Wildwechsel

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim

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An einem Samstag gegen 0:30 Uhr fuhr Roland Raser in seinem nachgerüsteten weißen VW-Golf und überhöhter Geschwindigkeit auf der St. Ingberter Straße von St. Ingbert nach Saarheim. Die Straße führt durch den Saarheimer Stadtwald, der durch seinen großen Rotwildbestand bekannt ist. Dementsprechend wird durch mehrere Verkehrszeichen Nr. 142 (§ 40 Abs. 6 StVO i.V.m. Anlage I zur StVO) vor Wildwechseln gewarnt. Diese Warnungen ignorierte Raser und fuhr mit ungeminderter Geschwindigkeit weiter, als ihm plötzlich ein kapitaler Sechzehnender vor das Fahrzeug sprang. Raser konnte nicht mehr ausweichen, kollidierte mit dem Hirsch, überschlug sich mit seinem Golf und landete so im Straßengraben, dass das Heck des Fahrzeugs noch in die Fahrbahn hineinragte. Raser stieg aus dem Auto und lief – unter Schock stehend – in den Wald, wo er erst am nächsten Tag schwerverletzt gefunden wurde.

Die von einem Augenzeugen vom Polizeiposten Saarheim herbeigerufenen Polizeivollzugsbeamten Peter Prinz und Hajo Haßdenteufel nahmen den Unfall auf, verständigten Alfons Aralia, der in Saarheim u.a. ein kleines Abschleppunternehmen betreibt, beauftragten ihn mit der Bergung des Fahrzeugs und sicherten die Unfallstelle. Die Polizeivollzugsbeamten handelten dabei für das Landespolizeipräsidium des Saarlandes. Zwischen dem Landespolizeipräsidium und Aralia, der allgemein als besonders zuverlässig bekannt ist, besteht eine schriftliche Rahmenvereinbarung, nach deren § 1 die "Vertragsfirma" beauftragt ist, die durch das Landespolizeipräsidium im Bereich des Stadtgebiets der Stadt Saarheim zu bergenden und wegzusetzenden Fahrzeuge abzuschleppen, unterzubringen, zu verwahren und zu pflegen. Nach § 10 der Vereinbarung hat die Vertragsfirma dem Saarland alle diejenigen Schäden zu ersetzen, die dem Saarland durch fehlerhafte Durchführung eines Auftrages nach § 1, insbesondere durch Begründung von Schadensersatz- und Entschädigungspflichten gegenüber Dritten entstehen, sofern die Vertragsfirma diesen Schaden nach Maßgabe der §§ 276 ff. BGB zu vertreten hat.

Aralia zog mit seinem Abschleppfahrzeug den Golf aus dem Graben heraus und nahm ihn an den Haken, übersah hierbei jedoch leicht fahrlässig, dass sich dessen liebevoll angeschraubter Spoiler aufgrund seiner Beschädigung bei Erschütterung leicht lösen konnte. Gerade als Aralia auf der Rückfahrt nach Saarheim von einem größeren Lkw überholt wurde, löste sich dementsprechend der Spoiler und fiel auf die Straße. Aralia hörte dies aufgrund des von dem Lkw ausgehenden Lärms nicht.

Zehn Minuten später kam es deshalb zu einem weiteren Unfall: Innozenz Piätsch, der Vorstandsvorsitzende der Philippy & Popp AG, der mit ordnungsgemäßer Geschwindigkeit fuhr, landete ebenfalls im Straßengraben, nachdem er mit seinem crèmefarbenen Porsche 911 den ausgerechnet an einer sehr unübersichtlichen Stelle abgefallenen Spoiler überfahren hatte. Piätsch kam glimpflich davon, jedoch kosteten die notwendigen Reparaturen an dem Porsche einschließlich der Ersatzteile 9.496,66 Euro.

Diesen Betrag verlangte Piätsch nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG und nach § 68 Abs. 1 Satz 2 SPolG sowie unter dem Gesichtspunkt der Entschädigung für enteignungsgleiche Eingriffe vom Saarland ersetzt. In dem insoweit zuständigen saarländischen Ministerium für Inneres, Bauen und Sport war man der Ansicht, dass man wohl um eine entsprechende Zahlung nicht herumkommen werde, und wies dementsprechend eine Zahlung in Höhe von 9.496,66 Euro an Piätsch an, forderte jedoch seinerseits Aralia im Hinblick auf § 10 der Rahmenvereinbarung auf, diese Summe dem Saarland zu erstatten. Aralia verweigerte allerdings die Erstattung unter Hinweis auf Art. 34 Satz 2 GG. Er habe unbestrittenermaßen nur leicht fahrlässig gehandelt. Auch habe ohnehin kein Schadensersatzanspruch Piätschs gegenüber dem Saarland bestanden, so dass die Befriedigung Piätschs etwas voreilig gewesen sei, was aber nicht mit ihm – Aralia – heimgehen könne.

Im Innenministerium ist man dagegen der Ansicht, dass sehr wohl ein Amtshaftungsanspruch Piätschs gegenüber dem Saarland bestanden habe, jedoch Art. 34 Satz 2 GG nach seiner Entstehungsgeschichte und seinem Sinn und Zweck zugunsten Aralias keine Anwendung finden könne: Dem Saarland obliege gegenüber Aralia keine besondere Fürsorgepflicht, und das in § 10 der Rahmenvereinbarung von Aralia übernommene Risiko sei zudem bei der Berechnung des Entgelts für die Durchführung eines Abschleppauftrags berücksichtigt worden. Dass sich Aralia nicht auf Art. 34 Satz 2 GG berufen könne, ergebe sich schließlich auch bereits daraus, dass sich Aralia gegenüber Piätsch persönlich nach § 7 StVG schadensersatzpflichtig gemacht habe, er also ohnehin ohne Rücksicht auf sein Verschulden für den Schaden einstehen müsse. Aralia sei demnach dem Saarland wegen Vertragsverletzung, zumindest aber aus § 839 Abs. 1 BGB und auch unter dem Gesichtspunkt des Gesamtschuldausgleichs zum Ersatz der 9.496,66 Euro verpflichtet. Dies treffe schließlich Aralia auch nicht besonders hart, da er diese Summe von der Infernal-Accident-AG zurückverlangen könne, bei der er nach § 1 PflVG haftpflichtversichert sei.

Dementsprechend erhebt das Saarland, vertreten durch das Ministerium für Inneres, Bauen und Sport, dies seinerseits vertreten von dem beim Landgericht Saarbrücken zugelassenen Saarheimer Rechtsanwalt Rudi Rathgeber, vor dem Landgericht Saarbrücken Klage gegen Alfons Aralia auf Zahlung von 9.496,66 Euro.

Hat diese Klage Aussicht auf Erfolg?

Bearbeitervermerk: Auf die Entwicklung der Rechtsprechung zum enteignenden und enteignungsgleichen Eingriff ist nicht einzugehen.

Hinweis: Der Polizeiposten Saarheim ist der Polizeiinspektion St. Ingbert angegliedert, deren Dienstbezirk sich auch auf die Stadt Saarheim erstreckt. Innerhalb ihres Dienstbezirkes nimmt die Polizeiinspektion St. Ingbert grundsätzlich alle vollzugspolizeilichen Aufgaben wahr. Die Polizeiinspektion St. Ingbert ist ihrerseits Untergliederung des Landespolizeipräsidiums. Diesem Landespolizeipräsidium wird grundsätzlich das Handeln der Polizeivollzugsbeamten zugerechnet. Siehe hierzu § 82 Abs. 2 SPolG i.V.m. der hierzu erlassenen Verwaltungsvorschrift über Organisation und Aufgaben des Landespolizeipräsidiums.

Lösungsvorschlag

Zu einer nach Berliner Landesrecht zu lösenden Fallvariante bei den Hauptstadtfällen

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polizeimuetze.gif (660 Byte)Teilnehmer des Polizeirechtsrundgangs: Nach Bearbeitung hier lang!