Verwaltungsgericht
Berlin
Beschluss vom 25.6.1999
- 1 A 191.99
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(weitere Fundstellen: LKV 1999, 373 ff.)
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Leitsatz |
1. |
Zum Schutzbereich des Art 8 GG im Hinblick auf Verkaufs- und Imbißstände. |
2. |
Das Versammlungsgrundrecht gibt dem Einzelnen keinen Anspruch gegen den Staat, möglichst optimale Rahmenbedingungen für die Durchführung seiner Versammlung zu schaffen. |
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Tatbestand |
1. |
Die Antragstellerin organisiert die seit zehn Jahren in Berlin jeweils am zweiten Juliwochenende des Jahres stattfindende Veranstaltung "Love Parade". Seit 1996 findet die Veranstaltung auf der Straße des 17. Juni im Bezirk T statt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 11. Februar 1999 meldete die Antragstellerin die diesjährige Veranstaltung beim Polizeipräsidenten in B als Versammlungsbehörde für den 10. Juli 1999 unter dem Motto "Music is the Key" an. Sie bezeichnete es als ihr Anliegen, gemeinsam mit bis zu einer Million Teilnehmern aus aller Welt ein Zeichen zu setzen für Offenheit, Toleranz und ein friedliches Miteinander. Die gemeinsame Liebe zur Musik bilde über sprachliche und kulturelle Barrieren hinweg den Schlüssel zu einer gemeinschaftlichen Verständigung. Stärker als in den vergangenen Jahren, in denen allein die beiden auch in diesem Jahr geplanten Züge von jeweils 25 Wagen im Mittelpunkt der Versammlung gestanden hätten, sollten nun auch stationäre Versammlungsschwerpunkte gesetzt werden. Insbesondere entlang der Straße des 17. Juni, aber auch in einigen Straßen der näheren Umgebung sollten Stände errichtet werden, die als "Love Parade Forum" einen neuen Bestandteil der Veranstaltung bildeten. Das "Love Parade Forum" gebe verschiedenen Gruppen, für die eine Beteiligung an den Zügen nicht in Frage komme, die Gelegenheit, an der Versammlung aktiv mitzuwirken. Im einzelnen erläuterte die Antragstellerin das Konzept "Love Parade Forum" so:
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2. |
Durch Bescheid vom 20. Mai 1999 bestätigte der Polizeipräsident in Berlin der Antragstellerin die Anmeldung der Veranstaltung als Versammlung unter bestimmten Auflagen, nahm indessen Teile des als "Love Parade Forum" bezeichneten Veranstaltungskonzeptes von der Versammlungsbestätigung aus. Hierzu traf er unter Anordnung der sofortigen Vollziehung unter Nr. 4 der "Auflagen bzw. Teilversagungen" folgende Feststellungen:
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3. |
Die Einschränkung der Versammlungsbestätigung insoweit wurde damit begründet, daß die unter der Bezeichnung "Love Parade Forum" angemeldeten Betätigungen bei verständiger Würdigung und unter Berücksichtigung aller bekanntgewordenen Fakten und Umstände derart starke kommerzielle (Gewinn-) Bezüge aufweisen, daß die Versammlungsbezüge völlig in den Hintergrund träten. Aus der versammlungsrechtlichen Bestätigung der Love Parade und der damit verbundenen Erlaubnis, öffentliches Straßenland nicht verkehrsüblich für die Veranstaltung zu nutzen, lasse sich eine Verfügungsbefugnis dergestalt ableiten, daß die Antragstellerin befugt sei, öffentliches Straßenland weit über den eigentlichen Versammlungsraum hinaus für Dritte (Straßenbetreiber) zu reservieren und diesen gegen finanzielle oder auch geldwerte Leistungen zur Verfügung zu stellen. Gegen diese Beschränkung der versammlungsrechtlichen Bestätigung hat die Antragstellerin Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist. |
4. |
Am 31. Mai 1999 schloß das Bezirksamt T von B mit der Beigeladenen einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Einräumung von Sondernutzungsrechten anläßlich der Love Parade 1999. Zu Umfang und Gegenstand der Sondernutzungserlaubnis heißt es in § 1 des Vertrages unter anderem:
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5. |
Mit dem am 3. 6. 1999 eingegangenen und zunächst auf Untersagung eines Vertragsabschlusses gerichteten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin nunmehr, nachdem ihr nachträglich der bereits vollzogene Vertragsabschluß bekanntgeworden ist, sinngemäß, einstweilen festzustellen, daß der mit der Beigeladenen geschlossene öffentlichrechtliche Vertrag über die Einräumung von Sondernutzungsrechten anläßlich der Love Parade 1999 unwirksam sei, solange sie diesem Vertrag nicht schriftlich zugestimmt habe. |
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Aus den Gründen: |
6. |
Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO hat keinen Erfolg. Dabei kann offen bleiben, ob eine "vorläufige" Feststellung der Unwirksamkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrages durch einstweilige Anordnung zulässigerweise überhaupt in Betracht kommt. Der Erlaß der begehrten einstweiligen Anordnung scheitert jedenfalls daran, daß ohne sie nicht die Verwirklichung eines Rechtes der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert wird (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Auch ist die Anordnung nicht geboten, um wesentliche Nachteile von der Antragstellerin abzuwehren (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). |
7. |
Die Antragstellerin hat keine verwaltungsverfahrensrechtliche oder im materiellen Recht begründete Mitwirkungsbefugnis bei der nach § 11 Abs. 1 BerlStrG zu treffenden straßenrechtlichen Entscheidung über die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis. Soweit sie die Unwirksamkeit des Vertrages mit der Beigeladenen daraus ableitet, daß der Vertrag gegen § 11 Abs. 2 Satz 2 a) BerlStrG (nicht unerhebliche Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs) verstoße, macht sie sich unstatthafterweise zum Anwalt öffentlicher Interessen, wobei hinzukommt, daß der Gemeingebrauch (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 2 BerlStrG) in gleicher Weise beeinträchtigt wäre, wenn die Verkaufsstände auf der Straße des 17. Juni von ihr selbst betrieben oder vermittelt würden. Es ist auch nicht erkennbar, inwieweit ein nach Auffassung der Antragstellerin wegen Gesetzesverstoßes unwirksamer (also nichtiger) öffentlich-rechtlicher Vertrag durch ihre Zustimmung wieder wirksam werden könnte. Schließlich geht es der Antragstellerin aber auch gar nicht um die Gewährleistung des Gemeingebrauchs, sondern um die Abwehr eines von ihr in diesem Vertrag gesehenen Eingriffs in ihr Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Allein dann, wenn der öffentlich-rechtliche Vertrag des Antragsgegners mit der Beigeladenen in Rechte der Antragstellerin eingreifen würde, wäre er nach § 58 Abs. 1 VwVfG schwebend unwirksam. Dies ist aber nicht der Fall. Ein Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) der Antragstellerin als Veranstalterin der Love Parade durch Vergabe der Sondernutzungserlaubnis für den Verkauf von Speisen und Getränken auf der Straße des 17. Juni am Tage der Veranstaltung an die Beigeladene liegt unter keiner rechtlich vertretbaren Betrachtungsweise vor. Entsprechendes gilt für den Verkauf von Artikeln mit Bezug zur Love Parade wie Wasserpistolen, Luftballons, Leuchtstäbe u. ä.. |
8. |
Eine reale Beeinträchtigung des von der Versammlungsbestätigung des Polizeipräsidenten in Berlin vom 20. Mai 1999 umfaßten Teils der von der Antragstellerin angemeldeten Veranstaltung (Love Parade ohne das "Forum": Aufzüge mit zwei LKW -- Zügen und abendliche Abschlußveranstaltung an der Siegessäule) ist unter keiner Betrachtungsweise denkbar. Aus diesem Grunde kann dahinstehen, ob es sich bei der Veranstaltung insoweit überhaupt um eine "Versammlung" im Sinne von Art. 8 GG und des Versammlungsgesetzes handelt. Auch in ihren bisherigen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Love Parade (Beschlüsse vom 24. Juni 1997 -- VG 1 A 221.97 -- und vom 9. Juli 1998 -- VG 1 A 293.98 --) hat die Kammer die rechtliche Einordnung der Veranstaltung insoweit -weil nicht entscheidungserheblich- offen gelassen, wenn auch erhebliche Zweifel am Versammlungscharakter anklingen lassen. Im Beschluß vom 24. Juni 1997 wurde die entsprechende Einordnung durch die Versammlungsbehörde als "jedenfalls nicht so außerhalb jeder vertretbaren Betrachtungsweise liegend beurteilt, daß die Versammlungsbestätigung wegen eines besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehlers gemäß 44 Abs. 1 VwVfG als nichtig anzusehen" sei. Eine grundsätzliche Klärung dieser Frage (vgl. zuletzt Deutelmoser, NVwZ 1999, 240 ff.) kann ohnehin nicht Gegenstand eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens sein. |
9. |
Anders verhält es sich mit den tatsächlichen Auswirkungen der Standplatzvergabe an die Beigeladene auf das von der Antragstellerin geplante "Love Parade Forum". Die Durchführung dieses Vorhabens wird ihr zwar nicht hinsichtlich des Aufbaus von Ständen zur Information über die Love Parade oder zur Darstellung teilnehmender Gruppen oder Organisationen, wohl aber für den Aufbau von Ständen zum Verkauf von Getränken und Speisen sowie anderer Artikel unmöglich. Darin liegt indessen kein Eingriff in die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG). Zwar kann sich die Antragstellerin hinsichtlich der grundsätzlichen Bewertung der Love Parade als Versammlung gegenüber dem Bezirksamt Tiergarten auf den bestätigenden Bescheid der Versammlungsbehörde berufen (zur rechtlichen Tragweite der sog. Versammlungsbestätigung vgl. Markworth, Versammlungsfreiheit in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Berlin, Festschrift für Günter Berge 1989, S. 83 ff -- 87/88 --). Zur Bedeutung der Versammlungsbestätigung im Blick auf die Love Parade hat die Kammer in ihrem erwähnten Beschluß vom 24. Juni 1997 (S. 7/8) folgendes ausgeführt:
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10. |
Diese Ausführungen gelten entsprechend auch für den Bescheid der Versammlungsbehörde vom 20. Mai 1999 zur diesjährigen Love Parade. Die Tatbestandswirkung des feststellenden Verwaltungsakts beschränkt sich allerdings nicht auf den begünstigenden Teil der Feststellungen, sondern erstreckt sich auch auf die vorgenommenen Einschränkungen. Die Herausnahme bestimmter Veranstaltungsteile aus der Versammlungsbestätigung ist als belastende Regelung des Inhalts anzusehen, daß für diese Veranstaltungsteile die versammlungsrechtliche Privilegierung nicht gilt und insoweit die Regeln und Zuständigkeiten des allgemeinen Ordnungsrechts zu beachten sind (vgl. Markworth, a. a. O., S. 88). Die in dem versammlungsrechtlichen Bescheid vom 20. Mai 1999 liegende negative Feststellung, daß das sogen. Catering nicht als versammlungsrechtlicher Bestandteil der Love Parade anzusehen sei, ist für sofort vollziehbar erklärt worden und damit unbeschadet des von der Antragstellerin hiergegen eingelegten Widerspruchs wirksam. Bereits aus diesem Grunde kann sich die Antragstellerin gegenüber einer anderen Behörde des Landes Berlin nicht auf den versammlungsrechtlichen Charakter des "Love Parade Forums" im Ganzen (also auch im Blick auf das sog. Catering) berufen. Vielmehr muß sie ihre abweichende Rechtsauffassung zunächst in dem Rechtsbehelfsverfahren gegen die versammlungsrechtliche Entscheidung durchzusetzen suchen. |
11. |
Unabhängig von diesen formalrechtlich zwingenden Erwägungen kann der Antrag aber auch deshalb keinen Erfolg haben, weil das reine Catering-Geschäft anläßlich der Love Parade rechtlich nicht als Versammlungsbestandteil zu werten ist. |
12. |
Die Versorgung der Teilnehmer der Love Parade mit Speisen und Getränken gehört nicht zu dem durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrecht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Nicht jede Betätigung, die in einem faktischen Zusammenhang mit einer als Versammlung qualifizierten Veranstaltung steht, nimmt an deren versammlungsrechtlicher Einordnung teil. Daß allein das Aufstellen von Imbiß- und Verzehrständen bei einer Versammlung nicht dazu führen darf, der Veranstaltung insgesamt den Versammlungscharakter abzusprechen (vgl. BVerwGE 82, 34, 39), bedeutet nicht ohne weiteres, daß derartige Verkaufsstände auch rechtlich als Versammlungsbestandteil zu bewerten sind. Zwar können nach Auffassung der Kammer auch Verkaufsstände als Bestandteil einer Versammlung vom Grundrechtsschutz mitumfaßt sein, sofern sie in einer inneren Beziehung zum öffentlichen Anliegen der Versammlung stehen. Ein derartiger Fall lag dem Beschluß der Kammer vom 28. August 1998 zur sogen. "Hanfparade" (VG 1 A 383.98) zugrunde, bei der für die Freigabe des Hanfanbaues geworben und auch Hanfartikel verkauft werden sollten. In jenem Beschluß hat die Kammer ausgeführt:
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13. |
An dieser differenzierenden Betrachtung hält die Kammer fest. Zwar hat die Kammer bei jener Veranstaltung auch das Aufstellen von Verzehrständen als Versammlungsbestandteil angesehen. Daraus läßt sich aber nicht die allgemeine Aussage ableiten, daß Imbiß- und Verzehrstände unabhängig von den jeweiligen Modalitäten der Veranstaltung und der Organisation des Verkaufs grundsätzlich der Versammlung zuzurechnen sind. Im vorliegenden Fall soll der Imbiß- und Getränkeverkauf gesondert von der eigentlichen Veranstaltung und nach einem offenbar weniger der Versorgung der Raver und Schaulustigen mit Nahrung und Getränken als der Gewinnerzielung dienenden Konzept durchgeführt werden. Daß es nicht in erster Linie um die Versorgung der Love Parade-Teilnehmer geht, ergibt sich schon aus dem Umstand, daß diese ja auch durch die Beigeladene gewährleistet wird. Bezeichnenderweise haben die Antragstellerin und deren Geschäftsführer anläßlich der Love Parade 1998 die Behörden sogar aufgefordert, derartige Stände, deren Aufbau von Ihnen selbst nicht vorgesehen war, nicht zuzulassen, worauf der Polizeipräsident in seinem Bescheid vom 20. Mai 1999 ausdrücklich hinweist. Die durch die Vergabe der Standflächen von den Betreibern der 150 geplanten Verkaufsstände an die Antragstellerin zu zahlenden Entgelte, je nach Kategorie zwischen 626,- DM und 2.262,- DM (dazu kommen noch die von sogen. "Läufern" zu entrichtende Entgelte von jeweils 580,- DM) würden sich zu einem sehr erheblichen Betrag summieren und letztlich dazu führen, daß die Antragstellerin öffentliches Eigentum ohne Zahlung eines Sondernutzungsentgelts ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen nutzbar macht. Insgesamt besteht -jedenfalls bei der in diesem Verfahren nur in summarischer Form möglichen Prüfung- der vorherrschende Eindruck, daß die Antragstellerin mit dem Begriff "Love Parade Forum" den ganz offensichtlich geschäftlich besonders interessanten Veranstaltungsteil als gewissermaßen stationäre Versammlung nur etikettiert, ohne daß dieses Vorhaben selbst eine versammlungsrechtliche Relevanz hat. Die Kammer hat keine Zweifel daran, daß nicht Informations- und Selbstdarstellungsstände an der Love Parade teilnehmender Gruppen (diese sind der Antragstellerin nicht verwehrt), sondern Verkaufsstände dominieren würden. |
14. |
Da die Beigeladene nichts anderes unternimmt als das, was die Antragstellerin unter der Bezeichnung "Love Parade Forum" mindestens ganz überwiegend selbst vor hat, kann durch die Vergabe der Sondernutzungsrechte an die Beigeladene auch nicht ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit dergestalt erblickt werden, daß die Love Parade durch das kommerzielle Auftreten der Beigeladenen in der Öffentlichkeit diskreditiert wird. Das "Catering" ist ein gewinnträchtiges Geschäft, unabhängig davon, wer die Einnahmen erzielt. Davon, daß die Beigeladene eine eigene parallele "Techno-Veranstaltung" durchführt, kann offensichtlich nicht die Rede sein. Sie organisiert lediglich den Imbiß- und Getränkeverkauf im Rahmen des mit dem Antragsgegner geschlossenen Sondernutzungsvertrages. Die Verwendung dieser Bezeichnung ist offensichtlich allein darauf zurückzuführen, daß die Antragstellerin im vergangenen Jahr gegen die Beigeladene vorgegangen ist, weil diese auf ihren Formularen den markenrechtlich geschützten Begriff "Love Parade" benutzt hatte. |