Verwaltungsgericht Stuttgart
Urteil vom 13.11.1996
- 3 K 896/96
-

(weitere Fundstellen: NVwZ-RR 1989, 103 f.)

Zum Sachverhalt:

1.

Der Kl. wendet sich dagegen, daß er mehrfach in der Stuttgarter Innenstadt bei einer Polizeikontrolle als Mitglied der Drogenszene eingestuft, im Zuge der Maßnahmen der Bekl. gegen die offene Drogenszene mit Aufenthaltsverboten belegt wurde und ihm die Bekl. weitere Maßnahmen angekündigt hat, um ihn von der Drogenszene fernzuhalten.

2.

Die Klage hatte teilweise Erfolg.

Aus den Gründen:

3.

I. Die Klageänderung ist für alle drei neu eingeführten Streitgegenstände zulässig. Einer Einwilligung der Bekl. in die Klageänderung bedarf es nicht, weil das Gericht die Änderung für sachdienlich hält (§ 91 I VwGO). Die Bekl. kann auch nicht einwenden, sie habe kein ausreichendes rechtliches Gehör zu dieser Möglichkeit erhalten; sie ist vom Gericht noch vor der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden, daß sich wegen ihrer weiteren Maßnahmen am 15. 10. 1996 eine Klageänderung ergeben könnte.

4.

1. Der Kl. verfolgt in erster Linie nunmehr noch das Klageziel, zu verhindern, daß die Bekl. ihn unter Inanspruchnahme der Vollzugshilfe des Polizeivollzugsdienstes im Falle eines erneuten Antreffens in der offenen Drogenszene in Stuttgart mit den in der Allgemeinverfügung "Polizeiliche Maßnahmen gegen die offene Drogenszene" i.d.F. vom 20. 6. 1996 beschriebenen Polizeimaßnahmen belegt. Sein Antrag ist trotz der Formulierung als Feststellungsantrag wegen des Vorrangs der Gestaltung- oder Leistungsklage nach § 43 II 1 VwGO sachdienlich als vorbeugende Unterlassungsklage auszulegen (zu ihrer grundsätzlichen Zulässigkeit gegenüber polizeilichen Maßnahmen der vorbeugenden Gefahrenabwehr vgl. Lisken/Denninger, Hdb. PolR, 2. Aufl. (1997), Rdnrn. K 31ff.; zum Vorrang gegenüber der Feststellungsklage vgl. VGH Mannheim, DVBl 1995, 367 = MDR 1995, 539 = VBlBW 1995, 354 (356)). Die Kammer hält es angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falls für zulässig, daß der Kl. in dieser Weise vorbeugenden Rechtsschutz begehrt, ohne das Ergehen weiterer einschlägiger Verwaltungsakte gegen ihn abzuwarten und gegen diese ggf. mit Widerspruch und nachfolgender Anfechtungsklage vorzugehen.

5.

Der Kl. ist aufgrund der in den Behördenakten enthaltenen Antreffberichte, deren Richtigkeit er nicht bestreitet, der offenen Drogenszene in Stuttgart zuzurechnen. Der Kl. muß deswegen konkret in naher Zukunft mit weiteren Maßnahmen der Bekl. gegen ihn im Zusammenhang mit der Bekämpfung der offenen Drogenszene rechnen. Gerade weil die Bekl. gegen ihn trotz der vorangegangenen Maßnahmen beim erneuten Antreffen am 15. 10. 1996 nur einen "Ersten Platzverweis" verhängt und ihm in der mündlichen Verhandlung zugesichert hat, mit ihren abgestuften Maßnahmen nach dem neuen aktuellen System "von vorn" zu beginnen, kann er effektiven Rechtsschutz nur vorbeugend erlangen. Alle Streitgegenstände aufgrund der vor dem 15. 10. 1996 gegen ihn ergangenen Maßnahmen sind erledigt und das Fortsetzungsfeststellungsinteresse gem. § 113 I 4 VwGO entfallen, weil die Bekl. ihre Vorgehensweise gegen die offene Drogenszene modifiziert und insbesondere die Allgemeinverfügungen geändert hat und deshalb mit einer Fortsetzungsfeststellung die Rechtsfragen, die sich bei künftigen Maßnahmen der Bekl. gegen den Kl. im Zuge der Bekämpfung der offenen Drogenszene stellen würden, für den Kl. nicht effektiv geklärt werden können. Der Ablauf der bisherigen Verfahren zeigt außerdem, daß der Kl. vor allem in zeitlicher Hinsicht effektiven Rechtsschutz nicht erlangen kann, indem er die ihm drohenden Maßnahmen abwartet und dann den Rechtsweg beschreitet. Alle bisherigen Verfahren des Kl. in diesem Zusammenhang, soweit der Verwaltungsrechtsweg eröffnet und die Bekl. Gegnerin ist, haben sich in der Hauptsache erledigt. Entweder durfte die Widerspruchsbehörde schon keine Sachentscheidung mehr treffen, weil die Fortsetzungsfeststellung im Widerspruchsverfahren nicht möglich ist (vgl. das den Bet. bekannte Urt. der Kammer v. 4. 9. 1996 - 3 K 2205/96), oder im gerichtlichen Verfahren auch ohne die Zusicherung der Bekl. ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht mehr gegeben gewesen wäre, weil die letzte dem Kl. vor dem 15. 10. 1996 bekanntgegebene Allgemeinverfügung i.d.F. vom 11. 12. 1995 nicht mehr der aktuellen Vorgehensweise der Bekl. entspricht. Der Kl. hat aber schon in dem ersten von ihm am 21. 12. 1995 erhobenen Widerspruch erfolglos die Überprüfung der Allgemeinverfügung der Bekl. in ihrer aktuellen Fassung verlangt. Gemeint hat er damit nicht den ihm damals bekanntgegebenen Platzverweis, sondern die Prüfung der Frage, ob die Bekl. gegen ihn im Falle eines wiederholten Antreffens in der offenen Drogenszene in der angekündigten Weise vorgehen darf. Ihm ist unter diesen Umständen nicht zuzumuten, neue belastende Polizeiverfügungen abzuwarten, diese zunächst mit dem Widerspruch anzufechten, dann auf eine voraussichtlich notwendig werdende Fortsetzungsfeststellungsklage überzugehen und wieder abzuwarten, ob sich irgendwann eine Prozeßlage ergibt, die endlich zur Klärung seiner Rechte gegenüber der Bekl. führt, während er in der Zwischenzeit bei einem Aufenthalt in der Stuttgarter Innenstadt jederzeit mit weiteren sofort vollziehbaren Polizeimaßnahmen rechnen muß, die in seine Grundrechte eingreifen. Die Bekl., die den bisherigen Streitgegenständen mit den Modizifizierungen ihrer Vorgehensweise die Grundlage entzogen, aber gegen den Kl. am 15. 10. 1996 wieder mit ihren abgestuften Maßnahmen begonnen hat, muß andererseits zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes i.S. von Art. 19 IV GG hinnehmen, daß der Kl. jetzt vorbeugenden Rechtsschutz verlangt.

6.

Dem Kl. ist deshalb ein besonderes rechtliches Interesse an der Untersagung der von der Bekl. in der nunmehr unbefristet erlassenen Allgemeinverfügung vom 20. 6. 1996 beschriebenen Maßnahmen für das 2. bis 5. Antreffen zuzubilligen. Das Interesse bezieht sich nicht nur auf das Aufenthaltsverbot für den Fall des zweiten Antreffens, weil zwischen den Bet. gerade die sich für das gesamte Maßnahmebündel stellende Kernfrage, ob die Bekl. im Wege der Allgemeinverfügung vorgehen darf, umstritten ist und der Kl. ggf. vor Rechtskraft eines Urteils über die Maßnahmen für das zweite Antreffen wegen der jeweils angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit mit den weiteren Maßnahmen für das 3. bis 5. Antreffen rechnen müßte. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils würde ihm nicht helfen, weil auf Urteile auf Unterlassung eines Verwaltungsakts § 167 II VwGO entsprechend anwendbar ist (vgl. Kopp, VwGO, 10. Aufl., § 167 Rdnr. 11).

7.

2. Die Klageänderung ist auch sachdienlich, soweit der Kl. verlangt festzustellen, daß die ihm am 15. 10. 1996 bekanntgegebene Allgemeinverfügung "Platzverweis ohne zeitliche Befristung" rechtswidrig war. Dieser Antrag meint den "Ersten Platzverweis", der nach dem Maßnahmebündel der Bekl. nach dem Stand vom Februar 1996 noch "Platzverweis ohne zeitliche Befristung" hieß. Der erneute "Erste Platzverweis" vom 15. 10. 1996 hat sich erledigt, indem der Kl. dem Gebot nachkam, den Antreffort zu verlassen. Er kann deshalb unmittelbar mit der Fortsetzungsfeststellungsklage angegriffen werden (vgl. das Urt. der Kammer v. 4. 9. 1996 - 3 K 2205/96).

8.

3. Die Klageänderung ist schließlich sachdienlich, soweit der Kl. die ihm am 15. 10. 1996 bekanntgegebene Allgemeinverfügung "Polizeiliche Maßnahmen gegen die offene Drogenszene" (Anhalten, Identitätsfeststellung, Durchsuchung) anficht. Diese Allgemeinverfügung ist insoweit Verwaltungsakt, als sie die Feststellung der Identität aller Personen, die sich im Bereich polizeibekannter Drogenumschlagplätze aufhalten und offensichtlich der Drogenszene zuzuordnen sind oder zu ihr Kontakt suchen, sowie die Durchsuchung dieser Personen und der von ihnen mitgeführten Sachen anordnet. Mit der Bekanntgabe dieser Regelung der Bekl. wurde der Kl. verpflichtet, diese Maßnahmen unabhängig von einer eigenen Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes für derartige Maßnahmen nach §§ 26, 29, 30 i.V. mit 60 III BadWürttPolG in Zukunft hinzunehmen.12.

9.

Die Kammer hält für die Anfechtung dieser Allgemeinverfügung die Durchführung eines Vorverfahrens nach § 68 VwGO für entbehrlich, weil eine dem Kl. bekanntgegebene Allgemeinverfügung der Bekl., die das Anhalten, Durchsuchen und Identifizieren von der Drogenszene zugerechneten Personen anordnet, bereits in einer früheren, bis 31. 12. 1995 geltenden Fassung Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens war, das mit Widerspruchsbescheid vom 23. 7. 1996 eingestellt wurde. Den am 14. 3. 1996 erhobenen Widerspruch des Kl., der sinngemäß auch die entsprechende Allgemeinverfügung in der bis 31. 6. 1996 geltenden Fassung vom 8. 2. 1996 betraf, die ihm am 15. 2. 1996 bekanntgeben wurde, hat das Regierungspräsidium Stuttgart nicht beschieden. Der Widerspruchsbescheid vom 3. 5. 1996 behandelt die Widersprüche des Kl. vom 14. 3. 1996 nur insoweit, als es um das Aufenthaltsverbot geht. Bei der neuerlichen Allgemeinverfügung "Anhalten, Identifizieren, Durchsuchen" vom 15. 10. 1996 handelt es sich damit um einen Verwaltungsakt, der eine frühere gleichartige Verfügung wiederholt, gegen die der Kl. bereits unter sachdienlicher Auslegung seiner Klage vom 5. 6. 1996 Untätigkeitsklage erhoben hatte, die er ohne die den Streit insoweit erledigende Zusicherung der Bekl. in der mündlichen Verhandlung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage hätte umstellen können. Unter diesen Umständen wäre es ein prozeßökonomisch überflüssiger Umweg, den Kl. zu zwingen, sich vor einer gerichtlichen Sachentscheidung nochmals an die Widerspruchsbehörde zu wenden.

10.

II. Die Klage ist teilweise begründet.

11.

1. Sie ist unbegründet, soweit der Kl. den ihm am 15. 10. 1996 bekanntgegebenen "Ersten Platzverweis" anficht.

12.

Mit ihrem noch nicht rechtskräftigen Urt. v. 4. 9. 1996 (3 K 2205/96) ist die Kammer zur Auffassung gelangt, daß aus dem Maßnahmenbündel der Bekl. gegen die offene Drogenszene gerade die Allgemeinverfügung "Erster Platzverweis" rechtmäßig ist, weil es das mildeste geeignete Mittel zur Bekämpfung der offenen Drogenszene ist, eine Person, die zu ihr Kontakt sucht, sofort vom Antreffort wegzuschicken und deshalb das undifferenzierte Vorgehen mittels Allgemeinverfügung insoweit rechtlich unbedenklich ist. Daran hält die Kammer fest. Da den Bet. das Urteil bekannt ist und die Bet. zu diesem Streitpunkt keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen haben, kann in vollem Umfang auf die Ausführungen zur Begründetheit der Klage im Urt. v. 4. 9. 1996 Bezug genommen werden. Das Urteil entspricht hinsichtlich der Bestätigung der grundsätzlichen Zulässigkeit des Versuchs der Bekl., die Entstehung und Verfestigung einer offenen Drogenszene zu verhindern, der Problematik der Bestimmtheit des Adressatenkreises und der Bekanntgabe der Allgemeinverfügung durch den Polizeivollzugsdienst auch der Auffassung, zu der der VGH Mannheim im späteren Beschl. v. 30. 9. 1996 (NVwZ-RR 1997, 225) gelangt ist. Dieser Beschluß ist den Bet. ebenfalls bekannt.

13.

2. Die geänderte Klage ist begründet, soweit der Kl. die Aufhebung des regelnden Teils der ihm am 15. 10. 1996 bekanntgegebenen Allgemeinverfügung (Anhalten, Identitätsfeststellung, Durchsuchung) i.d.F. vom 20. 6. 1996 begehrt.

14.

Beim Inhalt dieser Allgemeinverfügung handelt es sich um eine Kombination von Anordnungen nach §§ 26 I u. 29 I, 30 I BadWürttPolG, die grundsätzlich Ermessensentscheidungen im Einzelfall sind. Die Allgemeinverfügung kann nicht auf § 3 BadWürttPolG gestützt werden, denn die Ermächtigung zu Einzelmaßnahmen des vierten Unterabschnitts des Polizeigesetzes darf nicht mit der Anwendung der Generalklausel des § 3 umgangen werden (vgl. Knemeyer, Polizei- u. OrdnungsR, 6. Aufl. (1995), Rdnr. 107; Reichert/Ruder, 4. Aufl. (1994), Rdnr. 300; Mußmann, BadWürttPolR, 4. Aufl. (1994), Rdnr. 175).

15.

Es mag zwar sein, daß die Einzelmaßnahmen (Standardmaßnahmen) grundsätzlich auch einmal in einer Allgemeinverfügung geregelt werden können, im vorliegenden Fall ist aber ausgeschlossen, daß die pauschale Anordnung für jede potentielle Fallgestaltung eine korrekte Ermessensausübung darstellt. Es gilt im Grunde dasselbe wie bei der Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsverbote (siehe dazu unten 3.). Es muß Sache der Vollzugspolizei bleiben zu unterscheiden, wen, wann und wie sie bei der Bekämpfung der offenen Drogenszene kontrolliert und durchsucht. Im Grunde will die Ortspolizeibehörde die Wirkung einer Polizeiverordnung herbeiführen, die sie gerade nicht erlassen will und kann. Die Maßnahme ist in der Form der Allgemeinverfügung der Ortspolizeibehörde zu dem angestrebten Zweck auch keinesfalls erforderlich, weil nach § 60 III BadWürttPolG der Polizeivollzugsdienst diese Standardmaßnahmen in eigener Zuständigkeit treffen kann. Der VGH Mannheim hat in dem genannten Beschl. v. 30. 9. 1996 (NVwZ-RR 1997, 225) ausdrücklich im Zusammenhang mit den Aufenthaltsverboten die Auffassung der Kammer bestätigt, daß mit dem Vorgehen mittels Allgemeinverfügung nahezu zwangsläufig der Vielgestaltigkeit der Fallgestaltungen bei der Bekämpfung der offenen Drogenszene nicht Rechnung getragen werden kann. Das BerGer. hat sich in diesem Zusammenhang die Erkenntnis der Kammer zu eigen gemacht, den Vorgaben des Polizeigesetzes dürfe es eher entsprechen, wenn der Polizeivollzugsdienst an polizeibekannten Drogenumschlagplätzen auf Grund eigener Zuständigkeit gem. § 26 I Nr. 1 u. 2 BadWürttPolG Identitätsfeststellungen treffe (Beschl. v. 15. 8. 1996 - 3 K 2876/96). An dieser Ansicht hält die Kammer fest. Daß der Erlaß einer Allgemeinverfügung schon für die Identitätsfeststellung und Durchsuchung von in der offenen Drogenszene angetroffenen Personen für den angestrebten polizeilichen Zweck nicht geeignet und verhältnismäßig ist, zeigt sich auch daran, wie sich die Behörden selbst an ihre eigene Vorgabe halten. Nach den Erläuterungen der Beamten der Landespolizeidirektion II in diesem und dem Verfahren der Kammer (Beschl. v. 15. 8. 1996 - 3 K 2205/96) jeweils in der mündlichen Verhandlung halten die Beamten der für die Überwachung der Drogenszene zuständigen Einsatzgruppe in dem in der Anlage zur Allgemeinverfügung beschriebenen Bereich der Stuttgarter Innenstadt keineswegs jede Person, die sie als der Drogenszene zugehörig kennen, an oder durchsuchen die angehaltene Person in jedem Fall. Das Problem, zwischen der Kontaktaufnahme zur Drogenszene und einem Aufenthalt im inkriminierten Bereich zu sonstigen Zwecken zu unterscheiden (vgl. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225), lösen die Beamten vor Ort aufgrund ihrer beruflichen Kompetenz und Erfahrung. Sie greifen gegen ein Mitglied der Drogenszene nicht zu Polizeimaßnahmen, wenn es z.B. anscheinend nur zur S-Bahn oder zum Einkaufen geht oder Wohnung und Arbeitsplatz aufsucht. Es zeigt sich, daß der Auftrag der Bekl. an den Polizeivollzugsdienst, die Allgemeinverfügung "Anhalten, Identitätsfeststellung, Durchsuchung" durchzusetzen, nicht so pauschal und unbedingt verstanden wird, wie es der an den betroffenen Personenkreis gerichtete regelnde Teil der Allgemeinverfügung bestimmt.

16.

Das Gebot an die der Drogenszene zuzurechnenden Personen, sich jederzeit und ausnahmslos einer Identifizierung und Durchsuchung zu unterziehen, wenn sie bestimmte Straßen und Plätze in Stuttgart - egal zu welchem Zweck - betreten, erweist sich so als zur Bekämpfung von Störungen der öffentlichen Sicherheit ungeeignet, überflüssig und nicht in dem nötigen Maß einzelfallbezogen. Die Wahl der Form der Allgemeinverfügung ist von den Bestimmungen des Polizeigesetzes nicht gedeckt.

17.

3. Die Klage ist ferner begründet, soweit der Kl. begehrt, der Bekl. zu untersagen, gegen ihn im Falle eines erneuten Antreffens in der offenen Drogenszene mit den in der Veröffentlichung "Polizeiliche Maßnahmen gegen die offene Drogenszene" im Amtsblatt der Bekl. vom 20. 6. 1996 beschriebenen Maßnahmen für den Fall des 2., 3., 4. und 5. Antreffens vorzugehen.

18.

Im Beschl. v. 30. 9. 1996 hat der VGH Mannheim (NVwZ-RR 1997, 225) die Auffassung der Kammer bestätigt, daß - abgesehen vom ersten Platzverweis, der sich im Wegschicken der betroffenen Person vom Antreffort erschöpft - die Bekl. gegen Angehörige der Drogenszene nicht mit Aufenthaltsverboten in der Form der Allgemeinverfügung vorgehen darf. Auch bei Allgemeinverfügungen ist es mit den Worten des VGH erforderlich, "daß begrenzt auf den bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis geprüft wird, ob die Maßnahme ermessensgerecht ist, insbesondere das eingesetzte Mittel nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck steht". Das BerGer. hat deswegen auch die Ansicht der Kammer bestätigt, daß die Bekl. für eine ermessensgerechte Ausübung ihrer polizeilichen Befugnisse so weitgehende Regelungen wie Aufenthaltsverbote nach konkreter Prüfung im Einzelfall trifft, bei der anhand der Akten auch die individuelle Vorgeschichte des Betroffenen, wie etwa Verurteilung wegen Betäubungsmitteldelikten berücksichtigt werden könne.

19.

Dem ist noch hinzuzufügen, daß in die Ermessensausübung zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch gehört zu prüfen, in welchem Maß der Betroffene die öffentliche Sicherheit konkret gefährdet. Es fällt auf, daß die Bekl. bisher z.B. nicht zwischen denjenigen unterscheidet, die Cannabisprodukte in geringen Mengen nur zum Eigenkonsum erwerben und wegen der Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 90, 145 = NJW 1994,1577 = NStZ 1994,397 L) strafrechtlich praktisch nicht mehr belangt werden, und denjenigen, die durch Drogenverkauf andere gefährden. Dies bedürfte der Begründung, weil - wie sich gerade am Beispiel des wohl der ersten Gruppe zuzurechnenden Kl. zeigt - die als Allgemeinverfügung getroffenen Maßnahmen der Bekl. in ihrer Auswirkung einem Ersatz für eine strafrechtliche Verurteilung aus generalpräventiven Gründen gleichkommen. Die Aufenthaltsverbote können sich zu einer mehrmonatigen schweren Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Betroffenen in dem Ort, in dem er lebt und arbeitet, aufsummieren, zu der auch noch Freiheitsentziehungen als Zwangsmaßnahmen hinzukommen. Daß dies problematisch ist, zeigt auch das Urteil des SächsVerfGH zum sächsischen Polizeigesetz, worin das Gericht die Gewahrsamsaufnahme für bis zu zwei Wochen zur Durchsetzung von Aufenthaltsverboten nach einer an der Europäischen Menschenrechtskonvention orientierten Grundrechtsauslegung für verfassungswidrig erklärt hat (NVwZ 1996, NVWZ Jahr 1996 Seite 784 L). Die Betroffenen geraten aber bei der von der Bekl. gewählten Vorgehensweise mit Allgemeinverfügung praktisch in eine Lücke zwischen der Zuständigkeit der VGe für die Rechtskontrolle von Polizeiverwaltungsakten und derjenigen des AG für die richterliche Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Polizeigewahrsams nach § 28 III u. IV BadWürttPolG. Der Kammer ist - worauf sie in der Verhandlung hingewiesen hat - aus mehreren Verfahren gerichtsbekannt, daß die Haftrichter in Stuttgart lediglich die Vollziehbarkeit der Aufenthaltsverbote prüfen, aber nicht deren Rechtmäßigkeit, bevor sie Polizeigewahrsam von zwei Wochen anordnen, so daß die Frage der Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung zur Durchsetzung des Aufenthaltsverbots wegen der Wahl der Form der Allgemeinverfügung möglicherweise im konkreten Fall nicht geprüft wird. Die Bekl. müßte deswegen in den nötigen Ermessensentscheidungen im Einzelfall die Überlegung einbeziehen, ob und ggf. wie sie ihre Verfügung auch rechtmäßig durchsetzen kann.

20.

4. Die Kammer kann nach alledem im Verhältnis der Prozeßbeteiligten die Formenwahl der Bekl. beim Vorgehen gegen die offene Drogenszene nur insoweit bestätigen, als die Allgemeinverfügung "Erster Platzverweis" in ihrer derzeitigen Fassung rechtmäßig ist, und muß der Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattgeben.

21.

Daß der Bekl. zu untersagen ist, gegen den Kl. Aufenthaltsverbote in der Form der Allgemeinverfügung im Falle erneuten Antreffens in der offenen Drogenszene zu erlassen, bedeutet allerdings keineswegs, daß sie gegen ihn überhaupt keine Maßnahmen treffen darf. Das Urteil verbietet der Bekl. nur die Verwendung der Form der Allgemeinverfügung. Ob und mit welchem Inhalt sie nach pflichtgemäßem Ermessen den Kl. mit Polizeiverfügungen im Einzelfall von der offenen Drogenszene fernhalten darf, war hier nicht zu entscheiden.