Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil vom 19.2.1987
- 3 B 85 A.3539
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(weitere Fundstellen: NVwZ 1987, 814 f.)

Zum Sachverhalt:

1.

Am 29. 8. 1977 unterschrieb die Kl. vor ihrer Ernennung zur Beamtin folgende Erklärung gegenüber der Bekl.: "Für den Fall, daß ich die Ausbildung an der Beamtenfachhochschule aus einem in meiner Person liegenden Grund abbreche oder daß ich auf eigenen Antrag oder aus einem in meiner Person liegenden Grund vor Ablauf einer Dienstzeit von 6 Jahren nach Beendigung der Ausbildung oder der Ernennung zum Beamten auf Probe aus dem Dienst der Landeshauptstadt München ausscheide, habe ich den Teil der Anwärterbezüge zu erstatten, der nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz den Bedarf eines Studierenden, der nicht bei den Eltern wohnt, überschreitet. Bei einem Ausscheiden nach der Ernennung zum Beamten auf Probe ermäßigt sich der zurückzuzahlende Betrag anteilig nach der Anzahl der geleisteten Dienstjahre. Ich bin davon unterrichtet, daß auf die Rückforderung ganz oder teilweise verzichtet werden kann, wenn sie für mich eine besondere unzumutbare Härte bedeuten würde..." Nach Bestehen der Anstellungsprüfung wurde die Kl. zuletzt zur Verwaltungsinspektorin befördert. Mit Verfügung vom 13. 8. 1984 entließ die Bekl. die Kl. mit Ablauf des 26. 8. 1984 auf deren Antrag aus dem Beamtenverhältnis.

2.

Mit Bescheid vom 23. 8. 1984 forderte die Bekl. von der Kl. aufgrund der Verpflichtungserklärung vom 29. 8. 1977 4000,76 DM zurück. Nach erfolglosem Widerspruch wies das VG die Klage ab. Die Berufung der Kl. hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

3.

Der angefochtene Verwaltungsakt verletzt die Kl. deshalb in ihren Rechten, weil die Bekl. den streitigen Rückforderungsanspruch jedenfalls nicht hoheitlich durch Bescheid geltend machen durfte. Darauf, ob dieser Anspruch im vorliegenden Fall tatsächlich entstanden ist oder grundsätzlich begründet werden konnte (bejahend BVerwGE 52, 183 (191); Gürtner, ZBR 1981, 274; zur Problematik allgemein vgl. auch BVerwGE 30, 65 = NJW 1968, 2023; 1969, NJW Jahr 1969 Seite 629 L, m. Anm. Schmidt, NJW 1969, 616; BVerwGE 30, 77; 40, 237), kommt es nicht an.

4.

Die Bekl. stützt ihr Rückzahlungsverlangen auf die "Verpflichtungserklärung" der Kl. vom 29. 8. 1977, die ihrem Inhalt nach nur geeignet ist, eine rechtsgeschäftliche Rückzahlungsverpflichtung zu begründen. Dies folgt primär aus dem Text dieser Erklärung, in der sich die Kl. - in der "Ich-Form" - bereit erklärt, u. a. für den Fall ihres vorzeitigen Ausscheidens aus dem Beamtendienst einen Teil der Anwärterbezüge zu erstatten.

5.

Gegenteiliges ergibt sich nicht aus dem letzten Absatz der "Verpflichtungserklärung". Er deutet lediglich auf eine zeitlich vorangegangene mündliche Absprache zwischen den Bet. hin, deren Inhalt durch die Erwähnung in der (schriftlichen) "Verpflichtungserklärung" verbindlich gemacht werden sollte. Jedenfalls läßt die äußere Gestaltung der Verpflichtungserklärung nicht die Auslegung zu, die Kl. habe durch ihre Unterschrift eine einseitige Verfügung der Bekl. zur Kenntnis nehmen oder ihr zustimmen wollen (vgl. hierzu Kopp, VwVfG, 2. Aufl. (1980), § 54 Rdnr. 13, mit der diese eine nach § 59 V BBesG in der seit 1. 7. 1975 geltenden Fassung des Art. IX § 3 I des 2. Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern vom 23. 5. 1975 (BGBl S. 1173) zulässige "Rückzahlungsauflage" festgesetzt habe. Eine solche Interpretation würde zumindest voraussetzen, daß die Bekl. als Hoheitsträger als Urheberin des Schriftstücks erschiene, auf dem die Verpflichtungserklärung verkörpert ist, und nicht die Kl. als Privatperson.

6.

Es kann aber auch kein der Verpflichtungserklärung mündlich vorausliegender Verwaltungsakt mit einer "Rückzahlungsauflage" angenommen werden. Denn dann wäre nicht verständlich, weshalb die Beklagte der Kl. eine ausdrückliche Verpflichtungserklärung und nicht lediglich ein Empfangsbekenntnis (der einseitig verfügten Verpflichtung) oder eine Zustimmung bzw. einen Rechtsmittelverzicht abverlangt hat. Hinzu kommt die Überlegung, daß die Verpflichtungserklärung weit eher als ein rechtsgeschäftlicher Akt interpretiert werden kann. Ist sie aber zumindest mehrdeutig, geht dies zu Lasten der Bekl., die es in der Hand gehabt hätte, die Rechtslage eindeutig durch Erlaß eines Verwaltungsaktes zu gestalten (vgl. Kopp, § 37 Rdnr. 5 mit Nachw. der Rspr.).

7.

Die Verpflichtungserklärung könnte sich auch als ein (von der Bekl. mündlich gefordertes) Angebot zum Abschluß eines öffentlichrechtlichen Vertrages i. S. des Art. 54 II BayVwVfG auslegen lassen. Ein derartiger subordinationsrechtlicher Vertrag (vgl. Kopp, § 54 Rdnrn. 1, 20) kann nach dem Wortlaut der vorgenannten Bestimmung grundsätzlich an die Stelle eines Verwaltungsaktes treten. Durch ihn würde auch nicht das Verbot des § 2 II BBesG berührt, wonach die gesetzlich zustehende Besoldung nicht einer abweichenden vertraglichen Regelung zugänglich ist. Ebenso liegt in ihm kein unzulässiger Verzicht auf Dienstbezüge gem. § 2 III BBesG; er würde im Falle seiner Gültigkeit vielmehr einen selbständigen und durch § 59 V BBesG besonders zugelassenen Rückforderungsanspruch begründen.

8.

Problematisch ist allerdings, ob bei Abschluß des Vertrages die durch Art. 57 des seit 1. 1. 1977 geltenden Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes vorgeschriebene Schriftform gewahrt wurde. Hierbei glaubte die Bekl. offenbar, sich mit einer stillschweigenden Annahme (vgl. § BGB § 151 BGB) durch Beinahme der Verpflichtungserklärung zu den Akten begnügen zu können, wobei sie die Absicht hatte, von ihr gegebenenfalls später Gebrauch zu machen. Indessen hätte es bei analoger Anwendung des § 126 II BGB einer Unterzeichnung durch beide Parteien bedurft (vgl. Art. 62 S. 2 BayVwVfG i. V. mit § 126 II BGB). Es kann jedoch dahinstehen, ob der Vertrag aus diesem Grunde nichtig ist, denn selbst wenn § 126 BGB nicht maßgebend wäre (vgl. Sendler, NJW 1964, 2139) und mithin ein formgültiger Vertrag vorläge, änderte dies nichts daran, daß die Bekl. den Rückforderungsanspruch nicht durch Verwaltungsakt durchsetzen kann.

9.

Wie sich aus Art. 61 I 1 BayVwVfG ergibt, kann ein subordinationsrechtlicher Vertrag mit vollstreckbarem Inhalt nur kraft einer besonders und qualifiziert vereinbarten Unterwerfungsklausel vollstreckt werden. Fehlt sie, soll sich demzufolge kein Vertragsteil ohne Anrufung des VG im Wege einer Leistungsklage einen Titel verschaffen können. Nach ganz herrschender Rechtsprechung und Lehre kann deshalb auch der Hoheitsträger den vertraglichen Anspruch nicht durch Verwaltungsakt realisieren (vgl. Kopp, § 61 Rdnr. 4; Stelkens-Bonk-Leonhardt, VwVfG, § 61 Rdnr. 10, jeweils mit Nachw. der Rspr. und Lit.). Hierfür läßt sich insb. das Argument anführen, daß eine Behörde, die sich zuvor auf die Ebene der Gleichordnung begeben hat, nicht im nachhinein die Waffengleichheit verletzen darf (vgl. BVerwG, DÖV 1976, 353 (355)).

10.

Dieser Gesichtspunkt käme selbst dann zum Tragen, wenn die Verpflichtungserklärung nicht als Inhalt eines Vertrages, sondern als sonstige rechtsgeschäftliche Verpflichtung zu interpretieren wäre.

11.

I. V. mit § 12 II BBesG kann der Rückforderungsbescheid auch nicht unmittelbar auf § 59 V BBesG gestützt werden. Hiernach bedarf es zunächst der Festsetzung der "Auflage", die im Ermessen der Behörde steht. Dieses kann aus Gründen des Vertrauensschutzes prinzipiell nur vor Gewährung der Anwärterbezüge zu Lasten des Betr. ausgeübt werden. Diese Ermessenshandhabung, die im Hinblick auf Art. 39 I 3 BayVwVfG auch einer besonderen Begründung bedarf, ist im jeweiligen Einzelfall für das spätere Entstehen des Rückforderungsanspruchs erst "konstitutiv". Als unmittelbare Rechtsgrundlage für den letzteren würde § 59 V BBesG bei der gebotenen rechtsstaatlichen Auslegung schon seinem Wortlaut nach nicht ausreichen.