Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss vom 14.10.2002
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4 TG 2028/02 -

(weitere Fundstellen: NVwZ-RR 2003, 720 f.)

Tatbestand

1.

Die Ast. begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Verfügung der Ag., mit der ihr die Nutzung eines Relaxzentrums zum Zwecke der Prostitution untersagt worden ist.

2.

Das VG gab dem Antrag statt. Die dagegen erhobene Beschwerde der Ag. war erfolgreich.

Aus den Gründen:

3.

Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, denn das VG hat dem Antrag der Ast. auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Nutzungsuntersagungsverfügung der Ag. zu Unrecht stattgegeben.

4.

Der Antrag ist unbegründet. Die angefochtene Verfügung der Ag. ist offensichtlich rechtmäßig. Bei dieser Sachlage überwiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts, da es an einem schutzwürdigen privaten Interesse der Ast. fehlt, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakts verschont zu bleiben. Nach der in den Bauvorlagen enthaltenen Betriebsbeschreibung, die Bestandteil der Baugenehmigung vom 22. 12. 1997 ist, dient das Relaxzentrum der Erholung und ist mit diversen Anlagen wie Schwimmbad, Sauna, Whirlpool, Massagebereich, Solarium und Bar ausgestattet. Auf Grund dieser Betriebsbeschreibung ist die Ag. zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Relaxzentrum um eine Art Wellness-Einrichtung handelt, die u. a. der Freizeitgestaltung und Unterhaltung der Besucher dient und damit wesentliche Elemente einer Vergnügungsstätte aufweist. Die Kombination von Sauna, Massagebereich, Whirlpool, Schwimmbad und Bar ergibt, dass nicht gesundheitliche und sportliche Zwecke, sondern Unterhaltung, Entspannung und angenehme Freizeitgestaltung im Vordergrund stehen.

5.

Tatsächlich betreibt die Ast. in den Räumlichkeiten, des Relaxzentrums auf Grund der im vorliegenden Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ohne die hierfür nach § 62 I HessBauO 1993 (jetzt § 54 II i. V. mit § 55 III Nr. 1 Anl. 2 HessBauO v. 16. 6. 2002, GVBl I, 274) erforderliche Baugenehmigung einen bordellartigen Betrieb, der eine von der erteilten Baugenehmigung abweichende Nutzung darstellt. Für die bordellartige Nutzung des Relaxzentrums sprechen die von der Ag. vorgelegten Internet-Seiten mit u. a. Fotos von mehreren Personen beim Geschlechtsverkehr und anderen sexuellen Handlungen. Weiter spricht für einen bordellartigen Betrieb das Ergebnis der staatsanwaltlichen Untersuchung des Relaxzentrums vom 6. 2. 2002, bei der mehrere männliche Besucher bestätigt haben, für Geschlechtsverkehr 50 Euro gezahlt zu haben. In der von der Ag. vorgelegten polizeilichen Zeugenaussage der D vom 7. 2. 2002 bestätigt diese, im Relaxzentrum als Prostituierte gearbeitet zu haben. Für die Nutzung als bordellartiger Betrieb sprechen weiter die von der Ag. vorgelegten Pläne über die Arbeitszeit der Frauen im Relaxzentrum in der Zeit vom 21. 1. bis 17. 2. 2002 sowie eine vorgelegte Liste, in der festgelegt ist, welche Frau wo schläft. All dies spricht dafür, dass das Relaxzentrum als bordellartiger Betrieb genutzt wird. Ob es sich bei Bordellen oder bordellartigen Betrieben um Vergnügungsstätten oder sonstige Gewerbebetriebe im Sinne der Baunutzungsverordnung handelt, ist umstritten (allenfalls als eine atypische Art der von der Baunutzungsverordnung gemeinten Vergnügungsstätte angesehen von BVerwG, NVwZ-RR 1998, 540 = BRS 59 Nr. 62; als Vergnügungsstätte angesehen von Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, 23. Lfg., Stand: Okt. 1993, § 4a BauNVO Rdnr. 70; nicht als Vergnügungsstätte, sondern als sonstige Gewerbebetriebe angesehen von Bielenberg, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Lfg. 55, Stand: Febr. 1997, § 4 a BauNVO Rdnr. 58 a; Fickert/Fieseler, BauNVO, 9. Aufl., § 4 a Rdnr. 23.73 „Gewerbebetrieb sui generis"; VG Freiburg, NVwZ 2001, 1442 = BRS 63 Nr. 81) kann hier jedoch offen bleiben, weil es rechtlich darauf nicht ankommt. Die bordellartige Nutzung einer Anlage, die lediglich als eine Art Wellness-Betrieb genehmigt worden ist, stellt eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. Eine Nutzungsänderung liegt vor, wenn die neue Nutzung sich von der bisher genehmigten Nutzung dadurch unterscheidet, dass sie anderen oder weitergehenden Forderungen baurechtlicher Art unterworfen ist oder unterworfen sein kann, wobei nicht nur bauordnungsrechtliche oder bauplanungsrechtliche Vorschriften maßgebend sind, sondern auch andere öffentlich-rechtliche Vorschriften mit auf die jeweilige Nutzungsänderung anwendbarem baulichen Bezug. Zwar ist nicht jede Änderung der Nutzung einer baulichen Anlage i. S. des § 29 I BauGB zugleich auch eine Nutzungsänderung im Sinne dieser Regelung, vielmehr ist erforderlich, wie das VG zutreffend ausführt, dass sie darüber hinaus durch die Berührung von Belangen i.S. des § 1 V BauGB bodenrechtlich relevant wird und die Genehmigungsfrage erneut aufwirft (BVerwG, NJW 1977, 1932 = BauR 1977, 253 f.). Eine Nutzungsänderung liegt vor, sobald die der genehmigten Nutzung innewohnende Variationsbreite überschritten wird und der neuen Nutzung unter städtebaulichen Gesichtspunkten eine andere Qualität zukommt (BVerwG, NVwZ-RR 2000, 758 = BRS 63 Nr. 173). Dafür, ob sich die Genehmigungsfrage in diesem Sinne neu stellt, kommt es nicht darauf an, ob die bisher genehmigte und die tatsächlich ausgeübte Nutzung gleichermaßen als eine Vergnügungsstätte i. S. des § 7 II BauGB zu bewerten sind. Es genügt, dass die Änderung die in § 1 V BauGB genannten Belange berühren kann (BVerwG, NVwZ 1989, 666 = BauR 1989, 308 f). Das ist hier der Fall. Durch die Änderung eines Betriebes, der in der Art eines Wellness-Betriebes genehmigt worden ist, in einen bordellartigen Betrieb können insbesondere die Belange von Sport, Freizeit und Erholung (§ 1 V Nr. 3 BauGB) berührt werden. Darüber hinaus kann auf Grund der in der Betriebsbeschreibung für das Relaxzentrum gemachten Angabe von 5 weiblichen Mitarbeiterinnen und der tatsächlich deutlich höheren Zahl weiblicher Mitarbeiterinnen die Stellplatzfrage einer erneuten Überprüfung unterzogen werden.

6.

Soweit die Ast. geltend macht, die Ag. habe ihre Befugnis zum Einschreiten durch ihre Stellungnahme zu dem Bauantrag betreffend die Nutzungsänderung der Anlage zum Zwecke der Prostitution verwirkt, kann sie damit schon deshalb keinen Erfolg haben, weil diese Befugnis nicht verwirkt werden kann (VGH Kassel, NVwZ 1986, 683 = BRS 44 Nr. 198). Dies folgt u. a. daraus, dass nur Rechte, nicht aber Pflichten verwirkt werden können (vgl. hierzu Decker, in: Simon/Busse, BayBauO, Stand: Febr. 2000, Art. 82 Rdnr. 210).

7.

Die Ag. hat von dem ihr nach § 78 I HessBauO eingeräumten Ermessen nicht in fehlerhafter Weise Gebrauch gemacht. Bei dem Erlass eines Nutzungsverbots genügt es in der Regel, wenn die Bauaufsichtsbehörde deutlich macht, dass der beanstandete Zustand wegen seiner Rechtswidrigkeit beseitigt werden müsse.

8.

Anhaltspunkte dafür, den Grundsatz, dass die formelle Illegalität einer baulichen Anlage ein sofort vollziehbares Nutzungsverbot rechtfertigt, hier ausnahmsweise nicht anzuwenden, sind nicht gegeben. Eine Ermessenseinschränkung könnte in Betracht kommen, wenn ein nach Auffassung der Bauaufsichtsbehörde genehmigungsfähiger Bauantrag über die Nutzungsänderung vorliegt oder die zulässige Nutzung von der Bauaufsichtsbehörde über einen längeren Zeitraum mir deren Wissen und Wollen geduldet worden ist (vgl. Decker, Art. 82 Rdnr. 341).

9.

Dies ist hier jedoch nicht der Fall.