Verwaltungsgericht Würzburg
Beschluss vom 1.6.1971
- 391 II 71
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(weitere Fundstellen: BayVBl. 1972, 23 f.)

Leitsätze

1.

Für das Begehren, das Geläute von Kirchenglocken zu unterbinden bzw. einzuschränken, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

2.

Nach dem geltenden Recht der anerkannten Religionsgemeinschaften ist es ausschließlich Sache der jeweiligen Kirchengemeinde. Wann und mit wieviel Glocken sie ihre Angehörigen zum Besuch der Gottesdienste u. dgl. einlädt.

Aus den Gründen:

I.

1.

Der Antragsteller ist von Beruf technischer Kaufmann. Er wohnt in der Gemeinde Hobbach, ca. 150 m von der dortigen kath. Kirche entfernt. Das Geläute dieser Kirche besteht aus drei Glocken, die automatisch bedient werden. Die Gemeinde Hobbach hat etwa 770 Einwohner, 95% sind römisch-kath. Konfession.

2.

Mit Schreiben vom 29. 1. 1971 wandte sich der Antragsteller an das Kath. Pfarramt in Sommerau und brachte im wesentlichen folgendes vor: Durch das mehrfache Geläute um 6.00 Uhr früh werde dem von langer Arbeit Ausruhenden der verdiente Schlaf verwehrt. Mehrfacher Glockenlärm mit mehrfachem Wecken zu nachtschlafender Zeit ruiniere die davon betroffenen Menschen gesundheitlich. Im Zeitalter der notwendigen Lärmeindämmung dürfe das Läuten nur mit der gebotenen Verantwortung erfolgen. Demgegenüber könne man sich nicht auf die Tradition berufen, da diese gegenüber Wandlungen und Entwicklungen nicht unbesehen Gültigkeit habe. Der Umweltschutz sei nunmehr höher zu stellen als die Tradition der Kirche.

3.

Mit Beschluß vom 1. 6. 1971 lehnte das Verwaltungsgericht Würzburg den Antrag des Antragstellers auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ab, mit der er insbesondere begehrte, der „Kirche Hobbach" sofort zu verbieten, tagtäglich und regelmäßig, sowie minutenlang andauernd schon zu nachtschlafender Stunde um 6.00 Uhr früh mit einer den Schlaf raubenden Lautstärke von 80 Phon zu läuten.

II.

4.

Für das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VwGO eröffnet. Die vom Antragsteller angegriffene Maßnahme der Antragsgegnerin, das Glockenläuten, wurzelt im öffentlichen Recht. Die Antragsgegnerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts; sie nimmt in dieser Eigenschaft hoheitliche Funktionen wahr. Zu diesen hoheitlichen Funktionen gehört auch das kirchliche Geläute. Zwar fallen bei den Angelegenheiten der Religionsgesellschaften Handlungen, die lediglich der Pflege, Bewahrung und Fortentwicklung der von ihnen verkörperten Glaubensidee dienen, nicht unter dem Begriff der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit im Sinne des § 40 VwGO. Andererseits ist es jedoch anerkannt, daß eine Tätigkeit der Kirche, die nicht nur innerkirchliche Belange: betrifft, sondern auch staatliche Belange berührt, nicht der Kontrolle durch staatliche Gerichte entzogen sein kann. Unter dem vom Antragsteller angesprochenen Gesichtspunkt des Lärmschutzes werden durch das Geläute zumindest auch staatliche Belange berührt, denn es ist Aufgabe des Staates, im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Gesundheit seiner Bürger zu gewährleisten.

5.

Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung kann jedoch schon deshalb keinen Erfolg haben, weil im vorliegenden Fall kein Anordnungsanspruch des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin besteht. Denn durch das Geläute werden Rechte des Antragstellers nicht verletzt. Das in Art. 4 Abs. 2 GG gewährte Recht auf ungestörte Religionsausübung umfaßt u. a. auch das Recht auf Glocken als hergebrachte Symbole der christlichen Kirche. Außerdem besteht eine Privilegierung und Anerkennung der Kirchen und Religionsgemeinschaften gemäß Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 Abs. 3 WRV, die ihre Angelegenheiten ohne jede Bevormundung selbständig ordnen und verwalten. Das Glockenläuten ist ein Teil des religiösen Lebens. Kirchenglocken gehören als res sacrae zu den öffentlichen Sachen, nehmen dabei aber eine gewisse Sonderstellung ein. Das Recht zur selbständigen Regelung des Läuterechts ergibt sich aus der staatlichen Anerkennung der Kirche in reinen Kirchenangelegenheiten und ist damit öffentlich-rechtlicher Natur, Wann und mit wieviel Glocken geläutet wird (Läuterecht), ist ausschließlich Sache der jeweiligen Kirchengemeinde. Nach dem geltenden Recht der anerkannten Religionsgemeinschaften ist es eine besondere und wichtige Befugnis der Kirche, ihre Angehörigen zu bestimmten Zeiten oder auch bei außergewöhnlichen Gelegenheiten durch Glockengeläute zu Andachtsübungen anzuregen oder zum Besuch der Gottesdienste usw. einzuladen.

6.

Dieser Rechtslage hat auch der bayer. Gesetzgeber bei der Regelung der Materie‚ „Lärm" in besondere Weise durch Art. 18 f Abs. 3 Nr. 1 LStVG Rechnung getragen. Danach sind von der Verbotsbestimmung des Art. 18 f Abs. 2 Ziff. 2 LStVG ausdrücklich „Glockenzeichen" zu kirchlichen und öffentlichen Zwecken ausgenommen. Zu den Glockenzeichen i. S. dieser Bestimmung gehören auch elektrisch erzeugte Glockenzeichen und elektronisches Geläute. Glockenzeichen zu kirchlichen oder öffentlichen Zwecken gelten also kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht als Lärmbelästigung, mag auch der Antragsteller sie subjektiv als solche empfinden.

7.

Auch aus § 360 Abs. 1 Ziff. 1 StGB (ruhestörender Lärm) i. V. mit Art. 5 Abs. 1 AGStPO kann der Antragsteller einen Anordnungsanspruch schon deshalb nicht herleiten, weil der Klang einer Kirchenglocke bereits tatbestandsmäßig nicht unter § 360 Abs. 1 Ziff. 11 StGB fällt.

8.

Nach alledem konnte der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg haben. Er war daher abzuweisen.