Verwaltungsgericht Freiburg
Urteil vom 20.02.2001
- 4 K 154/99
-

(weitere Fundstellen: NJW 2002, 1285 f.)

Zum Sachverhalt:

1.

Der Kl. hatte am 28. 1. 1998 in verschiedenen Zeitungen für eine von ihm am 31. 1. 1998 geplante Veranstaltung im Pfarrsaal einer Gemeinde geworben. In diesen Anzeigen hieß es, es würden rund 400 echte russische Ikonen („Sammlerstücke von hoher Qualität, zu Preisen von 30% bis 60% unter denen des einschlägigen Battenberg-Katalogs") aus vier Jahrhunderten ausgestellt und auch zum Verkauf angeboten; private Ikonen könnten kostenlos begutachtet werden; der Erlös der Verkaufsausstellung komme Waisenkindern in der Ukraine und den baltischen Staaten zugute; auch andere Sachspenden seien willkommen. Der Kl. hat diese Veranstaltung nicht zuvor bei der Bekl. angemeldet. Die Bekl. erfuhr von dieser Veranstaltung am 28. 1. 1998 aus der Zeitung. Auf Anfrage der Bekl. teilte der Kl. mit, er sei durch Amtsträger der Russisch-Orthodoxen Kirche zum autorisierten Ikonenmaler ernannt worden. Als solcher sei er seit langem freiberuflich tätig. Er berufe sich deshalb auf das Grundrecht der Kunstfreiheit. Alle von ihm angebotenen echten Ikonen seien neu von ihm bearbeitet worden. Dadurch sei er Urheber der Werke geworden und falle unter den Schutz des Grundrechts auf Kunstfreiheit. Die Neubearbeitung von alten Ikonographen sei seit jeher im Bereich der russischen Orthodoxie üblich. Allerdings sei dies nur einem von der Orthodoxen Kirche autorisierten Ikonographen erlaubt. Durch eine solche Neubearbeitung bleibe eine Ikone echt und kultfähig. Mit Schreiben vom 29. 1. 1998 teilte die Bekl. dem Kl. mit, dass es sich nach ihrer Auffassung um eine Verkaufsveranstaltung i.S. von § 56a GewO handle und dass es sich nach den Ankündigungen dieser Veranstaltung in den Zeitungen bei den ausgestellten Gegenständen nicht um Ikonen handle, die unter die Kunstfreiheit fielen. Es sei daher beabsichtigt, die Verkaufsveranstaltung wegen Verstoßes gegen das Ladenschlussgesetz, das Sonn- und Feiertagsgesetz sowie die Gewerbeordnung (wegen Nichtvorliegens einer Reisegewerbekarte, Nichtanzeige der Verkaufsveranstaltung) zu untersagen. Mit Bescheid vom 29. 1. 1998 untersagte die Bekl. - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung - dem Kl. die Durchführung der von ihm geplanten Veranstaltung zum Verkauf russischer Ikonen. Die vom Kl. beabsichtigte Veranstaltung fand daraufhin nicht statt.

2.

Das VG wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage ab.

Aus den Gründen:

3.

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 I 4 VwGO) zulässig. Es ist allgemein anerkannt, dass eine solche Klage auch erhoben werden kann, wenn sich der den Kl. belastende Verwaltungsakt nicht erst während des Klageverfahrens, sondern bereits vorher, ja sogar - wie im vorliegenden Fall - vor Erhebung des Widerspruchs erledigt hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. [2000], § 113 Rdnr. 99). Eine Erledigung des vom Kl. angegriffenen Bescheids in der Form der Untersagungsverfügung vom 29. 1. 1998 ist hier dadurch eingetreten, dass sich diese Verfügung ausdrücklich nur auf die Veranstaltung am 31. 1. und 1. 2. 1998 bezog und insoweit durch Zeitablauf überholt ist (Kopp/Schenke, § 113 Rdnr. 103). Dem Kl. kann auch ein Feststellungsinteresse zumindest in der Form einer Wiederholungsgefahr, die sich aus einem gleichartigen Vorgehen der Bekl. im Fall einer künftigen Veranstaltung des Kl. derselben Art ergibt, nicht abgesprochen werden.

4.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Bekl. vom 29. 1. 1998 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums vom 17. 12. 1998 sind rechtmäßig (gewesen).

5.

Die Untersagungsverfügung im Bescheid der Bekl. vom 29. 1. 1998 beruht auf § 56a III GewO. Danach kann die zuständige Behörde die Veranstaltung eines Wanderlagers zum Vertrieb von Waren untersagen, wenn die nach § 56a II GewO erforderliche Anzeige gegenüber der zuständigen Behörde nicht rechtzeitig oder nicht wahrheitsgemäß oder nicht vollständig erstattet worden ist oder wenn die öffentliche Ankündigung nicht den Vorschriften des § 56a II 1 Halbs. 2 und S. 2 GewO entspricht. Dass diese Voraussetzungen vorliegen, ist zwischen den Bet. im Grunde unstreitig. Auch der Kl. behauptet nicht, die von ihm geplante Veranstaltung am 31. 1. und 1. 2. 1998 gem. § 56a II GewO angezeigt zu haben oder im Besitz einer zur Ausübung eines Gewerbes erforderlichen Reisegewerbekarte zu sein. Zwischen den Bet. ist vielmehr allein die Frage streitig, ob die Vorschriften der Gewerbeordnung und anderer Vorschriften, die der Durchführung der geplanten Veranstaltung widersprechen, auf den vorliegenden Fall überhaupt Anwendung finden oder ob die vom Kl. geplante Veranstaltung vom Grundrecht der Kunstfreiheit in Art. 5 III 1 GG erfasst ist und deshalb den einfach-gesetzlichen Schranken (der Gewerbeordnung oder anderer Gesetze) nicht unterliegt.

6.

Diese Frage ist dahin zu beantworten, dass die vom Kl. am 31. 1. und 1. 2. 1998 geplante Veranstaltung dem Gewerberecht unterliegt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Kl. als Künstler bzw. ob seine Ikonenmalerei bzw. -restauration als Kunst i.S. von Art. 5 III 1 GG anzusehen ist. Vielmehr ist für den vorliegenden Fall allein auf die konkrete Veranstaltung, wie sie von dem Kl. geplant war, abzustellen. Auch ein Künstler kann sich außerhalb des von der Kunstfreiheit geschützten Raums gewerberechtlich betätigen. Deshalb kommt es auf die Mitgliedschaft des Kl. in der Künstlersozialversicherungskasse hier nicht an. Die vom Kl. konkret am 31. 1. und 1. 2. 1998 geplante Veranstaltung war nach dem maßgeblichen objektiven Erklärungsinhalt der von dem Kl. im „Wochenbericht" vom 28. 1. 1998 und im „Stadtkurier" vom 28. 1. 1998 geschalteten Anzeigen vor allem als eine Verkaufsausstellung konzipiert. Auf den Verkauf von Ikonen ist in diesen Anzeigen ausdrücklich und unter Hervorhebung des günstigen Preises, der zwischen 30% und 60% unter dem eines einschlägigen Kunstkatalogs liege, hingewiesen worden. Auch der Hinweis auf die Begutachtung privater Ikonen von Besuchern der Veranstaltung hat vor allem den Zweck, Besucher und Kunden anzusprechen, und steht so in einem engen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Verwertung der dem Kläger gehörenden Ikonen. Die (rein) wirtschaftliche Verwertung von Kunstwerken wird jedoch grundsätzlich nicht vom Schutzbereich der Kunstfreiheit in Art. GG Artikel 5 GG Artikel 5 Absatz III 1 GG erfasst (BVerfGE 49, 382 [392], und BVerfGE 31, 229 [238] = NJW 1971, 2163; Scholz, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Stand: Oktober 1999, Art. 5 III Rdnrn. 18 u. 47; Jarass/Pieroth, GG, 5. Aufl. [2000], Art. 5 Rdnr. 86; - ausf. Schönleiter, in: Landmann/Rohmer, GewO, Stand: Febr. 2000, § 55 Rdnr. 12a). Dementsprechend ist der Handel mit Kunstwerken grundsätzlich dem Gewerbe zuzuordnen, obwohl die Vermittlung von Kunst (z.B. in Ausstellungen und Galerien) durchaus in den Schutzbereich von Art. 5 III 1 GG fällt und - grundsätzlich - keinen gewerberechtlichen Beschränkungen unterliegt (auch die wirtschaftliche Verwertung musikalischer Urheberrechte durch die GEMA ist nicht durch Art. 5 III 1 GG geschützt, vgl. BAG, AfP 1983, 421).

7.

Bei einer Veranstaltung, die sowohl der Ausstellung als auch dem Verkauf von Kunstwerken dient, kommt es - wie die Bekl. zu Recht meint - darauf an, ob der Schwerpunkt der Veranstaltung eher auf der wirtschaftlichen Verwertung oder auf der (kommunikativen) Vermittlung der Kunstwerke, die dem „Wirkbereich" der Kunstfreiheit zuzurechnen ist, liegt (vgl. Schönleiter, § 55 Rdnr. 12a). Nur in den Fällen, in denen künstlerisches Schaffen und wirtschaftliche Verwertung so eng miteinander verknüpft sind, dass Einschränkungen auf der Seite der Verwertung nicht ohne Beschränkungen auf der Seite der künstlerischen Betätigung möglich sind, wird der Geltungsanspruch von Art. 5 III 1 GG sich auch auf die wirtschaftliche Seite auswirken. Aus diesem Grund unterfallen zum Beispiel Portraitmalereien und ähnliche künstlerische Tätigkeiten, die (z.B.) auf der Straße gegen Entgelt angeboten werden, umfassend, also auch hinsichtlich ihres Entgeltcharakters, dem Schutzbereich von Art. 5 III 1 GG (vgl. hierzu BVerwGE 84, 71 [74] = NJW 1990, 2011; Schönleiter, § 55 Rdnr. 12a; Scholz, Art. 5 III Rdnr. 18).

8.

Nach diesen Grundsätzen hat die Bekl. die vom Kl. am 31. 1. und 1. 2. 1998 geplante Veranstaltung zu Recht vorrangig als Verkaufsveranstaltung qualifiziert. Die Ausstellung der Ikonen stellte lediglich eine notwendige Begleiterscheinung dar; denn ohne Ausstellung der Ikonen wäre der Verkauf nicht denkbar oder zumindest sehr schwer realisierbar gewesen. Zu Recht hat die Bekl. eine untrennbare Verknüpfung von Kunstvermittlung und -verwertung im vorliegenden Fall verneint. Die Verkaufsveranstaltung hat der Kl. von langer Hand geplant, und er ist zur Verwirklichung seines künstlerischen Wirkens nicht auf solche Veranstaltungen angewiesen. Dass er unter Umständen wirtschaftlich darauf angewiesen ist, hat nach den vorstehenden Ausführungen keine Bedeutung; dies entbindet ihn nicht von den Pflichten, denen er auf Grund der wirtschaftlichen Betätigung als Gewerbetreibender unterliegt. Insbesondere hätte der Kl. die von der Kunstfreiheit geschützten Handlungen, das Herstellen und Ausstellen von Kunstwerken, durchaus getrennt von dem Verkauf organisieren können. Hätte der Kl. eine reine Ausstellung und getrennt davon, das heißt zu einem späteren Zeitpunkt, eine Verkaufsveranstaltung durchgeführt, so wäre die reine Ausstellung seiner Ikonen - vorausgesetzt die von ihm praktizierte Bearbeitung der Ikonen ist als Kunst und nicht als Handwerk zu qualifizieren - wohl als künstlerisches Wirken i.S. von Art. 5 III 1 GG anzusehen und von gewerberechtlichen Beschränkungen befreit gewesen.

9.

Hiernach kommt es auf die von den Bet. auch erörterte Frage, ob das Schaffen des Kl., die Wiederherstellung alter beschädigter Ikonen, als Kunst i.S. von Art. 5 III 1 GG oder als eine eher handwerkliche Tätigkeit in der Form der Restauration anzusehen ist, nicht an.

10.

Aber selbst wenn man - entgegen der zuvor dargestellten Meinung - der Auffassung wäre, die vom Kl. geplante Veranstaltung unterfiele dem Schutzbereich von Art. 5 III 1 GG, hat dies nicht die Rechtswidrigkeit des Bescheids der Bekl. vom 29. 1. 1998 zur Folge. Denn das behördliche Kontrollverfahren des § 56a GewO, insbesondere die in Absatz 2 dieser Vorschrift normierte Pflicht der vorherigen Anzeige der geplanten Veranstaltung, steht gerade unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit dem in Art. 5 III 1 GG gewährleisteten Schutz der Kunstfreiheit nicht in Widerspruch. Es würde auch verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht widersprechen, wenn man wirtschaftliche Betätigungen eines Künstlers, die zwar in den Schutzbereich von Art. 5 III 1 GG fallen, aber gleichwohl unbestreitbar viele Parallelen zu gewerblichen Betätigungen aufweisen, in den Geltungsbereich von § 56a GewO einbezöge. Die in der Anzeigepflicht des § 56a II GewO enthaltene Erschwernis für die Wahrnehmung der Kunstfreiheit ist nur sehr gering und unter dem Gesichtspunkt der Präventivsteuerung freiberuflicher (aber gewerbeähnlicher) Aktivitäten zum Schutz privater Vermögensinteressen verfassungsrechtlich gerechtfertigt; sie stellt im Übrigen nur eine formale Schranke dar, die noch nichts über die Zulässigkeit der künstlerischen Betätigung an sich aussagt (zu einem vergleichbaren Fall, der Erforderlichkeit einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis für sog. Straßenkunst, s. BVerwGE 84, 71 = NJW 1990, 2011; Schönleiter, § 55 Rdnr. 12). Ob die Bekl. dann, wenn der Kl. die Anzeigepflicht aus § 56a II GewO erfüllt hätte, berechtigt gewesen wäre, die von ihm geplante Veranstaltung zu untersagen, ist eine andere Frage, die sich in diesem Rechtsstreit nicht stellt.

11.

Nachdem sich der Bescheid der Bekl. vom 29. 1. 1998 bereits auf Grund von § 56a III GewO als rechtmäßig erweist, kann es dahingestellt bleiben, ob er auch aus anderen Gründen, zum Beispiel wegen Verstößen gegen das Sonn- und Feiertagsgesetz, das Ladenschlussgesetz oder andere Vorschriften der Gewerbeordnung, rechtmäßig hätte ergehen können.