Verwaltungsgericht Schleswig
Beschluss vom 1.3.1977
- 6 D 23/77
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 (weitere Fundstellen: SchlHA 1977, 105 f.)

 

Leitsätze:

1.

Zwischen den kommunalen Abgeordneten (Gemeindevertretern, Kreistagsabgeordneten) und der Fraktion, der sie angehören, besteht ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis (Mitgliedschaftsverhältnis) hinsichtlich der von ihnen kraft Gesetzes vorzunehmenden Aufgaben bei der Willensbildung der kommunalen Körperschaft und ihrer Organe.

2.

Die kommunalen Abgeordneten, die derselben Partei angehören müssen eine Fraktion bilden.

3.

Ein Fraktionsmitglied kann, solange es der politischen Partei angehört, nicht aus der Fraktion ausgeschlossen werden, die von den Abgeordneten dieser Partei gebildet wird; die Frage, welche Rechtsfolgen eine einstweilige Suspendierung der Parteimitgliedschaft nach § 10 Abs. 5 des Parteiengesetzes hat, bleibt offen.

 

Sachverhalt:

1.

Der Antragsteller ist Kreistagsabgeordneter. Die Fraktion, der er angehört (Antragsgegnerin), beschloß in der Fraktionssitzung, daß eine Remise abgebrochen werden solle. Der Inhalt des Beschlusses sollte nach Darstellung der Ag. vertraulich behandelt werden. Der Ast. berichtete nach der Fraktionssitzung dem Bürgermeister den Beschluß. An demselben Tage teilte der Vorsitzende der Fraktion den Beschluß dem Bürgermeister mit, nach Behauptung des Ast. "offiziell", nach Darstellung der Ag. "nicht offiziell". In der Kreistagssitzung sprach sich der Ast. gegen den Abbruch der Remise aus, weil das "den denkmalpflegerischen Zielplanungen des Landesamtes für Denkmalspflege widerspreche", und er erklärte, daß die Fraktion, wenn sie die Mehrheit erhalte, ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung zum Teil schänden wolle.

2.

Die Ag. beschloß, den Ast. von zukünftigen Fraktionssitzungen auszuschließen.

3.

Der Ast. hat beantragt, ihm durch einstweilige Anordnung die Teilnahme an den Fraktionssitzungen am 1. und 10. März 1977 zu ermöglichen. Dem Antrag ist stattgegeben worden.

 

Aus den Gründen:

4.

Im vorliegenden Falle geht es um den Streit einer Kreistagsfraktion mit einem Angehörigen der Fraktion um dessen Ausschluß von der Teilnahme an den Fraktionssitzungen. Ein solcher Streit ist als öffentlich-rechtliche Streitigkeit i. S. des § 40 VwGO anzusehen, für die der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist. Es ist anerkannt, daß für Streitigkeiten zwischen einer Gemeindevertretung oder einem Kreistag und einer Fraktion dieses Organs um die gegenseitigen Rechte und Befugnisse der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Ebenso ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet für Streitigkeiten zwischen einem Gemeindevertreter und der Gemeindevertretung oder einem Kreistagsabgeordneten und dem Kreistag wegen der gegenseitigen Befugnisse im Rahmen des Abgeordnetenverhältnisses. Aus den gleichen Erwägungen muß der Verwaltungsrechtsweg auch gegeben sein für Streitigkeiten zwischen einer Fraktion eines kommunalen Verfassungsorgans und einem Mitglied der Fraktion wegen der gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem Mitgliedschaftsverhältnis in der Fraktion und — erst recht — um die Fraktionszugehörigkeit überhaupt.

5.

Die Gemeinde- und die Kreisordnung treffen keine Regelung über die Fraktionen; die in dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des kommunalen Verfassungsrechte vom 25. 9. 1976 (LTDrucks. 8/484, Nr. 22) vorgesehene neue Bestimmung eines § 32a GO über Fraktionen ist (noch) keine Rechtsnorm. Allerdings werden Bildung und Aufgaben der Fraktionen in § 19 DV-GO vom 12. 9. 1959, Sch1HGS 2020-3-1, dargestellt. Diese Vorschrift ist indes keine Rechtsnorm (SchIHVG vom 21. 10. 1970 — 8 A 105/76 — Die Gemeinde 1971, 291, 292), weil sie einer gültigen Ermächtigungsgrundlage entbehrt. § 134 Abs. 1 GO, der als Ermächtigungsgrundlage allein in Betracht kommt, enthält nicht die nach Art. 33 Abs. 1 LS gebotene hinreichende Konkretisierung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß der dem Verordnungsgeber erteilten Rechtsetzungsbefugnis und entfaltet deshalb insoweit keine Rechtswirkung. Damit ist nicht gesagt, daß die in § 19 DV-GO getroffene Aussage nicht als Wiedergabe einer allgemeinen Rechtsüberzeugung angesehen werden kann, die ihren Geltungsanspruch allerdings aus anderen Rechtsgrundlagen herleitet.

6.

Wie die verfassungsmäßige demokratische parlamentarische Ordnung in der Bundesrepublik, so setzt auch das kommunale Verfassungsrecht die Institution von Fraktionen geradezu voraus. Nach Art. 21 Abs. 1 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Nähere Grundsätze über die Betätigung der politischen Parteien stellt kraft Bundesrechts der § 2 ParteienG vom 24. 7. 1967, BGBl I 773, auf.

7.

Die Mitwirkung der politischen Parteien im Rahmen der Arbeit der kommunalen Gremien, etwa bei der Wahl des Vorsitzenden der Gemeindevertretung oder des Kreispräsidenten, der Wahl der ehrenamtlichen Bürgermeister, der ehrenamtlichen Stadträte oder der Mitglieder des Kreisausschusses sowie bei den sonstigen von den Gemeindevertretungen und Kreistagen vorzunehmenden Wahlen und bei der Besetzung der Ausschüsse, ist nach geltendem Recht nur unter der Annahme durchführbar, daß in der Gemeindevertretung und im Kreistag Fraktionen bestehen. Die Mitwirkung der politischen Parteien bei den Kommunalwahlen nach dem geltenden Wahlrecht, insbesondere die Rechtsinstitute der Listenwahl (§ 11 GKWG) und des Nachrückens von Listenbewerbern beim Ausscheiden eines Vertreters (§ 42 GKWG) zwingen ferner zu der Folgerung, daß die Gemeinde- bzw. Kreisvertreter, die derselben Partei angehören, auch eine einheitliche Fraktion bilden müssen, weil andernfalls der nach dem Wahlrecht unter Beteiligung der Parteien ermittelte Wählerwille nach den geltenden Bestimmungen über die Mitwirkung der Fraktionen an den Wahlen der Gemeinde- bzw. Kreisvertretung nicht zum Tragen käme. Das aber führt zu dem Schluß, daß sowohl das Verhältnis der Fraktionen zur Gemeinde- bzw. Kreisvertretung wie auch das Verhältnis innerhalb der Fraktion zwischen dieser und ihren Mitgliedern öffentlich-rechtlicher Natur sein muß, soweit es um die kommunale Arbeit im Rahmen der Aufgaben der Gemeindevertretung (des Kreistages), der Fraktionen und der Gemeindevertreter (Kreistagsabgeordneten) und der gegenseitigen Rechte und Pflichten geht. Denn beiderlei Rechtsbeziehungen — Fraktion zur Gemeindevertretung und Abgeordneter zur Fraktion — dienen der Mitwirkung der gewählten Gemeinde. bzw. Kreisvertreter an der Willensbildung der kommunalen Organe.

8.

Durch den Beschluß der Ag., durch den der Ast. von den Fraktionssitzungen der Ag. ausgeschlossen worden ist, besteht die Gefahr, daß die Verwirklichung seiner Rechte als Kreistagsabgeordneter und darüber hinaus auch die Erfüllung seiner Pflichten zur Mitarbeit an der Willensbildung des Kreistages beeinträchtigt wird. Wenn nach geltendem Kommunalverfassungsrecht das aus den jeweiligen Kommunalwahlen hervorgegangene politische Kräfteverhältnis bei der kommunalpolitischen Arbeit durch die Fraktionen Ausdruck finden soll, dann spricht das dafür, daß die gewählten Vertreter, die derselben Partei angehören, eine Fraktion bilden müssen, wie der Regierungsentwurf vom 25. 9. 1976 in seinem vorgeschlagenen § 32a GO es ausdrücklich normieren will. Das bedeutet ferner, daß ein Fraktionsmitglied nicht unter Beibehaltung der Parteizugehörigkeit aus der Fraktion austreten kann.

9.

Das führt andererseits aber auch dazu, daß eine Fraktion eines ihrer — gleichsam gesetzlichen — Mitglieder nicht von der Fraktionszugehörigkeit ausschließen darf, solange das Mitglied der Partei angehört, von deren Abgeordneten die Fraktion gebildet wird. Solange ein Abgeordneter einer Partei angehört, ist er auch Mitglied der von den Abgeordneten dieser Partei gebildeten Fraktion. Unerheblich für die Beurteilung des vorliegenden Falles im gegenwärtigen Zeitpunkt ist deshalb der Vortrag der Ag., es solle darüber beschlossen werden, ob gegen den Ast. ein Parteiausschlußverfahren durchgeführt werden soll. Deshalb war dem Antrag der Ag. auf Aussetzung dieses Verfahrens nicht zu entsprechen.

10.

An dem hier dargelegten Ergebnis ändert auch nichts der Hinweis der Ag. darauf, daß der Ast. einen Vertrauensbruch begangen haben soll. Die Gemeindeordnung sieht für den Fall, daß ein Gemeindevertreter seine Verschwiegenheitspflicht verletzt, grundsätzlich nur die Verhängung einer Geldstrafe vor (§ 21 iVm § 20 Abs. 3 GO). Die gleiche Regelung gilt gemäß § 27 KrO für die Kreistagsabgeordneten. Bei dieser Rechtslage können den Fraktionen, deren Rechtsstellung und Befugnisse gegenüber den Abgeordneten und Fraktionsmitgliedern nicht geregelt ist, jedenfalls keine härteren Sanktionsmaßnahmen zustehen. Dieser Zustand mag nach dem neuen, auch in 32a RegEntw zum Ausdruck kommenden Verständnis der Fraktionen und der Rechtsstellung der Fraktionsmitglieder unbefriedigend erscheinen, indes bedürfte es einer ausdrücklichen Regelung des Gesetzgebers im Rahmen der Änderung des kommunalen Verfassungsrechts, wenn der Gesetzgeber den jetzigen Rechtszustand für änderungsbedürftig hält.

11.

Im übrigen ist in diesem Zusammenhang noch folgendes zu berücksichtigen: Das Parteiengesetz sieht in § 10 Abs. 5 vor, daß in dringenden und schwerwiegenden Fällen, die ein sofortiges Eingreifen erfordern, der Vorstand einer Partei oder eines Gebietsverbandes ein Mitglied von der Ausübung seiner Rechte bis zur Entscheidung des Parteischiedsgerichtes ausschließen kann. Die Auswirkungen eines solchen Verfahrens waren hier nicht näher zu erläutern, da eine derartige einstweilige Suspendierung der Parteimitgliedschaft nicht vorgenommen worden ist.

12.

Bei dieser Gelegenheit sei noch angesprochen, daß nicht jede Verletzung der Verschwiegenheitspflicht einen Parteiausschluß rechtfertigen dürfte. Hinsichtlich des weiteren im Beschluß der Ag. angeführten Vorwurfes ist zu bemerken, daß Äußerungen des Ast. in der Kreistagssitzung, die er nicht in Übereinstimmung mit der Fraktion gemacht hat, für sich allein noch nicht zu einem Ausschluß führen können, weil das dem § 32 Abs. 1 GO, § 27 Abs. 1 KrO widersprechen würde.