Verwaltungsgericht Göttingen
Beschluss vom 14.10.1998
- 1 B 1194/98
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 (weitere Fundstellen: NVwZ-RR 1999, 169 f.)

 

Tatbestand

1.

Der Ast. begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Verfügung, in der der Ag. gegen ihn für das gesamte Gebiet der Stadt G. und für die Dauer von 6 Monaten einen Platzverweis mit dem Ziel der Bekämpfung des Drogenhandels verhängt hat. Das VG hat den Antrag abgelehnt.

 

Aus den Gründen:

2.

In materiellrechtlicher Hinsicht überwiegt bei der von der Kammer bei ihrer Entscheidung nach § 80 V VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit der ausgesprochenen Platzverweisung und der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohung das entgegenstehende private Suspensivinteresse des Ast. Der Vorrang des öffentlichen Interesses rührt daher, daß sich der angegriffene Bescheid der Ag. vom 7. 9. 1998 im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen wird und seine sofortige Vollziehung zum Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren der Drogenkriminalität erforderlich ist, wogegen es dem nicht in G. wohnhaften Ast. zugemutet werden kann, das Stadtgebiet der Ag. vorläufig nicht zu betreten.

3.

Rechtsgrundlage der von der Ag. in der Verfügung vom 7. 9. 1998 ausgesprochenen Platzverweisung ist § 17 II NdsGefAG. Die Kammer hat keinen Anlaß, sich mit den in der Literatur unter Hinweis auf die in Art. 73 Nr. 3 GG geregelte ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für die Freizügigkeit geäußerten Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 17 II Nds-GefAG (vgl. zum Meinungsstand: Waechter, NdsVBl 1996, 197ff.) auseinanderzusetzen. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß sich der Begriff der Freizügigkeit in Art. 73 Nr. 3 GG anders als die Gewährleistung in Art. 11 I GG nicht nur auf Deutsche, sondern auch auf Ausländer beziehen könnte. Es unterliegt mithin keinen Bedenken, daß - wie im vorliegenden Fall geschehen - jedenfalls Ausländer grundsätzlich den Beschränkungen des § 17 II NdsGefAG unterworfen werden können.

4.

Gegen den Bescheid der Ag. vom 7. 9. 1998 ist in formellrechtlicher Hinsicht nichts zu erinnern. Insbesondere ist er inhaltlich hinreichend bestimmt i.S. der § 1 I 1 NdsVwVfG, 37 I VwVfG. Den von der Kammer beigezogenen Verwaltungsvorgängen lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß dem Ast. tatsächlich - wie dieser behauptet - zusammen mit dem Bescheid der Ag. vom 7. 9. 1998 der zur Gerichtsakte gereichte Stadtplan, in dem als verbotene Zone nur der Innenstadtbereich der Ag. eingezeichnet ist, überreicht worden ist. Vielmehr spricht ganz Überwiegendes dafür, daß der Ast. diesen Stadtplan bei einer der zuvor durch die Polizei auf der Grundlage des § 17 I NdsGefAG erlassenen Platzverweisungen, die sich ausdrücklich nur auf den Innenstadtbereich bezogen, erhalten hat.

5.

Materiellrechtlich sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 17 II NdsGefAG erfüllt. Die Annahme, daß der nicht im Gemeindegebiet der Ag. wohnhafte Ast. in diesem örtlichen Bereich zukünftig Straftaten nach § 29 I Nr. 1 BtMG in der Form des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln begehen wird, ist durch Tatsachen gerechtfertigt.

6.

Die Kammer legt die durch Gesetz vom 20. 5. 1996 (NdsGVBl, 230) in das NdsGefAG eingefügte Vorschrift des § 17 II NdsGefAG dahin aus, daß auf gesicherter Tatsachengrundlage eine Prognose in dem Sinne erfolgen muß, daß die Begehung einer Straftat in dem betroffenen örtlichen Bereich hinreichend wahrscheinlich ist (in diesem Sinne auch: Ausführungsbestimmungen zum NdsGefAG, NdsMBl 1998, 1078, allg. Teil und zu § 17; sowie VG Hannover, NdsVBl 1998, 147f.). Durch diesen Rückgriff auf den Kern der allgemeinen polizeirechtlichen Gefahrendefinition des § 2 Nr. 1a NdsGefAG bleibt für Bedenken gegen eine in § 17 II NdsGefAG angelegte, zu weit gehende Absenkung der polizeilichen Eingriffsschwelle kein Raum.

7.

Eine die Prognose, der Ast. werde künftig im Gebiet von G. mit Drogen unerlaubt Handel treiben, rechtfertigende Tatsache liegt zunächst darin, daß der Ast. mit rechtskräftigem Urteil des AG Göttingen vom 2. 6. 1998 des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen worden ist. Dabei ist hervorzuheben, daß das AG den Ast., bei dem die Polizei am 5.–6. 11. 1997 im Rahmen von Kontrollen im Bereich der T.-Straße erhebliche, in übliche verkaufsfähige Portionierungen aufgeteilte Mengen gefunden hatte, nur deshalb nicht auch des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln für schuldig erachtete, weil dem Ast. seine als unglaubhaft erachtete Einlassung, er habe das Haschisch zum Eigenverbrauch gekauft, nach strafrechtlichen Maßstäben nicht widerlegt werden konnte.

8.

Unabhängig von den durch das Urteil des AG Göttingen vom 2. 6. 1998 erfaßten Taten liegen weitere - von der Ag. jedenfalls durch ihren Vortrag im gerichtlichen Verfahren in Bezug genommene - Tatsachen vor, aus denen sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Schluß ziehen läßt, daß der Ast. in Zukunft unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel treiben wird. Es bedarf mithin keiner Entscheidung der von der Ag. aufgeworfenen Frage, ob nicht auch die durch die strafrichterlichen Freisprüche erfaßten Taten des Ast. einer Würdigung nach den Maßstäben des Gefahrenabwehrrechts unterzogen werden müssen. (Wird ausgeführt.)

9.

Die Ausdehnung der von der Ag. gegenüber dem Ast. verfügten Platzverweisung auf das gesamte Gebiet der Ag. ist aufgrund von § 17 II 2 NdsGefAG zulässig. Sie ist nach den Umständen des konkreten Einzelfalls i.S. des § 17 II 3 i.S. des § 17 II 3 NdsGef-AG erforderlich, um zu verhüten, daß der Ast. in Zukunft weiterhin unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel treibt und verstößt auch sonst nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Insoweit ist eine Vergleichbarkeit mit Sachverhalten, in denen die Rechtsprechung großräumige Platzverweisungen als unverhältnismäßig bewertet hat (VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 225 = DÖV 1997, 255f.; VG Stuttgart, NVwZ-RR 1996, 390f.) nicht gegeben. Nach den vorliegenden und für die Kammer nachvollziehbaren polizeilichen Erkenntnissen sind als Folge von Maßnahmen, die die Polizei zur Bekämpfung der offenen Drogenszene im Bereich der T.-Straße ergriffen hat, Tendenzen einer Verlagerung des Drogenhandels in andere Bereiche der Altstadt von G., aber auch in weitere Bezirke des Stadtgebiets erkennbar. Aufgrund dieser Erkenntnisse wäre eine räumlich enger begrenzte Platzverweisung des Ast. aller Voraussicht nach nicht geeignet, diesen von der Begehung des unerlaubten Drogenhandels abzuhalten und die Drogenszene in G. von den Aktivitäten und Lieferungen des Ast. zu entlasten. Dies gilt umsomehr, als der in B. wohnhafte Ast. nicht glaubhaft gemacht hat, daß er darauf angewiesen sein könnte, bestimmte Örtlichkeiten im Gemeindegebiet der Ag. aufzusuchen. Der Wunsch des Ast., das Angebot eines Mittagstisches durch die Gemeinde wahrzunehmen, ist insoweit unbeachtlich, da es dem Ast. zugemutet werden muß, sich in B. zu verköstigen, wie dies andere Bezieher von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die in dieser Gemeinde wohnhaft sind, auch tun. Im übrigen kann der Ast. nach dem Inhalt des Bescheids der Ag. vom 7. 9. 1998 aus besonderen Anlässen Ausnahmen von der verfügten Platzverweisung beantragen.

10.

Schließlich verstößt auch die von der Ag. verfügte sechsmonatige Dauer der Platzverweisung nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie ist geeignet und erforderlich, um die illegalen Geschäfte des Ast. nachhaltig zu unterbinden, und belastet den Ast. nicht in unangemessener Weise.