Verwaltungsgericht Köln
Urteil vom 24.9.1964
- 1 K 2078/62 -

(weitere Fundstellen: DVBl. 1965, 882 f.)

Tatbestand

1.

Ein Zeitungsartikel führte zu einer Kleinen Anfrage im Bundestag die u. a. die Frage enthielt:

"Welche Vorfälle haben die ‚Dritte Bekanntmachung über die Vergabe öffentlicher Aufträge im Bereich des Bundesministers für Verteidigung‘ vom 6. 1. 1961 veranlaßt?"

2.

In Vertretung des Ministers beantwortete der Staatssekretär diese Frage u. a. wie folgt:

"Der zweite Fall ist der Fall X. Über diesen Fall schwebt ein Rechtsstreit. Ich möchte es mir daher versagen, diesen Komplex hier im einzelnen darzulegen. Jedenfalls kann mit Sicherheit gesagt werden, daß X. allein von der zuvor erwähnten Firma 492 000 DM an Provisionen erhalten hat. Da begründeter Anlaß zu der Annahme besteht, daß Informationen für die Veröffentlichung, auf die sich die Fragesteller beziehen, von diesem Lobbyisten stammen, wird folgender Brief des Rechtsanwalts Dr. A. wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung zur Kenntnis gebracht."

3.

Sodann wurde der Brief wörtlich wiedergegeben und im Anschluß daran von dem Staatssekretär weiter ausgeführt:

"Der Bundesminister der Verteidigung war überzeugt, und ist noch heute überzeugt, daß ihm mit diesem Brief mitgeteilt werden sollte, der Spiegel besitze Material über den Minister, das er nur dann nicht bekanntgeben werde, wenn der Minister in der Sache X. Entgegenkommen Zeige."

Diese Antwort wurde unter anderem in einer großen Tageszeitung veröffentlicht.

4.

X. erhob Klage gegen die Bundesrepublik mit der Begründung, die Antwort enthalte ehrenrührige und wahrheitswidrige Angaben. Der Inhalt der Beantwortung der Kleinen Anfrage sei bewußt unwahr. Er habe verleumderischen Charakter. Er, der Kläger, verlange daher die Wiederherstellung seiner vom Minister angegriffenen Ehre, deren Verletzung andauere.

5.

Der Kl. beantragte, die Bekl. (Bundesrepublik) zum Widerruf der Behauptungen zu verurteilen.

6.

Das VG wies die Klage ab.

Aus den Gründen:

7.

Der Verwaltungsrechtsweg ist gegeben; denn es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art gemäß § 40 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. 1. 1960 (BGBl. I S. 17) - VwGO -. Wie in Rechtsprechung und Lehre zu Recht einhellig vertreten wird, entscheidet über die Zuordnung einer Rechtsstreitigkeit auf die Gebiete des öffentlichen oder privaten Rechts die wahre Natur des geltend gemachten Anspruchs (vgl. Schunck-De Clerck, Kommentar zur VwGO, Siegburg 1961, Anm. 4a) aa) zu § 40, S. 141; BGHZ 14, 222 [225]).

8.

Danach aber unterliegt es im vorliegenden Fall keinem Zweifel, daß der vom Kl. geltend gemachte Anspruch auf Widerruf der beanstandeten Äußerungen, die der Staatssekretär in Vertretung des Bundesministers für Verteidigung im Rahmen des Interpellationsrechtes des Deutschen Bundestages abgegeben hat, auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts liegt. Denn unabhängig davon, ob diese Äußerung als Staats- oder Regierungsakt oder als Akt der Exekutive zu werten ist, wurde sie von dem Bundesminister für Verteidigung jedenfalls auf einem Gebiet abgegeben, das ausschließlich Hoheitsträgern zur Verwirklichung zugeordnet und damit als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren ist (vgl. Klinger, Komm, zur VwGO, 2. Aufl. 1964, Anm. B I 1 zu § 40, S. 131 unter Berufung auf die erneuerte Subjektionstheorie von Wolff; Verwaltungsrecht, Bd. I, S. 80 und ArchföfR, 76, S. 205 ff.; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 2. Aufl., 1962, S. 86).

9.

2. Die Streitigkeit ist auch nicht-verfassungsrechtlicher Natur. Zwar wird in Rechtsprechung und Schrifttum einheilig die Auffassung vertreten, daß der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit in § 40 Abs. 1 VwGO nicht auf die positiv enumerierten Zuständigkeiten der Verfassungsgerichte beschränkt ist (vgl. Klinger aaO, Anm. B I 2 zu § 40, S. 133 f.), sondern, daß er materiell auszufüllen ist. Insoweit ist es aber ebenfalls gesicherte Erkenntnis, daß Verfassungsstreitigkeiten in diesem Sinne nur Fragen politischer, das Staatsganze als solches berührender Art von rechtlicher Bedeutung, also Meinungsverschiedenheiten über Auslegung und Anwendung der Verfassung betreffen, wenn sie zwischen obersten Staatsorganen oder in der Verfassung mit eigenen Rechten ausgestatteten Teilen eines obersten Staatsorgans ausgefochten werden (vgl. Eyermann-Fröhler, Kommentar zur VwGO, 3. Aufl. München und Berlin 1962, RN 63 zu § 40). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar sind die bekämpften Äußerungen von dem Bundesminister als einem Teil eines obersten Staatsorgans, der Bundesregierung, gegenüber einem anderen Verfassungsorgan, dem Deutschen Bundestag, und damit im politischen, verfassungsrechtlichen Bereich abgegeben worden, so daß auch der Streit über den Inhalt oder die Rechtmäßigkeit einer solchen Äußerung, wie noch auszuführen sein wird, diesem Bereich zuzuordnen ist.

10.

Jedoch erstrebt hier ein — insoweit außerhalb dieses Verfassungsbereiches stehender — Staatsbürger die Beseitigung einer angeblichen Beeinträchtigung seiner Rechte, die zwar im Rahmen und gelegentlich eines parlamentarischen Vorganges erfolgt ist, jedoch auch auf ihn rein tatsächlich ausstrahlt. Die Auseinandersetzung über die Rechtmäßigkeit der Antwort des Ministers ist demnach im Verhältnis des Kl. zu der Bekl. unter Zugrundelegung der obigen Definition als nicht-verfassungsrechtlicher Streit im Sinne des § 40 Abs. 1 zu qualifizieren.

11.

3. Eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO scheidet vorliegend aus, da die Beantwortung der Kleinen Anfrage durch den Minister nicht als Verwaltungsakt, d. h. als die Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts mit verbindlicher Wirkung angesehen werden kann. Aus dem gleichen Grunde kann die Klage auch nicht wie der Kl. meint; als Folgenbeseitigungsklage im engeren Sinne angesprochen werden, da diese Klageart nur dazu dient, die unmittelbare Beschwer aus der Aufhebung oder dem Vollzug des Verwaltungsaktes zu beseitigen (vgl. Eyermann-Fröhler, Randnote 18 zu § 42).

12.

Die prozessuale Form für den von dem Kl. verfolgten Anspruch bietet vielmehr die sogenannte Widerrufs- oder Beseitigungsklage, die zwar in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht ausdrücklich zugelassen, aber von Rechtsprechung und Schrifttum als zulässiges Instrument des öffentlich-rechtlichen Ehrenschutzes in entsprechender Anwendung der negatorischen Klagen des Zivilprozeßrechts entwickelt worden ist (vgl. Ule, Kommentar zur VwGO, 2. Aufl. Anm. IV 1 d zu § 42 und die dortigen Nachweise. Vgl. auch BVerwG in DVBl. 59, 582). Soweit ersichtlich, sind für diese Klageart die als allgemeine Leistungsklage einzuordnen ist, besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht entwickelt worden. So sind insbesondere kein Vorverfahren oder die Einhaltung einer Klagefrist erforderlich. Die Kammer ist aber der Auffassung, daß auch für diese Klage der in § 42 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck gekommene Gedanke Anwendung finden muß, nach dem eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung einer hoheitlichen Maßnahme von dem einzelnen Bürger nur verlangt werden kann, wenn er in der Lage ist, substantiiert geltend zu machen, durch diese Maßnahme in seinen Rechten verletzt zu sein (vgl. Eyermann-Fröhler, RN 84 zu § 42). Bei allen Meinungsverschiedenheiten über die Reichweite dieser als Klagebefugnis bezeichneten Sachurteilsvoraussetzung erfordert diese Behauptung jedenfalls soviel, daß der Kl. nach seinem durch tatsächliche Behauptungen belegten Vortrag durch die beanstandete Maßnahme abstrakt in seinen Rechten verletzt sein kann. Der Grund für diese besondere verwaltungsgerichtliche Zulässigkeitsvoraussetzung, die sog. Popularklagen auszuschließen (vgl. Klinger, aaO, Anm. B 1 zu § 42, S. 161; Eyermann-Fröhler, aaO, RN 85 zu § 42), gebietet es nach Auffassung der Kammer, auch für die Widerrufsklage diese besondere Klagebefugnis zu verlangen, um auch hier Mißbrauch vorzubeugen. Das bedeutet positiv gewendet: Auch der Widerruf oder die Beseitigung einer öffentlich-rechtlichen ehrenrührigen Behauptung kann nur dann zum Gegenstand einer sachlichen Prüfung durch das Verwaltungsgericht gemacht werden, wenn der Kl. durch die beanstandete Erklärung abstrakt in seinen Rechten verletzt sein kann.

13.

II. Dieses besondere verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzinteresse hat die Kammer in Übereinstimmung mit der entsprechend anwendungsfähigen Entscheidung des BVerfG vom 18. 7. 1961 (BVerfGE 13, 123) aus folgenden Überlegungen verneinen müssen: Das BVerfG hatte in dem angeführten Urteil die Frage zu entscheiden, ob die Antragstellerin, die Deutsche Friedens Union, die Richtigstellung der Erklärung des Bundesministers des Inneren in der Fragestunde des Deutschen Bundestages betr. die kommunistische Unterwanderung dieser Partei verlangen konnte. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen auf § 13 Nr. 5 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. 3. 1951 (BGBl. I S. 243 in der geltenden Fassung) BVerfGG gestützten Antrag abgewiesen, da der Antragstellerin die Antragsbefugnis nach § 64 Abs. 1 BVerfGG fehle und zur Begründung ausgeführt: Antworten der Bundesregierung auf mündliche Fragen in der Fragestunde des Bundestages würden dazu dienen, dem einzelnen Abgeordneten die für seine Tätigkeit nötigen Informationen auf rasche und zuverlässige Weise zu beschaffen. Sie gehörten in den Rahmen des Frage- und Interpellationsrechts des Parlaments, das den Mitgliedern der Bundesregierung die verfassungsrechtliche Verpflichtung auferlege, auf Fragen Rede und Antwort zu stehen. Die Beantwortung der Frage eines Abgeordneten durch den zuständigen Minister sei ein parlamentsinterner Vorgang, der sich in der Regel in der Äußerung einer Meinung erschöpfe und eine rechtliche Außenwirkung nicht erzeuge.

14.

Die Kammer ist der Auffassung, daß diese, soweit ersichtlich, im Schrifttum nur von Helle (Die Rechtswidrigkeit der ehrenrührigen Behauptung, in: NJW 1961, S. 1896 ff.) — beiläufig — gebilligte, und sonst nicht diskutierte Ansicht des BVerfG zutrifft, daß also die Beantwortung einer mündlichen oder schriftlichen Anfrage durch die Bundesregierung im Parlament nur internen Charakter hat, der, da die verwaltungsgerichtliche Klagebefugnis der des § 64 Abs. 1 BVerfGG entspricht, eine sachliche Prüfung durch das Verwaltungsgericht ausschließt.

15.

Die in § 110 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages geregelte Kleine Anfrage ist neben der Großen Anfrage (S 105 GeschOBT) und den mündlichen Anfragen in der Fragestunde ( 111 GeschOBT) ein Mittel der Kontrolle des Verfassungsorgans Bundestag gegenüber dem Verfassungsorgan Bundesregierung. Dieses sog. Interpellationsrecht, das im Grundgesetz nicht geregelt ist, aber wohl als Verfassungsgewohnheitsrecht bezeichnet werden kann (vgl. Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, RN 8 zu Art. 43 mit Nachweisen), hat seine Wurzel in dem politischen Kampf zwischen Regierung und Parlament und war ursprünglich Ausdruck der Tendenz des Parlaments, seine Macht und Zuständigkeit zu vergrößern. Später wurde die Interpellation dann mit dem Institut der Ministerverantwortlichkeit verknüpft (vgl. Hatschek, Das Interpellationsrecht, Leipzig 1909). In § 33 a der Geschäftsordnung des Deutschen Reichstages vom 8. 5. 1912 wurde dieser Zusammenhang offenbar, indem die Möglichkeit geschaffen wurde, bei der Besprechung von Interpellationen durch Parlamentsbeschluß festzustellen, die Behandlung der den Gegenstand der Interpellation bildenden Angelegenheit durch die Reichskanzler entspräche nicht der Anschauung des Reichstages.

16.

Heute ist die Möglichkeit, bei der Beratung einer Anfrage einen Antrag zu stellen, nur bei der Großen Anfrage gegeben (§ 107 GeschOBT). Das hindert aber nach Auffassung der Kammer nicht, auch die Kleine Anfrage und die Fragestunde als Kontrollmittel des Parlaments im Rahmen der politischen Verantwortlichkeit der Bundesregierung zu werten. Dabei kann hier die Frage dahingestellt bleiben, ob diese Institute, ebenso wie auch das Zitationsrecht des Art. 43 Abs. 1 GG, als Beweise für eine Verantwortlichkeit der einzelnen Minister herangezogen werden können, was Maunz-Dürig, RN 1 und 9 zu Art. 43, und Münch, Die Bundesregierung, Frankfurt 1954, S. 221 verneinen, da für die Erörterungen im Rahmen dieses Verfahrens die Erkenntnis genügt, daß sie jedenfalls Mittel zur Geltendmachung der Kontrolle des Parlaments gegenüber der Bundesregierung sind. Insoweit sind sie auch als Ausfluß des parlamentarischen Regierungssystems zu werten (vgl. Schneider, Bonner Kommentar, ERI II 2 zu Art. 43, v. Mangoldt-Klein, Kommentar zum GG, S. 937; a. A. — ohne überzeugende Begründung — Maunz-Dürig,. aaO, RN 1 zu Art. 43). Die Interpellation dient der Nachprüfung der Übereinstimmung des Parlamentswillens mit den Regierungshandlungen. Dabei kann das Parlament durch Sach- und Leistungskontrolle die Regierung als Spitze der Verwaltung oder im Wege der Richtungskontrolle als politisches Führungsorgan kontrollieren (zu der Unterscheidung vgl. Eschenburg, Staat und Gesellschaft in Deutschland, Stuttgart 1956, S. 608 f.). Auch kann es die Anfragen lediglich benutzen, sich Informationen zu beschaffen, die dann wiederum zur Grundlage sachlicher oder politischer Aktionen gemacht werden könne (vgl. Partsch in: Verhandlungen des 45. DJT 1964, Bd. I Teil 3 S. 190).

17.

Vergegenwärtigt man sich diesen Hintergrund, dann liegt auf der Hand, daß die Beantwortung von Anfragen ausschließlich dem parlamentarischen Bereich zugeordnet ist und Wirkungen nur im Verhältnis von Exekutive und Legislative, von Bundesregierung und Bundestag entfalten kann. So wie die Anfrage sich nur an die Bundesregierung (in der Praxis an den einzelnen Minister) wendet, so ist die damit korrespondierende Beantwortung ebenfalls nur auch in Richtung auf den Bundestag effektiv. Eine darüber hinausgehende rechtliche Wirkung haben diese Äußerungen, die im Rahmen des Interpellationsrechtes abgegeben werden, dagegen nicht. Dem steht nicht entgegen, daß die Verhandlungen des Bundestages öffentlich sind (Art. 42 Abs. 1 GG) und daß die Berichterstattung über Vorgänge im Parlament priviligiert ist (Art. 42 Abs. 3 GG). Denn diese nach dem Wesen des demokratisch-parlamentarischen Rechtsstaates zwingend erforderliche Öffentlichkeit besagt nur, daß aus dem Parlament heraus Vorgänge bekannt werden können, die auch für Unbeteiligte tatsachliche Auswirkungen haben können, nicht aber, daß dadurch auch Rechtsfolgen der vom Kl. behaupteten Art ausgelöst werden. Dafür wäre nämlich, wie dargelegt, erforderlich, daß die Äußerung in Richtung auf ihn rechtliche Qualität entfalten würde.

18.

Nach alledem ist die erkennende Kammer der Auffassung, daß dem Kl. ein besonderes Rechtsschutzinteresse für die Durchführung seiner Klage nicht zur Seite steht, so daß dem Gericht eine Sachprüfung verwehrt ist.

19.

III. Bei diesem, mit dem Urteil des BVerfG übereinstimmenden Ergebnis hat sich die Kammer ferner von der Erwägung leiten lassen, daß die Natur des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, wie sie in der Verwaltungsgerichtsordnung ausgeprägt und von Rechtsprechung und Lehre interpretiert worden ist, der sachlichen und damit möglicherweise erfolgreichen Durchführung eines solchen Verfahrens entgegen steht.

20.

1. Wie ausgeführt, steht dem Kl. zur Durchsetzung seines Begehrens nur die allgemeine Leistungsklage in der Form der öffentlich-rechtlichen Widerrufsklage zur Verfügung. Die herrschende Meinung leitet aus der Notwendigkeit eines umfassenden Grundrechtsschutzes, aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, eine ungeschriebene Verfassungsnorm her, daß jedermann von der öffentlichen Gewalt verlangen kann, sich bei ihrer Ausübung rechtmäßig zu verhalten und daß bei rechtswidriger Gewaltanwendung der Anspruch auf Herstellung des Zustandes geht, der ohne die Rechtsverletzung bestehen würde.

21.

Inhalt und Umfang dieses allgemeinen und theoretisch so plausiblen Widerrufsanspruches sind allerdings weniger leicht festzulegen, wenn es sich darum handelt, konkrete Sanktionsfolgen in bezug auf die Beeinträchtigung bestimmter Rechte bzw. die Durchführung des Widerrufs zu bestimmen. Denn Inhalt und Umfang sind jeweils von verschiedenen Faktoren abhängig, je nachdem um was für ein Recht es sich handelt, welches Maß der Rechtsbeeinträchtigung gegeben ist, und welche Wege zur Verwirklichung des Widerrufs gegangen werden müssen. Obwohl als Grundnorm der Verfassung anerkannt, können sich hieraus für den Anspruch Schranken ergeben, die es dem Gericht verwehren, die sachliche Berechtigung des Anspruches zu prüfen.

22.

So findet der öffentlich-rechtliche Widerrufsanspruch sicherlich dort seine Grenzen, wo seine Durchsetzung gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder die Rechte anderer verstößt. Die Widerrufsklage ist dann unzulässig, wenn die Wiederherstellung des früheren Zustandes durch Beseitigung der angeblichen Störung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist.

23.

Das aber ist hier der Fall. Die Durchsetzung des klägerischen Anspruchs scheitert an der Rechtsmacht der Verwaltungsgerichte und würde von seiner Konsequenz her verfassungswidrig sein.

24.

2. Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist es, dem Bürger der öffentlichen Gewalt gegenüber Rechtsschutz zu gewähren. Aus diesem Grunde ist ihr vom Gesetzgeber in Durchbrechung des Gewaltenteilungsgrundsatzes das Recht verliehen worden, durch Anfechtungs-, Verpflichtungs- und sonstige Leistungsurteile in das Verwaltungsgeschehen gestaltend einzugreifen. Dasselbe versucht auch der Kl. mit seiner Klage zu erreichen, indem er durch ein obsiegendes Urteil die Verurteilung der Bekl. erreichen will, eine bestimmte Erklärung durch eines ihrer Organe (Bundesregierung) oder durch einen Teil dieses Organs (Bundesminister für Verteidigung) gegenüber einem ihrer anderen Organe (Bundestag) abzugeben.

25.

Dieses Begehren macht die Grenzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit deutlich, denn das Gericht würde mit einem positiven Spruch nicht im Rahmen seiner Rechtsmacht bleiben, gestaltend in die Verwaltung einzugreifen, sondern es würde mit seinem Urteil in die Auseinandersetzung der Organe der Bekl. untereinander, in das Kräftespiel von Bundesregierung und Bundestag einwirken, überspitzt; es würde zur Regierungstätigkeit verpflichten.

26.

Wie bereits ausgeführt, dienen Rede und Antwort im Parlament der politischen Willensbildung der Repräsentanten des Staatsvolkes bzw. bei der hier vorliegenden Erklärung des Ministers der Geltendmachung der parlamentarischen Verantwortlichkeit durch den Bundestag gegenüber einem Regierungsorgan. Erklärungen, die in diesem Verantwortungsbereich abgegeben werden, sind in ihrer Art einmalig und an die jeweilige politische Situation gebunden. Jede Einflußnahme Dritter auf Form und Inhalt dieser Erklärungen bedeutet Einflußnahme auf die politische Auseinandersetzung und auf den parlamentarischen Integrationsprozeß. Sie wäre verfassungswidrig, weil sie die politische Willensbildung der nach der Verfassung zuständigen Organe im Parlament hemmt bzw. verfälscht. Das Gericht würde mit der sachlichen Prüfung der Frage, ob der Inhalt der Beantwortung der Anfrage der Wirklichkeit entspricht, im Ergebnis eine Aufgabe übernehmen, die allein dem Parlament als dem politischen Kontrollorgan gegenüber der Regierung obliegt. Mit der Aufklärung des Hintergrundes von Anfrage und Antwort würde ein Weg gegangen, der verfassungsrechtlich nur dem Parlament offensteht. Das Gericht würde mit seiner Sachaufklärung praktisch die Ergänzungsfragen stellen, denen das allgemein zur Kontrolle der Bundesregierung als Verfassungsorgan berufene Parlament aus politischen Erwägungen nicht nachgegangen ist. Im Ergebnis käme es damit in die Rolle eines Kontrollorgans der Regierung auf dem Gebiete der parlamentarischen Verantwortung, während seine Aufgabe (nur) die Kontrolle der Verwaltung ist.

27.

Schließlich darf nicht außer acht gelassen werden, daß mit der Eröffnung der sachlichen Prüfung letztlich der einzelne Bürger über das Gericht, dort eine weitere Aufklärung erzwingen könnte, wo die an sich dazu berufenen Repräsentanten des Staatsvolkes aus nicht nachprüfbaren Erwägungen Abstand davon genommen haben. Das bedeutet, daß mit der Zulassung des Widerrufsanspruchs in bezug auf eine im Parlament abgegebene Erklärung die Geltendmachung der Verantwortlichkeit auf außenstehende Personen übertragen würde, die selbst an der politischen Willensbildung nicht beteiligt sind.

28.

Weiter ist zu berücksichtigen, daß die Erklärung des Ministers als Antwort auf eine parlamentarische Anfrage erteilt ist. Anfrage und Antwort aber sind im Bereiche der parlamentarischen Diskussion untrennbar miteinander verbunden, weil nur so eine politische Willensbildung gesichert ist. Ob und inwieweit aber das Parlament sich Anfragen beantworten läßt, unterliegt seiner politischen Entscheidung. Wäre der Widerrufsanspruch in der vom Kl. geltend gemachten Art zulässig, so könnte er nur darauf gehen, daß der Widerruf gegenüber dem Parlament erfolge. Ob das Parlament aber bereit und geneigt ist, einen solchen Widerruf entgegenzunehmen, ist eine andere Frage. Der Kl. müßte gleichzeitig das Recht für sich in Anspruch nehmen, das Parlament zu verpflichten, den Widerruf in der der Erklärung entsprechenden Form entgegenzunehmen. Daraus ergibt sich aber, daß der hier geltend gemachte Anspruch des Kl. auf etwas rechtlich Unmögliches gerichtet ist, weil der Kl. mit dem korrespondierenden Verpflichtungsanspruch an das Parlament in dessen Verfassungsrechte eingreifen würde.

29.

3. Fraglich ist zudem, gegen wen sich der Widerrufsanspruch richten soll und kann. Da die Verwaltungsgerichtsordnung für die Fälle der allgemeinen Leistungsklage keine Vorschrift darüber enthält, gegen wen die Klage zu richten ist, bestimmt sich die Beklagteneigenschaft in diesen Verfahren nach dem allgemeinen Grundsatz, nach dem die Klage gegen den zu richten ist, von dem die Leistung verlangt wird (vgl. Schunck-De Clerck, aaO, Anm. 4 zu § 78).

30.

Für die Widerrufsklagen speziell ist dazu die Auffassung entwickelt worden, daß der Widerruf nur von der Körperschaft als solcher verlangt werden kann, da sie für die Amtsführung verantwortlich sei (vgl. BGHZ 34, 99 = DVBl. 1961, 284).

31.

Im vorliegenden Falle würde das bedeuten, daß die Klage, wie es der Kl. auch getan hat, gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten ist.

32.

Die beanstandete Erklärung ist vom Staatssekretär in Vertretung des Ministers abgegeben worden. Der Minister jedoch ist nicht als Person tätig geworden, sondern als Mitglied der Bundesregierung, der gegenüber allein parlamentarische Verantwortlichkeit ausgeübt werden kann (§ 110 GeschOBT). Die Bundesregierung wiederum ist bei der Beantwortung der Anfrage nicht als Organ der Bundesrepublik aufgetreten, hat also bei Abgabe dieser Erklärung nicht den Bund repräsentiert oder verpflichtet, sondern hat sich im Rahmen eines typischen, staatsrechtlichen Vorganges selbst als Staatsorgan gegenüber einem anderen Staatsorgan verantwortet. Es handelt sich hier demnach um die politische Auseinandersetzung zwischen Staatsorganen in ihrer eigentümlichen staatsrechtlichen Organstellung, nicht aber um die einer Körperschaft als solcher zuzurechnenden Amtsführung, so daß die Bundesrepublik Deutschland auch nicht Anspruchsgegner eines Widerrufsanspruches sein kann.

33.

IV. Soweit der Kl. diesen Feststellungen dadurch zu begegnen versucht, daß er glaubt, einen Anspruch auf verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz aus Artikel 19 Abs. 4 GG herleiten zu können, übersieht er, daß die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorliegen. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob die Rechtsweggarantie des Artikel 19 Abs. 4 GG im vorliegenden Fall nicht schon dadurch als gewahrt angesehen werden könnte, daß dem Kl. möglicherweise mit dem Privatklageverfahren der Weg zu den Strafgerichten, mit einer Amtshaftungsklage oder einer Schadensersatzklage gegen die handelnden Personen zu den Zivilgerichten offensteht; denn, wie oben ausgeführt, ist der Kl. durch die Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt. Vielmehr sind, wie dargelegt, die Auswirkungen der Verhandlungen im Bundestag auf ihn allenfalls als Reflexe des zwischen den Organen sich abspielenden politischen Verfahrens zu werten.

34.

Abgesehen davon bestehen auch Bedenken, das Merkmal der "öffentlichen Gewalt" als gegeben anzusehen. Wenn die Kammer auch in Übereinstimmung mit Maunz-Dürig, aaO, RN 17 zu Art. 19 Abs. 4, der Auffassung ist, daß dieser Begriff nicht auf die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden beschränkt werden darf, so ist andererseits die Begrenzung doch jedenfalls darin zu finden, daß es sich um einen Akt der vollziehenden Gewalt handeln muß. Unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen bestehen aber gerade Bedenken, die Beantwortung einer Anfrage durch die Bundesregierung gegenüber dem Bundestag als Akt der vollziehenden Gewalt anzusehen.

35.

Richtig ist zwar, daß die Ausübung der Interpellation auch im Bereich der Gewaltenkontrolle angesiedelt ist, daß also mit den Anfragen der Bundestag als erste Gewalt die Regierung als Exekutive kontrolliert (vgl. Maunz-Dürig, aaO, RN 1 zu Art. 43). Doch ist, da dieser Vorgang letztlich in den Bereich der parlamentarisch-politischen Kontrolle eingebettet ist, das Tätigwerden der Regierung nicht vollziehende, d. h. gesetzesausführende Tätigkeit, sondern in der Zuordnung zu dem politischen Partner Bundestag aus dem Parlamentarismus erwachsene Regierungstätigkeit besonderer Art. Diese besondere Zweckrichtung verbietet es nach Auffassung der Kammer, in diesem Fall von einem Tätigwerden der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG zu sprechen, so daß diese Bestimmung der Abweisung der Klage nicht entgegensteht.

36.

Nach alledem sind die Widerrufsanträge des Kl. im vollen Umfange abzuweisen.

37.

V. Auch der Hilfsantrag des Kl., den Rechtsstreit an das Landgericht zu verweisen, ist nicht erfolgreich. Für eine an sich nach § 41 Abs. 3 VwGO zulässige Verweisung ist in dem vorliegenden Fall kein Raum, da wie dargelegt die Kammer den Verwaltungsrechtsweg für gegeben hält und die von dem Kl. gestellten Anträge zu 1 und 2 sinnvollerweise überhaupt nur vor einem Verwaltungsgericht erhoben werden können.