Verwaltungsgericht Dresden
Beschluss vom 26.01.2007
- 14 K
2097/03 -

 

 

Sachverhalt

1.

Die Klägerin wehrt sich gegen eine Ordnungsverfügung, mit der ihr untersagt wird, in ihren Räumlichkeiten Paintball-Spiele zu gestatten.

 

Aus den Gründen:

2.

Die zulässige Klage ist begründet.

3.

Der Bescheid der Beklagten vom 26.11.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2003 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

4.

 Als Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung kommt vorliegend allein § 3 Abs. 1 Alt. 2 SächsPolG in Betracht. Nach dieser Alternative der polizeilichen Generalklausel kann die Polizei innerhalb der durch das Recht gesetzten Schranken die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine in einzelnen Fällen bestehende Gefahr für die öffentliche Ordnung abzuwehren.

5.

Diese allgemeine polizeirechtliche Befugnisnorm wird hier weder durch eine speziellere gewerberechtliche Eingriffsermächtigung verdrängt noch wird ihre Anwendbarkeit durch sonstige Rechtsvorschriften ausgeschlossen. Insbesondere ist der Beklagten die Heranziehung der polizeilichen Generalklausel nicht deshalb verwehrt, weil sie mit ihrer Untersagungsverfügung regelnd in die durch Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG und Art. 28 Abs. 1 i.V.m. Art. 37 Abs. 3 SächsVerf grundrechtlich geschützte Berufsausübung der Klägerin eingreift.

6.

Zwar ist für eine behördliche Berufsausübungsregelung grundsätzlich eine spezielle Ermächtigungsgrundlage erforderlich (grundlegend BVerwG, Urt. v. 23.02.1960, Az.: I C 240.58, BVerwGE 10, 164 ff., ebenso BVerwG, Beschl. v. 24.10.2001, Az.: 6 C 3/01, NVwZ 2002, S. 598). Der Regelungsvorbehalt des Art. 12 GG richtet sich an den Gesetzgeber, der fachlich orientierte Gesetze entsprechend der Belange der jeweils berührten Lebensbereiche treffen muss. Doch behält auch die polizeiliche Generalklausel trotz ihres weiten Geltungsbereiches den Charakter einer Berufsausübungsregelung im Sinne von Art. 12 Abs. 1 GG. Ihre Anwendung ist jedoch auf die Einzelfälle beschränkt, in denen wegen der unvorhersehbaren Vielgestaltigkeit aller Lebensbereiche die Fachgesetze für den Sachverhalt trotz Beachtung der vernünftigerweise zu erwartenden Präzision keine Regelung treffen, die Generalklausel diesen Einzelfall aber hinreichend klar erfasst. Davon kann nicht mehr ausgegangen werden, wenn die Beurteilung einer neuen Form der Berufstätigkeit von einer verwickelten, in den Bereich der Weltanschauungen hineinreichenden, abwägenden Wertung einer Mehrzahl verschiedener Schutzinteressen abhängt (BVerwG, a.a.O.). Dem Gesetzgeber ist zudem vor Erlass einer fachgesetzlichen Berufsregelung ein angemessener Zeitraum zuzubilligen, in dem er die Entwicklung und die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Wirkungen einer neuen Berufstätigkeit beobachten kann (BVerwG, a.a.O.)

7.

Nach allem ist hier nach Auffassung der Kammer eine spezielle Ermächtigungs-grundlage für die Untersagung des gewerblichen Gelegenheit-Bietens für Paintball-Spiele noch nicht erforderlich. Zwar mag das Paintballspiel selbst mittlerweile in der Bundesrepublik auf Vereinsebene eine nicht mehr zu vernachlässigende Verbreitung gefunden haben, das gewerbliche Anbieten von Spielmöglichkeiten erfolgt jedoch soweit ersichtlich immer noch nur in wenigen Einzelfällen. Die Klägerin selbst hat im Verfahren nur zwei weitere Einrichtungen benannt, die dem Anschein nach gewerblich betrieben werden. Zwar hat die Kammer bei eigenen Recherchen im Internet zwei weitere Angebote in Sachsen festgestellt, die den Eindruck einer gewerblichen Nutzung vermitteln. Sie mögen zwar auf Vereinsbasis geführt werden. Aus dem Umstand, dass die Nutzung dieser Plätze im Internet als freizugängliches Event angeboten wird, dürfte allerdings zu schließen sein, dass der Zugang auch mit einer Tagesmitgliedschaft gegen Zahlung zu erlangen ist, was einer gewerblichen Nutzung entsprechen dürfte. Aber selbst wenn man diese beiden in Sachsen bekannten Nutzungen gleichfalls als gewerbliche Nutzung ansehen wollte und eine entsprechend verstärkte Ausbreitung von gewerblichen Paintballhallen auch in den anderen Bundesländern annimmt, ergibt sich hieraus noch kein derartiger Grad der Verbreitung dieser gewerblichen Tätigkeit, dass hieraus bereits eine zwingende Regelungsbedürftigkeit durch den Gesetzgeber folgt.

8.

Wie die Kammer bereits in ihrem Beschluss vom 28.1.2003 – 14 K 2777/02 – dargelegt hat, kann die allgemeine polizeirechtliche Generalklausel während dieses demnach dem Gesetzgeber noch immer zuzubilligenden Zeitraums der Sammlung von Erfahrungen nicht einschränkungslos als Grundlage für Berufsregelungen herangezogen werden. Denn es liegt auf der Hand, dass diese "Beobachtungsphase" von den - eigentlich nicht zu grundlegenden Entscheidungen berufenen - Ordnungsbehörden nicht dazu genutzt werden darf, unter Anwendung des Polizeirechts von vornherein die Etablierung einer neuen Form der Berufsausübung nachhaltig zu vereiteln und damit jegliche Beobachtungen des Gesetzgebers überflüssig zu machen. Diese Gefahr ist insbesondere dann gegeben, wenn die fragliche Tätigkeit - wie hier - gewerblich nur mit erheblichem investiven Aufwand betrieben werden kann und die ordnungsbehördliche Regelung das Unternehmen typischerweise in seiner Kerntätigkeit und nicht nur in Nebenaspekten des ertragbringenden unternehmerischen Handelns trifft. Dies erscheint zwar hinnehmbar für sich neu entwickelnde gewerbliche Tätigkeiten, die fraglos und eindeutig eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen, ohne dass demgegenüber schutzwürdige Interessen von Gewicht für die Ausübung dieser Tätigkeit streiten. Zweifellos muss die Etablierung einer derartigen unnötig gefahrbringenden Unternehmung nicht erst abgewartet werden, wenn die Unverhältnismäßigkeit der entstehenden Gefahr für die Allgemeinheit gegenüber dem Fehlen anderer Schutzinteressen von Gewicht von vornherein klar zu Tage tritt. Der gleichwohl bestehenden Gefahr der Umgehung des spezialgesetzlichen Vorbehalts muss allerdings nach Auffassung der Kammer dadurch begegnet werden, dass besonders sorgfältig geprüft wird, ob die untersagte Handlung im Einzelfall mit der zu fordernden Eindeutigkeit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt und ob das Ausmaß der Gefahr den Umfang des Eingriffs in die Berufsausübung rechtfertigt.

9.

Hinsichtlich der verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit der danach anwendbaren polizeilichen Generalermächtigung bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Die zu den Tatbestandsmerkmalen zählenden unbestimmten Rechtsbegriffe der öffentlichen Sicherheit und öffentlichen Ordnung sind durch Rechtsprechung und Rechtslehre nach ihrem Inhalt und Zweck und Ausmaß der Ermächtigung hinreichend konkretisiert worden (vgl. hierzu BVerfGE 54, 143), so dass ihr Bedeutungsgehalt geklärt ist.

10.

Dem ordnungsbehördlichen Einschreiten steht auch die Legalisierungswirkung der für die Nutzungsänderung gemäß § 70 SächsBauO erteilten Baugenehmigung nicht entgegen, da sich diese Genehmigung nur mit der Zulässigkeit der Nutzung als Freizeit- und Sporthalle befasst, aber keine abschließende Entscheidung über ordnungsrechtliche Zulässigkeit der konkret angebotenen Spielform trifft.

11.

Die Kammer geht indes auch im vorliegenden Hauptsacheverfahren davon aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Untersagungsverfügung nicht vorliegen. Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung gemäß § 3 Abs. 1 SächsPolG besteht zur Überzeugung der Kammer nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit.

12.

Das in das sächsischen Polizeirecht entgegen grundsätzlicher Bedenken (vgl. hierzu Lisken/Denninger, "Handbuch des Polizeirechtes", 2. Auflage, E. Polizeiaufgaben Rn. 25) aufgenommene Schutzgut der öffentlichen Ordnung umfasst die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beobachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens betrachtet wird (PrOVGE 91, 139, 140). Hierzu zählen nach herrschender Auffassung insbesondere diejenigen Wertmaßstäbe, die ihren Niederschlag in der Werteordnung des Grundgesetzes gefunden haben (OVG Münster, Urt.v.27.09.2000, GewArch 2001, S. 71), wie die Menschenwürde und das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Denn die in der Verfassung fixierten Wertvorstellungen spiegeln die Gesamtheit der sozialethischen Werte wider, die die verfassungsgebende Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt ihrer Entwicklung erreicht hat (OVG Münster, a.a.O.). Die Bestimmung des aus diesen Wertmaßstäben im Einzelfall ableitbaren konkreten sozialethischen Gebotes, dem § 3 Abs. 1 Alt. 2 SächsPolG polizeirechtlich zur Durchsetzung verhelfen soll, darf daher nicht unabhängig von den derzeit gültigen Anschauungen der Gesellschaft erfolgen, was maßgebliche unerlässliche Ordnungsvoraussetzungen der Rechtsgemeinschaft sind (vgl. OVG Münster, a.a.O.).

13.

Nach Auffassung der Kammer kann derzeit nicht sicher davon ausgegangen werden, dass die Spielhandlungen des Paintball-Spiels, zu dem die Klägerin Gelegenheit bietet, gegen die Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG verstoßen (hierzu unter a)). Auch eine öffentliche Abkehr von anderen Wertentscheidungen des Grundgesetzes (hierzu unter b)) oder ein Nichtbeachten eines sonst allgemein anerkannten Wertekonsens (hierzu unter c)) liegt nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit vor.

14.

a) Die Würde des Menschen ist der oberste Wert des Grundgesetzes (BVerfGE 32, 98, 108; 50, 166, 175, BVerwG, DVBl. 1994, S. 528); sie ist tragendes Konstitutionsprinzip der Verfassung (BVerfGE 87, 209, 228; 96, 375, 398) mit Ausstrahlungswirkung auf die Auslegung der Grundrechte ebenso wie für die Anwendung einfachgesetzlichen Rechts (Maunz-Dürig, "Grundgesetz", Art. 1 Rn. 6ff. und 15f. mit weiteren Nachweisen). Ungeachtet der Schwierigkeiten bei der Bestimmung des begrifflichen Inhalts der Menschenwürde (vgl. hierzu die Darstellung von Dreier, "Grundgesetz", Bd. 1, Art. 1 Rn. 36), besteht in Rechtsprechung und Rechtslehre weitgehend Übereinstimmung darin, dass dem Menschen in seiner Freiheit ein jeglichem geschaffenen Recht vorausliegender Eigenwert zukommt (Maunz-Dürig, a.a.O., Rn. 18), weil er eine mit der Fähigkeit zur eigenverant-wortlichen Lebensgestaltung begabte Persönlichkeit ist (Leibholz/Rinck/Hesselberger, "Grundgesetz", § 1 Rn. 2). Dem Menschen kommt in der Gemeinschaft ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch zu, er darf daher nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden (BVerfGE 45, 228; 87, 228). Zu der geschützten Würde des Menschen in seiner Individualität gehört, dass der Mensch es in der Hand hat, sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten und über sich selbst zu verfügen (BVerfGE 49, 298). Art. 1 Abs. 1 GG wendet sich mit seinem über die Grundrechte vermittelten Abwehrgehalt zwar unmittelbar nur an staatliche Organe, er verpflichtet den Staat allerdings auch zum Schutz der Menschenwürde vor Angriffen Dritter. Wann die Würde eines Menschen, sei es des Individuums oder des Gattungswesens, verletzt ist, lässt sich nicht allgemeingültig feststellen (Leibholz u.a., a.a.O., Rn. 10). Grundsätzlich setzt eine Verletzung jedoch voraus, dass ein Mensch einer spezifischen Behandlung ausgesetzt wird, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt oder in der im konkreten Fall eine willkürliche Missachtung seiner Würde liegt (BVerfGE 30, 25).

15.

Die so geartete Behandlung muss nach Auffassung der Kammer aktuell erfolgen; eine Verletzung der Menschenwürde kann daher nicht bereits dann angenommen werden, wenn das fragliche Verhalten als solches zwar keine entwürdigende Behandlung eines anderen Menschen darstellt, aber das Gefahrenpotential in sich birgt, eine ethische Haltung zu erzeugen oder zu verstärken, die den Eigenwert des Menschen leugnet; wenn also nur Anlass zur Sorge besteht, dass das derzeitige Verhalten späteren entwürdigenden Behandlungen von Menschen Vorschub leisten kann oder sich die allgemeinen Wertvorstellungen oder das Verhalten in der Gesellschaft nachteilig ändern (so aber BVerwG, a.a.O.). Würde man die durch das polizeiliche Eingreifen zu unterbindende Verletzung der Menschenwürde bereits bei einer vermuteten Veränderung sittlich-ethischer Einstellungen und verinnerlichter Haltungen annehmen, so würde ohne Berechtigung ein bloßer Gefahrenverdacht mit einer bereits eingetretenen oder konkret bevorstehenden Rechtsgutverletzung gleichgestellt. Der Erlass der Ordnungsverfügung durch die Beklagte beruht auf einer derartigen Gleichstellung, denn ein konkreter Wirkungszusammenhang zwischen der Ausbildung violenter Persönlichkeiten und dem Konsum von Gewaltdarstellungen bzw. der spielerischen Ausübung von Gewalt konnte bislang, soweit dem Gericht ersichtlich, durch Untersuchungen nicht belegt werden (so auch BVerwG, a.a.O., L. S., a.a.O. zu den Auswirkungen des Paintballspiels auf die untersuchten Mitglieder der Paintballszene, vgl. Wolfgang Wunden: "Medienwirkungen am Beispiel von Gewaltdarstellungen im Fernsehen", veröffentlicht in "Medien und Ethik", herausgegeben von Matthias Karmasin, Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart, 2002, S. 84ff. mit weiteren Nachweisen zu den Wirkungen von Mediengewalt; vgl. grundsätzlich zur Frage der Abgrenzung von Gefahr und Gefahrenverdacht BVerwG, Urt.v.03.07.2002, Az.: 6 CN 8/01, DVBl 2002, S. 1562).

16.

Eine Rechtfertigung für eine derart weitgehende Vorverlagerung der Schutzschwelle von der konkreten Verletzung und Gefährdung der Würde eines Menschen zu der Abwehr eines nicht hinreichend erforschten und in seiner Allgemeinheit kaum benennbaren Gefahrenpotentials besteht nicht. Sie kann insbesondere nicht in der grundlegenden Bedeutung des Schutzgutes der Menschenwürde gesehen werden, weil mit diesem Argument eine Beschränkung des polizeilichen Tätigwerdens ausschließlich im vorliegenden Bereich der gewerblichen Zurverfügungstellung einer Spielmöglichkeit nicht begründet werden kann. Denn liegt der entscheidende Vorwurf in dem Erzeugen oder Verstärken einer Einstellung, die den fundamentalen Wert- und Achtungsanspruch leugnet, der jedem Menschen zukommt, weil dem in Rede stehenden Verhalten die Tendenz zur Bejahung oder Bagatellisierung der Gewalt innewohnt, ist ein akzeptabler Grund für eine Untätigkeit der Polizeibehörden in anderen Bereichen nicht ersichtlich. So müsste jegliches Handeln in der Öffentlichkeit oder auch im Privatbereich, das im Verdacht steht, im oben geschilderten Sinne die ethische Integrität einer Person nachteilig zu beeinflussen, durch den Staat aufgrund seiner Schutzpflicht für die Menschenwürde verhindert werden. Erwähnt seien hier nur beispielhaft Gewaltdarstellungen in Film und Fernsehen, reißerische Presseberichte über Gewalthandlungen, Gewalt in den Familien, gewaltverherrlichende Aspekte bei einzelnen Religionen. Es ließe sich demnach auch die Differenzierung hinsichtlich der Veranstaltung von Paintballspielen im gewerblichen und im Privatbereich – auf Vereinsebene - nicht rechtfertigen. Jegliche durch das staatliche Einschreiten beeinträchtigten Grundrechte würden angesichts der überragenden Bedeutung der verletzten Menschenwürde ohne weiteres zurücktreten müssen. Welche Folgen dies etwa für die Meinungs-, Presse-, Rundfunk-, Kunst- und Religionsfreiheit und damit für konstituierende Grundrechte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hätte, liegt auf der Hand.

17.

Ein so verstandenes Schutzgebot lässt sich auch nicht auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes in seinem Beschluss vom 20.10.1992, abgedruckt in BVerfGE 87, 209, 228, stützen. Die Kammer hat ihre dahingehende Auffassung ausführlich in ihrem Beschluss vom 28.01.2003, dargelegt, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.

18.

Die sich danach allein noch stellende Frage, ob im Rahmen des Paintball-Spiels Personen einer entwürdigenden Behandlung ausgesetzt werden, ist zu verneinen. Durch die Simulation von Gewalt im Rahmen eines Mannschaftsspiels wird erkennbar weder der personale Eigenwert eines Mitspielers geleugnet, noch wird er zum Objekt des Handelns herabgewürdigt (so auch BVerwG, a.a.O.).

19.

b) Der von der Beklagten beanstandeten Spielhandlung, dem Schießen mit Farbmarkierungskugeln auf Menschen, stehen auch sonst nicht mit der erforderlichen Klarheit Wertmaßstäbe des Grundgesetzes wie das Recht auf Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 GG) entgegen (a.A. VGH München, Urt.v.27.06.2000, Az.: 21 B. 98.2184, BayVBl 2001, S. 689; OVG Münster, a.a.O. und OVG Koblenz, Beschl.v. 21.06.1994, Az.: 11 B 11428/94, NVwZ-RR 1995, S. 30 für das Laserdrome-Spiel). Ein Verstoß gegen Werte von Verfassungsrang liegt im Regelfall nur vor, wenn das den Wert konstituierende Rechtsgut tatsächlich verletzt oder ein aus der Verfassung fließendes sozialethisches oder rechtliches Gebot tatsächlich missachtet bzw. ihm öffentlich der Anspruch auf Geltung abgesprochen wird. Dagegen kann von einem Verstoß nicht ohne weiteres gesprochen werden, wenn ein solches Verhalten nur simuliert wird. Dies gilt insbesondere für die im Rahmen eines Spieles erfolgende Simulation von Wertverstößen. Dem Spiel wird grundsätzlich eine hohe kulturelle Bedeutung sowie ein starker Einfluss auf die Entwicklung des Einzelnen und seine Fähigkeit zur Interaktion in der Gesellschaft beigemessen (Gunter Gebauer/ Christoph Wulf: "Spiel Ritual Geste - Mimetisches Handeln in der sozialen Welt", Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 1998, S. 191 ff. mit weiteren Nachweisen). Eine Betrachtungsweise, die den Sinn von Spielen auf das Verschaffen von Unterhaltung und Vergnügen reduziert, wird deren mehrschichtiger Wirkungsweise nicht gerecht. Wesentliches strukturelles Merkmal der Spiele ist das "Wirklich-Unwirkliche", sie vollziehen sich in einem eigens für sie geschaffenen Rahmen, der sie von der Alltagsrealität abhebt, wobei das Spielgeschehen als wahr und wirklich empfunden wird (Gebauer u.a., a.a.O., S. 192 ff.). Spiel und Alltagswirklichkeit beruhen auf ähnlichen organisierenden Prinzipien und beeinflussen sich gegenseitig (Gebauer u.a.., a.a.O., S. 200 unter Hinweis auf Caillois, R.: "Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch", Ullstein, Frankfurt/Main, 1982). Das Spiel bietet wegen seines Charakters des "Als-ob" die Chance - ohne Konsequenzen fürchten zu müssen - Emotionen und Phantasien auszuleben, denen im Alltagsleben aufgrund von sozialen Konventionen und Verhaltensstandards kein Ausdruck verliehen werden kann. Die Spielillusion ermöglicht dem Spielenden ein echtes und intensives "Nacherzeugen" von Affekten und Emotionen, die im stark affektkontrollierten Alltag vermieden werden (Gebauer u.a., a.a.O., S. 202 ff.). Dieses Prinzip der "Entkriminalisierung" ansonsten gesetzwidriger Verhaltensweisen gilt auch im Bereich des Sportes (Klaus Heinemann: " Einführung in die Soziologie des Sports", 4. Auflage, Verlag Karl Hoffmann, Schorndorf, S. 182f.). Mithin ist der kontrollierte spielerische Tabubruch seit jeher Teil unserer gesellschaftlichen Kultur. Es besteht kein Anlass anzunehmen, dass die auf der Basis dieser kulturellen Prädisposition geschaffene grundrechtliche Werteordnung umfassend auch für das Agieren eines Menschen auf der Metaebene der Spielwelt Geltung beansprucht. Angesichts dessen kann von einem Verstoß gegen Verfassungswerte auf der "Wirklichkeitsebene" durch ein Spiel grundsätzlich nicht ausgegangen werden, solange die im Rahmen der Spielhandlung tatsächlich erfolgende oder simulierte Übertretung sozialer Regeln und Konventionen nur mit "spielerischem Ernst" erfolgt und die Handlung ihrem von den Akteuren bestimmten Sinngehalt nachgerade ohne Folgen für die parallele Alltagswelt bleiben soll. Ein anderes gilt allerdings dann, wenn durch das Spiel Emotionen erzeugt werden sollen, die in einer wertegebundenen Gesellschaft schlechthin geächtet sind - zu denken wäre dabei etwa an Folterspiele. An der Werteordnung messen lassen muss sich spielerisches Verhalten zudem auch dann, wenn es den Rahmen der "Metaebene" überschreitet und in die Alltagswelt hineintritt. Dies erscheint denkbar, wenn der spielerische Rahmen von einzelnen Mitspielern verlassen wird, indem der allgemeine Konsens über die Regeln des Spiels verletzt wird. Desgleichen ist es möglich, dass sich ein "Spiel" von vornherein nicht nur auf der Metaebene der "Spielwelt" bewegt, weil es darauf angelegt ist, auch unmittelbar in der Alltagswelt Folgen zu erzeugen, etwa durch gezielte Provokation und Einbeziehung der Umwelt. Schließlich kommt eine Rahmenüberschreitung auch für den Fall in Betracht, in dem die Grenzen zwischen Metaebene und Alltagswelt für den Spieler verschwinden, weil er nicht mehr in der Lage ist, zwischen beidem zu differenzieren. Insofern kann der Grad der Realitätsnähe eines Spielszenarios von Bedeutung sein.

20.

Gemessen an diesem Maßstab lässt sich hier ein Verstoß gegen die Werteordnung des Grundgesetzes nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht feststellen. Die Spielhandlung des Paintball-Spiels enthält keine Elemente, die nach Auffassung der Kammer schlechthin als nach den geltenden Wertmaßstäben geächtet anzusehen sind. Die spielerische Simulation des "Ausschaltens" eines Menschen und damit implizit des Verletzens und Tötens dieser Person kann hierzu nicht gezählt werden; dieses Spielelement ist weit verbreitet und kehrt in einer Vielzahl von Variationen in Mannschaftsspielen, Computerspielen und Sportarten wie Fechten, Boxen und Karate wieder. Ein Verschwimmen der Rahmenziehung zwischen Spielwelt und Alltagswelt ist hier nach den bislang bekannten Tatsachen ebenfalls nicht zu befürchten. Das Spielfeld, wie es sich nach den dem Gericht vorliegenden Fotografien darstellt, weist keine starke Ähnlichkeit mit realen Kampffeldern auf. Vielmehr werden zum Teil sogar aufgeblasene, bunte Stoffkörper als Hindernis verwendet. Allein der Umstand, dass Gegenspieler und damit Zielobjekt reale Personen sind, bewirkt nicht einen derartigen Zuwachs an Naturtreue, dass dieses Spiel in Abgrenzung z.B. zu Computerspielen - die hinsichtlich des Spielszenarios regelmäßig weit detailgetreuer sind - eine neue Qualität von Realismus aufweisen würde.

21.

Dagegen sprechen auch die Feststellungen der dem Gericht vorliegenden gutachterlichen Stellungnahme zur Gewaltaffinität von Mitglieder/innen der (deutschen) Paintball-Szene. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Gefahr des Verwischens von Spiel und Alltag nicht gegeben ist. So wurde bei den in die Untersuchung einbezogenen Personen festgestellt, dass der selbstreflexive kritische Umgang mit dem eigenen Faible und eine Vielzahl von Vorkehrungen und Reglementierungen zur Sicherheit der Spieler gegen einen zu befürchtenden Realitätsverlust spreche. Diese Ergebnisse lassen sich zwar nicht ohne weiteres verallgemeinern, da keine repräsentative Gruppe von Personen der Untersuchung unterzogen wurde, sondern die Studie im Rahmen der "Paintball-Szene" erstellt wurde, die erklärtermaßen eine starke Auslese bei ihren Mitgliedern betreibt. Ausdrücklich weist die Studie auch darauf hin, dass nicht in die "Szene" eingebundene psychisch labile Personen oder militante Jugendliche zum Teil eine andere Einstellung zu ihrem Agieren in diesem Spiel pflegen und deshalb ein Problem darstellen können. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein nicht unerheblicher Teil des Nutzerkreises der Einrichtung der Klägerin gleichwohl entsprechende Tendenzen des Verwischens der Grenzen von Spiel und Realität zeigen könnte. Die Kammer sieht in Anbetracht des bisherigen Verlaufs der Nutzung keinen Anlass, dieser Überlegung vertiefend nachzugehen. Die Beklagte selbst hat es nicht für angezeigt erachtet, im Rahmen des Widerspruchs- oder Klageverfahrens in eine weitere Aufklärung dieser Problematik einzutreten, obwohl ihr der ausführliche Beschluss der Kammer, der auf diesen Umstand deutlich hingewiesen hatte, bekannt war. Sie kann aus ihren eigenen Feststellungen auch keine konkreten Anhaltspunkte für eine derartige Wirkungsweise des Paintballspiels auf den konkreten Nutzerkreis benennen. Unter diesen Umständen sieht die Kammer keinen Anlass, ihrerseits in eine Ermittlung einzutreten, die lediglich in der Beauftragung einer umfangreichen Studie bestehen könnte. Vielmehr fällt ausschlaggebend ins Gewicht, dass nach dem Ergebnis der bisher vorliegenden Studie solche realitätsübergreifenden Tendenzen dem Paintball-Spiel jedenfalls nicht generell innewohnen, so dass bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung ein eindeutiger, klar auf der Hand liegender Werteverstoß nicht zu verzeichnen ist.

22.

c) Ebenso wenig bestehen Anhaltspunkte von Gewicht dafür, dass das Paintball-Spiel ersichtlich gegen einen gesellschaftlichen Wertekonsens verstößt. Ob es allgemein herrschenden Anschauungen entspricht, dass es für ein geordnetes Zusammenleben erforderlich ist, Spiele zu unterlassen, in denen die Tötung oder Verletzung von Menschen simuliert wird, erscheint fraglich. Die Verbreitung einer solchen Auffassung, dass ein Mensch generell nicht ohne einen moralisch nicht zu beanstandenden Grund zum Ziel einer simulierten Gewaltausübung gemacht werden darf, ist weder unmittelbar durch empirische Untersuchungen belegt, noch ist aus den bekannten Interaktionen innerhalb gesellschaftlicher Gruppen und ihrer Bewertung in der Öffentlichkeit ein Rückschluss auf einen derartigen Wertekonsens möglich. Vielmehr sprechen etwa die weite und allgemein tolerierte Verbreitung von Kriegsspielzeug für Kinder sowie die Akzeptanz von mit erheblicher "realer" Gewaltausübung einhergehenden Freizeitsportarten wie Boxen und Karate deutlich gegen die überwiegende Verbreitung einer solchen Wertanschauung. Allein der Umstand, dass hier die fiktive Gewaltausübung mittels einer Gasdruckwaffe erfolgt, die realen Waffen ähnelt, gibt dem Geschehen im Vergleich zu den vorgenannten Sportarten unter ethischen Gesichtspunkten ebenfalls keine völlig neue Qualität.

23.

Zwar mag ein gesellschaftlicher Konsens dahingehend bestehen, dass Spiele sittlich anstößig und mit dem gemeinhin anerkannten Wertekanon nicht vereinbar sind, wenn zu dem spielerischen Inhalt des Durchlebens einer Kampfsituation deutlich erkennbar noch eine weitere das Zusammenleben störende Dimension hinzutritt, weil etwa reale Gewalt bewusst in einer Weise bagatellisiert wird, die Anstoß erregt oder etwa grausame Gewalthandlungen als positiv und Vergnügen bringend erlebt werden sollen. Gleiches mag für Spiele gelten, deren Inhalt nahezu ausschließlich in der Simulation des Tötens besteht, die ihren Reiz daher weitestgehend aus dem genussvollen Ausleben der Emotion des Auslöschens eines Lebens gewinnen. Es bestehen jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Paintballspiel eine derartige Wirkung hat. Ausweislich des vorgelegten Regelwerkes ist das "Markieren" von Mitspielern nur ein Aspekt einer mehrschichtigen Spielhandlung. Das auf Wettbewerb und sportlichem Wettkampf basierende Spiel erfordert daneben auch Geschicklichkeit, Schnelligkeit, Reaktionsvermögen, Zielsicherheit, Strategie, Taktik und Mannschaftsgeist und gewinnt seinen Reiz durch die Notwendigkeit, sich in einer exotischen Kampfsituation in vielfältiger Hinsicht zu beweisen. Diese Einschätzung wird auch durch die gutachterliche Stellungnahme gestützt, in der die Faszination des Paintball als ein Bündel von drei Motivstrukturen beschrieben wird: Danach vermittelt Paintball außeralltägliche Erfahrungen, Nervenkitzel und Thrill, Selbstbestätigung im Wettbewerb und Wirgefühl und Teamgeist. Die Kammer sieht in Anbetracht der Erklärungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der konkreten Ausgestaltung der gewerblichen Tätigkeit der Klägerin die aus Gründen des Spielgenusses tolerierbare Grenze zur Bagatellisierung der realen Gewaltanwendung überschritten wird. Vielmehr hat die Klägerin nach ihrer ausdrücklichen Erklärung in der mündlichen Verhandlung die ihr durch Beschluss der Kammer vom 28.01.2003 – 14 K 2777/02 - zur Vermeidung einer derartigen Wirkung auferlegten Vorgaben bereits vor diesem Beschluss stets verwirklicht und sie hat ihre fortbestehende Bereitschaft betont, dies auch zukünftig zu tun. Anhaltspunkte dafür, dass hiervon nicht ausgegangen werden kann, bestehen nicht. Die Beklagte selbst hat in ihrer Funktion als Ordnungsbehörde keinerlei gegenteilige Anhaltspunkte ermittelt.

24.

Die Voraussetzungen für das ordnungsbehördliche Einschreiten zum Schutz der öffentlichen Ordnung liegen daher nach dem derzeitigen Erkenntnisstand und in Anbetracht der bislang bekannten Ergebnisse soziologischer Studien nach Überzeugung der Kammer nicht vor. Eine weitergehende Beweiserhebung drängt sich der Kammer nicht auf.

25.

Infolgedessen ist auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit gemäß § 3 Abs. 1 Alt. 1 SächsPolG nicht gegeben. Allein in Betracht zu ziehen ist insoweit die Gefahr eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung durch Begehung einer Belästigung der Allgemeinheit nach § 118 OWiG. Da dieser Ordnungswidrigkeitstatbestand jedoch mit der Tathandlung der grob ungehörigen Handlung gleichfalls auf einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung rekurriert, sind seine Voraussetzungen nach dem oben Gesagten ebensowenig erfüllt.