Freigesetzt!

© Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

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Die ¿Design-Gobâl?-AG mischt zur Zeit die deutsche Innenarchitektur-Szene auf: Als bundesweit operierendes Unternehmen hat sie das sog. Franchising auch auf den Bereich der Innenarchitektur übertragen: Es bietet selbständigen Innenarchitekturbüros die Möglichkeit, gegen Zahlung einer jährlichen Franchise-Gebühr das von der ¿Design-Gobâl?- AG entwickelte Geschäftskonzept für ¿Design-Gobâl?-Innenarchitektur-Büros zu nutzen und von den einheitlichen Werbemaßnahmen zu profitieren, die von der ¿Design-Gobâl?- AG für alle ¿Design-Gobâl?-Innenarchitektur-Büros durchgeführt werden. Im Ergebnis treten somit alle ¿Design-Gobâl?-Innenarchitektur-Büros nach außen wie ein großes Unternehmen mit verschiedenen Filialen auf, während es sich rechtlich bei den einzelnen Architektur-Büros um selbständige Unternehmen handelt, die auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko geführt werden. Die jeweiligen Inhaber der ¿Design-Gobâl?-Innenarchitektur-Büros sind somit selbständige Unternehmer (und nicht Arbeitnehmer der ¿Design-Gobâl?-AG), die dort arbeitenden Personen sind zudem ausschließlich Arbeitnehmer dieses Inhabers und stehen zu der ¿Design-Gobâl?-AG in keiner (arbeits-)rechtlichen Beziehung.

Auch in der Stadt Saarheim befindet sich seit 1970 ein Innenarchitektur-Büro. Weil sich sein früherer Inhaber zur Ruhe setzen wollte, veräußerte er den Betrieb an Freddy Plutory. Dieser will den Betrieb als ¿Design-Gobâl?-Innenarchitektur-Büro fortführen und schließt einen entsprechenden Franchise-Vertrag mit der ¿Design-Gobâl?-AG, nach dem er sich u. a. verpflichtet, seinen Betrieb nach den von der ¿Design-Gobâl?-AG entwickelten Grundsätzen zu führen. Das neue ¿Design-Gobâl?-Innenarchitektur-Büro Saarheim beschäftigt vier Arbeitnehmer, von denen drei bereits unter dem früheren Betriebsinhaber gearbeitet hatten und deren Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB auf Freddy Plutory übergegangen waren. Der Betrieb wird von Plutory, der selbst ausgebildeter Innenarchitekt ist, persönlich geleitet.

Einer der Arbeitnehmer, den Plutory von seinem Vorgänger übernommen hat, ist der heute 51-jährige Ronald Rosahl, der ebenfalls ausgebildeter Innenarchitekt ist und sich zu Recht immer als tragende Säule des Betriebes gesehen hat. Rosahl, der bisher alleinstehend war, verliebte sich in eine der Kundinnen des Innenarchitektur-Büros und teilte Plutory mit, dass er die Dame heiraten wolle. Drei Tage später wurde ihm von Plutory unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 31. Dezember desselben Jahres gekündigt. Kündigungsgründe werden nicht angegeben. Auf Nachfrage Rosahls teilt ihm Plutory mit, Grund für die Kündigung sei ausschließlich, dass Rosahl offenbar heterosexuell und nicht - wie bisher auf Grund des Umstandes, dass man ihn nie zuvor mit einer Frau gesehen habe, angenommen - homosexuell sei. Es sei aber Teil des Geschäftskonzepts der ¿Design-Gobâl?-AG, zu dessen Beachtung er - Plutory - sich in dem Franchise-Vertrag verpflichtet habe, dass in ¿Design-Gobâl?-Innenarchitektur-Büros nur homosexuelle Männer beschäftigt werden dürften. Denn wie durch zahlreiche Marketing-Analysen bewiesen werde, versprächen sich die durchschnittlichen Kundinnen und Kunden eines Innenarchitekturbüros von einer derartigen sexuellen Identität eines Innenarchitekten eine besondere Qualität der zu erbringenden Innenarchitekturleistungen.

Rosahl will diese Kündigung nicht akzeptieren und erhebt daher innerhalb der Frist des § 4 KSchG gegen Freddy Plutory beim insoweit zuständigen Arbeitsgericht Neunkirchen Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestehe. Das Arbeitsgericht weist die Klage zurück, da § 1 KSchG auf den Betrieb des Beklagten gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht anwendbar sei, so dass es für die ordentliche Kündigung keiner sozialen Rechtfertigung bedürfe, sie vielmehr im freien Belieben des Arbeitgebers stehe. Dies ergebe sich schon aus einem Umkehrschluss aus § 1 Abs. 2 und § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG: Wenn der Gesetzgeber den Kündigungsschutz auf Großbetriebe beschränke, so könne nicht ohne Umgehung dieser gesetzlichen Wertung ein ähnlicher Kündigungsschutz etwa unter Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln geschaffen werden. Auch ein Verstoß gegen das Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) könne nicht festgestellt werden. Dieses Gesetz verbiete zwar nach dem Wortlaut des § 1, § 2 AGG Benachteiligungen auch von Arbeitnehmern wegen ihrer "sexuellen Identität". Es sei aber nach der eindeutigen Regelung des § 2 Abs. 4 AGG auf Kündigungen (auch) von Arbeitsverhältnissen nicht anzuwenden. Insoweit verweise das Gesetz abschließend auf die Regelungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz und verbiete zugleich die Wertungen des § 1, § 2 AGG bei Anwendung der einschlägigen Kündigungsschutzbestimmungen zu berücksichtigen. Unabhängig davon sei § 1 AGG restriktiv auszulegen, so dass eine Benachteiligung wegen Heterosexualität nicht erfasst werde: Dies gehe zwar nicht aus dem Wortlaut des § 1 AGG, wohl aber aus dem Zweck des AGG hervor, Minderheitenschutz zu gewährleisten. Ein besonderes Schutzbedürfnis von Heterosexuellen sei bisher nicht erkennbar geworden, so dass eine Benachteiligung wegen Heterosexualität keine Benachteiligung "wegen der sexuellen Identität" sei. Der sprachlich zu weit geratene § 1 AGG sei insoweit teleologisch zu reduzieren.

Die von Rosahl angestrengte Berufung zum Landesarbeitsgericht des Saarlandes und die (vom Landesarbeitsgericht zugelassene) Revision zum Bundesarbeitsgericht blieben ohne Erfolg, da die Gerichte im Wesentlichen der Argumentation des Arbeitsgerichtes folgen. Das BAG lehnt zudem die Anregung Rosahls ab, die Frage dem EuGH nach Art. 267 Abs. 1 AEUV zur Entscheidung vorzulegen, ob es mit der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vereinbar sei, wenn mitgliedstaatliches Recht die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen Heterosexualität zulasse. Insoweit betont das BAG, es sei unzweifelhaft und - nach den Maßstäben der Acte-clair-Rechtsprechung des EuGH - keiner weiteren Klärung bedürftig, dass auch die Richtlinie 2000/78/EG allein auf Minderheitenschutz ausgerichtet sei und daher Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie eine Diskriminierung wegen Heterosexualität nicht erfassen würde und diese damit nach Art. 16 der Richtlinie auch nach mitgliedstaatlichem Recht nicht verboten werden müsste.

Rosahl erhebt daraufhin Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes. Das BAG habe zu Unrecht § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG herangezogen, da diese den Kündigungsschutz des § 1 KSchG auf Großbetriebe beschränkende Vorschrift wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG verfassungswidrig sei und daher der Entscheidung nicht hätte zugrunde gelegt werden dürfen. Zumindest hätte das BAG die Wirksamkeit der Kündigung an § 138 und § 242 BGB unter Berücksichtigungen der Wertungen des AGG messen und dabei sein grundrechtlich geschütztes Interesse an der Beibehaltung seines Arbeitsplatzes berücksichtigen müssen. Jedenfalls sei ihm vom BAG der gesetzliche Richter entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entzogen worden, da das entgegen seiner Anregung von einer Vorlage nach Art. 267 Abs. 1 AEUV abgesehen habe.

Schließlich würde er durch das Urteil des BAG auch in seinen Unionsgrundrechten aus Art. 15 Abs. 1 (Berufsfreiheit und Recht zu arbeiten), Art. 21 Abs. 1 (Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung) und Art. 30 (Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung) und Art. 47 (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) verletzt. Dabei ergebe sich eine Verletzung der Art. 15, Art. 21 und Art. 30 GRCh daraus, dass das BAG eine klar diskriminierende Kündigung als wirksam erachtet habe. Die Verletzung des Art. 47 GRCh ergebe sich daraus, dass das BAG mit völlig unzureichender Begründung von einer Vorlage nach Art. 267 Abs. 1 AEUV abgesehen habe.

In seiner Gegenäußerung nach § 94 Abs. 3 BVerfGG führt Freddy Plutory dagegen aus, dass die Verfassungsbeschwerde als unzulässig behandelt werden müsse, da Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 101 GG im vorliegenden Fall gar nicht anzuwenden seien: Das AGG und das deutsche Kündigungsschutzrecht dienten, sofern eine Kündigung wegen der "sexuellen Identität" des Arbeitnehmers ausgeschlossen werde, der Umsetzung eines Bündels von Antidiskriminierungsrichtlinien der EU und zwar insbesondere der für den vorliegenden Fall allein relevanten Richtlinie 2000/78/EG. Insoweit folge aus Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der GRCh, dass weder der deutsche Gesetzgeber bei Erlass des AGG noch die deutschen Gerichte bei der Anwendung des nationalen Antidiskriminierungsrechts an die deutschen Grundrechte gebunden seien, sondern dass insoweit ausschließlich die Unionsgrundrechte der Charta gelten würden. Daher könne Rosahl von vornherein durch das Urteil des BAG nicht in seinen (deutschen) Grundrechten verletzt sein. Die Verfassungsbeschwerde könne aber auch nicht wegen einer Verletzung der Art. 15 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 , Art. 30 und Art. 47 GRCh Erfolg haben, da mittels der Verfassungsbeschwerde derartige Unionsgrundrechte natürlich nicht geltend gemacht werden könnten.

Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?

Bearbeitervermerk: Die maßgeblichen Bestimmungen der Richtlinie 2000/78/EG lauten:

Artikel 1 Zweck

Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.

Artikel 2 Der Begriff "Diskriminierung"

(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet "Gleichbehandlungsgrundsatz", dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf. (2) Im Sinne des Absatzes 1 a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde; b) [...]. (3) bis (5).

Artikel 8 Mindestanforderungen

(1) Die Mitgliedstaaten können Vorschriften einführen oder beibehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vorschriften sind. (2) Die Umsetzung dieser Richtlinie darf keinesfalls als Rechtfertigung für eine Absenkung des von den Mitgliedstaaten bereits garantierten allgemeinen Schutzniveaus in Bezug auf Diskriminierungen in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen benutzt werden.

Artikel 16 Einhaltung

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass a) die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden; b) die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarenden Bestimmungen in Arbeits- und Tarifverträgen, Betriebsordnungen und Statuten der freien Berufe und der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen für nichtig erklärt werden oder erklärt werden können oder geändert werden.

Artikel 17 Sanktionen

Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Anwendung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Durchführung zu gewährleisten. Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. [...].

Lösungsvorschlag

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