Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss vom 14.03.1980
- 157 VII 72
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 (weitere Fundstellen: KirchE 18, 66 f.)

 

 

Zum Sachverhalt:

1.

Der Kläger war Mieter einer Wohnung in H., die ca. 150 m von der dortigen kath. Pfarrkirche entfernt liegt; Eigentümer der Kirche ist die Kath. Kirchenstiftung H.

2.

Mit seiner im Verwaltungsrechtsweg erhobenen Klage erstrebte der Kläger ein Unterlassen des Glockenläutens in der Zeit von 20.00 bis 7.00 Uhr (mit Ausnahme von Ostern und Weihnachten); außerdem möchte er das Läuten um 11.00 Uhr vormittags unterbinden. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und der Klage den Erfolg versagt. Nachdem der Kläger im Laufe des Berufungsrechtszuges seinen Wohnsitz nach M. verlegt hatte, erklärten die Parteien übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt; sie beantragen jeweils, dem Gegner die Kosten aufzuerlegen.

3.

Der Verwaltungsgerichtshof belastet den Kläger mit den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

 

Aus den Gründen:

4.

Durch die übereinstimmende Erklärung der Parteien ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so daß nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden war (§ 161 Abs. 2 VwGO). Billigem Ermessen entspricht es in der Regel, die Verfahrenskosten der Partei aufzuerlegen, die ohne die Erledigung voraussichtlich unterlegen wäre (vgl. Eyermann/Fröhler, VwGO, 7. Aufl. 1977, RdNr. 13; Kopp, VwGO 4. Aufl. 1979, RdNr. 29 zu §161 VwGO). Die Kosten hat danach der Kläger zu tragen.

5.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts war für die vorliegende Unterlassungsklage der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO) nicht gegeben. Hierfür ist nicht allein ausreichend, daß sich die Klage gegen eine Untergliederung der katholischen Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts richtete. Es mußte vielmehr hinzukommen, daß diese mit dem angegriffenen Verhalten hoheitlich tätig wurde. Dies ist im Verhältnis zu dem Nachbarn, der sich durch das Läuten der Kirchenglocken gestört fühlt, jedoch nicht der Fall (vgl. von Campenhausen DVBl. 1972, 316/319; Stolleis BayVBl. 1972, 23; Palandt, BGB, 38. Aufl. 1979, Anm. 8 b zu § 906 BGB, jeweils m.w.N.). Die Klage dürfte ferner nicht gegen den richtigen Beklagten gerichtet gewesen sein. Eigentümerin und Verfügungsberechtigte des Läutwerks ist, wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat, die Kath. Kirchenstiftung H. Eine nachbarrechtliche Abwehrklage ist grundsätzlich gegen den (Verfügungsberechtigten) Eigentümer des Grundstücks zu richten, von dem die gerügten Einwirkungen ausgehen (vgl. Palandt, a. a. O. Anm. 4 zu § 862 u. 4 b zu § 1004 BGB). Es ist im übrigen nicht ersichtlich, nach welcher Bestimmung die Kath. Kirchengemeinde H. rechtsfähig sein sollte (vgl. auch Art. 4 Abs. 2 des Kirchensteuergesetzes i. d. F. v. 15.3.1967, GVBl. S. 317, zuletzt geändert durch Gesetz v. 23.12.1976, GVBl. S. 566). Sie hätte daher als solche nicht verklagt werden können.

6.

Die Klage hätte aber auch sachlich voraussichtlich keinen Erfolg haben können. Als Anspruchsgrundlage kämen, da der Kläger in einer gemieteten Wohnung wohnte, die §§ 858, 862 BGB in Betracht. Die Bestimmung der Häufigkeit und Dauer des Glockenläutens gehört zwar zum Bereich der inneren Angelegenheiten der Kirchen. Da sie aber durch diese Betätigung in den Bereich des durch das staatliche Recht geregelten Zusammenlebens der Bürger hineinwirken, unterliegen sie insoweit grundsätzlich den staatlichen Gesetzen, insbesondere dem bürgerlich-rechtlichen Nachbarrecht (vgl. v. Campenhausen, a. a. O., S. 313, 320; Stolleis, a. a. O., S. 24).

7.

Soweit sich die Klage gegen das Läuten nach 20.00 Uhr abends richtete, bestand, wie der Kläger im Ergebnis selbst einräumte, keine Wiederholungsgefahr; die Klage war in diesem Teil des Antrags schon deswegen unbegründet (vgl. Palandt, a. a. O., Anm. 6 b) bb) zu § 1004 BGB). Einzelne Störfälle wegen technischer Defekte des Läutwerks in den vorausgegangenen Jahren konnten eine Wiederholungsgefahr nicht begründen. Soweit sich der Kläger gegen das Läuten um 11.00 Uhr vormittags wandte, wäre die Klage deswegen unbegründet gewesen, weil hierin keine erhebliche Störung gesehen werden kann (vgl. § 906 Abs. 1 BGB). Bei der Beurteilung, ob es sich um eine wesentliche oder unwesentliche Beeinträchtigung handelt, kommt es auf das Empfinden des normalen Durchschnittsmenschen an (vgl. Palandt a. a. O., Anm. 3 a zu § 906 BGB). Danach kann in einem 2- bis 3minütigen Läuten einer Dorfkirche am späten Vormittag keine wesentliche Beeinträchtigung gesehen werden. Dieser Zeitpunkt fällt in die allgemeine Arbeitszeit, in der kein besonderes Ruhebedürfnis besteht. Der Kläger hat auch nicht konkret vorgetragen, warum er um diese Zeit besonders belästigt gewesen sein sollte. Sein Vortrag, er wolle das insgesamt zu viele Läuten in seinen gröbsten Auswüchsen eindämmen, legt vielmehr die Möglichkeit eines Rechtsmißbrauchs nahe.

8.

Die Klage hätte aber auch voraussichtlich keinen Erfolg haben können, soweit der Kläger damit die Verlegung des morgendlichen Läutens von 6.00 Uhr auf 7.00 Uhr erreichen wollte. Der Abwägung des Verwaltungsgerichts hierzu ist im Ergebnis beizutreten. Dem Abwehrrecht des Eigentümers oder Besitzers benachbarter Grundstücke (§§ 862, 1004 BGB) steht das Recht der Kirchen auf ungestörte Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG, Art. 107 Abs. 2 BV) gegenüber. Das Läuten der Kirchenglocken aus liturgischen Gründen — aus solchen Gründen wurde auch im vorliegenden Fall um 6.00 Uhr morgens geläutet — gehört nach nahezu unbestrittener Auffassung zur Religionsausübung (vgl. BVerfGE 24, 236 [246]; BVerwGE 18, 341 [345]; Stolleis, a. a. O., S. 23; v. Campenhausen, a. a. O., S. 316 m. w. N.). Dieses Recht unterliegt zwar den immanenten Schranken der Rechte anderer (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG) und der Wahrung der äußersten Grenzen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. Stolleis, a. a. O., S. 24; v. Campenhausen, a. a. O., S. 317f.). In Abwägung der Interessen einzelner sich belästigt fühlender Nachbarn mit dem Grundrecht aus Art.4 Abs.2 GG, Art. 107 Abs.2 BV wird aber eine wesentliche Belästigung, die zu einem Unterlassungsanspruch führen könnte, nur in besonderen Ausnahmefällen gegeben sein, in denen zweifelsfrei eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben ist, die unter dem Gesichtspunkt der polizeilichen Gefahrenabwehr ein Einschreiten erfordert. Rechtsprechung und juristisches Schrifttum verneinen daher grundsätzlich einen Unterlassungsanspruch des sich belästigt fühlenden Nachbarn gegenüber kirchlichem Glockengeläute (vgl. v. Campenhausen, a. a. O., S. 316, 318 m. Nachw.; Stolleis, a. a. O., S. 24; Palandt, a. a. O., Anm. 1 e a. E. u. Anm. 5 a] cc] zu § 906 BGB). Dieser Meinung wäre voraussichtlich auch im vorliegenden Fall zu folgen gewesen. Für die Beurteilung der Erheblichkeit der behaupteten Störung im nachbarrechtlichen Sinn sind auch die hierfür geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften heranzuziehen (vgl. Palandt, a. a. O., Anm. 1 e a. E. zu § 906 BGB). Der bayerische Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 Nr.2 des Bayer. Immissionsschutzgesetzes (BayImSchG) vom 8. Oktober 1974 (GVBl. S. 499, zuletzt geändert durch Gesetz v. 11.8. 1978, GVBl. S. 525) das kirchliche Glockengeläute ausdrücklich vom Verbot der Verbreitung von Schallzeichen ausgenommen. Dieses ist auch nicht den auf die Zeit von 22.00 bis 7.00 Uhr grundsätzlich untersagten, störenden Betätigungen (vgl. Art. 11 Abs. 3 BayImSchG) zuzurechnen. Hieraus kann der Schluß gezogen werden, daß der bayerische Gesetzgeber kirchliches Glockengeläute grundsätzlich nicht als beeinträchtigende, erhebliche Geräuschbelästigung ansieht. Daß im vorliegenden Fall besondere Verhältnisse eine andere Entscheidung erfordert hätten, ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat weder substantiiert geltend gemacht, daß das Geläute der Kirche in H. durch besondere Lautstärke die Grenze der Zumutbarkeit überschritten hätte, noch daß in seiner Person besondere Umstände gelegen hätten, die eine vom Regelfall abweichende Beurteilung erfordert hätten. H. war im übrigen eine kleine Landgemeinde mit wenigen hundert Einwohnern nahezu ausschließlich katholischer Konfession. Beschwerden wurden sonst nicht erhoben. Das Geläute dauerte auch in der Frühe nur 2 bis 3 Minuten. Die Kirchenglocken wurden in H. unbestritten seit jeher um 6.00 Uhr morgens .geläutet, so daß auch dem Gesichtspunkt der Ortsüblichkeit (vgl. § 906 Abs.2 BGB) erhebliche Bedeutung beizumessen gewesen wäre. Hierauf kommt es jedoch angesichts der Sach- und Rechtslage im übrigen nicht mehr an.

9.

Da nach allem der Kläger im weiteren Verfahren voraussichtlich unterlegen wäre, erschien es billigem Ermessen (§ 161 Abs. 2 VwGO) entsprechend, ihm die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.