Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss vom 12.02.1988
- Nr.2 CE 88.00071
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(weitere Fundstellen: BauR 1989, S. 187)

Leitsatz:

Auf behördliches Einschreiten gegen Bauarbeiten, die nach Einlegung eines Widerspruchs fortgesetzt werden, besteht kein Rechtsanspruch, wenn keine Rechtsverletzung des Nachbarn zu erkennen ist.

Zum Sachverhalt:

1.

Die Antragsgegnerin hatte dem Beigeladenen mit Bescheid v. 17.12.1986 eine Baugenehmigung für den Umbau und die Erweiterung seines Wohngebäudes erteilt; die zugrundeliegenden Pläne waren vom Antragsteller, dessen Wohngrundstück im Nordwesten an das Baugrundstück angrenzt, unterschrieben worden.

2.

Mit Bescheid v. 28.7.1987 genehmigte die Antragsgegnerin Tekturpläne für den Umbau, die der Antragsteller nicht unterschrieben und gegen die er Einwendungen vorgebracht hatte.

3.

Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde. Die Antragsgegnerin teilte dem Beigeladenen mit, dass aufgrund diese Widerspruchs Bauarbeiten aller Art unzulässig seien. Über einen daraufhin vom Beigeladenen gestellten Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde von der Antragsgegnerin nicht entschieden.

4.

Der Antragsteller, der schon vorher bei der Antragsgegnerin beantragt hatte, die vom Beigeladenen fortgeführten Bauarbeiten einzustellen, beantragte beim VG, die Aufhebung des Vollzugs der Baugenehmigung v. 28.7.1987 anzuordnen und der Antragsgegnerin aufzugeben, die Bauarbeiten auf dem Grundstück des Beigeladenen einzustellen.

5.

Das VG lehnte diesen Antrag ab: Für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei kein Raum, da die aufschiebende Wirkung durch den Widerspruch des Antragstellers kraft Gesetzes eingetreten und eine sofortige Vollziehung nicht angeordnet worden sei. Auch dem Antrag, der Antragsgegnerin aufzugeben, gegen die Bauarbeiten einzuschreiten, könne nicht entsprochen werden, weil die Antragsgegenerin dem Antragsteller gegenüber nicht zu diesem Einschreiten verpflichtet sei. Soweit es sich um die Ausführung der mit Bescheid v. 17.12.1986 genehmigten Bauarbeiten handle, fehle es bereits an der Voraussetzung für eine Baueinstellung nach Art. 81 BayBO. Der Tekturbescheid v. 28.7.1987 habe das Vorhaben nicht erweitert, sondern eingeschränkt; eine rechtlich in Gewicht fallende Beeinträchtigung des Antragstellers sei nicht zu erkennen. Deshalb sei es nicht ermessensfehlerhaft, dass die Antragsgegnerin auch hinsichtlich der Bauarbeiten zur Ausführung der Tekturgenehmigung auf den aussichtslosen Widerspruch des Antragstellers hin keine Baueinstellung verfügt habe.

6.

Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt, die vom VGH zurückgewiesen wurde.

Aus den Gründen:

7.

Dem Antragsteller ist zuzugeben, dass die Ausführung von Bauarbeiten auf dem Grundstück des Beigeladenen rechtswidrig ist, solange weder über seinen Widerspruch gegen die Tekturgenehmigung unanfechtbar entschieden ist noch die sofortige Vollziehung dieser Tekturgenehmigung angeordnet ist. Die gemäß § 80 Abs. 1 VwGO eingetretene aufschiebende Wirkung des Widerspruchs führt dazu, dass die Tekturgenehmigung vorerst unwirksam ist und von ihr kein Gebrauch gemacht werden darf.

8.

Beachtet ein durch einen Verwaltungsakt Begünstigter die aufschiebende Wirkung nicht, die aufgrund des Widerspruchs eines Dritten eingetreten ist und schreitet die Behörde nicht dagegen ein, so kann der Dritte vorläufigen Rechtsschutz durch einen Antrag nach § 123 VwGO erlangen (vgl. Kopp, VwGO, Rdner. 10 zu § 80m.w.N.). Damit ein sonach zulässiger Antrag nach § 123 VwGO Erfolg hat, muss aber glaubhaft gemacht werden, dass ein Anordnungsgrund vorliegt und dass dem Antragsteller ein Anordnungsanspruch zusteht.

9.

An letzterem fehlt es hier. Ebenso wie bei sonstigen genehmigungspflichtigen Bauarbeiten, die ohne wirksame Baugenehmigung ausgeführt werden, kann auch in Fällen der hier vorliegenden Art die Bauaufsichtsbehörde gemäß Art. 81 Abs. 1 BayBO die Einstellung der Bauarbeiten anordnen. Ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, liegt grundsätzlich in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Dritte können nur verlangen, dass dieses Ermessen auch ihnen gegenüber fehlerfrei ausgeübt wird. Lediglich in Ausnahmefällen kann sich dieses Ermessen auf Null reduzieren, mit der Folge, dass dem Dritten ein Rechtsanspruch auf Einschreiten zusteht. Voraussetzung für eine solche Ermessensreduzierung ist zumindest, dass es sich um Bauarbeiten handelt, deren Genehmigung der Dritte verwaltungsgerichtlich verhindern könnte. Im vorliegenden Fall ist aber nicht ersichtlich, dass durch die vom Antragsteller angefochtene Tekturgenehmigung seine Rechte verletzt würden. Ein etwaiger Verstoß gegen Art. 12 BayBO oder gegen § 4 der Verordnung der Antragsgegnerin über Mindestabstandsflächen, Höhenlage von Gebäuden, Gestaltung von Dächern und von unbebauten Flächen bebauter Grundstücke in besonderen Siedlungsgebieten v. 14.12.1979 würde Rechte des Antragstellers nicht verletzen; diese beiden Vorschriften dienen ausschließlich dem öffentlichen Interesse und sind somit nicht nachbarschützend (vgl. Koch/Molodovsky/Rahm, BayBO, Erl. 1.1 zu Art. 12, und Schwarzer, BayBO, Anm. 1 zu Art. 12). Ob sich das Vorhaben des Beigeladenen in jeder Hinsicht i.S. des § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, mag zweifelhaft sein. Jedenfalls ist bei summarischer Prüfung, wie sie im vorliegenden Eilverfahren nur möglich ist, nicht zu erkennen, dass das Vorhaben gerade gegenüber dem Antragsteller gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt.