Lösungsvorschlag

Dissonanzen

- Klage von Sebastian Schuriegel -

Stand der Bearbeitung: 12. Juni 2023

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim

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Höre hierzu die "Hörbuchvariante" des Falles von Sebastian Baur und Kourosh Semnani unter Mitwirkung von Ulrich Stelkens: https://open.spotify.com/episode/7IJKtyfNKIMb9LQznhr7RF

 

Sebastian Schuriegels Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

A) Zulässigkeit

Die Klage ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen der §§ 40 ff. VwGO vorliegen.

Anmerkung: Für die Prüfung der Sachentscheidungsvoraussetzungen im Verwaltungsprozess siehe diesen Hinweis.

I. Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt dann vor, wenn die für die Streitentscheidung maßgebliche Norm eine des öffentlichen Rechts ist. Öffentlich-rechtlicher Natur sind diejenigen Rechtsnormen, die einen Träger öffentlicher Gewalt gerade als solchen berechtigen oder verpflichten, die also einen öffentlichen Verwaltungsträger zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben mit besonderen Befugnissen ausstatten oder besonderen Regeln unterwerfen.

Anmerkung: Siehe hierzu nur BVerwG, 10 B 1/20 v. 26.5.2020, Abs. 6 = NVwZ 2020, 1363 Abs. 6.

Gestritten wird hier letztlich um die Frage, wer nach welchen Kriterien bestimmen darf, welche Stücke im Saarheimer Musikschulchor geprobt und aufgeführt werden sollen. Da das Verhältnis zwischen der Stadt Saarheim und den Chormitgliedern des Bach-Chors der Musikschule Saarheim nach dem oben Gesagtem (s. Lösungsvorschlag zur Klage von Frau Igelbauer bei A I) insgesamt öffentlich-rechtlich ausgestaltet ist, bestimmt sich auch diese Frage allein nach öffentlichem Recht, nur nach öffentlichem Recht richten kann. Der Streit zwischen Minnesang und Schuriegel über die Auswahl der Kompositionen ist daher nicht privatrechtlicher Natur, und für seine gerichtliche Beilegung ist deshalb der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

II. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, wie es sich nach verständiger Würdigung der Sach- und Rechtslage darstellt (vgl. § 88 VwGO), so dass das Rechtsschutzziel des Klägers zu ermitteln ist.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerfG (K), 2 BvR 1493/11 v. 29.10.2015, Abs. 37 = NVwZ 2016, 238, Abs. 37.

Schuriegel will erreichen, dass der Liederreigen "Am Quierbach zu Saarheim" vom Probenplan abgesetzt wird und an dessen Stelle Stücke von (Johann Sebastian oder Friedemann) Bach treten. Da er die neu anzusetzenden Stücke nicht näher präzisiert, begehrt er letztlich (nur), dass das Gericht die Entscheidung, den Liederreigen zu proben, aufhebt, so dass danach Raum für die Neuaufstellung des Probenplans besteht.

1. Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO)

Für dieses Begehren könnte eine Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) oder eine Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) statthaft sein. In beiden Fällen müsste es sich bei der Entscheidung, welche Stücke zur Aufführung gebracht werden, um einen Verwaltungsakt i.S.d. Legaldefinition des § 35 VwVfG, des § 31 SGB X, des § 118 AO und der entsprechenden Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder handeln, die als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes auch für die Auslegung der VwGO maßgeblich ist.

Anmerkung: Zum Verwaltungsaktbegriff der VwGO siehe U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 12 und 15.

Fraglich ist hier vor allem, ob eine Regelung mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen vorliegt. Dies ist im Staat-Bürger-Verhältnis der Fall, wenn subjektiv-öffentliche Rechte des Einzelnen begründet, aufgehoben, verbindlich festgestellt oder verneint werden. Wann dies der Fall ist, lässt sich in Zweifelsfällen weniger begrifflich als vielmehr unter Berücksichtigung der Funktionen des Verwaltungsaktes klären.

Anmerkung: Vgl. hierzu: U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 49.

Hier ist erkennbar, dass auf die Entscheidung, welche Stücke zur Aufführung gebracht werden sollen, etwa die verfahrensrechtliche und die Individualisierungs- und Klarstellungsfunktion des Verwaltungsaktes nicht passen: So müsste bei unterstellter Verwaltungsakt-Qualität der Probenplanaufstellung vor dieser Entscheidung jedes Chormitglied wegen seiner Beteiligung am Verwaltungsverfahren (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 SVwVfG) angehört werden (§ 28 SVwVfG). Der Probenplan müsste unter Beachtung der Bekanntmachungsregeln des § 41 SVwVfG bekanntgegeben werden, mit der Folge, dass er gegebenenfalls nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG gegenüber den unterschiedlichen Chormitgliedern zu unterschiedlichen Zeitpunkten wirksam würde, und er wäre gegebenenfalls schriftlich zu begründen (§ 39 SVwVfG); sollte sich herausstellen, dass das ausgewählte Stück für die Aufführung ungeeignet, z.B. zu schwer ist, müsste der Probenplan unter denselben Verfahrensvoraussetzungen nach § 49 SVwVfG widerrufen werden etc. Die Anwendung der §§ 9 ff. SVwVfG bezüglich der Aufstellung des Probenplanes würde damit den Betrieb des Chores unnötig erschweren.

Daher wird angenommen, dass Maßnahmen, die sich auf den bloßen Betrieb einer öffentlichen Einrichtung beziehen und nicht auf das in § 19 Abs. 1 KSVG gesetzlich garantierte Nutzungsverhältnis durchgreifen, keine Verwaltungsakte sind.

Anmerkung: Siehe hierzu Ehlers, Jura 2012, 692, 697; Pietzcker/Marsch, in Schoch/Schneider, § 42 Abs. 1 Rn. 55; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 201.

Ein solcher Fall liegt hier vor: Das Verhältnis zwischen Chormitglied und Musikschule wird nicht von der Frage berührt, welche Stücke zur Aufführung gebracht werden; das Chormitglied kann unabhängig davon an den Proben und Aufführungen teilnehmen; dass es vielleicht einzelne Stücke nicht mag, berührt seine Rechtsstellung nicht, zumal es unmöglich ist, nur Stücke zu proben, die allen Chormitgliedern gefallen. Deshalb ist die Entscheidung des Chorleiters kein Verwaltungsakt i.S.d. VwGO, so dass für das Begehren Schuriegels weder die Anfechtungs- noch eine Verpflichtungsklage statthaft ist.

2. Allgemeine Leistungsklage

Für das Begehren Schuriegels könnte jedoch die allgemeine Leistungsklage statthaft sein, die in der VwGO nicht ausdrücklich geregelt ist, deren Existenz dort jedoch vorausgesetzt wird (vgl. § 43 Abs. 2, § 111, § 113 Abs. 4, § 191 Abs. 1 VwGO). Mit dieser Klage kann jede Leistung begehrt werden, die kein Verwaltungsakt ist; sie wäre daher auch statthaft, um den Chorleiter zu verpflichten, den Liederreigen vom Probenplan abzusetzen und an dessen Stelle ein Stück von Bach proben zu lassen.

3. Ergebnis zu II

Statthafte Klageart ist damit die allgemeine Leistungsklage.

III. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog)

§ 42 Abs. 2 VwGO ist bei der allgemeinen Leistungsklage analog anzuwenden. In § 42 Abs. 2 VwGO kommt ein allgemeines Strukturprinzip des Verwaltungsrechtsschutzes zum Ausdruck. Vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG ist er, wenn auch nicht ausschließlich (siehe § 42 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO), so doch in erster Linie, auf den Individualrechtsschutz ausgerichtet. Wollte man die allgemeine Leistungsklage - im Gegensatz zur Verpflichtungsklage als einer besonderen Leistungsklage - von dieser Grundentscheidung ausnehmen, käme es zu Wertungswidersprüchen, die in der Sache nicht gerechtfertigt werden könnten.

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 7 C 21.12 v. 5.9.2013, Abs. 18 = BVerwGE 147, 312 Abs. 18; BVerwG, 1 C 3/15 v. 5.4.2016, Abs. 16 = BVerwGE 154, 328, Abs. 16.

Schuriegel müsste dementsprechend klagebefugt i.S.d. analog anzuwendenden § 42 Abs. 2 VwGO sein. Jedoch ist kein Recht Schuriegels erkennbar, das durch die Entscheidung des Chorleiters überhaupt verletzt sein könnte: Weder aus der Musikschulsatzung noch aus § 19 Abs. 1 KSVG noch aus der Zulassungsentscheidung lässt sich ein Recht auf Mitbestimmung bei der Aufstellung des Probenplanes herleiten. Dies würde auch dem Charakter des Chores zuwiderlaufen, der in der Satzung ausdrücklich als "Gemeinschaftsmusikunterricht" bezeichnet wird, was letztlich eine Alleinentscheidungskompetenz des Chorleiters über den "Unterrichtsstoff" impliziert. Schließlich lassen sich auch aus der Bezeichnung des Chores als "Bach-Chor" keine subjektiv-öffentlichen Rechte Schuriegels als Chormitglied herleiten, weil es sich hierbei nur um einen Namen handelt, dem keine tiefere Bedeutung zukommt; andernfalls müsste er wohl zumindest in der Musikschulsatzung verankert sein. Somit erscheint es unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als möglich, dass Schuriegels Rechte durch die Entscheidung des Chorleiters verletzt wurden. Schuriegel ist deshalb nicht klagebefugt.

B) Ergebnis

Sebastian Schuriegels Klage ist unzulässig und hat daher keine Aussicht auf Erfolg.

Anmerkung: Da die Klage wegen fehlender Klagebefugnis unzulässig ist, ist auch für die Erstellung eines Hilfsgutachtens kein Raum mehr: Es sind keine Kriterien erkennbar, an denen die Entscheidung des Chorleiters rechtlich gemessen werden könnte; mangels möglicher Rechtsverletzung kann die Klage unter keinen Umständen begründet sein.

Fragen und Anregungen zur Lösung? stelkens@uni-speyer.de

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