, wenn sie ihrerseits formell und materiell rechtmäßig ist - und insoweit insbesondere auch eine taugliche Grundlage für belastende Maßnahmen gegenüber den Gemeindebürgern sein kann. Denn belastende Maßnahmen - wie die hier vorliegende Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwangs - greifen zumindest in die Grundrechte ihrer Adressaten aus Art. 2 Abs. 1 GG ein und bedürfen daher nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes einer (wirksamen) gesetzlichen Grundlage.
1. Formelle Rechtmäßigkeit der Satzung
Es sind keine Hinweise dafür ersichtlich, dass die "Satzung zum Anschluss der Quierbrücker Höhen an die Regenwasserkanalisation der Stadt Saarheim" an Zuständigkeitsfehlern leidet. Der Stadtrat war auch nach § 34 KSVG zum Erlass der Satzung zuständig, da die Abwasserbeseitigung grundsätzlich zu den gemeindlichen Selbstverwaltungsangelegenheiten nach § 5 Abs. 2 KSVG gehört; dies ergibt sich insbesondere aus ihrer Erwähnung in § 22 Abs. 1 und § 108 Abs. 2 Nr. 1 KSVG (ferner auch unmittelbar aus § 56 Satz 1 WHG i.V.m. § 50 Abs. 1, § 50a SWG).
Problematisch scheint hingegen die Art und Weise der Beschlussfassung über die Satzung. Sie entspricht nur dann den Vorgaben des KSVG, wenn der Stadtrat zum einen beschlussfähig war und zum anderen der Beschluss selbst ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Gegen die Ordnungsgemäßheit der Beschlussfassung des Stadtrats als solche lassen sich dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte entnehmen.
a) Beschlussfähigkeit des Stadtrats?
Allerdings ist hier äußerst fraglich, ob die Beschlussfähigkeit des Stadtrats gegeben war. Gemäß § 44 Abs. 1 KSVG ist der Stadtrat dann beschlussfähig, wenn alle Mitglieder des Gemeinderates ordnungsgemäß geladen wurden und mehr als die Hälfte der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend ist. Dem Sachverhalt zufolge waren sämtliche Mandatsträger anwesend, so dass insoweit keine Bedenken bestehen. Fraglich erscheint die ordnungsgemäße Ladung. Diese ist in § 41 Abs. 3 KSVG geregelt: Dort ist unter anderem vorgesehen, dass der Stadtrat schriftlich und unter Mitteilung der Tagesordnung einberufen werden muss. Hintergrund dieser Regelung bildet das Bestreben nach einer ordentlichen Vorbereitung auf die Sitzungen des Rates durch alle Mitglieder, was auch durch einen Blick auf die Ladungsfrist von drei Tagen zum Ausdruck kommt. Dies liegt im Interesse einer der Wahl durch die Bürger entsprechenden Willensbildung der Gemeinde; denn schließlich ist der Stadtrat das demokratisch legitimierte Willensbildungsorgan der Stadt. Und genau dies wollte der Oberbürgermeister mit seiner "unkonventionellen" Vorgehensweise im Zusammenhang mit der Anberaumung der Sitzung unterlaufen. Demzufolge war diese Vorgehensweise mit den hinter der Norm des § 41 KSVG stehenden Prinzipien ersichtlich unvereinbar.
b) Heilung der Beschlussunfähigkeit?
Letztlich kann aber die konkrete Prüfung der Beschlussfähigkeit wegen dieses Mangels bei der Sitzungseinberufung dahinstehen, wenn dieser Fehler durch die Anwesenheit aller Stadtratsmitglieder an der Sitzung "geheilt" wurde. Nach § 41 Abs. 4 KSVG wird eine ungenügende Sitzungsanberaumung dadurch geheilt, dass dennoch alle die betreffenden Mitglieder in der Sitzung erscheinen. Laut Sachverhalt hatte sich der Termin dank der gut funktionierenden Saarheimer Mundpropaganda herumgesprochen, so dass alle Stadtratsmitglieder Saarheims bei der Beschlussfassung anwesend waren.
c) Unbeachtlichkeit der Beschlussunfähigkeit
Darüber hinaus wäre dieser Fehler ohnehin mittlerweile unbeachtlich, da § 12 Abs. 6 KSVG festschreibt, dass Satzungen ein Jahr nach ihrem In-Kraft-Treten als von Anfang an ordnungsgemäß zustande gekommen gelten, sofern nicht eine der beiden dort geregelten Ausnahmen vorliegt. Da vorliegend die Satzung bereits über ein Jahr in Kraft ist und keine der Ausnahmen zugunsten Knuppers eingreift, kommt die Regelung des § 12 Abs. 6 KSVG zur Anwendung.
d) Ergebnis zu 1
Der Ladungsmangel ist somit sowohl nach § 41 Abs. 4 KSVG als auch nach § 12 Abs. 6 KSVG unbeachtlich, so dass die Satzung insgesamt als ordnungsgemäß zu Stande gekommen und damit als formell rechtmäßig gilt.
Anmerkung: Die Regelung der Beschlussfähigkeit im Gemeinderat sowie der Voraussetzungen und Rechtsfolgen fehlerhafter bzw. unterlassener Ladungen ist in den einzelnen Bundesländern im Detail unterschiedlich ausgestaltet, so dass der Lösungsweg in anderen Ländern durchaus ein anderer sein kann (vgl. Gern/Brüning, Rn. 593 ff., 508 ff.; Lange, Kap. 7 Rn. 139 ff.). Das Ergebnis, nämlich die Unbeachtlichkeit der fehlerhaften Ladung zumindest wegen Zeitablaufs (vgl. Gern/Brüning, Rn. 896 ff.; Lange, Kap. 12 Rn. 65 ff.), dürfte jedoch in allen Ländern mittlerweile das Gleiche sein.
2. Materielle Rechtmäßigkeit der Satzung
Fraglich ist jedoch, ob die "Satzung zum Anschluss der Quierbrücker Höhen an die Regenwasserkanalisation der Stadt Saarheim" auch materiell rechtmäßig ist.
a) Vorliegen einer Satzungsermächtigung
Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes bedarf die Satzung einer besonderen gesetzlichen Grundlage (Satzungsermächtigung), soweit sie - wie hier - in Grundrechte eingreift. Dies bedeutet zunächst, dass die Satzung als solche kein "Gesetz" im Sinne des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes ist, also ohne eine solche formell-gesetzliche Satzungsermächtigung keine wirksame Grundlage für Grundrechtseingriffe sein kann.
Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 8 CN 1.12 v. 16.10.2013, Abs. 26 f. = BVerwGE 148, 133 Abs. 26 f.; BVerwG, 9 C 1/18 v. 23.1.2019, Abs. 13 ff. = BVerwGE 164, 225 Abs. 13 ff.; OVG Münster, 15 A 4751/01 v. 28.1.2003 Abs. 31 = NWVBl. 2003, 380, 381; OVG Münster, 14 B 610/18 v. 8.8.2018, Abs. 7 f. = NVwZ-RR 2018, 901 Abs. 5; Lange, Kap. 12 Rn. 15 ff.; Maurer/Waldhoff, § 4 Rn. 27; unklar insoweit: Funke/Rapp, JuS 2010, 395, 397 f.
Die "Satzung zum Anschluss der Quierbrücker Höhen an die Regenwasserkanalisation der Stadt Saarheim" ist somit nur dann rechtmäßig, wenn die Stadt zum Erlass der in ihr enthaltenen Regelungen durch oder auf Grund eines formellen Gesetzes ermächtigt wird und die Satzung den Vorgaben dieser Ermächtigung Rechnung trägt.
Anmerkung: Deutlich für satzungsrechtliche Regelung eines Anschluss- und Benutzungszwangs: OVG Münster, 15 A 4751/01 v. 28.1.2003, Abs. 27 ff. = NWVBl. 2003, 380, 381; Pielow/Finger, Jura 2007, 189, 190.
aa) § 12 Abs. 1 KSVG als Satzungsermächtigung
Als hinreichende Ermächtigungsgrundlage für den Satzungserlass kommt zunächst § 12 Abs. 1 KSVG in Betracht. Hiernach dürfen die Gemeinden ihre Selbstverwaltungs- und Auftragsangelegenheiten durch Satzung regeln. Dass es sich bei der Regelung der Abwasserbeseitigung um eine Selbstverwaltungsangelegenheit handelt, ist bereits festgestellt worden (siehe oben II 1). Bei dem vorliegenden Eingriff in die Rechtsstellung der Grundstückseigentümer erscheint es aber bedenklich, eine derart weite Norm wie § 12 Abs. 1 KSVG als Ermächtigungsgrundlage ausreichen zu lassen. Der sog. klassische Eingriffsvorbehalt verlangt eine gesetzliche Grundlage, die die Art und Richtung des Eingriffs bezeichnet. Die Ermächtigung in § 12 Abs. 1 KSVG genügt diesen Erfordernissen nicht, sie ist zu unbestimmt, um Eingriffe in Freiheit und Eigentum zu rechtfertigen, und wird damit dem Wesentlichkeitsprinzip nicht gerecht, wonach der demokratisch legitimierte Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und nicht auf andere delegieren darf. § 12 Abs. 1 KSVG scheidet somit als Ermächtigungsgrundlage aus.Anmerkung: Wie hier im vorliegenden Zusammenhang OVG Münster, 15 A 4751/01 v. 28.1.2003 Abs. 31 = NWVBl. 2003, 380, 381; siehe ferner erneut BVerwG, 8 CN 1.12 v. 16.10.2013, Abs. 26 f. = BVerwGE 148, 133, Abs. 26 f.; OVG Münster, 14 B 610/18 v. 8.8.2018, Abs. 7 f. = NVwZ-RR 2018, 901 Abs. 5; sowie den Sammlerstücke-Fall, den Satellitenempfangsanlage-Fall und den Starenhut-Fall.
bb) § 22 Abs. 1 KSVG als Satzungsermächtigung?
Als spezielle Satzungsermächtigung kommt insoweit nur § 22 Abs. 1 KSVG über den Anschluss- und Benutzungszwang in Betracht. Hiernach können die Gemeinden bei öffentlichem Bedürfnis durch Satzung für die Grundstücke ihres Gebietes (bzw. von Teilen ihres Gebiets, vgl. § 22 Abs. 2 Satz 2 KSVG) den Anschluss an die Wasserleitung, Kanalisation, Straßenreinigung, Einrichtungen zur Versorgung mit Fernwärme und ähnliche der Volksgesundheit dienende Einrichtungen (Anschlusszwang) und die Benutzung dieser Einrichtungen (Benutzungszwang) vorschreiben.
Anmerkung: Siehe hierzu VGH Mannheim, 1 S 1130/15 v. 27.10.2015, Abs. 5 = NVwZ-RR 2016, 153, 154.
cc) Ergebnis zu a
Die "Satzung zum Anschluss der Quierbrücker Höhen an die Regenwasserkanalisation der Stadt Saarheim" konnte somit nur auf § 22 Abs. 1 KSVG kestützt werden.
Anmerkung: Aus dem Saarländischen Wassergesetz ergibt sich vorliegend ebenfalls keine besondere Regelung: Die - der Regelung des § 22 Abs. 1 KSVG grundsätzlich vorgehende (vgl. VGH Mannheim, 1 S 1130/15 v. 27.10.2015, Abs. 7 = NVwZ-RR 2016, 153, 155) - Pflicht des Abwassererzeugers, die auf seinem Grundstück anfallenden Abwässer der abwasserbeseitigungspflichtigen Stadt (vgl. § 56 Satz 1 WHG i.V.m. § 50a SWG) zu überlassen (§ 50b Abs. 1 SWG [dies läuft im Ergebnis auf eine Anschluss- und Benutzungspflicht bezüglich der städtischen Kanalisation kraft Gesetzes hinaus, die die Gemeinden durch Satzung nur näher ausgestalten können]), greift vorliegend aus zwei Gründen nicht: Zunächst handelt es sich bei den von der Satzung betroffenen Grundstücken nach dem Sachverhalt nicht um bebaute oder befestigte Grundstücke, so dass das dort anfallende Niederschlagswasser gar nicht zum Begriff des Abwassers im Sinne der Legaldefinition des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG zählt (vgl. Gruber, NuR 1997, 521 f.). Darüber hinaus besteht eine Überlassungspflicht im vorliegenden Fall schon nach § 50b Abs. 2 Nr. 5 SWG nicht.
b) Vereinbarkeit der Satzung mit der Satzungsermächtigung aus § 22 KSVG
Fraglich ist jedoch, ob die "Satzung zum Anschluss der Quierbrücker Höhen an die Regenwasserkanalisation der Stadt Saarheim" auch der Ermächtigung des § 22 Abs. 1 KSVG entspricht.
aa) Voraussetzung für die Anordnungen eines Anschluss- und Benutzungszwangs nach § 22 Abs. 1 KSVG
Grundsätzlich ermächtigt § 22 Abs. 1 KSVG dazu, Grundstückseigentümer zu verpflichten, ihre Grundstücke an eine (bestehende) Kanalisation anzuschließen und diesen Anschluss auch zu benutzen. Hiermit ist implizit auch die Verpflichtung der Grundstückseigentümer verknüpft, die notwendigen Anschlussanlagen (auf ihre Kosten) herzustellen. Zudem wird angenommen, dass in § 22 Abs. 1 KSVG implizit auch die Befugnis enthalten ist, den Anschluss- und Benutzungszwang durch Verwaltungsakt durchzusetzen, die Verpflichtungen des Grundstückseigentümers also durch Verwaltungsakt festzusetzen.
Anmerkung: Siehe hierzu OVG Bautzen, 4 A 260/12 v. 16.4.2013, Abs. 29 f. = KommJuR 2013, 343, 344 f.
Grundsätzlich kann ferner eine solche Anschlusspflicht auch für die Ableitung (nur) von Niederschlagswasser angeordnet werden. Insoweit scheinen die Regelungen der Satzung also von § 22 Abs. 1 KSVG gedeckt.
Fraglich ist jedoch, welche zusätzlichen Voraussetzungen für die Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwangs gegeben sein müssen.
Anmerkung: Siehe zum Folgenden Hünnekens/Kröcher, NWVBl. 2004, 88, 90.
Insoweit könnte auf Grund der Formulierung des § 22 Abs. 1 KSVG zunächst angenommen werden, dass Voraussetzung eines solchen Anschluss- und Benutzungstzwangs an die in § 22 Abs. 1 KSVG ausdrücklich aufgezählten Einrichtungen allein das Vorliegen eines "öffentlichen Bedürfnisses" sei. Bei den in § 22 Abs. 1 KSVG ausdrücklich aufgezählten Einrichtungen wäre dementsprechend zur Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs jedes beliebige "öffentliche Bedürfnis" hinreichend. Der Anschluss- und Benutzungszwang müsste daher nur dann auch der "Volksgesundheit dienen", wenn er sich auf eine in § 22 Abs. 1 KSVG nicht ausdrücklich aufgezählte Einrichtung bezieht. Für diese weite Auslegung der Satzungsermächtigung könnte insbesondere sprechen, dass der Gesichtspunkt der "Volksgesundheit" eben nur bei den nicht näher benannten Einrichtungen geführt wird. Durch diese Formulierung könnte der Gesetzgeber die letztlich unwiderlegliche Vermutung begründet haben, dass z. B. der Zwang zum Anschluss von Grundstücken an die "Kanalisation" immer der Volksgesundheit diene.
Anmerkung: In diese Richtung für die entsprechende Regelung im bayerischen Gemeinderecht VGH München, 114 IV 66 v. 21.12.1966 = BayVGHE 19 n. F (1966), 163, 164 f.; wohl auch Gern/Brüning, Rn. 967.
Demgegenüber ist auch eine engere Auslegung des § 22 Abs. 1 KSVG denkbar, nach der die "ähnlichen der Volksgesundheit dienenden Einrichtungen" den Oberbegriff zu den in § 22 Abs. 1 KSVG ausdrücklich aufgezählten Einrichtungen darstellen, so dass auch der Anschluss- und Benutzungszwang z. B. einer Kanalisation "der Volksgesundheit dienen" und zusätzlich auch noch einem "öffentlichen Bedürfnis" entsprechen muss.
Anmerkung: So für die entsprechende Regelung im nordrhein-westfälischen Gemeinderecht OVG Münster, 15 A 4751/01 v. 28.1.2003, Abs. 33 = NWVBl. 2003, 380, 381.
Für die letztere Ansicht spricht insbesondere, dass es sich bei der Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwangs um einen schweren (insbesondere auch [folge-]kostenträchtigen) Eingriff in die Grundrechte der hiervon betroffenen Grundstückseigentümer handelt, der nicht bereits ohne weiteres schon durch allgemeine Erwägungen der öffentlichen Wohlfahrt oder gar gebührenrechtlichen Erwägungen gerechtfertigt werden kann.
Anmerkung: Insoweit ähnlich Lange, Kap. 13 Rn. 136.
Folgt man dem, ist somit allgemeine Voraussetzung der Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwangs nach § 22 Abs. 1 KSVG, dass dieser selbst einem öffentlichen Bedürfnis entspricht und die anzuschließende bzw. zu benutzende Einrichtung der Volksgesundheit dient - und zwar gerade in dem Umfang, in dem der Anschluss- und Benutzungszwang angeordnet wird. Dabei kommt es auf die Einrichtung insgesamt an, nicht jedoch darauf, ob auch der Anschluss jedes konkret betroffenen Grundstückes einem öffentlichen Bedürfnis und dem Schutz der Volksgesundheit dient. Dem konkreten Einzelfall ist gegebenenfalls durch die Zulassung von Ausnahmen nach § 22 Abs. 2 Satz 1 KSVG Rechnung zu tragen.
Anmerkung: Vgl. hierzu VGH München, 23 N 90.2272 v. 28.10.1994, Abs. 16 = NVwZ-RR 1995, 345; Gern/Brüning, Rn. 967.
bb) Vorliegen der Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 KSVG in Bezug auf die "Satzung zum Anschluss der Quierbrücker Höhen an die Regenwasserkanalisation der Stadt Saarheim"
Somit ist fraglich, ob der durch die "Satzung zum Anschluss der Quierbrücker Höhen an die Regenwasserkanalisation der Stadt Saarheim" begründete Anschluss- und Benutzungszwang der städtischen Regenwasserkanalisation für die hiervon betroffenen Grundstücke insgesamt der "Volksgesundheit" dient und darüber hinaus noch einem "öffentlichen Bedürfnis" entspricht:
Dass die (geordnete) Zuführung von Niederschlagswasser in die Kanalisation der Volksgesundheit niemals zu dienen vermag, wird man nicht behaupten können: Mögliche Gründe für die Anordnung eines solchen Anschluss- und Benutzungszwangs kann etwa die Sicherung der Trinkwasserversorgung sein, insbesondere dann, wenn beim schlichten Versickernlassen das Niederschlagswasser trinkwasserschädliche Schadstoffe aufnimmt und diese dann über das Grundwasser in das Trinkwasser gelangen können oder wenn das Niederschlagswasser vor dem Versickern über baulich genutzte und versiegelte Flächen läuft und aus diesem Grund dort vorhandene trinkwasserschädliche Schadstoffe aufnehmen kann.
Anmerkung: Siehe hierzu VGH München, 23 N 90.2272 v. 28.10.1994, Abs. 9 ff. = NVwZ-RR 1995, 345 f.; Gruber, NuR 1997, 521, 527.
Solche Gründe sind hier jedoch nicht erkennbar: Das Niederschlagswasser versickert im "Normalfall" ordentlich und gefährdet das Grundwasser nicht. Es vermag "aus sich heraus" auch keine sonstige Gefahren für die Volksgesundheit zu begründen.
Offenbar soll der Anschluss- und Benutzungszwang im vorliegenden Fall jedoch vor allem dem Überschwemmungsschutz dienen, wie sich insbesondere aus § 1 der Satzung ergibt. Es ist jedoch bereits zweifelhaft, ob der Überschwemmungsschutz für sich allein der "Volksgesundheit" i.S.d. § 22 Abs. 1 KSVG dient.
Anmerkung: Siehe hierzu VG Düsseldorf, 5 K 7535/01 v. 30.12.2003, Abs. 46 ff. = NVwZ-RR 2004, 610, 611.
Jedenfalls fehlt es hier an einer hinreichend konkreten Überschwemmungsgefahr, der durch einen ausnahmslosen Anschluss der Quierbrücker Höhen an die Regenwasserkanalisation begegnet werden müsste: Hier ist es nur einmal auf Grund eines "Jahrhundertregens" (und damit eines katastrophenartigen Naturereignisses) zu Überflutungen der umliegenden Grundstücke mit nur kleineren Schäden gekommen. Auch die Zunahme der Starkregenfälle auf Grund des Klimawandels hat hieran nichts geändert. Schon zur Abwehr solcher - nur äußerst selten eintretender - Schäden die Grundstückseigentümer zu einem dauernden und kostenträchtigen Anschluss an die Regenwasserkanalisation zu verpflichten, ist wirtschaftlich nicht mehr zumutbar und damit unverhältnismäßig.
Anmerkung: Siehe hierzu auch BGH, III ZR 108/03 v. 22.4.2004, S. 7 ff. = BGHZ 159, 19, 23.
cc) Ergebnis zu b
Die "Satzung zum Anschluss der Quierbrücker Höhen an die Regenwasserkanalisation der Stadt Saarheim" ist somit nicht von § 22 Abs. 1 KSVG gedeckt.
c) Ergebnis zu 2
Die "Satzung zum Anschluss der Quierbrücker Höhen an die Regenwasserkanalisation der Stadt Saarheim" ist damit materiell rechtswidrig und folglich nichtig und kann damit keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für den an Knupper gerichteten Bescheid darstellen.
3. Ergebnis zu II
Da der an Knupper gerichtete Bescheid einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage entbehrt, ist er seinerseits materiell rechtswidrig.
III. Gesamtergebnis
Der an Knupper übersandte Bescheid ist nach alledem rechtswidrig, so dass Knupper gehalten ist, schnellstmöglich Widerspruch gegen den Bescheid einzulegen, um dessen Bestandskraft zu verhindern.
Fragen und Anregungen zur Lösung? stelkens@uni-speyer.de