Lösungsvorschlag

Manche sind gleicher!

Stand der Bearbeitung: 15. Januar 2023

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim

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Siehe hierzu

Grossklos will wissen, ob es rechtmäßig wäre, die gegenüber Piätsch erlassene Abrissverfügung aufzuheben, weil er nach § 36 des  des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) als Beamter für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen grundsätzlich auch dann verantwortlich ist, wenn sie auf Weisung seines Vorgesetzten geschehen. Dieser Verantwortlichkeit, die auch disziplinarrechtliche und haftungsrechtliche Folgen haben kann, kann er sich nur mittels der sogenannten Remonstration nach § 36 Abs. 2 BeamtStG entziehen.

Anmerkung: Nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG würde  nur dann von seiner Verantwortung für die Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Handlungen befreit sein, wenn er entsprechend § 36 Abs. 2 Satz 1 seine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der dienstlichen Anordnung des Landrats (hier die Anordnung Landheimers, die gegenüber Piätsch erlassene Abrissverfügung umgehend aufzuheben) gegenüber diesem als seinem Dienstvorgesetzten (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 SBG i.V.m. § 178 Abs. 4 KSVG) "unverzüglich auf dem Dienstweg geltend" machen würde und die Anordnung vom Landrat dennoch (auf Verlangen schriftlich) aufrecht erhalten würde. Näher zur Remonstration nach § 36 BeamtStG (für Bundesbeamte: § 63 BBG) und ihren Zusammenhang mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung: Günther, DöD 2013, 309 ff.; ders. , Jura 2013, 672 ff.; Lindner, ZBR 2015, 412 ff. (gegen Kawik ZBR 2015, 243 ff.); Simianer, ZBR 2004, 149 ff.; Wickler, ThürVBl. 2016, 29 ff. (Teil 1) und 61 ff. (Teil 2); BGH, III ZR 18/19 v. 15.8.2019, Abs. 21 ff. = BGHZ 223, 72 Abs. 21 ff.

Insoweit ist zunächst als Vorfrage zu klären, ob es einer Aufhebung der Abrissverfügung überhaupt bedarf oder ob diese nicht ohnehin - wie Piätsch meint - gegenstandslos ist.

A) Wirksamkeit der Abrissverfügung

Bei der auf § 82 Abs. 1 LBO gestützten Abrissverfügung könnte es sich um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 des nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 für Kreisbehörden geltenden SVwVfG handeln, der nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG i.Vm. § 41 SVwVfG gegenüber Piätsch wirksam geworden ist.

Anmerkung: Zur Prüfung der Wirksamkeit eines Verwaltungsakts siehe diesen Hinweis.

I. Vorliegen eines Verwaltungsaktes

Indem Piätsch geltend macht, es gehe nicht an, dass "Hinz und Kunz" für den Landrat Bescheide unterschreibe, macht er geltend, die Abrissverfügung stamme letztlich nicht von einer Behörde, sondern einer Privatperson. Von den Tatbestandsmerkmalen des § 35 Satz 1 SVwVfG scheint daher hier allein fraglich, ob eine Behörde gehandelt hat. Gehandelt hat hier Grossklos im Namen des Landrats des Saarpfalz-Kreises als untere Bauaufsichtsbehörde. Der Landrat ist als Organ des Landkreises nach § 155, § 178 KSVG als Behörde i.S.d. § 1 Abs. 2 SVwVfG anzusehen. Somit hat dann eine Behörde gehandelt, wenn das Handeln Grossklos' dieser Behörde zugerechnet werden kann. Dagegen könnte sprechen, dass die Behörde "Landrat" als Namen die Amtsbezeichnung des Leiters der Verwaltung des Landkreises führt und diese Amtsbezeichnung auch noch nach dem Geschlecht des jeweiligen Amtsinhabers wechselt. Jedoch folgt hieraus nicht, dass deshalb allein persönliche Handlungen derjenigen Person, die Landrat ist, dem Organ/der Behörde "Landrat des Saarpfalz-Kreises" zugerechnet werden können. Vielmehr ergibt sich aus § 178 Abs. 2 Satz 1 KSVG ("Der Landrat leitet die Verwaltung des Landkreises") eindeutig, dass er nicht alles selbst machen muss, sondern die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Behörde "Landrat" auch Kreisbediensteten zur selbständigen Ausübung übertragen kann. Er muss ihnen insoweit nur die sog. "Zeichnungsbefugnis" (Vertretungsmacht) übertragen. Dies hat Landheimer hier dadurch getan, dass er Grossklos die Leitung der Außenstelle Saarheim der unteren Bauaufsichtsbehörde des Saarpfalz-Kreises übertragen hatte. Grossklos war somit insoweit zeichnungsberechtigt, so dass sein Handeln der Behörde Landrat zugerechnet werden kann. Hier hat also eine Behörde gehandelt.

Anmerkung: Siehe zum Ganzen U. Stelkens, Jura 2016, 1013, 1020 f. m.w.N. Vergleiche zur Unterscheidung zwischen juristischer Person, Organ und Organwalter auch diesen Hinweis und zur Zeichnungsbefugnis auch diesen Hinweis.

Damit stellt die Abrissverfügung einen Verwaltungsakt i. S. d. § 35 Satz 1 SVwVfG dar.

II. Wirksamkeit des Verwaltungsaktes

Dieser Verwaltungsakt ist auch Piätsch gegenüber nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG wirksam geworden, da er ihm im Sinne des § 41 SVwVfG bekanntgegeben worden ist. Nach dem Sachverhalt ist der Verwaltungsakt Piätsch zugestellt worden. Die Zustellung von Verwaltungsakten bestimmt sich nach § 1 SVwZG i.V.m. §§ 1 ff. VwZG. Dass es sich bei der Zustellung um eine zulässige Form der Bekanntgabe handelt, ergibt sich aus § 41 Abs. 5 SVwVfG. Die Zustellung durfte hier auch erfolgen, obwohl sie gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben war, wie sich aus § 1 SVwZG i.V.m. § 1 Abs. 2 VwZG ergibt.

III. Ergebnis zu A

Die Abrissverfügung stellt somit einen wirksamen Verwaltungsakt dar, der nach § 43 Abs. 2 SVwVfG wirksam bleibt, bis er aufgehoben wird.

B) Rechtmäßigkeit einer Aufhebung der Abrissverfügung

Die Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Aufhebung der Abrissverfügung bestimmt sich nach §§ 48 ff. SVwVfG. Da die Aufhebung von Verwaltungsakten in diesen Vorschriften insoweit abschließend geregelt ist, als die Verwaltung jedenfalls nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Sonderregelung berechtigt sein soll, Verwaltungsakte in weiterem Umfang aufzuheben als dies gesetzlich zugelassen ist, ergibt sich aufgrund des Grundsatzes des Gesetzesvorranges, dass die untere Bauaufsichtsbehörde nur dann die Abrissverfügung aufheben darf, wenn die Voraussetzungen der §§ 48 ff. SVwVfG vorliegen. Liegen sie nicht vor, darf die Bauaufsichtsbehörde die Abrissverfügung nicht aufheben, unabhängig davon, dass die Aufhebung der Piätsch belastenden Abrissverfügung eine Begünstigung Piätschs und deshalb nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes auch ohne gesetzliche Grundlage möglich wäre.

Insoweit kommt als Rechtsgrundlage der Aufhebung nur § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG oder § 49 Abs. 1 SVwVfG in Betracht. Eine Verpflichtung zur Aufhebung nach § 51 SVwVfG scheidet demgegenüber schon von vornherein aus, da erkennbar kein Wiederaufgreifensgrund i.S.d. § 51 Abs. 1 SVwVfG vorliegt.

I. Zuständigkeit der Bauaufsichtsbehörde für die Aufhebung

Der Landrat des Saarpfalz-Kreises als untere Bauaufsichtsbehörde - für den Grossklos handeln soll - müsste zunächst für die Aufhebung der Abrissverfügung zuständig sein. Zuständig für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes ist die Behörde, die für den Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes jetzt zuständig wäre.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 7 C 42.98 v. 20.12.1999, Abs. 14 ff. = BVerwGE 110, 226, 229 ff.; BVerwG, 2 A 1/18 v. 30.10.2018, Abs. 17 = NVwZ-RR 2019, 278 Abs. 17; siehe ferner § 48 Abs. 5 und § 49 Abs. 5 SVwVfG, die sich jedoch nur auf die örtliche Zuständigkeit beziehen.

Da als Ermächtigungsgrundlage für die Abrissverfügung allein § 82 Abs. 1 LBO in Betracht kommt, ist somit fraglich, welche Behörde für den Erlass einer Abrissverfügung nach § 82 Abs. 1 LBO in Saarheim zuständig ist.

Die sachliche und instanzielle Zuständigkeit ergibt sich insoweit aus § 59 Abs. 1 LBO, da in der Landesbauordnung für Abrissverfügungen nichts anderes bestimmt ist: Zuständig ist damit die untere Bauaufsichtsbehörde. Die Aufgaben der Untere Bauaufsichtsbehörden nehmen nach § 58 Abs. 1 Satz 2 LBO die Landkreise - und zwar nach § 57 Abs. 1 LBO als Auftragsangelegenheiten (§ 144 KSVG) - wahr. Dies bedeutet, dass sich die Frage, welches Organ des Landkreises für die Durchführung der Aufgaben der unteren Bauaufsichtsbehörde zuständig ist, nach der Kreisverfassung, also nach dem KSVG, richtet.

Anmerkung: Siehe hierzu U. Stelkens, Jura 2016, 1013, 1023.

Gemäß § 178 Abs. 3 KSVG ist somit von den in § 155 KSVG genannten Kreisorganen der Landrat als Behörde zuständig. Die örtliche Zuständigkeit für den Erlass der Abrissverfügung ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 SVwVfG. Hiernach ist bei Angelegenheiten, die sich auf unbewegliches Vermögen beziehen, die Behörde zuständig, in deren Bezirk das Vermögen liegt. Hier bezieht sich die Angelegenheit auf ein im Gebiet der Stadt Saarheim gelegenes Grundstück, so dass der Landrat des Saarpfalz-Kreises für die Anordnung der Abrissverfügung zuständig wäre.

Somit wäre der Landrat als untere Bauaufsichtsbehörde für die Aufhebung der Abrissverfügung zuständig.

II. Möglichkeit der Aufhebung der Abrissverfügung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG

Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Abrissverfügung käme zunächst § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG in Betracht.

1. Rechtswidrigkeit der Abrissverfügung

Die Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG setzt - unabhängig davon, ob es sich um einen begünstigenden oder einen nicht-begünstigenden Verwaltungsakt i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 2 SVwVfG handelt - zunächst voraus, dass die auf § 82 Abs. 1 LBO gestützte Abrissverfügung rechtswidrig ist, wovon der Landrat anscheinend ausgeht.

Anmerkung: Zur Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts siehe diesen Hinweis.

Als Rechtsgrundlage für die Abrissverfügung kommt - wie bereits erwähnt - nur § 82 Abs. 1 LBO in Betracht.

a) Formelle Rechtmäßigkeit

Dass der Landrat des Saarpfalz-Kreises für den Erlass der Abrissverfügung zuständig war, ist bereits geklärt (s. o. B I). Fraglich ist allerdings, ob vor Erlass der Abrissverfügung auch ein ordnungsgemäßes Verfahren nach §§ 9 ff. SVwVfG stattgefunden hat. Hieran bestehen Zweifel, weil Piätsch vor Erlass der Abrissverfügung nicht nach § 28 Abs. 1 SVwVfG angehört worden ist. Insoweit sind auch keine Gründe ersichtlich, weshalb im konkreten Fall von einer Anhörung nach § 28 Abs. 2 oder 3 SVwVfG hätte abgesehen werden können oder müssen. Daher ist die Anhörungspflicht verletzt worden und die Abrissverfügung schon deshalb rechtswidrig.

aa) Heilung der fehlenden Anhörung?

Jedoch könnte dieser Verfahrensfehler nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 SVwVfG geheilt worden sein. Dann wäre dieser Verfahrensfehler unbeachtlich und könnte daher eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG nicht mehr rechtfertigen.

Anmerkung: Siehe hierzu Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 45 Rn. 23.

Eine Nachholung der Anhörung kann jedenfalls noch nicht in dem "Beschwerdebrief" Piätschs gesehen werden, weil sich dieser nicht auf die Abrissverfügung als solche bezog, als auf das von der Bauaufsichtsbehörde einzuschlagende Verfahren zu ihrer Beseitigung.

Anmerkung: Siehe zu den Heilungserfordernissen im Falle des § 45 Abs. 1 Nr. 3 SVwVfG: BVerwG 4 A 7/20 v. 22.2.2022, Abs. 25 = NVwZ 2022, 978 Abs. 25; ferner VGH Mannheim, 10 S 2829/21 v. 16.8.2022, Abs. 25 ff. = NVwZ 2022, 1650 Abs. 25 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 45 Rn. 85 m.w.N.

Im Übrigen ist eine Heilung von Verfahrensfehlern nach § 45 Abs. 2 SVwVfG nur bis zum Abschluss eines - so ist zu ergänzen - gegen den konkreten Verwaltungsakt gerichteten gerichtlichen Verfahrens möglich. Ein solches Verfahren kommt hier jedoch nicht mehr in Betracht, da die Rechtsbehelfsfristen nach § 70, § 74 VwGO gegen den Verwaltungsakt mittlerweile abgelaufen sind, dieser also formell bestandskräftig geworden ist. Da somit die Anhörung nicht innerhalb der Frist des § 45 Abs. 2 SVwVfG nachgeholt wurde, ist er wegen fehlender Anhörung rechtswidrig.

Anmerkung: Siehe hierzu Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 45 Rn. 24. Vertretbar dürfte auch sein, eine Nachholung der Anhörung aufgrund des eher unbestimmten Wortlauts "eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens" des § 45 Abs. 2 SVwVfG noch für möglich zu halten. Diese Möglichkeit der Anhörung ändert aber nichts daran, dass die Behörde nicht angehört hat - und auch gar kein Interesse an einer Nachholung der Anhörung und damit einer Heilung des Verfahrensfehlers hat, weil sie den Verwaltungsakt ja gerade aufheben will (wofür die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes hilfreich ist). Hält man somit eine Heilung noch für möglich, ändert dies an der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nichts. Allenfalls wäre bei der Prüfung des Rücknahmeermessens nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG zu fragen, ob es ermessensgerecht ist, wenn die Behörde einen Verwaltungsakt nur wegen eines Verfahrensfehlers zurücknimmt, den sie auch durch Heilung beseitigen könnte (vgl. die ähnliche Argumentation unten bei B II 2 b).

bb) Unbeachtlichkeit der fehlenden Anhörung?

Auch eine etwaige Unbeachtlichkeit des Verfahrensfehlers nach § 46 SVwVfG steht der formellen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes wegen unterlassener Anhörung nicht entgegen: Ist ein Verfahrensfehler nach § 46 SVwVfG unbeachtlich, führt dies nur dazu, dass ein Anspruch auf Aufhebung ausgeschlossen ist, macht den Verwaltungsakt somit nicht rechtmäßig und hindert folglich nicht, dass die Behörde den Verwaltungsakt dennoch nach § 48 SVwVfG aufhebt.

Anmerkung: Siehe hierzu: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 46 Rn. 12 f.

cc) Ergebnis zu a

Die Abrissverfügung war demnach wegen fehlender, nicht innerhalb der Frist des § 45 Abs. 2 SVwVfG nachgeholter Anhörung rechtswidrig.

b) Materielle Rechtmäßigkeit

Fraglich ist zudem, ob die Abrissverfügung materiell rechtmäßig war. Dies ist der Fall, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 82 Abs. 1 LBO vorlagen (B II 1 b aa) und wenn das von dieser Bestimmung eingeräumte Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt wurde (B II 1 b bb).

aa) Tatbestandsvoraussetzungen des § 82 Abs. 1 LBO

Dann müsste die "Anglerhütte" (eine bauliche Anlage i.S.d. der Legaldefiniton des § 2 Abs. 1 Satz 1 LBO) in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden sein und es müssten auf andere Weise als durch eine vollständige Beseitigung der "Anglerhütte" rechtmäßige Zustände nicht wieder hergestellt werden können.

Anmerkung: Es wird dringend empfohlen, bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Abrissverfügung strikt vom Wortlaut der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage auszugehen und hierunter zu subsumieren, ohne vorschnell auf die Begriffe "formelle und materielle Illegalität" zu rekurrieren, siehe hierzu ausführlich Fischer, NVwZ 2004, 1057 ff.; Lindner, JuS 2014, 118 ff.; aus der Rechtsprechung z. B.: VGH Mannheim, 3 S 2436/02 v. 16.6.2003, Abs. 35 = NuR 2004, 383, 385; VGH München, 20 CS 05.1732 v. 14.7.2005, Abs. 6 f. = BayVBl. 2006, 220, 221.

(1) Errichtung in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften

Eine Errichtung in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften liegt bereits vor, wenn für die Errichtung der "Anglerhütte" nach § 60 Abs. 1 LBO eine Baugenehmigung erforderlich gewesen wäre, da sie dann ohne die erforderliche Baugenehmigung errichtet worden wäre (vgl. § 73 Abs. 6 LBO). Nach § 60 Abs. 1 LBO bedarf jegliche Errichtung einer baulichen Anlage einer Baugenehmigung, sofern die Ausnahmetatbestände der § 61, § 62 und § 63 LBO nicht vorliegen. Bei der vom Piätsch errichteten "Anglerhütte" ist jedoch keine Genehmigungsfreiheit ersichtlich, so dass ihre Errichtung genehmigungsbedürftig war, wenn auch nur im vereinfachten Verfahren nach § 64 LBO.

Anmerkung: Beim vereinfachten Baugenehmigungsverfahren wird die Zulässigkeit des Bauvorhabens nicht mehr umfassend, sondern nur am Maßstab der abschließend aufgezählten Vorschriften geprüft. Daher ist eine solche Baugenehmigung nicht rechtswidrig (und kann deshalb auch nicht nach § 48 SVwVfG zurück genommen werden), wenn das Bauvorhaben mit Vorschriften unvereinbar ist, die im vereinfachten Verfahren nicht zu prüfen sind (OVG Hamburg, 2 Bf 405/05 v. 30.3.2011, Abs. 39 ff. = NordÖR 2011, 338 ff.). Wenn das Bauvorhaben gegen baurechtliche Regelungen verstößt, die im vereinfachten Verfahren nicht zu prüfen sind, kann dementsprechend eine erteilte Baugenehmigung Abrissverfügungen und sonstigen bauordnungsrechtlichen Maßnahmen aber auch nicht entgegengehalten werden (deutlich OVG Berlin-Brandenburg, OVG S 99.09 v. 23.6.2010, Abs. 4 = NVwZ-RR 2010, 794, 795; VG Neustadt a.d.W., 4 K 646/02.NW v. 4.7.2002, Abs. 11; ferner [in Bezug auf nachbarrechtliche Abwehransprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 BGB wegen Verletzung nachbarschützender baurechtlicher Vorschriften]: BGH, V ZR 76/20 v. 21.1.2022, Abs. 18 = BGHZ 232, 252 Abs. 18). Die durch die Genehmigung vermittelte Legalisierungswirkung ist also auf den Umfang des gesetzlichen Prüfprogramms beschränkt (s. hierzu [sehr lesenswert] Sauthoff, BauR 2013, 415 ff.). § 60 Abs. 2 Satz 1 LBO formuliert dies letztlich unmissverständlich (so auch OVG Saarlouis, 2 A 5/16 v. 23.5.2016, Abs. 23 = BauR 2017, 1352, 1353): "Die [...] Beschränkung der bauaufsichtlichen Prüfung nach [...] § 64 entbinde[t] nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an Anlagen gestellt werden und lassen die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse unberührt." Siehe hierzu den Sonnendeck-Fall.

Wie aus dem Sachverhalt hervorgeht, hatte auch Piätsch es nicht für notwendig gehalten, sich um eine Baugenehmigung für sein Vorhaben zu bemühen, weshalb es bereits formell illegal ist.

(2) Fehlen einer Möglichkeit, auf andere Weise als durch eine Beseitigung rechtmäßige Zustände wieder herzustellen

Tatbestandsvoraussetzung einer Abrissverfügung § 82 Abs. 1 LBO ist jedoch auch, dass selbst bei Errichtung oder Änderung einer Anlage in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften es keine Möglichkeit geben darf auf andere Weise als durch eine Beseitigung der Anlage rechtmäßige Zustände wieder herzustellen. Eine solche Möglichkeit könnte hier darin bestehen, dass nachträglich eine Baugenehmigung erteilt wird, was aber nur in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung vorliegen (§§ 60 ff. LBO). Auch dies hilft aber nur dann, wenn die bauliche Anlage nicht auch noch gegen solche bauordnungsrechtlichen Vorschriften verstößt, die im Baugenehmigungsverfahren (ggf. in Form des vereinfachten Verfahrens) nicht (mehr) geprüft werden. Eine Herstellung rechtmäßiger Zustände auf andere Weise als durch Beseitigung der Abrissverfügung ist damit nur möglich, wenn die "Anglerhütte"  - abgesehen von hier nicht interessierenden Ausnahmen - sowohl bauordnungs- als auch bauplanungsrechtlichen Vorschriften und sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften (vgl. § 65 Abs. 1 LBO) entspricht. Fraglich ist demnach, ob das Vorhaben auch in materiellrechtlicher Hinsicht baurechtswidrig ist.

Anmerkung: VGH Mannheim, 3 S 2436/02 v. 16.6.2003, Abs. 35 = NuR 2004, 383, 385; Otto, § 13 Rn. 10 ff.; Fischer, NVwZ 2004, 1057, 1059; Linder, JuS 2014, 118, 120 f. Es entspricht insoweit ganz herrschender Meinung, dass eine Abrissverfügung bei nur formeller Illegalität (Fehlen einer Baugenehmigung) nicht in Betracht kommt, wenn das Vorhaben materiell genehmigungsfähig wäre. In dieser Situation käme allenfalls eine Nutzungsuntersagung in Betracht. Diese Sichtweise ist jedenfalls dann problematisch, wenn der Bauherr sich schlechthin weigert, eine Baugenehmigung zu beantragen und es an einer Rechtsgrundlage fehlt, den Bauherrn zur Bauantragstellung zu verpflichten (so etwa OVG Weimar, 1 EO 522/18 v. 15.1.2019, S. 6 ff. = BauR 2019, 951, 952 ff.). Wenn hier die Bauaufsichtsbehörde auf eine bloße Nutzungsuntersagung verwiesen wird, kann dies dazu führen, dass über Jahre hinweg ein formell nicht genehmigtes aber materiell genehmigungsfähiges Gebäude stehen bleibt, ohne genutzt zu werden, wenn aus welchen Gründen auch immer eine Baugenehmigung nicht beantragt wird. Städtebaulich sinnvoll wäre dies nicht (kommt aber vermutlich auch nicht wirklich häufig vor).

Damit ist zu untersuchen, ob die "Anglerhütte" in materieller Hinsicht baurechtskonform errichtet worden ist. Dann müsste sie sowohl bauordnungs- als auch bauplanungsrechtlichen Vorschriften entsprechen. Bedenken aus der Sicht des Bauordnungsrechts sind nicht ersichtlich. Jedoch ist fraglich, ob das Vorhaben bauplanungsrechtlich mit den §§ 29 ff. BauGB vereinbar ist.

(a) Anwendbarkeit der §§ 29 ff. BauGB

Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieser Vorschriften ist zunächst, dass es sich bei dem Vorhaben um eine bauliche Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB handelt. Dieser Begriff deckt sich grundsätzlich mit dem des § 2 Abs. 1 LBO, jedoch muss hinzukommen, dass das Vorhaben eine gewisse städtebauliche Relevanz aufweist und die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange berühren kann.

Anmerkung: Siehe hierzu Muckel/Ogorek, § 7 Rn. 14 ff.; ausführlich Scheidler, ZfBR 2016, 116, 117 ff.

Nach einer neueren Entscheidung des BVerwG fallen dementsprechend unter den planungsrechtlichen Begriff der baulichen Anlage alle Anlagen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden werden und die in § 1 Abs. 5 und 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren können, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 4 CN 7/16 v. 7.12.2017, Abs. 11 = BVerwGE 161, 53 Abs. 11.

Dies ist bei der von Piätsch errichteten "Anglerhütte" der Fall, da diese eine Größe aufweist, die das Landschaftsbild (nachteilig) beeinflussen kann.

Anmerkung: Keine bauliche Anlage i.S.d. § 29 BauGB, wohl aber i.S.d. Bauordnungsrechts, soll etwa eine "klassische" Litfaßsäule auf einem öffentlichen Weg sein (OVG Hamburg, Bf II 13/96 v. 20.2.1997, Abs. 10 ff. = NVwZ-RR 1998, 616 ff.).

(b) Zulässigkeit nach den §§ 29 ff. BauGB

Da sich das Grundstück selbst nicht im Bereich eines Bebauungsplans nach § 30 BauGB befindet, richtet sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach den §§ 34 und 35 BauGB. Das Grundstück, auf dem die "Anglerhütte" steht, liegt laut Sachverhalt gerade nicht in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil, sondern im unbeplanten Außenbereich in der Nähe des Saarheimer Waldsees, in nahezu unbebauter Landschaft. Deshalb bestimmt sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit in diesem Fall allein nach § 35 BauGB.

Anmerkung: Siehe zur Systematik und den Grundgedanken des § 35 BauGB: Herbolsheimer/Krüper, Jura 2020, 22 ff.; Kümper, JuS 2023, 638 ff. und JuS 2023, 729 ff.; Scheidler, BauR 2019, 190 ff.

(aa) Zulässigkeit als "privilegiertes Vorhaben" nach § 35 Abs. 1 BauGB

Bei der "Anglerhütte" könnte es sich zunächst um ein privilegiertes Vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 1 BauGB handeln.

Eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB kommt jedoch vorliegend nicht in Betracht: Zwar kann eine "Anglerhütte" grundsätzlich einem "landwirtschaftlichen Betrieb" dienen; denn die Legaldefinition des Begriffes "Landwirtschaft" des § 201 BauGB rechnet auch die "berufsmäßige Binnenfischerei" hierzu. Jedoch entfällt hier diese Privilegierung schon deshalb, weil Piätsch selbst keine "berufsmäßige Binnenfischerei" betreibt, auch sonst auf seinem Grundstück ein solcher Betrieb nicht geführt wird. Im Übrigen kommt es bei § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB natürlich nicht auf die "offizielle" Bezeichnung des Vorhabens an, sondern auf seine tatsächliche Zweckbestimmung. Nach der Art seiner Gestaltung (Küche, zwei Schlafräumen, Dusche, WC, Terrasse mit Grillplatz und Swimming-Pool) handelt es sich bei der "Anglerhütte" um ein der Freizeitnutzung dienendes Wochenendhaus. Auch als "Anglerhütte" wäre das Vorhaben nur dann nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert, wenn gerade diese dem Aufenthalt von Menschen dienende Ausstattungsmerkmale, die über den für die Fischerei notwendigsten Standardbedarf hinausgehen, fehlen würden.

Anmerkung: Siehe hierzu VGH München, 2 B 94.1245 v. 9.12.1997, Abs. 4 ff. = BayVBl. 1998, 695 f.

Für Piätschs Wochendendhaus kommt auch keine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB in Betracht. Wochenendhäuser sind keine Anlagen, welche wegen ihrer besonderen Anforderung an die Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt werden sollen. Dies zeigt deutlich § 10 Abs. 1 BauNVO, der davon ausgeht, dass ein Bebauungsplan als Sondergebiet, das der Erholung dient, auch ein Wochenendhausgebiet vorsehen kann. Subjektive Wünsche auf eine ruhige, naturnahe Umgebung reichen somit für eine Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB nicht aus.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, I C 30.62 v. 29.4.1964 = BVerwGE 18, 247, 248; Kment, § 24 Rn. 27 ff.; Herbolsheimer/Krüper, Jura 2020, 22, 29.

(bb) Zulässigkeit als "sonstiges Vorhaben" nach § 35 Abs. 2 BauGB

Daher kommt allenfalls eine Zulässigkeit als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB in Betracht, wenn dem keine öffentlichen Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB entgegenstehen.

Dem könnte zunächst der in § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB genannte Belang entgegenstehen, wenn das Wohnhaus die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt. Der Begriff der natürlichen Eigenart der Landschaft umfasst den Schutz des Außenbereichs vor einer wesensfremden Nutzung, sowie den Schutz vor ästhetischen Beeinträchtigungen. Im Außenbereich zu wohnen, stellt eine solche wesensfremde Nutzung dar, die gerade auch im Hinblick auf die Landschaft rund um den Waldsee von Saarheim nicht gerade eine ästhetische Bereicherung ist. Wegen des Erholungswerts des Außenbereichs soll dieser für die Allgemeinheit von Bebauung möglichst freigehalten werden; daher ist der Außenbereich gegenüber wesensfremder Nutzung zu schützen, insbesondere gegenüber der Wohnbebauung. Folglich steht dem Vorhaben der öffentliche Belang des § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB entgegen.

Anmerkung: Siehe hierzu Mitschang/Reidt, in: Battis/Krauzberger/Löhr, § 35 Rn. 86 f.; ferner VGH Kassel, 3 A 2346/21.Z v. 30.11.2022, Abs. 9.

Da Piätsch nicht der Erste ist, der sich im Gebiet rund um den Saarheimer Waldsee ein Wochenendhaus errichtet hat, könnte seinem Vorhaben auch der öffentliche Belang der Befürchtung der Bildung und ggf. der Erweiterung einer Splittersiedlung entgegenstehen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Indem Piätsch ein Wochenendhaus im Außenbereich gebaut hat, kommt dem eine gewisse Vorbildwirkung und damit die Befürchtung der Bildung einer Splittersiedlung zu. Wenn man dem entgegenhält, dass bereits mehrere Saarheimer Bürger im Bereich rund um den Waldsee gebaut haben, so stellt das Wochenendhaus des Piätsch zumindest eine ernstzunehmende Erweiterung der vorhandenen Splittersiedlung und eine Ausdehnung des in Anspruch genommenen Bereichs dar. Daher steht dem Wochenendhaus auch der öffentliche Belang des § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB entgegen.

Anmerkung: Siehe hierzu Mitschang/Reidt, in: Battis/Krauzberger/Löhr, § 35 Rn. 95; Muckel/Ogorek, § 7 Rn. 192 ff.

Da auch keine Sonderregelung aus § 35 Abs. 4 BauGB für diesen Fall ersichtlich ist, kann das Vorhaben auch nicht nach § 35 Abs. 2 BauGB genehmigt werden.

(cc) Ergebnis zu (b)

Somit ist das Vorhaben insgesamt mit § 35 BauGB unvereinbar.

(c) Ergebnis zu (2)

Folglich verstößt die "Anglerhütte" gegen Bauplanungsrecht und damit materiell illegal.

(3) Ergebnis zu aa

Die "Anglerhütte" ist damit auch materiellrechtlich baurechtswidrig, so dass hierfür eine Baugenehmigung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LBO nicht erteilt werden könnte und damit anders als durch seine Beseitigung rechtmäßige Zustände nicht wieder hergestellt werden können. Der Tatbestand § 82 Abs. 1 LBO war somit erfüllt.

Anmerkung: Zur baurechtlichen Unzulässigkeit von Wochenendhäusern siehe auch den Versprochen-ist-versprochen-Fall.

bb) Ordnungsmäßige Ermessensausübung (§ 40 SVwVfG)

§ 82 Abs. 1 LBO räumt der Bauaufsichtsbehörde jedoch bezüglich der Rechtsfolge in unterschiedlicher Weise Ermessen ein, nämlich sowohl hinsichtlich des "Ob" des Tätigwerdens (Entschließungsermessen) als auch hinsichtlich des Inhalts der Maßnahme (Auswahlermessen hinsichtlich des Mittels). Die Abrissverfügung war daher nur dann materiell rechtmäßig, wenn der Landrat bei ihrem Erlass ermessensfehlerfrei gehandelt hat, also kein Verstoß gegen § 40 SVwVfG vorliegt. Da nicht erkennbar ist, dass Grossklos das Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt hat, er sich also nicht von sachfremden Motiven hat leiten lassen, kommt hier allenfalls ein Ermessensfehler wegen Nichtbeachtung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens in Betracht. Hierzu zählen insbesondere auch die Grundrechte und in diesem Zusammenhang die Grundsätze des Vertrauensschutzes und des Verhältnismäßigkeitsprinzips

Anmerkung: Siehe hierzu Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 40 Rn. 83 ff. Speziell zum Verhältnismäßigkeitsprinzip als Ermessensgrenze i. S. des § 40 Alt. 2 VwVfG, § 114 Satz 1 Alt. 1 VwGO: BVerfG (K), 2 BvR 1487/17 v. 24.7.2017, Abs. 41 = NVwZ 2017, 1526 Abs. 41; BVerwG, 1 VR 3/17 v. 13.7.2017, Abs. 11 = NVwZ 2017, 1531 Abs. 11.

(1) Missachtung schutzwürdigen Vertrauens?

Insoweit könnte es sich als ermessensfehlerhaft darstellen, dass die Behörde das Vertrauen Piätschs darauf nicht berücksichtigt hat, dass die Baubehörde in dem fraglichen Gebiet nicht gegen illegal errichtete Wochenendhäuser einschreitet, weil sie hiergegen jahrelang nichts unternommen hat. Ein solches Vertrauen Piätschs wäre jedoch nicht schützenswert. Ohne eine eindeutige Erklärung der zuständigen Behörde gegenüber dem Betroffenen, von ihr zustehenden Befugnissen keinen Gebrauch zu machen, besteht letztlich kein Anknüpfungspunkt für das Vertrauen des Bürgers.

Anmerkung: Siehe hierzu Beaucamp, DÖV 2016, 802, 803; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 92. Bauaufsichtsbehördliche Einschreitungsbefugnisse sind keine "subjektiven" behördlichen Rechte und unterliegen, anders als beispielsweise die Abwehrrechte eines Nachbarn gegen ein Vorhaben, auch nicht der Verwirkung. Allein eine lange Bestandszeit einer illegalen baulichen Anlage und ein Untätigbleiben der Behörde (auch in Kenntnis dieser Umstände) führt für sich genommen nicht zu Bindungen oder gar dauerhaften Duldungspflichten der Behörde: OVG Greifswald, 3 L 108/11 v. 4.9.2013, Ab. 69 ff. = NordÖR 2013, 514, 516 f.; VGH Kassel, 3 A 2346/21.Z v. 30.11.2022, Abs. 10 ff. und 17 ff.; OVG Saarlouis, 1 Q 51/04 v. 25.1.2005, Abs. 6 ff. = BauR 2006, 826 ff.; Kment, DVBl. 2017, 1336, 1337 ff.; Sommer, JA 2017, 567 ff. Siehe zu den Möglichkeiten und Grenzen behördlicher Duldung baurechtswidriger Zustände auch Tysper, BauR 2019, 909 ff.

Hinzu kommt, dass alle Betroffenen - einschließlich Piätsch - wussten, dass die Errichtung ihrer Wochenendhäuser illegal war (bei Piätsch wird dies deutlich durch die Tarnung des Hauses als "Anglerhütte") und die Behörde nur aus offensichtlich rechtswidrigen Gründen ("Schonung" angesehener Politiker) hiergegen nicht einschritt. Das Vertrauen darauf, dass sich die Behörde auch in Zukunft rechtswidrig verhalten werde, verdient jedoch keinen Schutz.

(2) Missachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes?

Die Grenzen des Ermessens könnten jedoch auch deshalb überschritten worden sein, weil sich der mit der Abrissverfügung verbundene Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum als unverhältnismäßig darstellt.

Anmerkung: Allgemein zur Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips siehe diesen Hinweis.

Dass der Eingriff zur Erreichung der angestrebten Ziele - Durchsetzung des Gebots, den Außenbereich von illegalen Bauten freizuhalten, - geeignet und erforderlich war, steht jedoch außer Zweifel. Er ist vor allem aber auch zumutbar (verhältnismäßig i. e. S.). Zwar werden durch die Abrissverfügung erhebliche Vermögenswerte vernichtet. Dies steht aber nicht außer Verhältnis zu dem Anliegen der Durchsetzung des Baurechts. Andernfalls hätte es letztlich der Bauherr in der Hand, sich durch Schaffung vollendeter Tatsachen über die geltenden baurechtlichen Bestimmungen hinwegzusetzen.

Anmerkung: Siehe hierzu Benkert, ThürVBl. 2014, 213, 216 f.

(3) Missachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes?

Schließlich könnte das Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt worden sein, weil nur gegen Piätsch, nicht jedoch gegen andere Wochenendhauseigentümer in dem betroffenen Gebiet vorgegangen worden ist. Hierdurch könnte Art. 3 Abs. 1 GG verletzt worden sein. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Bauaufsichtsbehörde bei ihren Anordnungen das Gleichbehandlungsgebot beachten und nicht einzelne Bürger ohne rechtfertigenden Grund benachteiligen darf. Die Behörde darf ihr Ermessen also nicht planlos ausüben.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG (K), 1 BvR 1860/02 v. 2.9.2004, Abs. 12 ff. = NVwZ 2005, 203 f.; BVerwG, 7 B 106.91 v. 19.2.1992, Abs. 2 = NVwZ-RR 1992, 360; BVerwG, 4 B 34.14 v. 24.7.2014, Abs. 4 = BauR 2014, 1923; OVG Berlin-Brandenburg, 10 N 7/14 v. 28.9.2016, Abs. 15 ff. = NVwZ-RR 2017, 273 Abs. 15 ff.; OVG Greifswald, 3 M 99/19 v. 5.4.2019, Abs. 9 ff. = NordÖR 2019, 288, 289; VGH Kassel, 3 A 2346/21.Z v. 30.11.2022, Abs. 15; OVG Lüneburg, 1 ME 81/10 v. 19.5.2010, Abs. 9 f. = ZfBR 2010, 585, 586; OVG Weimar, 1 KO 108/05 v. 16.3.2010, S. 10 ff. = ThürVBl. 2010, 270, 271; Benkert, ThürVBl. 2015, 134, 135 ff. Zu den Grenzen der "Konzeptpflichten" in derartigen Fällen: BVerwG, 8 C 18/16 v. 26.10.2017, Abs. 20 ff. = NVwZ 2018, 895 Abs. 20 ff. Sehr weitgehend (oder zumindest missverständlich) insoweit aber VGH Kassel, 4 B 2166/08 v. 28. 1. 2009, Abs. 8 = LKRZ 2009, 260 ff., wo offenbar angenommen wird, auch bei gebundener Eingriffsverwaltung könne eine Inanspruchnahme des Bürgers nur deshalb rechtswidrig sein, weil gegen andere Bürger unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht vorgegangen werde. Diese Sichtweise ist mit der Gesetzesbindung der Verwaltung kaum zu vereinbaren.

Daraus folgt aber nicht, dass die Bauaufsichtsbehörde rechtswidrige Zustände, die bei einer Vielzahl von Grundstücken vorliegen, stets "flächendeckend" bekämpfen müsse. Vielmehr kann die Behörde - z. B. wegen fehlender personeller oder sächlicher Mittel - auch anlassbezogen vorgehen und sich auf die Regelung von Einzelfällen beschränken, sofern hierfür sachliche Gründe vorliegen:

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 7 B 106.91 v. 19.2.1992, Abs. 2 = NVwZ-RR 1992, 360; VG Wiesbaden, 3 E 650/06 v. 18.4.2007, Abs. 29.

Einen solchen Grund stellt es auch dar, wenn zunächst gegen die gröbsten baulichen Missstände vorgegangen wird. Einen solchen stellte nach dem Sachverhalt das Gebäude Piätschs dar, so dass es auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht ermessensfehlerhaft war, zunächst hiergegen vorzugehen und die anderen Wochenendhäuser von Abrissverfügungen zu verschonen.

Anmerkung: Ähnlich auch BVerwG, 4 B 34.14 v. 24.7.2014, Abs. 4 = BauR 2014, 1923. Mittlerweile wurden die zunächst nur für die Fälle der Schwarzbaubeseitigung entwickelten Grundsätze auf alle Fälle erweitert, bei eine Vielzahl von Verstößen durch eine Vielzahl von Personen eingreifende im Ermessen stehende Maßnahmen erfordern: BVerwG, 8 C 36/12 v. 9.7.2014, Abs. 23 ff. = NVwZ 2014, 1583 ff.; VGH Mannheim, 6 S 1426/14 v. 8.9.2015, Abs. 38 ff. = GewArch 2016, 247 Abs. 38 ff.; OVG Münster, 4 B 1437/15 v. 9.6.2016, Abs. 27 ff. = NWVBl 2016, 461 ff. (jeweils für Untersagung von glückspielrechtlich rechtswidriger Werbung).

(4) Ergebnis zu bb

Dementsprechend ist das Ermessen durch die Bauaufsichtsbehörde nicht fehlerhaft ausgeübt worden.

cc) Ergebnis zu b

Die Abrissverfügung war somit materiell rechtmäßig.

c) Ergebnis zu 1

Die Abrissverfügung war damit zwar formell rechtswidrig, aber materiell rechtmäßig. Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme der Abrissverfügung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG nur wegen des Formfehlers vor. Die sich hieraus ergebende Möglichkeit einer Rücknahme wird auch nicht durch § 48 Abs. 1 Satz 2 SVwVfG eingeschränkt, da es sich bei der Abrissverfügung - natürlich - nicht um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt.

2. Ermessensausübung (§ 40 SVwVfG)

Die Rücknahme des Verwaltungsaktes steht jedoch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG im Ermessen der zuständigen Behörde. Sie ist demnach nur dann rechtmäßig, wenn diese ihr Ermessen entsprechend § 40 SVwVfG ordnungsgemäß ausübt. Für die Frage der Ordnungsgemäßheit der Ermessensausübung sind insoweit nicht die Gründe entscheidend, die die Behörde nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SVwVfG angibt, sondern die wirklichen Beweggründe. Kann Grossklos die Entscheidung über die Rücknahme somit nur aus ermessensfehlerhaften Gründen fällen, ändert sich an der Rechtswidrigkeit der Rücknahmeentscheidung nichts, wenn es ihm gelingt, die Begründung der Rücknahmeentscheidung so "hinzubiegen", dass sie nach einer ermessensgerechten Entscheidung aussieht.

a) Bindung durch das Versprechen des Oberbürgermeisters

Jedoch kann die Frage der ordnungsgemäßen Ermessensausübung hier dahinstehen, wenn die untere Bauaufsichtsbehörde aufgrund des Schreibens des Oberbürgermeisters der Stadt Saarheim bereits verpflichtet wäre, die Abrissverfügung aufzuheben. Dies wäre dann der Fall, wenn es sich bei diesem Schreiben um eine wirksame Zusicherung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG handeln würde. Dann wäre die Bauaufsichtsbehörde hieran gebunden und müsste die Abrissverfügung aufheben.

Anmerkung: Zur Prüfung der Wirksamkeit einer Zusicherung siehe diesen Hinweis, ferner den Wahlverwandtschaften-Fall und den Wasser-Fall.

Unter Zusicherung versteht § 38 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG die Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder nicht zu erlassen. Der Begriff der Zusage ist seinerseits gesetzlich nicht definiert, sondern wird vom Gesetz vorausgesetzt. Gemeint ist hiermit nach inzwischen wohl allgemeiner Meinung eine einseitige Selbstverpflichtung einer Behörde zu einem späteren Tun oder Unterlassen gegenüber einem bestimmten Erklärungsempfänger.

 Anmerkung: Siehe hierzu: U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 38 Rn. 2.

Entscheidend ist insoweit vor allem der Bindungswille der Behörde gegenüber dem Erklärungsempfänger.

Anmerkung: Siehe hierzu Maurer/Waldhoff § 9 Rn. 60.

Nach diesen Grundsätzen liegt hier eine Zusage vor, weil der Oberbürgermeister hier eindeutig die Aufhebung der Abrissverfügung "verbindlich verspricht", was nur als Zusage ausgelegt werden kann.

Diese Zusage ist auch auf Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts gerichtet, nämlich auf die Aufhebung eines Verwaltungsaktes (der Abrissverfügung), die ihrerseits einen Verwaltungsakt darstellt. Wie sich aus § 38 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG ergibt, ist eine Zusicherung jedoch nur wirksam, wenn sie von der zuständigen Behörde abgegen worden ist. Die Zuständigkeit beurteilt sich nach der für den zugesagten Verwaltungsakt.

Anmerkung: Siehe hierzu: U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 38 Rn. 62.

Dementsprechend richtet sie sich hier danach, wer für die Aufhebung der Abrissverfügung zuständig ist. Hierfür ist jedoch - wie dargelegt (s. o. B I) - allein der Landrat des Saarpfalz-Kreises als untere Bauaufsichtsbehörde zuständig, so dass die Zusicherung deshalb unwirksam ist.

Damit ist die untere Bauaufsichtsbehörden nicht an das vom Oberbürgermeister der Stadt Saarheim abgegebene Versprechen gebunden, so dass sie nicht schon deshalb zur Rücknahme der Abrissverfügung verpflichtet ist.

b) Beachtung der Ermessensgrenzen (§ 40 SVwVfG)

Damit stellt sich die Frage, ob die Rücknahme der Abrissverfügung im vorliegenden Fall ermessensgerecht wäre, ob also die Grenzen des § 40 SVwVfG beachtet werden. Insoweit ist fraglich, ob die Aufhebung der Abrissverfügung hier dem Zweck der Ermessensermächtigung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG gerecht würde. Soweit die Rücknahme belastender Verwaltungsakte in Frage steht, ist insoweit das öffentliche Interesse auf Beachtung der formellen Bestandskraft des Verwaltungsaktes mit dem Interesse des Betroffenen abzuwägen, von der Belastung mit rechtswidrigen Maßnahmen verschont zu bleiben. Die Rechtsbehelfsfristen der § 70, § 74 VwGO würden weitgehend sinnlos werden, wenn es einen uneingeschränkten Anspruch auf Aufhebung rechtswidriger belastender Verwaltungsakte nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG gäbe.

aa) Ermessensfehler wegen Aufhebung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts?

Dies bedeutet zunächst, dass es - anders als Grossklos wohl meint - nicht bereits einen Ermessensfehler darstellt, wenn ein unanfechtbar gewordener Verwaltungsakt aufgehoben wird. Es besteht kein Zwang zur Aufrechterhaltung unanfechtbar gewordener rechtswidriger belastender Verwaltungsakte. Allerdings stellt es auch nicht bereits einen Ermessensfehler dar, wenn die Behörde bei Fehlen von Wiederaufgreifensgründen nach § 51 Abs. 1 SVwVfG die Rücknahme eines Verwaltungsaktes ablehnt.

Anmerkung: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48 Rn. 90 ff.; siehe hierzu auch den Sammlerstücke-Fall.

Es entspricht dementsprechend grundsätzlich durchaus dem Ermessenszweck, wenn die Behörde ohne Rücksicht auf die Unanfechtbarkeit einen belastenden Verwaltungsakt nur wegen seiner Rechtswidrigkeit zurücknimmt.

bb) Ermessensfehler bei Aufhebung eines allein verfahrensfehlerhaften Verwaltungsakts?

Allerdings darf auch nicht verkannt werden, dass die Abrissverfügung hier materiell nicht zu beanstanden ist, sondern sich ihre Rechtswidrigkeit allein aus der fehlenden Anhörung ergibt, die - wenn Piätsch Rechtsbehelfe eingelegt hätte - innerhalb der Grenzen des § 45 Abs. 2 SVwVfG nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 SVwVfG hätte geheilt werden können, ohne dass die Ermessensentscheidung nach § 82 Abs. 1 LBO deshalb zwingend hätte anders ausfallen müssen. Das Interesse Piätschs an der Rücknahme der Abrissverfügung wiegt daher - soweit es schutzwürdig ist - relativ gering.

Insoweit hat das BVerwG aus der Wertung des § 49 Abs. 1 SVwVfG den Grundsatz entnommen, dass eine Rücknahme ausgeschlossen sei, wenn sofort wieder ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erlassen werden müsse. Hieraus folgt auch, dass es grundsätzlich ermessensgerecht ist, einen rechtswidrigen Verwaltungsakt nicht aufzuheben, wenn sofort erneut ein - nunmehr rechtmäßiger - Verwaltungsakt gleichen Inhalts erlassen werden kann.

Anmerkung: BVerwG, 8 C 65.81 v. 28.10.1983, Abs. 8 = BVerwGE 68, 151, 153; siehe auch Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 48 Rn. 80. Hätte Piätsch gegen die Abrissverfügung Widerspruch eingelegt, hätte die Behörde dem Widerspruch unter Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes nach § 72 VwGO abhelfen oder den Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG zurücknehmen können, wobei aber die Wahlfreiheit der Behörde zwischen diesen beiden Verfahrensarten unter dem Vorbehalt der Einhaltung des Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 BGB steht, der auch im öffentlichen Recht gilt (siehe hierzu BVerwG, 6 B 2.07 v. 29.3.2007, Abs. 13, 16 = NVwZ-RR 2007, 617).

cc) Ermessensfehlerhaftigkeit bei Aufhebung allein aus wirtschaftspolitischen Gründen?

Hier ist die Sachlage ohnehin so, dass der Verwaltungsakt nicht eigentlich wegen des Anhörungsfehlers aufgehoben werden soll, sondern letztlich aus wirtschaftspolitischen Gründen. Man will sich mit dem Betroffenen gut stellen. Insoweit ist deutlich, dass jedenfalls der Nichterlass einer Abrissverfügung allein aus dem Grund, weil der betroffene Eigentümer politischen Einfluss hat oder eine "bedeutende Persönlichkeit" ist, sicherlich dem Zweck der Ermächtigung des § 82 Abs.1 LBO widerspricht, so dass eine entsprechende Ausübung des durch § 82 Abs. 1 LBO eingeräumten Ermessen ihrerseits gegen § 40 SVwVfG verstoßen würde. Aus denselben Gründen kann es dann aber auch bei der Ausübung des Ermessens nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG ermessensfehlerhaft sein, wenn ein Verwaltungsakt, der (nur) mit einem Verfahrensfehler behaftet, nicht jedoch materiell rechtswidrig ist, nicht aufgehoben wird, um den Verfahrensfehler zu beseitigen, sondern allein aus letztlich ressortfremden allgemeinen Gründen der "politischen Opportunität" des Nichteinschreitens gegenüber bestimmten bedeutenden Persönlichkeiten.

Erfolgt die Rücknahme dementsprechend nicht nur, um den Anhörungsfehler "auszubügeln", sondern letztlich um dem Wunsch Piätschs nach einer Freistellung von den für alle geltenden Regeln nachzukommen, wäre die Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG ermessensfehlerhaft.

c) Ergebnis zu b

Genau so ist es hier, so dass die Rücknahme aus den Gründen, aus denen sie hier erfolgen soll, nicht dem Zweck der Ermessensermächtigung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG entspräche und deshalb nach § 40 SVwVfG rechtswidrig wäre.

3. Ergebnis zu II

Da eine Rücknahme nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG nicht aus Gründen erfolgen soll, zu denen der Behörde das Rücknahmeermessen eingeräumt wird, wäre eine dennoch getroffene Rücknahmeentscheidung rechtswidrig, so dass eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG vorliegend nicht in Betracht kommt.

III. Möglichkeit der Aufhebung der Abrissverfügung nach § 49 Abs. 1 SVwVfG

Jedoch könnte auch ein Widerruf nach § 49 Abs. 1 SVwVfG in Betracht kommen. Allerdings ist fraglich, ob diese Vorschrift überhaupt Anwendung finden kann, da es sich bei der Abrissverfügung - wie oben (B II 1) dargestellt - um eine (wenn auch nur formell) rechtswidrige Abrissverfügung handelt, § 49 Abs. 1 SVwVfG jedoch nur den Widerruf rechtmäßiger nicht begünstigender Verwaltungsakte ausdrücklich zulässt. Allerdings ist weitgehend anerkannt, dass rechtswidrige Verwaltungsakte erst recht auch nach § 49 Abs. 1 SVwVfG mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden können, da dort, wo der rechtmäßige Verwaltungsakt widerrufen werden kann, der rechtswidrige keinen Schutz vor Aufhebung verdient. Dies führt dazu, dass die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes letztlich kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal des § 49 SVwVfG mehr ist.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 8 C 33.84 v. 21.11.1986, Abs. 9 = NVwZ 1987, 498; BVerwG, 8 C 16/17 v. 19.8.2018, Abs. 13 ff. = BVerwGE 163, 102 Abs. 13 ff.; BVerwG, 8 C 7/18 v. 12.9.2019, Abs. 14 = GewArch 2020, 66 Abs. 14; OVG Münster, 4 A 466/14 v. 10.11.2016, Abs. 28 = GewArch 2017, 157; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49 Rn. 6; Struzina, DÖV 2017, 906 ff.; anders Ehlers, GewArch 1999, 305, 312.

1. Vorliegen von Widerrufsausschlussgründen

Einem Widerruf der Abrissverfügung stände zunächst nicht die Widerrufsschranke des § 49 Abs. 1 Halbsatz 2 Alt. 1 SVwVfG entgegen: Ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts müsste nicht sofort wieder neu erlassen werden, da § 82 Abs. 1 LBO der Bauaufsichtsbehörden Ermessen einräumt und es auch Gründe geben kann, von einem bauaufsichtsrechtlichen Einschreiten gegenüber Piätsch abzusehen, die nicht ermessensfehlerhaft sind.

Anmerkung: Siehe hierzu: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49 Rn. 22 f.

Jedoch könnte ein Widerruf aus anderen Gründen und damit nach § 49 Abs. 1 Halbsatz 2 Alt. 2 SVwVfG unzulässig sein: Grossklos ist mit der Abrissverfügung der für die Bauaufsichtsbehörde verbindlichen Weisung der obersten Bauaufsichtsbehörde nachgekommen, härter gegen illegale Bauten im Außenbereich vorzugehen. Teilweise wird auch angenommen, dass der bewusst weit gefasste § 49 Abs. 1 Halbsatz 2 Alt. 2 SVwVfG auch Aufhebungsverbote durch Verwaltungsvorschriften erfasst.

Anmerkung: Siehe hierzu: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 49 Rn. 25 m.w.N.

Folgt man dem wäre daher ein Widerruf schon deshalb unzulässig, da die Aufhebung einer bereits erlassenen Abrissverfügung nur deshalb, weil der Betroffene eine "wichtige Persönlichkeit ist", dieser Weisung sicherlich widerspricht.

2. Ordnungsgemäße Ermessensausübung

Letztlich kann die Frage, ob ein Widerruf bereits nach § 49 Abs. 1 Halbsatz 2 Alt. 2 SVwVfG ausgeschlossen ist, hier jedoch dahinstehen, wenn dieser Widerruf nicht ermessensgerecht erfolgen könnte. Auch der Widerruf nicht belastender Verwaltungsakte steht nämlich im Ermessen der Behörde, so dass auch hier der Widerruf nur rechtmäßig ist, wenn die Entscheidung über den Widerruf nach § 40 SVwVfG entsprechend dem Zweck der Ermächtigung getroffen wird. Zweck der Ermächtigung des § 49 Abs. 1 SVwVfG ist, der Behörde die Möglichkeit zu geben, einen Verwaltungsakt, an dessen Durchsetzung sie kein Interesse mehr hat, (auch) im Interesse des Belasteten zu beseitigen. Damit ist es von vornherein nicht vom Zweck der Bestimmung gedeckt, einen Verwaltungsakt, an dessen Aufrechterhaltung nach wie vor ein öffentliches Interesse besteht, nur deshalb zu widerrufen, weil man eine "wichtige Persönlichkeit" aus politischen Gründen nicht verärgern will. Da andere Gründe, die einen Widerruf hier rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich sind, kann er aus den Gründen, wegen derer er hier erfolgen soll, nicht ausgesprochen werden. Ein dennoch ausgesprochener Widerruf entspräche nicht dem Zweck der Ermessensermächtigung des § 49 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG und wäre deshalb nach § 40 SVwVfG rechtswidrig.

3. Ergebnis zu III

Da eine Rücknahme nach § 49 Abs. 1 SVwVfG nicht aus Gründen erfolgen soll, zu denen der Behörde das Widerrufsermessen eingeräumt wird, wäre eine dennoch getroffene Widerrufsentscheidung rechtswidrig, so dass eine Aufhebung nach § 49 Abs. 1 SVwVfG vorliegend nicht in Betracht kommt.

IV. Ergebnis zu B

Da die Voraussetzung für eine Aufgebung der Abrissverfügung nach den §§ 48 ff. SVwVfG nicht vorliegen, wäre eine dennoch ausgesprochene Aufhebung rechtswidrig.

C) Gesamtergebnis

Da Grossklos als Beamter nach § 36 Abs. 1 BeamtStG für die Rechtmäßigkeit seiner Handlungen grundsätzlich auch dann verantwortlich ist, wenn sie auf Weisung seines Vorgesetzten erfolgen, muss er das Verfahren nach § 36 Abs. 2 BeamtStG durchführen, um sich von dieser Verantwortung zu befreien. Andernfalls besteht das Risiko einer disziplinarrechtlichen oder auch haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit.

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