Aufbauhilfe für die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen im verfassungsgerichtlichen Verfahren
(Stand der Bearbeitung: 4. April 2020)
© Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)
mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim
Es gibt nicht allgemein "das" Verfahren vor dem BVerfG, sondern nur die in § 13 BVerfGG abschließend aufgezählten Verfahrensarten. Voraussetzung der Zulässigkeit eines Verfahrens vor dem BVerfG ist also, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines der in § 13 BVerfGG genannten Verfahren vollständig erfüllt sind. Welche Zulässigkeitsvoraussetzungen dies sind, ist dem Grundgesetz (vgl. die Hinweise in § 13 BVerfGG) und dem BVerfGG zu entnehmen. Das BVerfGG ist wie das BGB und das StGB nach dem "Klammerprinzip" aufgebaut, d.h. diejenigen Voraussetzungen, die einheitlich für alle Verfahren gelten, sind in §§ 17 ff. BVerfGG geregelt, diejenigen, die nur für einzelne der in § 13 BVerfGG genannten Verfahrensarten gelten, in §§ 36 ff. BVerfGG.
Trotz der sich hieraus ergebenden Unterschiede im Detail gibt es aber bei den Voraussetzungen der einzelnen Verfahrensarten gewisse Übereinstimmungen, die es erlauben, den Aufbau der Zulässigkeitsprüfung im Verfassungsprozessrecht für alle Verfahrensarten gemeinsam zu erlernen.
Anmerkung: So jetzt auch Urbaneck, JuS 2014, 896 ff.
Zuerst muss die Verfahrensart herausgesucht werden, die im zu entscheidenden Fall überhaupt in Betracht kommt. Dann ist unter die im Grundgesetz (insbesondere Art. 94 Abs. 1 GG) und die im allgemeinen und besonderen Teil des BVerfGG genannten Voraussetzungen zu subsumieren.
Anmerkung: Durch das Gesetz zu Änderung des Grundgesetzes (Art. 93 und 94) vom 20.12.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 440) wurde der bisherige Regelungsinhalt des Art. 93 Abs. 1 bis 3 a. F. GG weitgehend wortgleich zum Regelungsinhalt des Art. 94 Abs. 1 bis 3 n. F. GG, ferner wurde der Regelungsinhalt des Art. 94 Abs. 2 a. F. GG ("Ein Bundesgesetz regelt seine Verfassung und das Verfahren und bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen Gesetzeskraft haben. Es kann für Verfassungsbeschwerden die vorherige Erschöpfung des Rechtsweges zur Voraussetzung machen und ein besonderes Annahmeverfahren vorsehen") wortgleich in Art. 93 Abs. 5 n. F. GG überführt. In der Literatur und Rechtsprechung aus der Zeit vor Inkrafttreten dieses verfassungsändernden Gesetzes sind diese Umnummerierungen naturgemäß noch nicht berücksichtigt, jedoch kann angenommen werden, dass sich die insoweit zu den alten Fassungen dieser Bestimmungen getroffenen Aussagen unverändert auf ihre neuen Fassungen übertragen lassen. Diese Annahme wird im Folgenden unterstellt und hierauf wird in den Falllösungen auch nicht mehr gesondert hingewiesen.
Zwingend geprüft werden müssen hierbei (nur) die im nachfolgenden Schema genannten Punkte. Andere Fragen, die die mehr technische Seite betreffen (muss jemand vor dem BVerfG vertreten werden, wenn ja, von wem, kann der Antrag telefonisch gestellt werden, muss oder darf ein Rechtsanwalt vor dem BVerfG auftreten etc.?), werden dann - und nur dann - geprüft, wenn ein Fall deutlich auch auf dieses Problem zugeschnitten ist, wobei die Antwort meist im allgemeinen Teil des BVerfGG gefunden werden kann oder sich das Problem durch Nachdenken lösen lässt.
Weitere in den Saarheimer Fällen enthaltene Informationen zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens lassen sich im Übrigen über diesen Wegweiser zum Verfassungsprozessrecht in den Saarheimer Fällen finden.
I. Beteiligtenfähigkeit des Antragstellers oder Antragsfähigkeit (bei der Verfassungsbeschwerde: Beschwerdefähigkeit)
Hier ist zu prüfen, ob derjenige, der einen bestimmten Antrag stellt, über den das BVerfG entscheiden soll (vgl. § 23 BVerfGG), überhaupt - losgelöst vom Fall - in seiner Person die Voraussetzungen für diesen Antrag erfüllt, ob er also zur Verfahrenseinleitung berechtigt ist (Urbaneck, JuS 2014, 896, 897). Bei der Verfassungsbeschwerde ist dies z.B. die Frage, ob der Beschwerdeführer "jedermann" i.S.d. Art. 94 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG ist, also ob er überhaupt Grundrechtsträger sein kann (vgl. Art. 19 Abs. 3 GG).
II. Beteiligtenfähigkeit des Antragsgegners (nicht bei der Verfassungsbeschwerde)
Hier ist zu prüfen, ob gegen denjenigen, gegen den der Antragsteller vorgeht, überhaupt - losgelöst vom Fall - dieser Antrag gerichtet werden kann.
III. Tauglicher Antrags- oder Streitgegenstand (bei der Verfassungsbeschwerde: Beschwerdegegenstand)
Hier ist zu prüfen, ob der Antrag gegen eine Maßnahme (des Antragsgegners) gerichtet ist, die das BVerfG in diesem Verfahren überprüfen kann (Urbaneck, JuS 2014, 896, 897 f.). Bei der Verfassungsbeschwerde kann das BVerfG z.B. nur "Akte der öffentlichen Gewalt " (vgl. Art. 94 Abs. 1 Nr. 4 a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG) überprüfen.
IV. Antrags- oder Beschwerdebefugnis (nicht bei allen Verfahrensarten)
Hier ist zu prüfen, ob es nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass die angegriffene Maßnahme den Antragsteller in den Rechten verletzt, derentwegen ihm in diesem Verfahren die Beteiligtenfähigkeit gewährt wird (vgl. beim Organstreitverfahren BVerfG, 2 BvE 1/07 v. 12.3.2007, Abs. 20 = BVerfGE 117, 359, 366). Dies dient letztlich dazu, Popularklagen auszuschließen (Urbaneck, JuS 2014, 896, 898 f.). Bei der Verfassungsbeschwerde ist hier insbesondere zu prüfen, ob der Beschwerdeführer von der angegriffenen Maßnahme selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen wird. Die gegenwärtige, unmittelbare Selbstbetroffenheit ist bei den anderen Verfahrensarten dann - und nur dann - zu erwähnen, wenn hier besondere Probleme bestehen.
V. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen der einzelnen Verfahrensarten
Insbesondere aus dem besonderen Teil des BVerfGG ergeben sich bezüglich der einzelnen Verfahrensarten teilweise besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen, dies können etwa sein
- die Notwendigkeit der Durchführung eines bestimmten "Vorverfahrens" vor Antragstellung (vgl. Art. 41 Abs. 1 und 2 GG, § 90 Abs. 2 BVerfGG);
- die Einhaltung bestimmter Fristen (z.B. für die Verfassungsbeschwerde aus § 93 BVerfGG).