Badischer Verwaltungsgerichtshof Freiburg
Urteil vom 15. Februar 1954
- 13/53 -

(weitere Fundstellen: DÖV 1954, 375 ff.)

Leitsätze:

1.

Auf die Ausstellung eines Reisepasses oder Paßersatzes (Grenzkarte) besteht ein auf das PaßG gegründeter, nicht jedoch verfassungsrechtlich geschützter Rechtsanspruch.

2.

Die Paßversagung nach § 7 Ia PaßG ist kein der verw.-gerichtl. Überprüfung entzogener Regierungsakt, sondern ein VerwAkt.

3.

Die gerichtl. Nachprüfung einer Paßversagung nach § 7 Ia umfaßt die Überprüfung der angeführten konkreten Tatsachen und die Feststellung, ob diese Tatsachen und die Feststellung, ob diese Tatsachen abstrakt geeignet sind, die in § 7 Ia geforderte Staatsgefährdung zu erfüllen.

4.

Die Zugehörigkeit zu bestimmten Organisationen ist allein kein ausreichender Versagungsgrund; entscheidend ist der Umfang der aktiven Betätigung in diesen Organisationen.

Aus den Gründen:

1.

I. Auf Ausstellung eines Passes und demnach auch auf die Ausstellung der insoweit gem. § 7 PaßG einem Passe gleichgestellten Grenzkarte besteht ein auf das PaßG gegründeter Rechtsanspruch.

2.

a) Der Gerichtshof kann sich nicht der vom Vorderrichter vertretenen Auffassung anschließen, daß der Einzelne ein verfassungsmäßig verbürgtes Recht habe, den Herrschaftsbereich des Bundesgebietes zu verlassen. Ein solches Recht ist in den Grundrechten weder ausdrücklich aufgenommen, noch läßt es sich aus Art. 11 GG (so Mangoldt, Komm. Anm. 2 und Vorbem. 12 zu den Grundrechten) oder Art. 2 GG (so Wernicke im Bonner Komm. Anm. IIe zu Art. 11, Wolff Anm. 2 zu § 7 PaßG) folgern. Die von Mangoldt (aaO) vertretene Auffassung, das Ein- und Ausreiserecht sei implicite im Recht der Freizügigkeit enthalten, widerspricht dem Wortlaut des Art. 11 GG, der Freizügigkeit nur innerhalb des Bundesgebietes gewährleistet. Es ist auch nicht angängig, das Recht, die Grenzen des Staates zu überschreiten, als zum Grundrecht der freien Persönlichkeitsentfaltung i.S. des Art. 2 GG gehörend anzusehen. Diese Annahme würde, da die in Art. 2 normierten Grundrechte "jedermann" und nicht nur den Deutschen zustehen, zu der bedenklichen Folge führen, daß auch einem Ausländer das Recht der freien Ein- und Ausreise zugestanden würde. Die Lage des Ausländers ist aber wohl von der des Inländers zu scheiden, da erstere auch von zwischenstaatlichen Abmachungen weitgehend beeinflußt ist. Die Annahme eines Grundrechtes erscheint staatsrechtlich nicht vertretbar. Der Staat ist ein Gemeinwesen mit eigenem Staatsgebiet, eigenem Staatsvolk und eigener Staatsgewalt. Dem Staate steht ursprünglich aus der ihm innewohnenden Kraft einer Selbsterhaltung die Befugnis und die Macht zu, das Betreten und Verlassen seines Staatsgebietes durch die Angehöri8gen seines Staatsvolkes und erst recht von Staatsfremden nach den politischen Notwendigkeiten zu regeln. Daher kann der Einzelne nicht ein hiergegen gerichtetes, im Wesen unantastbares Grundrecht besitzen.

3.

b)Der Staat ist jedoch nicht daran gehindert, sowohl durch zwischenstaatliche Abmachung sich dieses Rechtes zur Einschränkung der Grenzüberschreitung beliebig zu begeben und so "Freizügigkeit über die staatlichen Grenzen" zu schaffen, als auch innerstaatlich durch Gesetz dem Einzelnen unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf Überschreiten der Grenzen zu garantieren. Ein solches Recht hat der Gesetzgeber, wenn auch nicht ausdrücklich, im PaßG normiert und damit der modernen Verkehrs- und Wirtschaftsentwicklung, die den Weg von Staat zu Staat verkürzt und den Verkehr über die Grenzen zu einer Lebensnotwendigkeit macht, Rechnung getragen. Das Gesetz geht davon aus, daß ein Paß, der neben anderen Rechtswirkungen in erster Linie eine Legitimation des Inhabers von Staat zu Staat bedeutet, grundsätzlich zu erteilen ist. Nur ganz bestimmte, scharf umrissene Tatbestände, die im § 7 des Gesetzes einzeln und erschöpfend aufgeführt sind (vgl. hierzu §15d AVV zum PaßG v. 15.11.1952 – Banz. 164 S 1 und Bekanntmachung des BMI v. 7.1..1954 – GMB. 1954 S. 47) geben die Berechtigung zur Versagung eines Passes. Der Gesetzgeber hat damit die Ein- und Ausreisefreiheit festgelegt und lediglich durch Beibehaltung des Paßzwanges diese Freiheit unter Erlaubnisvorbehalt gestellt. Die Erteilung dieser gebundenen Erlaubnis ist den Paßbehörden, also der Verwaltung übertragen und in einem nach rechtsstaatlichen Prinzipien geordneten Verfahren geregelt.

4.

Paßerteilung und Paßversagung sind daher Verwaltungsakte (so auch Urt. Des LVG Düsseldorf v. 10.7.1953 10 K 363/52 und Urt. Des VG Bremen v 20.1.1953 A 184/52).

5.

II. Die angefochtene Vfg. ist allein auf § 7 Ia gestützt, wonach ein Paß zu versagen ist, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Ast. Als Inhaber eines Passes die innere oder Äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland oder eines deutschen Landes gefährdet.

6.

1. Der Gerichtshof teilt nicht die in dem angef. Urt. Vertretene Auffassung, daß eine Überprüfung der vorliegenden Tatsachen darauf, ob durch die eine Gefährdung der Sicherheit oder erheblicher Belange des Staates erfolgen könne, durch das Gericht nicht möglich sei. Dem angef. Urt. ist zwar darin zuzustimmen, daß die Entsch. Darüber, ob jemand als Inhaber eines Passes erhebliche Belange des Staates oder dessen Sicherheit gefährdet, zumindest zu einem wesentlichen Teil einen politischen Inhalt hat. Der Gerichtshof hält auch die nicht unumstrittene Auffassung des angef. Urt. für zutreffend, daß es Entscheidungen der polit. Führung gibt, die gerichtlich nicht überprüfbare Hoheitsakte sind (vg. hierzu Smend, Die politische Gewalt im Verfassungsstaat in Festg. F. Kahl (1923) III; Scheuner, der Bereich der Regierung in Festg. f. Smend (1951) S. 253 ff.; Schneider, Gerichtsfreie Hoheitsakte 1951; Klein in Veröffl. d. Vereinigung dtsch. Staatsrechtslehrer, Heft 8, 1950; Loening DVBl 1951, 223 und 775; van Husen DVBl. 1953, 709; OVG Berlin JZ 1953, 644).

7.

Bei der Paßversagung nach § 7 Ia trifft dies jedoch nicht zu. Der Gesetzgeber hat durch das PaßG ausdrücklich die Befugnis zur Paßerteilung und Paßversagung in allen Fällen der Verwaltung übertragen und in § 10 PaßG die ausschließliche Zuständigkeit der Paßbehörden – das sind nach länderrecht im allg. die unter Verwbehörden – begründet. Diese Entscheidungen der Verwbehörden sind in jedem Falle, auch wenn sie in ihrem Inhalte mehr oder weniger auf politischen Erwägungen beruhen, gerichtlich überprüfbare VAe. Das Merkmal eines polit. Inhaltes allein schließt das Vorhandensein eines überprüfbaren VA nicht aus. Soweit ein Verwaltungshandeln der Wahrung von Belangen des Staates oder eines sonstigen Gemeinwesens dient, hat es immer auch einen polt. Inhalt. Der nicht überprüfbare Regierungsakt unterscheidet sich vom VA daher nicht durch das Merkmal der Zugehörigkeit zum Politischen. Regierungsakte sind nur die der "politischen Führung" als "Regierungsgewalt" (so Smend und Scheuner aaO) zukommenden grundlegenden und wichtigen politischen Entscheidungen, die aus dem Bereich der Verwaltung ausgeschieden und letztlich staatsrechtliche Vorgänge sind (vgl. Schlochauer, ArchÖffR 79, 184 ff., 192). Selbst wenn die Paßversagung nach § 7 Ia im Einzelfalle, was möglich wäre, eine Entsch. von besonderer polit. Wichtigkeit darstellte, so würde sie dennoch, nachdem sie durch das PaßG in jedem Falle zu einer Verwaltungsentscheidung gemacht ist, nach Art. 19 IV GG überprüfbar bleiben.

8.

Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob die Paßversagung im vorl. Falle auf einer Weisung einer polt. Führungsstelle beruht.

9.

2. Bei der auf § 7 Ia gestützten Vfg. ist zunächst in Auslegung des gesetzlichen Tatbestandes Art und Umfang der zulässigen gerichtlichen Nachprüfung abzugrenzen. Während § 7 II PaßG für die dort normierten drei Versagungsgründe die Formulierung verwendet "der Paß ist zu versagen, wenn", hat der Gesetzgeber für die in § 7 I PaßG genannten fünf Versagungsgründe die Formel gewählt "der Paß ist zu versagen, wenn Tatschen die Annahme rechtfertigen, daß". Für beide Fälle gilt gemeinsam, daß die Formel "ist zu versagen" zwingend ist und keinen Ermessenspielraum zuläßt. Dieser Zwang erhält aber in Abs. 1 durch den Zusatz "wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen" eine Einschränkung. Im Abs. 2 ist jeweils eine genaue bestimmte Tatsache ein Versagungsgrund, im Abs. 1 sollen vom Gesetzgeber nicht im Einzelnen gekennzeichnete Tatsachen durch die Paßbehörde erst auf ihre Eignung als Versagungsgrund gewertet werden. Es kann in Anbetracht des Wortlautes des § 7 I PaßG also nicht darauf ankommen, daß die Behändigung des Passes selbst wesentliche Belange des Staates gefährdet, sondern nur darauf, daß die Annahme einer Gefährdung gerechtfertigt erscheint. Das Gesetz knüpft nicht an einen genau umrissenen Tatbestand eine Rechtsfolge, sondern verlangt von der Verwbehörde eine besondere Wertung. Die Verwbehörde muß entscheiden, ob ein gegebener Sachverhalt die Annahme rechtfertigt, den gesetzlichen Tatbestand zu erfüllen. Es handelt sich nach dieser Gesetzesformulierung nicht um eine einfache Subsumtion, sondern um eine objektiv und insoweit auch gerichtlich überprüfbare Wertung, die nicht dem Bereich des verwaltungsmäßigen Ermessens angehört. Ein Ermessen ist der Behörde nicht eingeräumt, da die zwingend anzustellende Prüfung der Tatsachen nur eine objektiv richtige Deutung zulassen und sich aus dem Ergebnis dieser Wertung die Rechtsfolge ergibt. Entscheidend ist, ob eine solche Wertung unter Zugrundelegung logischer Maßstäbe eine Ablehnung zu tragen vermag.

10.

Im verw.gerichtl. Verfahren der Versagung nach § 7 I PaßG hat das Gericht daher a) die in der ablehnenden Vfg. zugrunde gelegten Tatsachen auf ihr wahrheitsgemäßes Vorliegen zu prüfen und b) festzustellen, ob diese für den Einzelfall der Ablehnung festgestellten Tatsachen geeignet sind, den gesetzlichen Tatbestand des § 7 I, auf den sich die Vfg. stützt, zu erfüllen.

11.

3. Die Organisationen, denen der Kl. angehört, richten sich nach dem Beschl. der Bundesregierung v. 24.4.1951 (veröffl. Im Bad. MinBl. 1951 S. 125) gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik. Nach dem Beschl. der Bundesregierung sind sie "daher durch Art. 9 II 2 GG kraft Gesetzes verboten". Der Gerichtshof hält diesen Beschl. für einen verw.-gerichtl. nicht nachprüfbaren Akt. Die nicht ganz unumstrittene Frage, ob die Bundesregierung verfassungsmäßig zu diesem Beschl. legitimiert war, ist für den vorl. Rechtsstreit unbeachtlich. Entscheidend ist allein, daß die in diesem Beschl. enthaltene polit. Entsch. der "Regierungsgewalt" auf ihren materiellen Gehalt wenigstens im VertwStreitverf. unüberprüfbar bleibt. Es ist demnach ohne weitere Prüfung davon auszugehen, daß der Kl. mehreren Organisationen angehört, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik gerichtet sind. Es bedarf insbes. keines Eingehens auf das Vorbringen des Kl., die Organisationen verfolgten keinen der Verfassung der Bundesrepublik gefährlichen Zweck.

12.

Die Zugehörigkeit zu solchen verschiedenen Organisationen allein ist jedoch noch kein ausreichender Grund zur Versagung eines Passes bzw. einer Grenzkarte (vgl. § 15 AVV zum PaßG; o.g. Urt. d. LVG Düsseldorf; a. Ans. Urt. d. VG München v. 27.8.1953 Az. V – 5058/53). Zu der passiven Zugehörigkeit muß eine aktive Tätigkeit in den verbotenen Einrichtungen treten, deren Umfang allein erst entscheidend ist