Verwaltungsgericht Berlin
Beschluss vom 7.12.2012
- 5 L 419.12
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Leitsätze

1.

Das Aufstellen eines Zeltes zur Durchführung eines mehrmonatigen Hungerstreiks auf öffentlichem Straßenland ist für eine kollektive Meinungskundgabe nicht zwingend erforderlich und damit nicht vom Versammlungsgrundrecht abgedeckt.

2.

Das Versammlungsgrundrecht gibt dem Einzelnen keinen Anspruch gegen den Staat, möglichst optimale Rahmenbedingungen für die Durchführung seiner Versammlung zu schaffen.

 

 

 

Zum Sachverhalt

1.

Der Antragsteller wendet sich gegen einen für sofort vollziehbar erklärten versammlungsrechtlichen Bescheid, hilfsweise begehrt er die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis. Er beabsichtigt in der Zeit vom 18. Dezember 2003 bis zum 22. Februar 2004 auf dem Alexanderplatz die Durchführung eines öffentlichen Solidaritätshungerstreiks mit 20 Teilnehmern. Zwei der Hungerstreikenden sollen sich dabei in einem Glaskasten aufhalten, der Rest der Teilnehmer soll rund um die Uhr in einem Zelt lagern. Thema der Aktion sind die Haftbedingungen in der Türkei. Mit sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 19. Dezember 2003 untersagte der Antragsgegner zu 1) u. a. das Aufstellen von Zelten, soweit keine Erlaubnis nach dem Straßen- bzw. dem Straßenverkehrsrecht erteilt worden sei. Zur Begründung führt der Bescheid an, wer sich unter freiem Himmel versammele, setze sich zwangsläufig der herrschenden Witterung aus und könne aus dem Versammlungsgrundrecht keinen Anspruch auf die Aufstellung eines Regenschutzes ableiten. Insoweit hat der Antragsteller Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.

2.

Der Antragsgegner zu 2, das Bezirksamt Mitte, hat die vom Antragsteller begehrte Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen des Zeltes mit Bescheid vom 22. 12. 2003 abgelehnt. Der Sondernutzungserlaubnis stehe der Versagungsgrund des § 11 Absatz 2 Nr. 3 BerlStrG, wonach das Nächtigen und Lagern auf öffentlichem Straßenland unerwünscht sei, zwingend entgegen. Im Rahmen der Interessenabwägung gebiete auch das Versammlungsrecht nicht, der beabsichtigten Meinungskundgabe gegenüber der Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs den Vorzug zu geben.

 

Aus den Gründen

3.

Der zulässige Antrag ist sowohl mit dem Haupt- als auch dem Hilfsbegehren unbegründet.

4.

1. Es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides des Polizeipräsidenten in B vom 19. Dezember 2003, da diese Verfügung, soweit sie angegriffen ist, bei der nur möglichen summarischen Prüfung keinen ernstlichen rechtlichen Zweifeln begegnet. Das Verbot zum Aufbau eines Zeltes im Bescheid vom 19. Dezember 2003, sofern keine Erlaubnis nach dem Straßen- bzw. dem Straßenverkehrsrecht vorliegt, beruht auf § 15 Abs. 1 VersG. Danach kann eine Versammlung oder ein Aufzug von der zuständigen Behörde verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Veranstaltung unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die §§ 14, 15 VersG bilden ein in sich geschlossenes und abschließendes Regelungswerk, mit dem sichergestellt wird, dass die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs notwendigen Maßnahmen getroffen werden können (BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, 7 C 50/88, BVerwGE 82, 34, 38). Der Schutz der öffentlichen Sicherheit im Sinne von § 15 VersammlG umfasst die gesamte Rechtsordnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. September 1981, BVerwG 64, 55, 58 f.) und damit etwa auch die straßenrechtlichen Vorschriften. Die Anforderungen des Straßenrechts bilden einen geradezu typischen Konfliktbereich im Spannungsfeld zwischen Versammlungsfreiheit und öffentlicher Sicherheit (so zum Straßenverkehrsrecht BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, a. a. O.). Der Ausgleich zwischen der verfassungsrechtlich gewährleisteten Versammlungsfreiheit und der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht im Rahmen eines vorgeschalteten Erlaubnisverfahrens, sondern allein nach Maßgabe des § 15 VersammlG erfolgen. Hieraus folgt, dass die Versammlungsbehörde auf dieser Grundlage "Nebengeschehen", das nicht funktional der Verwirklichung des Versammlungsgrundrechts dient, untersagen kann und muss (Kanther, NVwZ 2001, 1239, 1241). So liegt der Fall hier, weil der Aufbau des Zeltes nach Überzeugung der Kammer nicht als Versammlungsbestandteil anzusehen ist. Eine Versammlung ist eine Zusammenkunft einer Mehrheit von Personen zu einem gemeinsamen Zweck. Art. 8 GG und die Vorschriften des Versammlungsgesetzes zielen darauf ab, das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Meinungsäußerung (kollektive Aussage) zu schützen (BVerwG, Urteil vom 21. April 1989, a. a. O., S. 39; st. Rspr. der Kammer, vgl. zuletzt Urteil vom 19. November 2003, VG 1 A 267.02, m. w. N.). Grundsätzlich sind die Beteiligten zwar berechtigt, selbst darüber zu bestimmen, was sie zum Gegenstand öffentlicher Meinungsbildung machen und welcher Formen der kommunikativen Einwirkung sie sich bedienen wollen (BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001, 1 BvQ 28/01, NJW 2001, 2459, 2461). Im Einzelfall kann es auch durchaus möglich sein, mittels eines oder mehrerer Zelte eine kollektive Aussage zu treffen (OVG Münster, Beschluss vom 23. September 1991, 5 B 2541/91, NVwZ-RR 1992, 360-361, Roma-Zeltlager). Einem solchen Zweck dient das Zelt, das der Antragsteller aufzustellen beabsichtigt, unter den hier festzustellenden Gegebenheiten aber nicht. Denn es ist für einen objektiven Betrachter nach außen hin "neutral", so dass sich hieraus kein auf die kollektive Meinungsäußerung bzw. Meinungsbildung gerichteter Zweck entnehmen lässt (ähnlich VG Karlsruhe, Urteil vom 14. Februar 2001, 4 K 3227/00, zitiert nach juris). Vielmehr dient es ganz überwiegend der Unterbringung der Teilnehmer der Aktion und dem Schutz vor den winterlichen Wetterbedingungen. Die dem Zelt vom Antragsteller nunmehr zugeschriebene Symbolisierung des bisher in der Türkei praktizierten Gruppen-Strafvollzuges vermag die Kammer daher nicht zu erkennen. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist das Zelt daher nicht wesensnotwendig, um den in Aussicht genommenen Hungerstreik durchzuführen; er ist vielmehr auch ohne diese Vorkehrungen jedenfalls denkbar. Letztlich läuft das Begehren des Antragstellers darauf hinaus, möglichst optimale Rahmenbedingungen für die Durchführung seiner Versammlung zu schaffen; das Versammlungsgrundrecht gibt dem Einzelnen aber keinen derartigen Anspruch gegen den Staat (vgl. Beschluss der Kammer vom 22. Dezember 2000, VG 1 A 423.00). Wer sich nicht in geschlossenen Räumen, sondern unter freiem Himmel versammelt, setzt sich zwangsläufig der jeweils herrschenden Witterung aus und kann nicht aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit ein Recht zur Aufstellung eines Pavillons und von Zelten als Regenschutz ableiten (Beschluss der Kammer vom 29. Mai 1996, VG 1 A 171.96). Da der Antragsteller die demnach nach § 11 Abs. 1 BerlStrG erforderliche Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen eines Zeltes auf öffentlichem Straßenland weder besitzt noch – wie noch zu zeigen ist – einen Anspruch hierauf hat, handelt er ordnungswidrig, wenn er derartige Aufbauten dennoch benutzt. Diesen Verstoß zu verhindern verfolgt die in Streit stehende Auflage, deren sofortige Vollziehung auch im öffentlichen Interesse zur Verhinderung des ansonsten eintretenden rechtswidrigen Zustands geboten ist.

5.

2. Auch der Hilfsantrag, den das Gericht trotz weitergehender Formulierung (Sondernutzungserlaubnis auch für das Aufstellen zweier Tische) in Anlehnung an den Hauptantrag und die gegebene Begründung ebenfalls auf das Aufstellen des Zeltes beschränkt ansieht (§ 88 VwGO), bleibt ohne Erfolg. Denn der Antragsteller hat das Bestehen eines Anordnungsanspruchs im Sinne von § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO i. V. m. §§ 920 ff. ZPO nicht glaubhaft gemacht. Zwar steht die Erteilung einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis, derer er nach den obigen Ausführungen für das Aufstellen eines Zeltes auf öffentlichem Straßenland bedarf, weil es sich hierbei nicht um Gemeingebrauch handelt, im Ermessen der Straßenbaubehörde (§ 11 Abs. 1 BerlStrG). § 11 Abs. 2 S. 1 und S. 2 Nr. 3 BerlStrG bestimmt indes, dass die Erlaubnis zwingend zu versagen ist, wenn öffentliche Interessen der Sondernutzung entgegenstehen, wozu auch das Lagern und Nächtigen auf öffentlichem Straßenland zählt. Darum geht es dem Antragsteller mit der bis Februar rund um die Uhr geplanten Daueraktion. Selbst wenn der Behörde ein Restermessen bliebe, gebietet jedenfalls das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG, auf das sich ohnehin nur Deutsche berufen können, aus den oben genannten Gründen keine Reduzierung des Ermessens auf Null.