Lösungsvorschlag

Bahnreform

Stand der Bearbeitung: 3. Mai 2024

© Klaus Grupp (Universität des Saarlandes) und Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim

In Verbindung bleiben mit Saarheim auf Facebook

Siehe

Der Antrag des Bundestages hat Aussicht auf Erfolg, wenn er zulässig und begründet ist.

A) Zulässigkeit

Bei dem Antrag des Bundestages handelt es sich um einen Antrag auf Entscheidung nach § 67 BVerfGG, also um einen Antrag auf Durchführung eines Organstreitverfahrens. Dieser Antrag ist zulässig, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG und der § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG vorliegen.

Anmerkung: Zur Zulässigkeit eines Verfahrens vor dem BVerfG siehe diesen Hinweis.

I. Beteiligtenfähigkeit des Antragstellers (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG)

Der Bundestag gehört zu den obersten Bundesorganen i.S.d. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG und wird dementsprechend in § 63 BVerfGG ausdrücklich als möglicher Antragsteller eines Organstreitverfahrens benannt.

II. Beteiligtenfähigkeit des Antragsgegners (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1, § 63 BVerfGG)

Der Antrag des Bundestages ist gegen Urquell "als Bundespräsident" gerichtet. Der Bundespräsident ist aufgrund der ausdrücklichen Regelung des § 63 BVerfGG im Organstreitverfahren beteiligtenfähig. Jedoch ist hier fraglich, ob sich der Antrag wirklich gegen "den Bundespräsidenten" und nicht etwa gegen Urquell als Präsidenten des Bundesrates richtet, der ein vom Grundgesetz (Art. 52, 57 GG) und der Geschäftsordnung des Bundesrates (§ 6 GeschO BR) mit eigenen Rechten ausgestatteter Teil des Organs "Bundesrat" und damit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG ebenfalls im Organstreitverfahren beteiligtenfähig ist.

Anmerkung: Siehe hierzu Lechner/Zuck, § 63 Rn. 7; Pestalozza, § 7 Rn. 12.

Der Bundestag wendet sich hier ja gerade gegen die Art und Weise, wie Urquell als Vertreter des Bundespräsidenten dessen Aufgaben wahrnimmt bzw. dagegen, dass Urquell sich wegen seines Alters überhaupt gehindert sieht, die Aufgaben des Bundespräsidenten zu übernehmen.

Damit stellt sich die Frage, wie genau die in Art. 57 GG angeordnete "Wahrnehmung der Befugnisse des Bundespräsidenten durch den Bundesratspräsidenten" konstruiert ist. Art. 57 GG könnte zunächst dahingehend zu verstehen sein, dass die Person, die Organwalter des Organs "Bundesrats-Präsident" ist, im Verhinderungsfall des regulären Organwalters des Organs "Bundespräsident" selbst zum Organwalter des Organs "Bundespräsident" (und damit selbst Bundespräsident) wird (Modell der Organwaltervertretung).

Anmerkung: So wohl Meiertöns/Ehrhardt, Jura 2011, 166, 168; Pitschas, Der Staat 12 (1973), S. 183, 186, 196.

Denkbar wäre aber auch, dass sich die Regelung des Art. 57 GG auf die Anordnung beschränkt, dass dem Organ "Bundesrats-Präsident" im Falle der Verhinderung des Organwalters des Organs "Bundespräsident" die Kompetenzen des Organs "Bundespräsident" zuwachsen. Die Person, die Organwalter des Organs "Bundesrats-Präsident" ist, würde dann weiterhin also nur für dieses Organ handeln, das im Falle des Art. 57 GG aber über zusätzliche Befugnisse (nämlich die des Organs "Bundespräsident") verfügt (Modell der Organvertretung).

Anmerkung: So wohl Guckelberger, NVwZ 2007, 406, 407; Paternok, Die Wahrnehmung der Befugnisse des Bundespräsidenten durch den Präsidenten des Bundesrats, Diss., München 1966, S. 67.

Ordnete Art. 57 GG Organwaltervertretung an, wäre das Handeln der Person, die Bundesrats-Präsident ist, dem Organ "Bundespräsident" unmittelbar als "eigenes Handeln" zuzurechnen. Nimmt man an, dass Art. 57 GG eine Organvertretung anordnet, wäre das Handeln der Person, die Bundesrats-Präsident ist, unmittelbar nur dem Organ "Bundesrats-Präsident" zuzurechnen, das jedoch das Organ "Bundespräsident" vertritt, indem dem Organ "Bundesrats-Präsident" die Befugnisse des Organs "Bundespräsident" letztlich zuwachsen.

Anmerkung: Siehe zur Unterscheidung zwischen Organ und Organwalter allgemein diesen Hinweis und besonders zum Bundespräsidenten Schnapp, JuS 1995, 286, 288 f.

Für die Annahme, dass Art. 57 GG lediglich die Kompetenzen des Bundesrats-Präsidenten um die Befugnisse des Bundespräsidenten erweitert und damit Organvertretung anordnet, spricht vor allem, dass Art. 57 GG die Vertretung des Bundespräsidenten an das Amt des Bundesrats-Präsidenten knüpft: Tritt ein Wechsel im Amt des Bundesrats-Präsidenten ein, so wird allgemein angenommen, dass auch die Person des Vertreters wechselt.

Anmerkung: So deutlich v. Arnauld, in: von Münch/Kunig, Art. 57 Rn. 11; Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 57 Rn. 29 (Bearbeitung 2009).

Nur die Annahme einer Organvertretung vermag auch zu erklären, dass nach allgemeiner Ansicht der Bundesrats-Präsident auch im Falle des Art. 57 GG nicht berechtigt ist, sich als Bundespräsident zu bezeichnen und dessen sonstige persönliche Rechte wahrzunehmen. Dementsprechend zeichnet der Vertreter des Bundespräsidenten in der Staatspraxis auch nicht als "Bundespräsident", sondern "für den Bundespräsidenten".

Anmerkung: Siehe hierzu BVerwG, 2 C 23.07 v. 28.5.2009, Abs. 20 = LKV 2009, 522, Abs. 20; v. Arnauld, in: von Münch/Kunig, Art. 57 Rn. 12; von Mangoldt/Klein, Art. 57 Anm. V 4; Meiertöns/Ehrhardt, Jura 2011, 166, 168.

Nur die Annahme einer Organvertretung vermag schließlich zu erklären, warum nach allgemeiner Ansicht Streitigkeiten zwischen dem Bundespräsidenten und dem Bundesrats-Präsidenten über das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 57 GG im Organstreitverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG zwischen Bundespräsident und Bundesrats-Präsident auszutragen sind. Damit handelt es sich hierbei nicht nur um einen bloßen Konflikt zwischen zwei Personen über die Frage, wer zur Zeit Bundespräsident ist.

Anmerkung: Siehe hierzu VG Hannover, 2 A 50/04 v. 16.11.2006, Abs. 13 = NVwZ-RR 2008, 124; VG Saarlouis, 3 K 241/04 v. 10.1.2006, Abs. 38 = NVwZ-RR 2006, 517, 518; Guckelberger, NVwZ 2007, 406, 410; Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 57 Rn. 22 (Bearbeitung 2009); Maurer/Schwarz, § 13 Rn. 17; Paternok, Die Wahrnehmung der Befugnisse des Bundespräsidenten durch den Präsidenten des Bundesrats, Diss., München 1966, S. 64 f.; Meiertöns/Ehrhardt, Jura 2011, 166, 168.

Folgt man damit dem Modell der Organvertretung, ist richtiger Antragsgegner einer Organstreitigkeit, die sich gegen eine Maßnahme des Bundesrats-Präsidenten richtet, der nach Art. 57 GG die Befugnisse des Bundespräsidenten wahrnimmt, das Organ "Bundesrats-Präsident".

Anmerkung: Das Problem, gegen welches Organ im Fall des Art. 57 GG ein Organstreitverfahren zu richten ist, wird in Literatur und Rechtsprechung kaum behandelt. Pitschas (Der Staat 12 [1973], S. 183, 196) hält es allerdings für selbstverständlich, dass - gerade im Fall der Verweigerung der Ausfertigung von Gesetzen nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG - das Organstreitverfahren gegen den Bundespräsidenten zu richten ist, da diesem das Handeln des Bundesrats-Präsidenten zuzurechnen sei. Angesichts dessen ist natürlich auch die Ansicht vertretbar, dass Antragsgegner im vorliegenden Fall der Bundespräsident (vertreten durch den Bundesrats-Präsidenten) ist.

Dass sich der Antrag des Bundestages gegen den Bundesrats-Präsidenten und nicht gegen den Bundespräsidenten richtet, lässt sich dem Antrag durchaus auch im Wege der Auslegung entnehmen.

Anmerkung: Zur Auslegung von Anträgen in Verfahren vor dem BVerfG siehe BVerfG, 2 BvE 1/52 v. 30.6.1953 = BVerfGE 2, 347, 367; BVerfG, 2 BvE 13/83 v. 18.12.1984 = BVerfGE 68, 1, 64; Pestalozza, § 2 Rn. 41.

III. Tauglicher Organstreitgegenstand (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 64 Abs. 1 BVerfGG)

Gegenstand des Organstreits kann nach § 64 Abs. 1 BVerfGG nur eine "Maßnahme oder Unterlassung" des Antragsgegners sein, während der Wortlaut des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG eine "Streitigkeit über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans" genügen lässt, also weniger auf ein kontradiktorisches Verfahren, in dem zwei Beteiligte um ihre Kompetenzen streiten, als auf ein objektives Beanstandungsverfahren zur Klärung abstrakter Rechtsfragen hindeutet.

Das BVerfG hat für den bundesverfassungsrechtlichen Organstreit die Ausgestaltung des Organstreitverfahrens als kontradiktorisches Verfahren durch § 64 BVerfGG jedoch als zutreffende Konkretisierung des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG verstanden und sie sogar letztlich als für verfassungsrechtlich geboten erachtet.

Anmerkung: Grundlegend insoweit BVerfG, 2 BvE 4/52 v. 7.3.1953 = BVerfGE 2, 143, 155 ff. [lesen !!!]; ferner: BVerfG, 2 BvE 1/07 v. 12.3.2007, Abs. 20, 29 = BVerfGE 117, 359, 366 und 370; BVerfG, 2 BvR 2436/10 und 2 BvE 6/08 v. 17.9.2013, Abs. 160 = BVerfGE 134, 141, 194; BVerfG, 2 BvE 5/15 v. 20.9.2016, Abs. 29 = BVerfGE 143, 1, 8; BVerfG, 2 BvE 6/16 v. 10.10.2017, Abs. 17 = BVerfGE 147, 31 Abs. 17; BVerfG, 2 BvE 1/18 v. 11.12.2018, Abs. 17 f. = BVerfGE 150, 194, 199 f.; BVerfG, 2 BvE 2/16 v. 17.9.2019, Abs. 28 = BVerfGE 152, 8, 20 f.; BVerfG, 2 BvE 3/19 v. 22.7.2020, Abs. 39 f. = BVerfGE 155, 357, 374 f.;BVerfG, 2 BvE 4/16 v. 2.3.2021, Abs. 57 = BVerfGE 157, 1, 18 f.; BVerfG, 2 BvE 9/20 v. 22.3.2022, Abs. 25 = BVerfGE 160, 411, 419; ausführlich hierzu Benda/Klein/Klein, Rn. 1014 ff.

Inwieweit dies zutreffend ist, kann allerdings dahinstehen, da der Bundestag hier keine abstrakte Rechtsfrage klären lassen will, sondern ein konkretes Unterlassen des Bundesrats-Präsidenten rügt, nämlich die Nichtausfertigung des von ihm beschlossenen "Gesetzes zur Publifizierung der Deutschen Bahn" nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG. Diese Frage ist tauglicher Streitgegenstand auch i.S.d. § 64 Abs. 1 BVerfGG.

IV. Antragsbefugnis (§ 64 Abs. 1 BVerfGG)

Der Antrag des Bundestages ist jedoch nur zulässig, wenn er antragsbefugt ist, also eine Verletzung seiner ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechte durch die Weigerung des Bundesrats-Präsidenten, das "Gesetz zur Publifizierung der Deutschen Bahn" nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG auszufertigen, als möglich erscheint. Grundsätzlich kann die Weigerung, ein Gesetz nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG auszufertigen, das Recht des Bundestages zur Gesetzgebung nach Art. 76 bis 78 GG verletzen, wenn sie verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen ist.

Anmerkung: Siehe hierzu Schnapp, JuS 1995, 286, 289.

Eine Verletzung von Rechten des Bundestages gerade durch die Weigerung des Bundesrats-Präsidenten, das Gesetz auszufertigen, ist demgegenüber von vornherein ausgeschlossen, wenn erkennbar kein Fall des Art. 57 GG vorliegt: Die Ablehnung einer Handlung durch ein hierfür nicht zuständiges Organ kann keine Rechte eines anderen Organs verletzen. Hier ist jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein Fall des Art. 57 GG vorliegt. Eine "Arbeitsunfähigkeit" wegen Krankheit ist vielmehr unstreitig ein Fall der "Verhinderung" i. S. des Art. 57 GG.

Anmerkung: Siehe hierzu Meiertöns/Ehrhardt, Jura 2011, 166, 167.

Daher liegt jedenfalls nach dem Wortlaut des Art. 57 GG ein Vertretungsfall vor, so dass auch möglich ist, dass der Bundesrats-Präsident für die Gesetzesausfertigung zuständig ist.

V. Antragsfähigkeit

Dass der Bundestagspräsident wirksam Verfahrenshandlungen für den Bundestag vornehmen kann, ist in § 22 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 GeschO BT ausdrücklich vorgesehen, so dass der Bundestag auch als antragsfähig anzusehen ist.

Anmerkung: Siehe hierzu Speckmaier, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, § 22 Rn. 18.

VI. Form und Frist (§ 64 Abs. 2 und 3 BVerfGG)

Der Antrag ist nach dem Sachverhalt entsprechend § 64 Abs. 2 BVerfGG begründet und gemäß § 64 Abs. 3 BVerfGG fristgemäß eingereicht worden.

VII. Ergebnis zu A

Der Antrag des Bundestages ist somit - versteht man ihn als einen gegen den Bundesrats-Präsidenten gerichteten Antrag - insgesamt zulässig.

B) Begründetheit

Der Antrag des Bundestages ist begründet, wenn durch die Weigerung des Bundesrats-Präsidenten, das "Gesetz zur Publifizierung der Deutschen Bahn" nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG auszufertigen, tatsächlich Rechte des Bundestages verletzt wurden. Dies ist nach dem oben Gesagten (A IV) der Fall, wenn der Bundesrats-Präsident nicht aus formellen Gründen an der Gesetzesausfertigung gehindert war und er sie auch nicht im Hinblick auf die angenommene Verfassungswidrigkeit des Gesetzes verweigern durfte.

I. Formelle Hinderungsgründe

Urquell sieht sich aus zwei eher formellen Erwägungen an der Ausfertigung des Gesetzes gehindert: Er ist der Ansicht, dass er für die Vertretung des Bundespräsidenten zu jung sei und dass er an den in der Fernseherklärung des Bundespräsidenten Prächtle zum Ausdruck gekommenen Willen gebunden sei.

1. Alterserfordernis

Bundesrats-Präsident Urquell könnte allein schon deshalb an der Ausfertigung des Gesetzes gehindert gewesen sein, weil er - entgegen Art. 54 Abs. 1 Satz 2 GG - noch nicht 40 Jahre alt ist. Sinn des Art. 54 Abs. 1 Satz 2 GG ist, dass das Amt des Bundespräsidenten im Hinblick auf die zu bewältigenden Aufgaben, insbesondere die Repräsentationspflichten, aber auch die Befugnisse im politischen Bereich (z.B. Art. 63 Abs. 4, Art. 68 GG), eine Persönlichkeit erfordert, die über Lebenserfahrung verfügt, Sachkenntnisse, Urteilsfähigkeit und persönliche Reife in das Amt einbringen kann (siehe auch § 3 Abs. 2 BVerfGG: Mindestalter für BVerfG-Richter ebenfalls 40 Jahre). Unmittelbar kann Art. 54 Abs. 1 Satz 2 GG für die Person des Bundesrats-Präsidenten jedoch nicht gelten, da es sich bei der Bestimmung um eine Wählbarkeitsvoraussetzung für das Amt des Bundespräsidenten handelt, der Bundesrats-Präsident jedoch im Fall des Art. 57 GG nicht gewählt wird, sondern unmittelbar kraft Verfassungsrechts die Befugnisse des Bundespräsidenten wahrzunehmen hat.

Auch eine analoge Anwendung des Art. 54 Abs. 1 Satz 2 GG auf die Person des Bundesrats-Präsidenten kommt im Falle des Art. 57 GG nicht in Betracht: Art. 57 GG geht ohne weitere Einschränkungen davon aus, dass der jeweilige Bundesrats-Präsident den Bundespräsidenten vertritt. Das Grundgesetz hat sich also dafür entschieden, dem Bundesrat zu überlassen, wen er zu seinem Präsidenten und damit gegebenenfalls zum Vertreter des Bundespräsidenten bestimmt. Es ist somit allein Sache der Länder, ihrer Verfassungen und Wahlgremien, ob sie eine Altersgrenze von 40 Jahren für erforderlich halten und welche sonstigen Wählbarkeitsvoraussetzungen sie aufstellen. Auch über das Homogenitätsprinzip des Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG lässt sich das Alterserfordernis des Art. 54 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in das Landesverfassungsrecht übertragen. Dementsprechend bildet Art. 54 Abs. 1 Satz 2 GG kein Hindernis für Urquell, den Bundespräsidenten zu vertreten

Anmerkung: Siehe hierzu Paternok, Die Wahrnehmung der Befugnisse des Bundespräsidenten durch den Präsidenten des Bundesrats, Diss., München 1966, S. 31.

2. Fernseherklärung des Bundespräsidenten

Fraglich ist jedoch, ob der Bundesrats-Präsident hier aufgrund der Fernseherklärung des Bundespräsidenten gehindert ist, das Gesetz auszufertigen.

a) Begrenzung der Vertretungsmacht des Bundesratspräsidenten?

Dies könnte zunächst dann der Fall sein, wenn der Bundesrats-Präsident im Fall des Art. 57 GG an die Weisungen und sonstigen Vorgaben des Bundespräsidenten gebunden wäre und er sich auf diese Bindung auch im Verhältnis zu Dritten, insbesondere gegenüber den anderen obersten Staatsorganen, berufen könnte.

Aus Art. 57 GG ergibt sich insoweit unmittelbar nur, dass der Bundesrats-Präsident die Befugnisse des Bundespräsidenten in den dort genannten Fällen wahrnimmt, dass somit dem Bundesrats-Präsidenten insoweit die Kompetenzen des Bundespräsidenten zuwachsen (s.o. A II). Dies schließt zwar für sich allein noch nicht die Annahme aus, dass der Bundesrats-Präsident im Innenverhältnis zum Bundespräsidenten bei Wahrnehmung der "treuhänderischen" Befugnisse aus Art. 57 GG an die Weisungen und Vorgaben des Bundespräsidenten gebunden ist.

Anmerkung: So etwa Pitschas, Der Staat 12 (1973), 183, 204 f.; für den Fall eines Auslandsaufenthalts des Bundespräsidenten Guckelberger, NVwZ 2007, 406, 408 f.; a. A. etwa VG Saarlouis, 3 K 241/04 v. 10.1.2006, Abs. 40 = NVwZ-RR 2006, 517, 518; v. Arnauld, in: von Münch/Kunig, Art. 57 Rn. 13; Fink, in: Huber/Voßkuhle, Art. 57 Rn. 21 ff.; Meiertöns/Ehrhardt, Jura 2011, 166, 170.

Selbst wenn dies anzunehmen wäre, hätte dies aber keine Auswirkungen im Verhältnis zu Dritten, insbesondere zu anderen obersten Staatsorganen: In diesem Verhältnis folgt aus Art. 57 GG allein, dass der Bundesrats-Präsident die dem Bundespräsidenten zustehenden Befugnisse so wahrzunehmen hat, wie das Grundgesetz sie vorsieht. Der Bundesrats-Präsident kann sich gegenüber Dritten also nicht auf eine eingeschränkte Vertretungsmacht berufen, und seine Handlungen sind im Verhältnis zu Dritten auch nicht unwirksam, wenn er etwaige Weisungen des Bundespräsidenten überschreitet. Vor allem aber können etwaige Vorgaben und Weisungen des Bundespräsidenten den Bundesrats-Präsidenten nicht im Verhältnis zu Dritten zur Unterlassung von Handlungen berechtigen, zu deren Vornahme der Bundespräsident selbst verfassungsrechtlich verpflichtet wäre.

Anmerkung: Siehe hierzu VG Saarlouis, 3 K 241/04 v. 10.1.2006, Abs. 40 = NVwZ-RR 2006, 517, 518; Guckelberger, NVwZ 2007, 406, 410; Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, Art. 57 Rn. 28 (Bearbeitung 2009).

b) Selbstbindung des Bundespräsidenten durch die Fernseherklärung?

Der Bundesrats-Präsident könnte jedoch dann an die Fernseherklärung des Bundespräsidenten gebunden sein, wenn diese den Bundespräsidenten selbst gebunden hätte, wenn dieser also aufgrund der Erklärung selbst gehindert gewesen wäre, das Gesetz auszufertigen. Dies ließe sich allenfalls annehmen, wenn hierin die Erklärung zu sehen sein könnte, das "Gesetz zur Publifizierung der Deutschen Bahn" nicht nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG auszufertigen und der Bundespräsident an eine solche Erklärung auch gebunden wäre, sie also unwiderruflich wäre. Aus dem Sachverhalt geht jedoch eindeutig hervor, dass die Äußerung des Bundespräsidenten im Interview gerade keine förmliche Ablehnung sein sollte - die wollte der Bundespräsident erst noch aussprechen. Im Übrigen ist auch ein Fernsehreporter - und die Öffentlichkeit - nicht die geeignete Adresse für die Erklärung einer Ablehnungsentscheidung. Der Bundespräsident erhält ein Gesetz vom Parlament zur Ausfertigung zugeleitet und muss daher diesem erklären, dass er die Ausfertigung ablehnt, denn nur so wird deutlich erkennbar, dass das Gesetzgebungsverfahren definitiv beendet ist (sofern nicht binnen sechs Monaten ein Organstreitverfahren wegen dieser Weigerung eingeleitet wird, vgl. § 64 Abs. 2 BVerfGG). In der Praxis erfolgt dies mittlerweile durch ein Schreiben des Bundespräsidenten an den Bundestagspräsidenten, das in den Bundestagsdrucksachen veröffentlicht wird.

Da hier eine solche förmliche Mitteilung noch nicht erfolgt ist, besteht für Urquell kein rechtliches Hindernis, das Gesetz auszufertigen.

Anmerkung: Es ist auch sehr zweifelhaft, ob der Bundespräsident an die förmliche Ablehnung gebunden ist oder ob er nicht aufgrund gewandelter Überzeugung später doch noch das Gesetz ausfertigen kann (siehe hierzu Lehngut, DÖV 1992, 439, 443 ff.). Es spricht wohl einiges dafür, dass der Bundespräsident jedenfalls innerhalb der Sechs-Monats-Frist des § 64 Abs. 2 BVerfGG und während eines laufenden Organstreitverfahrens über die Weigerung, das Gesetz auszufertigen, die Ausfertigung noch nachholen kann. Dies muss erst recht gelten, nachdem das BVerfG in einem Organstreitverfahren festgestellt hat, dass der Bundespräsident durch die Weigerung gegen das Grundgesetz verstoßen hat. Läuft die Sechs-Monats-Frist des § 64 Abs. 2 BVerfGG dagegen ab, ohne dass ein Organstreitverfahren wegen der Weigerung, das Gesetz auszufertigen, eingeleitet worden ist, wird man aus Gründen der Rechtssicherheit von einer Art "Bestandskraft" der Ablehnungsentscheidung ausgehen müssen. Dies wird auch gelten müssen, wenn das BVerfG in einem Organstreitverfahren festgestellt hat, dass die Weigerung des Bundespräsidenten, das Gesetz auszufertigen, nicht gegen das Grundgesetz verstößt.

c) Ergebnis zu 2

Auch die Fernseherklärung des Bundespräsidenten bedeutet für Urquell somit kein rechtliches Hindernis, das Gesetz auszufertigen.

3. Ergebnis zu I

Urquell ist somit nicht aus formellen Gründen daran gehindert, das Gesetz auszufertigen. Er ist hierfür nach Art. 57 GG (dessen Voraussetzungen im Übrigen vorliegen) i.V.m. Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG zuständig.

II. Hinderung wegen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Verstaatlichung der Deutschen Bahn

Fraglich ist schließlich, ob Urquell die Ausfertigung des Gesetzes mit der Begründung verweigern kann, dass dieses verfassungswidrig sei.

Anmerkung: Siehe zur entsprechenden Problematik auf Landesebene den An-die-Kette-gelegt-Fall.

Dann müsste der Bundespräsident - dessen Befugnisse Urquell als Bundesrats-Präsident wahrzunehmen hat - überhaupt berechtigt sein, die Ausfertigung eines Gesetzes nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG zu verweigern, wenn er dieses Gesetz für verfassungswidrig hält. Zudem müsste das Gesetz natürlich tatsächlich verfassungswidrig sein.

1. Prüfungsrecht des Bundespräsidenten

Nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG hat der Bundespräsident die "nach diesem Grundgesetz zustande gekommenen Gesetze auszufertigen und im Bundesgesetzblatt zu verkünden". Gesetze, die nicht "nach diesem Grundgesetz zustande gekommen sind", sind dementsprechend nicht zu verkünden. Fraglich ist damit, wann ein Gesetz als "nicht nach diesem Grundgesetz zustande gekommen" anzusehen ist, was der Bundespräsident also zu prüfen hat, wenn ihm ein Gesetz zugeleitet wird, das er ausfertigen soll.

Anmerkung: Siehe zum Folgenden etwa Degenhart, Rn. 806 ff.; Hauk, JA 2017, 93 ff.; Lewinski, in: Bonner Kommentar, Art. 82 Rn. 103 ff. (Bearbeitung 2013); Linke DÖV 2009, 434 ff.; Schladebach/Koch, Jura 2016, 355 ff.; Schoch ZG 2008, 209, 213 ff.; aus der Sicht eines Bundespräsidenten selbst: Rau, DVBl. 2004, 1 ff.

a) Formelles Prüfungsrecht

Unstreitig hat der Bundespräsident vor der Ausfertigung nach Art. 82 Abs. 1 GG die formelle Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu prüfen, weil jedenfalls nur in formeller Hinsicht "einwandfreie" Gesetze als nach diesem Grundgesetz zustande gekommen angesehen werden können. Dies folgt zudem aus der Stellung des Bundespräsidenten, der angesichts der Beteiligung mehrerer anderer Verfassungsorgane am Zustandekommen eines Gesetzes (Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung) als einziger in der Lage ist, am Ende des Verfahrens die Einhaltung der Förmlichkeiten zu prüfen, weil die anderen Beteiligten jeweils nur ihren Teil der Mitwirkung beurteilen können (und dabei naturgemäß befangen sind). Nach (weitgehend) einhelliger Meinung ist der Bundespräsident daher berechtigt und verpflichtet, die formelle Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes vor der Ausfertigung zu prüfen

Anmerkung: Zusammenfassend hierzu Lutze, NVwZ 2003, 323 ff; Rau, DVBl. 2004, 1, 3 ff.; Schoch ZG 2008, 209, 214 ff.; für eine Beschränkung jedoch Linke DÖV 2009, 434, 437 ff.; Meyer, JZ 2011, 602, 603 (unter Verweis auf die "Legaldefinition" des "Zustandekommens eines Gesetzes" in Art. 78 GG).

b) Materielles Prüfungsrecht

Umstritten ist dagegen immer noch und immer wieder, ob der Bundespräsident auch zur Überprüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit berechtigt und evtl. sogar verpflichtet ist. Aus Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG lässt sich dies nicht deutlich entnehmen - die Vorschrift kann sowohl in der einen wie in der anderen Richtung verstanden werden.

Anmerkung: Für materielles Prüfungsrecht (und eine entsprechende Pflicht) etwa Hauk, JA 2017, 93 ff.; Schoch ZG 2008, 209, 219 ff.; ablehnend (auch) zum materiellen Prüfungsrecht z. B. Linke DÖV 2009, 434, 439 ff.; Meyer, JZ 2011, 602, 605.

Diesbezüglich wird gegen ein materielles Prüfungsrecht vorgebracht, es fehle eine ausdrückliche Einräumung dieser Befugnis, und es seien keinerlei Verfahrensvorkehrungen für die Prüfung im Grundgesetz getroffen. Zudem bestehe die Gefahr, dass der Bundespräsident in parteipolitische Auseinandersetzungen hineingezogen werde. Schließlich habe das Grundgesetz das BVerfG zum "Hüter der Verfassung" bestellt; der Bundespräsident würde in Konkurrenz zum BVerfG treten, und das Ansehen seines Amtes könnte geschädigt werden, wenn er ein Gesetz ausdrücklich für verfassungsmäßig erkläre und das BVerfG nachher anders entscheide.

Für das materielle Prüfungsrecht spricht dagegen, dass ohne eine materielle, inhaltliche Prüfung, z.B. bei einem Zustimmungsgesetz, die Prüfung der formellen Verfassungsmäßigkeit meist nicht möglich ist. Auch ist es mit der Würde des Staatsoberhauptes und mit Rücksicht auf den Amtseid unvereinbar, den Bundespräsidenten sehenden Auges ein verfassungswidriges Gesetz ausfertigen zu lassen. Zudem ist jeder materielle Verfassungsverstoß zugleich ein formeller Verfassungsverstoß, da ein der Verfassung entgegenstehendes Gesetz formell verfassungsgemäß nur durch ein Gesetzgebungsverfahren nach Art. 79 Abs. 2 GG beschlossen werden kann, also den Anforderungen an ein  verfassungsänderndes Gesetz genügen müsste, um formell wirksam verabschiedet werden zu können. Schließlich ist der Bundespräsident als Teil der Staatsgewalt an die Verfassung gebunden (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG), so dass er keine verfassungswidrigen Gesetze ausfertigen darf.

Anmerkung: Vertretbar sind natürlich beide Ansichten, wobei die wohl (noch) herrschende Meinung von einem materiellen Prüfungsrecht ausgeht, so dass es nahe liegt, dieser zu folgen. Von den Einwänden gegen das materielle Prüfungsrecht erscheint wohl das Argument, das BVerfG sei zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit berufen, noch am überzeugendsten, nur ist es dann wohl inkonsequent, das formelle Prüfungsrecht zu bejahen. In einer Klausur sollte jedenfalls schon aus "prüfungstaktischen" Gründen von einem materiellen Prüfungsrecht ausgegangen werden, um noch etwas zur materiellen Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sagen zu können (zumindest wenn man dem Sachverhalt entnehmen kann, das hierzu etwas gesagt werden soll).

c) Ergebnis zu 1

Dementsprechend durfte die Gesetzesausfertigung hier verweigert werden, wenn das Gesetz zur Verstaatlichung der Deutschen Bahn formell oder materiell verfassungswidrig ist.

Anmerkung: Nach dem Sachverhalt nicht zu prüfen, jedoch nicht unproblematisch ist, ob der Bundespräsident die Vereinbarkeit von Gesetzen mit dem Europäischen Unionsrecht überprüfen darf (und ggf. auch muss); siehe hierzu Neumann, DVBl. 2007, 1335 ff. (der eine Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten im Hinblick auf eine Vereinbarkeit von Bundesgesetzen mit dem Unionsrecht bejaht).

2. Verfassungsmäßigkeit des "Gesetzes zur Publifizierung der Deutschen Bahn"

Fraglich ist somit, ob das "Gesetz zur Publifizierung der Deutschen Bahn" formell und materiell verfassungsgemäß ist.

a) Formelle Verfassungsmäßigkeit

Bereits die formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes ist zweifelhaft. Zwar ist das Gesetzgebungsverfahren nach dem Sachverhalt ordnungsgemäß durchgeführt worden; insbesondere ist das Verfahren von der Bundesregierung ordnungsgemäß in den Bundestag eingebracht worden (Art. 76 GG) und hat der Bundesrat dem Gesetz auch zugestimmt (vgl. Art. 87e Abs. 5 GG). Jedoch bestehen Bedenken im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz.

aa) Gesetzgebungskompetenz aus Art. 73 Nr. 6a GG?

Als Grundlage einer Gesetzgebungskompetenz für eine Publifizierung der Bahn könnte Art. 73 Nr. 6a GG in Betracht kommen: Hiernach hat der Bund allerdings nur die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für den "Verkehr von Eisenbahnen, die ganz oder mehrheitlich im Eigentum des Bundes stehen, den Bau-, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes sowie die Erhebung von Entgelten für die Benutzung dieser Schienenwege."

Dieser Gesetzgebungskompetenztitel bezieht sich somit auf den Transportaspekt (Verkehr-, Schienenwegebenutzung) und die infrastrukturelle Bereitstellung durch Bau, Unterhaltung und Betrieb der Schienenwege. Art. 73 Nr. 6a GG gibt keine Grundlage für eine eisenbahnspezifische Organisationsform der Bahn.

Anmerkung: Siehe hierzu Heintzen, in: Huber/Voßkuhle, Art. 73 Rn. 61.

bb) Gesetzgebungskompetenz aus Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG?

Eine solche Gesetzgebungskompetenz für eine eisenbahnspezifische Organisationsform der Bahn könnte sich aber aus Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG ergeben: Der Bund ist hiernach berechtigt, durch Bundesgesetz neue bundesunmittelbare Anstalten des öffentlichen Rechts für solche Angelegenheiten zu errichten, für die ihm die Gesetzgebung zusteht. Durch das "Gesetz zur Publifizierung der Deutschen Bahn" soll auch tatsächlich eine solche bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts errichtet werden. Für den Bereich des Bahnwesens geht jedoch (seit 1993) Art. 87e GG als Spezialvorschrift der allgemeinen Bestimmung des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG vor.

cc) Gesetzgebungskompetenz aus Art. 143a Abs. 1 Satz 1 GG?

Auch Art. 143a Abs. 1 Satz 1 GG ist nicht einschlägig: Denn hiernach hat der Bund nur die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die vor 1993 in bundeseigener Verwaltung geführte Bundesbahn in Wirtschaftsunternehmen; eine Rückumwandlung der "Wirtschaftsunternehmen" in Unternehmen öffentlich-rechtlicher Rechtsform wird ihm hierdurch nicht gestattet.

dd) Gesetzgebungskompetenz aus Art. 87e Abs. 3 Satz 4 GG?

Eine Gesetzgebungskompetenz zur "Publifizierung" der Eisenbahnen des Bundes kann sich daher allenfalls aus Art. 87e Abs. 3 Satz 4 GG ergeben: Hiernach wird das "Nähere" der "Führung" der Eisenbahnen des Bundes durch Bundesgesetz geregelt. Ob das "Nähere" auch eine "Publifizierung" der Eisenbahnen des Bundes vorsehen kann, hängt dabei von der materiellrechtlichen Frage ab, wie Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG zu verstehen ist. Wenn dem Bund durch Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG nicht verwehrt wird, die Eisenbahnen des Bundes als bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts zu betreiben, steht ihm hierfür jedoch nach Maßgabe des Art. 87e Abs. 3 Satz 4 GG die Gesetzgebungskompetenz zu.

b) Materielle Verfassungsmäßigkeit

Das "Gesetz zur Publifizierung der Deutschen Bahn" könnte jedoch materiellrechtlich gegen Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG verstoßen. Denn hiernach werden die Eisenbahnen des Bundes "als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form geführt". Hier kann offen bleiben, was genau in diesem Zusammenhang mit dem Begriff "Wirtschaftsunternehmen" gemeint sein könnte.

Anmerkung: Siehe hierzu Burgi, NVwZ 2018, 601, 606 ff.

Denn jedenfalls beschränkt der Begriff "privatrechtliche Form" die Organisationsform der Eisenbahnen des Bundes auf solche Organisationsformen, die in einer für alle geltenden Rechtsordnung entwickelt sind und im allgemeinen Verkehr auch sonst Verwendung finden. In Betracht kommen demnach nur solche Rechtsformen, auf die auch Private zurückgreifen können, also insbesondere die Form der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Anstalten des öffentlichen Rechts gehören nicht hierzu.

Anmerkung: Siehe hierzu näher Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, 576, 580; ferner: Burgi, NVwZ 2018, 601, 607; Gersdorf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 87e Rn. 42; Hamdorf/Moradi Karkaj, DVBl. 2018, 823 ff.; Windthorst, in: Sachs, Art. 87e Rn. 38 ff. Allgemein zur Frage der Abgrenzung zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts und juristischen Personen des Privatrechts: U. Stelkens, Jura 2016, 1013, 1016 f.

Fraglich ist jedoch, ob Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG dem Bund wirklich zwingend vorschreibt, die Eisenbahnen des Bundes in einer solchen privatrechtlichen Form zu führen. Der Bundestag trägt hier jedenfalls vor, es handele sich bei dieser Bestimmung nur um eine "Kann-Bestimmung", die dem Bund gestatte, die Eisenbahnunternehmen des Bundes in privatrechtlichen Organisationsformen zu führen, ihn hierzu aber nicht verpflichte.

Der Wortlaut des Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG ist jedoch eindeutig: Hiernach "werden" die Eisenbahnen des Bundes in privatrechtlicher Rechtsform geführt. Für eine Wahlmöglichkeit lässt dieser Wortlaut keinen Raum. Dies zeigt auch der Vergleich mit dem "älteren" (nämlich 1992 erlassenen) Art. 87d Abs. 1 GG, der dem Bund für die Luftverkehrsverwaltung ausdrücklich eine Wahlmöglichkeit zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Organisationsformen gestattet. Hätte der Verfassungsgeber dem Bund demnach eine Wahlmöglichkeit zusprechen wollen, hätte die Wendung "können . . . geführt werden" verwandt werden müssen. Systematisch wird dieses Argument vor allem durch Art. 143a Abs. 1 GG gestützt, der dem Bund nur für eine Privatisierung (nämlich der Umwandlung der "alten" Bundesbahn in die "Deutsche Bahn AG"), nicht aber für eine "Rückpublifizierung" die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zuspricht.

Eine Wahlmöglichkeit des Bundes ließe sich auch nicht mit einer "unionsrechtskonformen Auslegung" des Verfassungsrechts begründen: Zwar schreibt die Richtlinie 2012/34/EU zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums und auch das sonstige Europäische Unionsrecht den Mitgliedstaaten die Verwendung privatrechtlicher Organisationsformen für ihre Eisenbahnunternehmen nicht vor, sondern lässt ihnen die Wahl zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Organisationsformen. Bei der Richtlinie 2012/34/EU handelt es sich jedoch eben nur um eine Richtlinie nach Art. 288 Abs. 3 AEUV. Sie lässt den Mitgliedstaaten Spielraum, indem sie ihnen die Verwendung öffentlich-rechtlicher Rechtsformen gestattet. Sie gebietet ihnen jedoch nicht, sich die Möglichkeit einer öffentlich-rechtlichen Rechtsform offen zu halten. Die Richtlinie ist insgesamt rechtsformneutral und stellt nur bestimmte Anforderungen an die Organisation der Eisenbahnunternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform auf.

Anmerkung: So zur Vorgängerrichtlinie Schmidt-Aßmann/Röhl, DÖV 1994, 577, 579 f.

Die Möglichkeit, für die Eisenbahnunternehmen des Bundes auch eine öffentlich-rechtliche Organisationsform wählen zu können, ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass die Privatisierung der Bahn nach dem Sachverhalt offenbar von der Bundesregierung und der Öffentlichkeit als "gescheitert" angesehen wird. Denn das Grundgesetz sieht sie in Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG unabhängig vom "Privatisierungserfolg" vor. Dass die zwingende Festlegung auf privatrechtliche Organisationsformen nunmehr als politisch unzweckmäßig angesehen wird, vermag allenfalls die Sinnhaftigkeit des Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG unter rechtspolitischen Gesichtspunkten in Zweifel zu ziehen. Rechtlich sind indes auch "schlechte" oder "dumme" Normen des Verfassungsrechts bindend - so ist bisher auch die Verbindlichkeit der wenig sinnvollen Normen des Art. 14 Abs. 3 Satz 2 und des Art. 34 Satz 3 GG nie bezweifelt worden.

Anmerkung: Siehe hierzu auch Burgi, NVwZ 2018, 601, 607 gegenüber den in BVerfG, 2 BvE 2/11 v. 7.11.2017, Abs. 284 = BVerfGE 147, 50 Abs. 284 anklingenden Zweifeln ("Damit ist offenbar die Vorstellung verbunden, dass sich der Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben die Kräfte des Marktes zunutze machen oder eine Aufgabe sogar ganz in den Markt entlassen kann") an der Sinnhaftigkeit der Regelung des Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG, nach dem die Eisenbahnen des Bundes als "Wirtschaftsunternehmen" zu führen sind.

Daher verstößt das "Gesetz zur Publifizierung der Deutschen Bahn" gegen Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG.

Anmerkung: Nicht von vornherein ausgeschlossen dürfte sein, auch eine spezielle auf die Bedürfnisse des Eisenbahnverkehrs besonders zugeschnittene privatrechtliche Form zu entwickeln, die z. B. mit der (früheren) Partenreederei, den (früheren) bergrechtlichen Genossenschaften oder dem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit vergleichbar wäre. Sie müsste jedoch allen - und damit auch rein privaten - Eisenbahnunternehmen als Rechtsform offen stehen.

c) Ergebnis zu 2

Das "Gesetz zur Publifizierung der Deutschen Bahn" ist demnach wegen Verstoßes gegen Art. 87e Abs. 3 Satz 1 GG materiell verfassungswidrig - so dass der Bund hierfür auch keine Gesetzgebungskompetenz aus Art. 87e Abs. 3 Satz 4 GG herleiten kann.

Anmerkung: Siehe hierzu oben B II 2 a dd.

3. Ergebnis zu II

Nach alledem war das Gesetz zur Verstaatlichung der Deutschen Bahn sowohl formell wie materiell verfassungswidrig, so dass der Bundesrats-Präsident als Vertreter des Bundespräsidenten (Art. 57 GG) die Ausfertigung des Gesetzes nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG verweigern durfte.

III. Ergebnis zu B

Der Bundesrats-Präsident war somit nicht zur Ausfertigung des "Gesetzes zur Publifizierung der Deutschen Bahn" nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG verpflichtet. Indem er dies unterließ, hat er folglich nicht das Recht des Bundestages zur Gesetzgebung verletzt. Der Antrag des Bundestages ist dementsprechend unbegründet.

C) Gesamtergebnis

Der Antrag des Bundestages ist folglich zulässig, aber unbegründet und hat damit keine Aussicht auf Erfolg.

Fragen und Anregungen zur Lösung? stelkens@uni-speyer.de

Zurück zum Sachverhalt

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zurück zum Stadtplan