An die Kette gelegt

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

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Im Saarländischen Landtag kommt es vermehrt zu Spannungen zwischen der Mehrheitsfraktion der Sozialistischen Partei (SP) und dem Saarländischen Ministerpräsidenten Karlmann Urquell, der zugleich Bundesparteivorsitzender und Kanzlerkandidat der SP für die demnächst anstehende Bundestagswahl ist. Grund für die Spannungen ist, dass nach Ansicht der saarländischen SP-Fraktion der Ministerpräsident dazu neige, saarländische Bedürfnisse den Interessen der Bundes-SP zu opfern.

Zum Eklat kommt es in dann, als im Bundestag über die Verabschiedung "Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über den Bau der Südumfahrung Saarheim" beraten wird - ein Gesetz, das das zwei Jahre zuvor erlassene "Gesetz über den Bau der Südumfahrung Saarheim" ersatzlos aufheben soll. Dieses Gesetz hätte Grundlage für die Durchführung des sog. EUROFLÈCHE-Projekts sein sollen (die Errichtung eines französisch-deutsch-polnischen Hochgeschwindigkeitszug EUROFLÈCHE von Paris nach Warschau über Saarbrücken, Frankfurt a. M. und Berlin), sollte jedoch nun aufgehoben werden, um nicht - wie es in der Regierungsbegründung heißt - "unnötige Investitionen im Saarland zu binden" und dem kürzlich in Betrieb genommenen Flughafen Berlin-Schönefeld keine "überflüssige Konkurrenz" durch Höchstgeschwindigkeitszüge zu machen. Zudem könne so ein klares Signal gegen den Klimawandel gesetzt werden, indem so deutlich werde, dass sich die Bundesrepublik vom Klima nicht die Verkehrspolitik diktieren lasse.

In der Saarländischen Politik - insbesondere auch bei der Mehrheit der saarländischen SP-Mitglieder und Wähler - wird dies jedoch anders gesehen. Es werden erhebliche Investitionsverluste für das Saarland sowie das Entstehen einer "Brachlandschaft" südlich von Saarheim befürchtet, die durch einen "ungeordneten" Abbruch der dort bereits für die Errichtung der "Saarheimer Kurve" begonnenen Bauarbeiten entstehen würde. Diese Brachlandschaft müsse mit erheblichen Kosten für das Saarland (wieder) aufgeforstet werden, wenn das EUROFLÈCHE-Projekts abgebrochen werde.

Ministerpräsident Urquell setzt sich dennoch dafür ein, dass die SP-Fraktion im Bundestag dem "Gesetz zur Aufhebung des Gesetzes über den Bau der Südumfahrung Saarheim" zustimmt. Zudem sollen auch die saarländischen Vertreter im Bundesrat hiergegen keine Einwände erheben und ihm gegebenenfalls zustimmen. Trotz der finanziellen Schäden für das Saarland könnte hierdurch die wirtschaftspolitische Kompetenz der SP und ihre Befähigung, trotz des Klimawandels auch "harte Entscheidungen" zu treffen, verdeutlicht werden, was ermögliche, der SP bundesweit Stimmen bei der anstehenden Bundestagswahl zu sichern, was etwaige Stimmenverluste im Saarland bei weitem überwögen.

Dass "saarländische Stimmen das Saarland begraben helfen sollen", sorgt in der SP-Fraktion des Saarländischen Landtages jedoch für solchen Unmut, dass der Fraktionsvorsitzende Horst-Heinz Hibbchen nur mit Mühe verhindern kann, dass einige Hinterbänkler einen Misstrauensantrag nach Art. 88 Abs. 2 SVerf stellen, was Urquell und der SP auf Bundesebene einen erheblichen Schaden zufügen würde. Allerdings kann nach Ansicht der Fraktion die Linientreue der Saar-SP auch nicht so weit gehen, dass die saarländischen Interessen auf dem Bundestagswahlkampfaltar völlig geopfert würden. Vielmehr müsse ein das Saarland schädigendes Abstimmungsverhalten der Vertreter des Saarlandes im Bundesrat verhindert werden. Dies könne in der gegebenen Situation nur dadurch geschehen, dass durch Änderung der Saarländischen Verfassung die Landesregierung hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens an die Zustimmung des Landtages gebunden werde.

Die SP-Fraktion bringt daraufhin eine Vorlage zum Erlass eines Gesetzes Nr. 2116 zur Änderung der Saarländischen Verfassung ein. Hiernach soll an Art. 95 SVerf folgender Absatz 3 angehängt werden:

"(3) Vertreter des Saarlandes im Bundesrat können nur Mitglieder der Landesregierung sein. Sie werden von der Landesregierung bestellt und abberufen. Sie haben entsprechend der Weisung der Landesregierung ihre Stimmen einheitlich abzugeben. Satz 3 gilt nicht, soweit der Landtag durch Beschluss ein anderes Stimmverhalten anordnet und sich dieser Beschluss auf die Mitwirkung des Bundesrates beim Erlass von Bundesgesetzen und Bundesrechtsverordnungen bezieht. Soweit die Vertreter des Saarlandes ihre Stimmen im Bundesrat entgegen der Sätze 3 und 4 abgeben, bestimmt sich ihre Wirksamkeit nach dem Grundgesetz. Die Sätze 2 und 3 gelten nicht im Fall des Art. 53 a Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 und des Art. 77 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes."

Der Gesetzesentwurf wird in erster Lesung im Landtag entgegen den vom Ministerpräsidenten geäußerten Bedenken von allen 51 Abgeordneten einstimmig angenommen. Auf die Durchführung der von § 43 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Landtag des Saarlandes i.V.m. §§ 32 ff. der Geschäftsordnung des Saarländischen Landtages vorgesehenen zweiten und dritten Lesung wird angesichts der Eilbedürftigkeit der Verfassungsänderung verzichtet.

Nachdem der Ministerpräsident das Gesetz zur Ausfertigung zugeleitet erhalten hat, weigert er sich jedoch, es gemäß Art. 102 Satz 1 SVerf auszufertigen: Es sei weder in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustande gekommen noch sei es mit den Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaats zu vereinbaren, da es gegen das Gewaltenteilungsprinzip verstoße. Schließlich verstoße das Gesetz auch gegen das Grundgesetz, da nach Art. 51 Abs. 1 GG der Bundesrat aus Mitgliedern der Landesregierungen bestehe, was jede Bindung des Stimmverhaltens durch Landtagsbeschluss ausschließe.

Die SP-Fraktion stellt daraufhin beim Verfassungsgerichtshof des Saarlandes den Antrag festzustellen, dass der Ministerpräsident durch seine Weigerung, das Gesetz Nr. 2116 auszufertigen, gegen Art. 102 Satz 1 SVerf verstoßen habe.

Frage 1: Hat der Antrag der SP-Fraktion Aussicht auf Erfolg?

Frage 2: Nehmen Sie an, das Gesetz Nr. 2116 wird schließlich ausgefertigt. Daraufhin stellt die Bundesregierung beim BVerfG im Namen des Bundes gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG den Antrag festzustellen, dass das Gesetz Nr. 2116 gegen Art. 28 und 51 GG verstoße. Die Saarländische Landesregierung hält diesen Antrag für rechtsmissbräuchlich. Es sei kein Grund ersichtlich, warum die Bundesregierung keinen Normenkontrollantrag nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG gestellt habe, der dem BVerfG auch wesentlich weitergehende Entscheidungsbefugnisse eröffne, also dem Begehren der Bundesregierung eher gerecht würde. Außerdem würde ein Antrag nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG bewirken, dass dem Saarländischen Landtag, dem im Bund-Länder-Streit kein Beteiligungsrecht zustehe, jede Verteidigungsmöglichkeit genommen werde. Diese Aufgabe könne im vorliegenden Fall die Landesregierung nicht für den Landtag übernehmen, da sie das Gesetz selbst für verfassungswidrig halte. Hat der Antrag der Bundesregierung Aussicht auf Erfolg ?

Bearbeitervermerk: Hinweise zum Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, dessen Entscheidungen im Volltext sowie die Saarländische Verfassung und das saarländische Gesetz über den Verfassungsgerichtshof (und einen Kommentar zur Saarländischen Verfassung) finden Sie bei http://www.verfassungsgerichtshof-saarland.de

Lösungsvorschlag zu Frage 1

Lösungsvorschlag zu Frage 2

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