Oberverwaltungsgericht des Saarlandes
Urteil vom 16.05.1991
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8 R 7/91 -

 (weitere Fundstellen: NVwZ 1992, 72 f.)

 

 

Zum Sachverhalt:

1.

Die Kl. unterhält im Ortsteil L. der Stadt B. die Pfarrkirche St. M. mit einer Kirchturmuhr, die über vierundzwanzig Stunden hinweg viertelstündlich schlägt. Die volle Stunde wird durch eine große Glocke angeschlagen; die fortschreitenden Viertelstunden wurden mit ursprünglich drei bis zwölf Schlägen, nach Ausfall eines Glockenhammers nur mehr mit zwei bis acht Schlägen kleinerer Glocken angezeigt. Der Einbau der Turmuhr mit Schlagwerk erfolgte im Jahr 1960, beruht aber auf einer älteren Tradition, da die in den Jahren 1785/86 errichtete alte Kirche bereits mit einer vierhundert Jahre alten Turmuhr ausgestattet war, die schon Stunden und Teilstunden mit dem Schlagwerk anzeigte. Im Jahr 1984 kam es zu einer Nachbarbeschwerde im Hinblick auf die Lautstärke des nächtlichen Glockenschlags. Der Bf. war Anwohner des in einer kleinen Wohnstraße gelegenen Anwesens, das etwa 200m südwestlich entfernt von der Kirche St. M liegt. Er machte geltend, er habe eine Lautstärke von 75 dB (A) gemessen, und legte zusätzlich ein nervenfachärztliches Attest von 6. 2. 1984 vor, in dem seiner Ehefrau Einschlafbeschwerden bescheinigt wurden. Der Bekl. nahm daraufhin mehrfache Schallmessungen jeweils einen halben Meter vor den der Kirche zugewandten Fenstern des Ober- und Mittelgeschosses des Anwesens vor. Bei einer ersten Schallmessung am 1. 2. 1984 ergaben sich Spitzenwerte von 72 dB (A) für die Stundenschläge und 70 dB (A) für die Viertelstundenschläge. Nach einer mehrfachen Regulation des Schlagwerks wurden am 9. 6. 1984 Werte bis 70 dB (A) für die Stundenschläge und sogar bis 74 dB (A) für die Viertelstundenschläge gemessen; in der nachfolgenden Messung vom 19. 6. 1984 ergaben sich entsprechende Werte von 70 dB (A) für die Stundenschläge und 72 dB (A) für die Viertelstundenschläge. Nach Einbau von Schallblenden in den Glockenturm nahm der Bekl. am 15. 7. 1984 eine abschließende Schallmessung vor. Bei dieser Messung waren die Stundenschläge in den Spitzenwerten bis zu 72 dB (A) und die Viertelstundenschläge bis zu 70 dB (A) laut. Nach Anhörung der Kl. ordnete der Bekl. mit Bescheid vom 10. 7. 1985 an, der Schallpegel des Schlagwerks der Turmuhr sei durch technische Maßnahmen so zu senken, daß er in der Nachtzeit nicht über 60 dB (A) liege, anderenfalls müsse das Schlagwerk in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr abgeschaltet werden. Die auf § 24 BImSchG gestützte Verfügung geht davon aus, daß das Immissionsschutzrecht und insbesondere die TA Lärm sowie die VDI-Richtlinie 2058 auf nichtliturgischen Glockenschlag uneingeschränkt anwendbar seien, nach der vorhandenen Bebauung am Einwirkungsort ein allgemeines Wohngebiet vorliege und hier der nächtliche Immissionsrichtwert von 40 dB (A) Dauerschallpegel durch Einzelgeräusche lediglich um bis zu 20 dB (A) überschritten werden dürfe, was im konkreten Fall die Grenzziehung für das Glockengeläut bei Spitzenwerten von 60 dB (A) rechtfertige. Die Kl. legte dagegen mit Schreiben vom 15. 7. 1985, eingegangen am 30. 7. 1985, Widerspruch ein und machte im folgenden geltend, der nächtliche Stundenschlag der Kirchenglocken könne keinesfalls als Lärm i. S. des Bundes-Immissionsschutzgesetzes begriffen werden, sondern sei eine traditionelle Äußerungsform kirchlichen Gemeindelebens und werde von der überwiegenden Mehrheit der Gemeindebewohner toleriert oder sogar als wohltuend empfunden. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. 2. 1986 wurde unter Zurückweisung des Widerspruchs der Tenor der Anordnung dahingehend gefaßt, daß das Schlagwerk der Turmuhr jeweils in der Zeit von 22 Uhr bis 6 Uhr abzuschalten sei, es sei denn, durch zusätzliche Geräuschminderungsmaßnahmen gelänge es, den Geräuschpegel auf unter 60 dB (A) abzusenken.

2.

Die vom Kl. erhobene Klage hat das VG abgewiesen, seine Berufung hatte indes Erfolg.

 

Aus den Gründen:

3.

Rechtsgrundlage der angefochtenen immissionsschutzrechtlichen Anordnung vom 10. 7. 1985 sind die gegenüber dem allgemeinen Polizeirecht spezielleren Vorschriften der §§ 22 I, 24 1 BImSchG. Danach sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, daß schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden (§ 22 I 1 Nr. 1 BImSchG), wobei es für Anlagen, die nicht gewerblichen Zwecken dienen und nicht im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmen Verwendung finden, insoweit nur auf schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen oder Geräusche ankommt (§ 22 I 2 BImSchG). Die zuständige Behörde - nach § 2 Nr. 2 der Zuständigkeitsverordnung vom 4. 6. 1974 i. d. F. der Änderungsverordnung vom 3. 2. 1978 (Abl S. 92) der Bekl. - kann im Einzelfall die zur Durchführung des § 22 BImSchG und der auf dieses Gesetz gestützten Rechtsverordnungen erforderlichen Anordnungen treffen, hat insoweit also Ermessensspielraum (§ 24 S. 1 BImSchG).

4.

Vorrangig stellt sich hier die - zu bejahende - Frage, ob das Immissionsschutzrecht überhaupt auf die hier betroffene Tätigkeit der Kirche anwendbar ist. Das VG ist bei seiner Rechtsprüfung davon ausgegangen, daß die Tätigkeit der Kl. als Teil der Kirche, soweit es um das Zeitschlagen der Kirchturmuhr geht, dem staatlichen Immissionsschutzrecht und staatlichen Eingriffsbefugnissen unterliegt. Dies trifft ungeachtet der besonderen verfassungsrechtlichen Rechtstellung der Kirche zu.

5.

Nach der staatskirchenrechtlichen Regelung des Grundgesetzes (Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 I, III WRV) sind die Kirchen als Institutionen mit dem Recht der Selbstbestimmung anerkannt, die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten; vielmehr leiten sie ihre öffentliche Rechtsstellung und ihre öffentliche Wirksamkeit aus ihrem besonderen Auftrag ab (BVerfGE 18, 385 (386 f.) = NJW 1965, 961). Bereits aus diesem grundsätzlichen Verständnis folgt, daß die Geltung staatlichen Rechts und die Geltung staatlicher Eingriffsbefugnisse für kirchliche Maßnahmen sich nicht von selbst verstehen. Vielmehr muß nach Art und Auswirkung der kirchlichen Maßnahmen differenziert werden.

6.

Die staatsfreie Eigenständigkeit der Kirchen umfaßt zunächst einen Kernbereich religiöser Betätigung (vgl. Maunz-Dürig, GG, Art. 140 Rdnr. 9). Am weitesten geht die Staatsfreiheit der Kirchen bei denjenigen Maßnahmen im Kernbereich, die im staatlichen Zuständigkeitsbereich keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalten, wie beispielsweise die Teilung einer Kirchengemeinde (vgl. dazu und zu dem folgenden BVerfGE 18, 385 (386-388) = NJW 1965, 961): In diesem Bereich sind die Kirchen ungeachtet Art. 137 III WRV nicht an das für alle geltende Gesetz gebunden, und der Staat darf nicht in ihre inneren Verhältnisse eingreifen. Ein solcher Fall kirchlicher Tätigkeit ohne Außenwirkung liegt hier ersichtlich nicht vor.

7.

Weniger weit geht die Staatsfreiheit der Kirchen bei Maßnahmen im Kernbereich mit Außenwirkung im staatlichen Bereich. Dazu gehört etwa das sakralen Zwecken dienende Angelus-Läuten (vgl. BVerwGE 68, 62 = NJW 1984, 989 = NVwZ 1984, 306 L = DVBl 1984, 227; weitere Beispiele bei Maunz-Dürig, Art. 140 Rdnr. 9: Innengestaltung der zum Gottesdienst bestimmten Gebäude unter Beachtung des Baurechts). Maßnahmen in diesem Bereich unterliegen als innerkirchliche Angelegenheiten sowohl dem Schutz des Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 III WRV als auch dem Schutz der Religionsausübung nach Art. 4 II GG (vgl. zum ersteren BVerwGE 68, 62 = NJW 1984, 989 = NVwZ 1984, 306 L = DVBl 1984, 227, und zum letzteren Campenhausen, DVBl 1972, 316). Andererseits hat liturgisches Glockengeläut Außenwirkung auf staatliche Belange, denn es kann mit dem Ruhebedürfnis der Nachbarn kollidieren, und der Schutz der Nachbarn vor schädlichen Immissionen ist Aufgabe des Staates (BVerwGE 68, 62 = NJW 1984, 989 = NVwZ 1984, 306 L = DVBl 1984, 227). In diesem Bereich stehen die Kirchen nicht außerhalb des staatlichen Rechts, vielmehr ist wenn nötig eine Güterabwägung zwischen den staatlichen Befugnissen und dem Grundrecht der Religionsfreiheit vorzunehmen (vgl. Maunz-Dürig, Art. 40 Rdnr. 9; ebenso aus der Sicht des Art. 140 GG zu einer Wechselwirkung zwischen staatlichen Gesetzen und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht BVerwGE 68, 62 = NJW 1984, 989 = NVwZ 1984, 306 L = DVBl 1984, 227 (228)). Für diesen Bereich wird überwiegend die Auffassung vertreten, daß jedenfalls im Rahmen der Bauaufsicht und der Gefahrenabwehr staatliche Eingriffe möglich sind (vgl. Maunz-Dürig, Art. 140 Rdnr. 9; Drews-Wacke-Vogel-Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl., S. 283; Campenhausen, DVBl 1972, 316 (318); Sachs, NVwZ 1988, 127 f.; offen gelassen vom BVerwGE 68, 62 = NJW 1984, 989 = NVwZ 1984, 306 L = DVBl 1984, 227 (229); differenzierend VG Stade, NVwZ 1989, 497 (499 f.)). Sind die Kirchen in diesem religiösen Kernbereich mit Außenwirkung bereits durch die zu beachtende Freiheit der Religionsausübung und ihr kirchliches Selbstbestimmungsrecht hinreichend gegen staatliche Eingriffe geschützt, ist es zumindest nicht sachangemessen, noch weitergehend behördliche Eingriffe in die kirchliche Tätigkeit nach dem Grundsatz "keine Hoheitsgewalt gegen Hoheitsträger" schlechthin auszuschließen. Dieser Grundsatz setzt voraus, daß der vor Eingriffen "geschützte" Hoheitsträger die zentrale staatliche Aufgabe der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung selbst wahrnimmt, und gerade diese Einbeziehung der Kirche in Polizeiaufgaben würde der Wesensverschiedenheit von Staat und Kirche wohl nicht gerecht (vgl. Sachs, NVwZ 1988, 127 (128)).

8.

Um den so verstanden kirchlichen Kernbereich geht es hier aber nicht. Das Zeitschlagen der Kirchturmuhr hat keinen liturgischen Zweck und ist auch nicht durch Art. 4 GG geschützte Religionsausübung (vgl. Campenhausen, DVBl 1972, 316). Betroffen ist hier vielmehr ein Randbereich kirchlicher Tätigkeit. Es ist anerkannt, daß die Kirchen auch außerhalb des religiösen Kernbereichs öffentliche Aufgaben wahrnehmen können (vgl. Maunz-Dürig, Art. 140 Rdnr. 12). Die Anerkennung des Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts gem. Art. 140 GG i. V. mit Art. 137 V WRV bedeutet, daß die Rechtstellung der Kirchen wie auch deren öffentliches Wirken grundsätzlich dem öffentlichen Recht zugeordnet werden (BVerwGE, 68, 62 = NJW 1984, 989 = NVwZ 1984, 306 L = DVBl 1984, 227 (228)). In dieser Sicht ist das öffentliche Wirken der Kirchen außerhalb des religiösen Kernbereichs von ihrem nach Art. 140 GG, Art. 137 III WRV anerkannten Selbstverwaltungsrecht umfaßt. Soweit das Schlagwerk einer Turmuhr in Rede steht, liegt hier eine profane, nichtsakrale Nebenaufgabe der Kirche im öffentlichen Interesse vor (vgl. Campenhausen, DVBl 1972, 316, sowie VG Augsburg, Urt. v. 31. 3. 1982 - 4 K 81 A. 623). Dies entspricht auch der eigenen Einschätzung der Kl., die im Widerspruchsverfahren den Turmuhrschlag als traditionelle Äußerungsform kirchlichen Gemeindelebens angesehen hat. Der Turmuhrschlag bedeutet auch eine Präsenz der Kirche, und darin liegt ein Bezug zu ihrem besonderen Auftrag. Beachtet man das dargelegte kirchliche Selbstverwaltungsrecht (Art. 140 GG, Art. 137 III WRV), kann es - an dieser Stelle - nicht beanstandet werden, daß die Kl. das Erfordernis von Zeitangaben nicht an den heutigen technischen Möglichkeiten mißt, sondern die selbstgesetzte Aufgabe vor allem traditionell begreift und als traditionelle Äußerungsform fortführen will.

9.

Inhaltlich unterliegen die hier betroffenen kirchlichen Nebenaufgaben mit Außenwirkung anerkanntermaßen dem staatlichen Recht und staatlichen Eingriffsbefugnissen (vgl. im Ergebnis einheitlich VG Augsburg, Urt. v. 31. 3. 1982 - 4 K 81 A. 623; VG Karlsruhe, Urt. v. 16. 7. 1986 - 4 K 4/86; Campenhausen, DVBl 1972, 316; ebenso ohne Einschränkung auf profanen Glockenschlag Drews-Wacke-Vogel-Martens, S. 283). Bei der Auslegung des damit geltenden staatlichen Immissionsschutzrechtes kann das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, insbesondere das Traditionsverständnis, nicht völlig außer acht bleiben. Dem trägt die zum Zeitschlagen der Kirchturmuhr ergangene Rechtsprechung zumindest im Ergebnis dadurch Rechnung, daß sie bei der Störwirkung die lange Tradition zugunsten der Kirche berücksichtigt (vgl. VG Augsburg, Urt. v. 31. 3. 1982 - 4 K 81 A. 623, sowie VG Karlsruhe, Urt. v. 16. 7. 1986 - 4 K 4/86; zu dem Gesichtspunkt der Herkömmlichkeit - allerdings für liturgisches Läuten - vgl. auch BVerwGE 68, 62 = NJW 1984, 989 = NVwZ 1984, 306 L = DVBl 1984, 227 (229)). Die für L. seit 1785/86 bestehende jahrhundertealte Tradition einer Turmuhr mit Schlagwerk ist also unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts der Kl. nicht von vornherein ohne Einfluß auf die noch darzulegende Grenzziehung des Zumutbaren nach Maßgabe des Immissionsschutzrechts.

10.

Zu Recht sind der Bekl. und das VG mithin der Ansicht, daß der Zeitschlag der kirchlichen Turmuhr dem Immissionsschutzrecht unterliegt. Davon ausgehend unterfallen Kirchenglocken dem weiten Anlagenbegriff der §§ 3 V, 22 I 1 BImSchG (vgl. BVerwGE 68, 62 = NJW 1984, 989 = NVwZ 1984, 306 L = DVBl 1984, 227 (229)). Die Kl. ist also verpflichtet, bei dem Betrieb der Turmuhr schädliche Umwelteinwirkungen durch Geräusche zu vermeiden (§ 22 I 1 Nr. 1 sowie S. 2 BImSchG), und der Bekl. konnte diese Verpflichtung nach seinem Ermessen durchsetzen (§ 24 S. 1 BImSchG). Streitig zwischen den Bet. ist, ob der nächtliche Stunden- und Viertelstundenschlag der Kirchturmuhr solche schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne erheblicher Belästigungen für die Nachbarschaft (§ BIMSCHG § 3 BIMSCHG § 3 Absatz I BImSchG) verursachen. Ausgehend von der letzten Messung des fachkundigen Bekl. vom 15. 7. 1984 erreichte der Spitzenwert der Geräuscheinwirkung an einem rund 200 Meter entfernten Wohnhaus bei dem Stundenschlag maximal 72 dB (A) und bei dem Viertelstundenschlag bis 70 dB (A); zu diesem Zeitpunkt waren schon einige in Betracht kommende Korrekturmaßnahmen einschließlich des Einbaus von Schallblenden durchgeführt. Die Kl. hat das seinerzeitige Meßergebnis selbst nicht in Zweifel gezogen. Soweit sie annimmt, Immissionswerte seien für das gesamte Gemeindegebiet zu "mitteln", widerspricht dies nicht nur dem eindeutig auf einzelne Einwirkungsorte bezogenen Meßsystem der TA Lärm (vgl. Nr. 2.421.1), sondern unterläuft den gesetzlich bezweckten Schutz gerade auch der Nachbarschaft (§ 3 I BImSchG). Soweit sie im erstinstanzlichen Verfahren vorträgt, nach dem Zeitpunkt der Schallmessungen sei bei dem Viertelstundenschlag der dritte Hammer wegen eines Defektes entfernt worden, und dies müsse wegen der davon betroffenen sehr hellen Glocke zu einer Reduzierung des Schallpegels geführt haben, überzeugt dies nicht. Schon aus dem Ergebnis der Messung vom 22. 6. 1984 ergibt sich, daß gerade der erste und zweite Viertelstundenschlag für die Lautstärke von Bedeutung, der dritte Viertelstundenschlag dagegen bereits wesentlich leiser war und mithin den Spitzenwert nicht verursacht hat. Ist dies aber der Fall, kann der Ausfall des dritten Hammers an dem hier allein maßgebenden Spitzenwert nichts verändert haben. Mithin sind die Meßergebnisse des Bekl. hier zugrundezulegen. Die auf der Außenseite des Wohnhauses als Spitzenwert gemessene Lautstärke ist damit ungefähr doppelt so laut wie eine Radioansage mit Zimmerlautstärke - 60 dB - und halb so laut wie der Lärm eines etwa 7m entfernt fahrenden Autos - 80 dB - (vgl. zu beiden Beispielen die Tabelle in Mayers Kleines Lexikon Ökologie, Stichwort Lärm).

11.

Die rechtliche Beurteilung dieser Einwirkung erfolgt - zunächst - auf der Grundlage der TA Lärm 1968 sowie ergänzend der VDI-Richtlinie 2058 (letztere abgedr. bei Feldhaus-Vallendar, BundesimmissionsschutzR, 2. Aufl., B. 2, Anh. 4.1). Auch das BVerwG hat im Ansatz die Immissionsrichtwerte der TA Lärm auf - liturgisches - Glockengeläut angewendet, die TA Lärm also nicht als einen ungeeigneten Maßstab angesehen (vgl. BVerwGE 68, 62 = NJW 1984, 989 = NVwZ 1984, 306 L = DVBl 1984, 227 (229)).

12.

Nr. 2.32 TA Lärm differenziert die zu beachtenden Immissionsrichtwerte nach der Schutzwürdigkeit des Gebietes. Der Bekl. hat hier Nr. 2.321d TA Lärm im Sinne eines allgemeinen Wohngebiets angenommen und ist damit von einem über die Nachtstunden gemittelten Immissionsrichtwert von 40 dB (A) mit der Konsequenz eines Spitzenwertes von 60 dB (A) nach Nr. 2.422.6 TA Lärm ausgegangen.

13.

Nr. 2.32d TA Lärm setzt voraus, daß in dem betroffenen Gebiet vorwiegend Wohnungen untergebracht sind. Der Bekl., der als fachkundige Behörde die Messungen an dem betroffenen Wohnhaus durchgeführt hat, hat das Gebiet "Im B." nach der vorhandenen Wohnbebauung als solches Gebiet angesehen. Die Kl. hat die Wohnbebauung selbst nicht in Frage gestellt. Unter Beachtung des Vortrags der Kl. und der - von ihr selbst angeregten - Auskunft der Stadt B. Bauverwaltungsamt, vom 10. 10. 1990 bedarf es einer näheren Erörterung nur, soweit es um die Einwirkung eines Einkaufmarktes, eines Kalksteinwerks und eines Sektabfüllbetriebes geht. Nach der Auskunft der Stadt B. liegt allein der Einkaufsmarkt in der Straße "Im B." selbst und ist auf einem Eckgrundstück nur teilweise zur Straße "Im B." teilweise zu der St. L.-Straße als Hauptverkehrsstraße orientiert. Die Kl. hat diesem Betrieb auch in ihrem eigenen Vortrag zu Recht keine gebietsbestimmende Bedeutung beigemessen. Soweit sie sich vor allem auf ein vorhandenes Kalksandsteinwerk und einen Sektkellereibetrieb berufen hat, haben diese nicht die von ihr angenommene ausschlaggebende Bedeutung für eine Einstufung als gemischt genutztes Gebiet (Nr. 2.321c TA Lärm, vgl. auch § 6 BauNVO). Dem ist nämlich entgegenzuhalten, daß nach der Auskunft der Stadt B. vom 10. 10. 1990 das Kalksandsteinwerk bereits ca. 150m und die Wein- und Sektkellerei ca. 350m entfernt ist und nach dem der Auskunft beigefügten Lageplan beide nicht dem kleineren Wohngebiet "Im B." zugerechnet werden können. Vergleicht man den von der Stadt B. vorgelegten Lageplan mit dem Auszug aus dem Flächennutzungsplan, ergibt sich, daß die dem Kalksandsteinwerk entsprechende Fläche als Gewerbegebiet, das Gebiet um die Straße "Im B." dagegen als Wohngebiet ausgewiesen ist. Der Flächennutzungsplan (5 BauGB) hat als Darstellung der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung zwar keine Bindungswirkung, kann aber für die zutreffende Anwendung der TA Lärm doch als Indiz herangezogen werden (vgl. Urt. des 1. Senats v. 19. 5. 1988 - 1 R 177/86 -, Bl. 55 des amtl. Umdrucks). Dies gilt verstärkt, wenn wie hier eine abweichende Beurteilung von der Kl. ausschlaggebend gerade darauf gestützt wird, daß von ihr Gebiete zusammengefaßt werden, die sich nach den Vorstellungen der Gemeinde unterschiedlich entwickeln sollen und mithin getrennt zu würdigen sind. All dies bestätigt die von dem fachkundigen Bekl. bereits vorgenommene und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von der Kl. nicht mehr konkret in Frage gestellte Einstufung des hier streitigen Gebiets als vorwiegend dem Wohnen dienendes Gebiet.

14.

Ausgehend von dieser Gebietseinstufung beträgt der über die Nachtstunden gemittelte Immissionsrichtwert nach Nr. 2.321d TA Lärm 40 dB (A). Bei diesem Immissionsrichtwert handelt es sich um den äquivalenten Dauerschallpegel (Nr. 2.42 TA Lärm), der aber nur kurzzeitige Geräuschspitzen nicht hinreichend erfaßt. Für kurzfristige Einwirkungen gilt nach Nr. 2.422.6 TA Lärm der Immissionsrichtwert für die Nachtzeit auch dann als überschritten, wenn ein einzelner Meßwert - Spitzenwert - den Immissionsrichtwert um mehr als 20 dB (A) überschreitet. Damit stimmt im übrigen die VDI-Richtlinie 2058, Blatt 1, überein, die in Nr. 3.3.1 III bestimmt, daß zur Sicherung der Nachtruhe nachts auch kurzzeitige Überschreitungen der Richtwerte um mehr als 20 dB (A) vermieden werden sollen. Mithin ist der Immissionsrichtwert überschritten, wenn nachts auch nur ein Spitzenwert 60 dB (A) übersteigt. Das ist wie dargelegt der Fall.

15.

Die hier entscheidende Frage liegt darin, ob die Richtwerte der TA Lärm undifferenziert auf den Glockenschlag angewendet werden dürfen, der Glockenschlag mithin rechtlich exakt wie Gewerbelärm zu behandeln ist. Dies ist zu verneinen. Auch einer säkularisierten Gesellschaft wird die Toleranz abgefordert, den Glockenschlag nicht völlig Gewerbelärm gleichzustellen. Geboten ist eine Differenzierung, wonach der Glockenschlag in einem sozialadäquaten Rahmen einen begrenzten Bonus erhält, ein Übermaß an Uhrschlag aber unmittelbar der Grenzziehung der TA Lärm unterworfen wird. Diese Differenzierung hat der Bekl. nicht beachtet, und deshalb sind die Bescheide aufzuheben.

16.

Im einzelnen läßt sich diese Differenzierung aus der bisherigen Rechtsprechung entwickeln.

17.

Die vom VG vorgenommene Begrenzung des Glockenschlags unmittelbar auf die Grenzen der Immissionsrichtwerte der TA Lärm ist in der Rechtsprechung im Ergebnis bisher abgelehnt worden. Das VG Augsburg hat in seinem Urteil vom 31. 3. 1982 (4 K 81 A. 623) den nächtlichen Stundenschlag mit immerhin 68 dB (A) als nicht störend beurteilt, und ebenso das VG Karlsruhe in seinem Urteil vom 16. 7. 1986 (4 K 4/86) bezogen auf das Zeitschlagen der Kirchturmuhr mit maximal 64 dB (A). Das VG Stade hat ein - allerdings sakrales - Glockenläuten mit 88 dB (A) dem Grenzbereich zu nicht mehr zumutbaren Geräuschen zugeordnet (vgl. NVwZ 1989, 497 ff.). Das BVerwG hat in seiner Entscheidung zum - allerdings sakralen - Angelus-Läuten eine strikte Bindung an die Immissionsrichtwerte der TA Lärm verneint und ausgeführt, stärkere Geräuschimmissionen seien hinzunehmen, soweit sie den üblichen Rahmen einer sozialadäquaten Einwirkung nicht überstiegen, kein Mißbrauch des Läuterechts vorliege und von dem Läuterecht kein exzessiver Gebrauch gemacht werde (BVerwGE 68, 62 = NJW 1984, 989 = NVwZ 1984, 306 L = DVBl 1984, 227 (229)). Bei der Prüfung des Rahmens des Angemessenen hat das BVerwG hervorgehoben, daß das Angelus-Läuten nicht vor Tagesanbruch stattfinde, dem Gesichtspunkt der Nachtruhe mithin Bedeutung beigemessen (BVerwGE 62, 68 = NJW 1984, 989 = NVwZ 1984, 306 L = DVBl 1984, 227 (229)).

18.

Wie bereits dargelegt, umfaßt das kirchliche Selbstverwaltungsrecht nach Art. 140 GG i. V. mit Art.137 III WV auch nichtsakrale Selbstverwaltungsangelegenheiten und damit das Recht, entsprechend dem eigenen Traditionsverständnis den nächtlichen Zeitschlag der Kirchturmuhr aufrechtzuerhalten. Eine mehrere Jahrhunderte dauernde Tradition ist im vorliegenden Fall festzustellen, und die Kl. beruft sich auch ausdrücklich auf die traditionelle Äußerungsform des kirchlichen Gemeindelebens. Ein Bezug zu dem kirchlichen Auftrag ist auch hier erkennbar, denn der Stundenschlag enthält einen deutlichen Hinweis auf die Präsenz der Kirche und die Zeitlichkeit des Menschen. Für diese traditionelle Lebensäußerung der Kirche muß ein gewisses Maß an Toleranz verlangt werden. Zur Grenzziehung bedarf es hier einer Güterabwägung zwischen dem staatlichen Schutz der Nachtruhe und der Präsenz der Kirche. Dem Schutz der Nachtruhe kommt ganz besondere Bedeutung zu, er ist eines der wichtigsten Ziele der Lärmbekämpfung, und Lärmstörungen während der Nachtzeit werden i. d. R. als Gesundheitsgefahr gewertet (vgl. Feldhaus-Vallendar, B. 1 B, Kommentierung zu Nr. 2.32 TA Lärm, Stichwort Nachtzeit). Die Immissionswerte stellen allgemeine Erfahrungswerte dar, die die Grenze allgemein zumutbarer Lärmstörung hinreichend genau kennzeichnen, wobei sie in Zweifelsfällen eher zu hoch als zu niedrig angesetzt sein dürften, da sie von vornherein auf einem nachbarschaftlichen Ausgleich aufgebaut sind (vgl. Feldhaus-Vallendar, Kommentierung zu Nr. 2.32 TA Lärm, Stichwort Erfahrungswerte). Gemessen daran ist das schützenswerte kirchliche Anliegen der nichtsakralen Traditionspflege auch in der Nacht nicht ganz gleichgewichtig und rechtfertigt nur für den Stundenschlag einen knapp bemessenen Bonus gegenüber den Richtwerten der TA Lärm, nicht dagegen für den Viertelstundenschlag.

19.

Bezogen auf den Stundenschlag hat der Gesichtspunkt der Toleranz Gewicht. Für die auch nächtliche Präsenz der Kirche hat der Stundenschlag eine ungleich höhere Bedeutung als der Viertelstundenschlag, mit ihm steht und fällt die traditionelle nächtliche Präsenz der Kirchengemeinde. Für den Nachtschlaf ist der Stundenschlag weniger beeinträchtigend als der Viertelstundenschlag; insbesondere bei Einschlafschwierigkeiten ist dieser Unterschied deutlich. Das Maß der zu erwartenden Toleranz ist also bei dem Stundenschlag höher. All dies vermag für den Stundenschlag einen knapp bemessenen Zuschlag zu den Immissionswerten der TA Lärm als sozialadäquat im Sinne einer Güterabwägung zu rechtfertigen. So wäre es nicht überzeugend zu begründen, die Grenze des Zumutbaren bei dem hier vorliegenden profanen Glockenschlag mit einem Toleranzzuschlag von 10 dB (A) und damit bei doppelt so lauten Spitzenwerten von 70 dB (A) zu ziehen. Nach dem System der TA Lärm würde diese Verdoppelung einer wesentlichen Herabstufung der Schutzwürdigkeit des vorwiegend dem Wohnen dienenden Gebietes um zwei Stufen entsprechen: Der höchste zum Schutz der Nachtruhe festgelegte gemittelte Immissionsrichtwert beträgt nachts 50 dB (A) und gilt für vorwiegend gewerblich genutzte Gebiete (Nr. 2.32b TA Lärm); in diesen Gebieten darf mithin ein Spitzenwert gem. der für alle Gebiete geltenden Regelung der Nr. 2.422.6 TA Lärm den Dauerschallpegel um 20 dB (A) überschreiten, so daß dort nachts Spitzenwerte bis zu 70 dB (A) hinzunehmen sind. Die Verwaltungsvorschrift geht also davon aus, daß der Nachtschlaf für durchschnittlich empfindliche Nachbarn auch bei Spitzenwerten von 70 dB (A) noch gesichert ist, wenn diese in einem vorwiegend gewerblich genutzten Gebiet wohnen und mithin eine besondere Toleranz gegenüber einer doch erheblichen Lautstärke gewonnen haben. Es ist aber von Gewicht, daß ein Toleranzzuschlag von 10 dB (A) - also die ganz erheblich spürbare Verdoppelung der Lautstärke - nach dem System der TA Lärm mit einer Herabstufung der Schutzwürdigkeit des Gebiets um zwei Stufen verbunden ist. Ein solches Gewicht ist der Präsenz der Kirche durch den nächtlichen Stundenschlag hier nicht beizumessen. Dabei ist zu bedenken, daß diese Äußerungsform des kirchlichen Gemeindelebens nicht von vornherein auf die Nachtstunden angewiesen ist, sondern daß die Präsenz der Kirchengemeinde gerade auch in dem Glockenschlag zur Tages- und Abendzeit durchaus prägend zum Ausdruck kommt (vgl. zum ortsprägenden Charakter des Zeitschlagens der Kirchturmuhr VG Karlsruhe, Urt. v. 16. 7. 1986 - 4 K 4/86). Bei Abwägung all dieser Gesichtspunkte ist dem Gesichtspunkt der traditionellen Präsenz der Kirche und dem unter Gesundheitsgesichtspunkten wesentlichen Gesichtspunkt des Nachtschlafs hinreichend Rechnung getragen, wenn dem Immissionsrichtwert der TA Lärm für den Stundenschlag noch ein Toleranzzuschlag von 5 dB (A) hinzugerechnet wird. Im praktischen Ergebnis bedeutet dies immerhin, daß gegenüber den Richtwerten der TA Lärm das knapp Anderthalbfache an Lärmauswirkung und damit die Herabstufung der Schutzwürdigkeit des Gebiets um eine ganze Stufe hinzunehmen ist, was sich aus der historisch geprägten Nachbarschaft zu der Kirche und einer auch in einer säkularisierten Gesellschaft zu fordernden Toleranz rechtfertigt. Nicht zu entscheiden ist, ob in allerengster - hier nicht gegebener - Nachbarschaft zu der Kirche ein noch höherer Toleranzzuschlag angebracht sein könnte.

20.

Anders fällt die erforderliche Abwägung dagegen für den Viertelstundenschlag aus. Die Kl. hat in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, daß der Viertelstundenschlag ungeachtet der bestehenden jahrhundertealten Tradition für die Kirche nicht die gleiche Bedeutung wie der Stundenschlag hat. Gesehen werden muß, daß die nächtliche Präsenz der Kirchengemeinde bereits mit dem Stundenschlag prägende Wirkung hat. Das BVerwG geht selbst bei sakralem Geläut davon aus, daß die Toleranz nicht eine Überschreitung des üblichen Rahmens, einen Mißbrauch des Läuterechts oder einen exzessiven gesundheitsgefährdenden Gebrauch deckt (BVerwGE 68, 62 = NJW 1984,989 = NVwZ 1984, 306 L = DVBl 1984, 227 (229)). Hat der Viertelstundenschlag für das kirchliche Leben geringere Bedeutung, so ist er andererseits für den Nachtschlaf eindeutig beeinträchtigender als der Stundenschlag. Auch bei durchschnittlich empfindlichen Menschen kann das Einschlafen unnötig erschwert werden, wenn subjektiv die Gewißheit besteht, daß sich der hörbare Glockenschlag nunmehr jede Viertelstunde wiederholen wird, ein "Warten" auf den nächsten Viertelstundenschlag also geradezu "herausgefordert" wird. In diesem Zusammenhang geht es nicht an, den im Immissionsschutzrecht maßgebenden durchschnittlich empfindlichen Menschen (vgl. Jarass, BImSchG, § 3 Rdnr. 29) von vornherein als gläubiges oder zumindest traditionsbewußtes Mitglied der örtlichen Kirchengemeinde anzusehen, der sich nicht gestört fühlt. Auf die zahlenmäßigen Verhältnisse in der Gemeinde und Umfrageergebnisse kommt es dafür nicht an. Denn der Glockenschlag steht unter dem Grundsatz gegenseitiger Toleranz (BVerwGE 68,62 = NJW 1984, 989 = NVwZ 1984,306 L = DVBl 1984, 227 (229)). Auch der Kirche wird mithin die Toleranz gegenüber Andersdenkenden abgefordert, die ein Übermaß an kirchlicher Präsenz als Störung ansehen und durchschnittlich empfindlich sind. Bei Abwägung der letztlich ausschlaggebenden gegenseitigen Toleranz ist es hinreichend und geboten, einen kirchlichen Bonus für den nächtlichen Glockenschlag allein auf den Stundenschlag zu begrenzen. Der Viertelstundenschlag hat bei Abwägung des Gewichts der kirchlichen Tradition und der Gefährdung des Nachtschlafs nicht eine solche Bedeutung, daß ein Abweichen von den Richtwerten der TA Lärm toleriert werden müßte.

21.

Davon ausgehend überschreitet der nächtliche Glockenschlag im Ergebnis zwar die Grenze des Zumutbaren. Der Stundenschlag mit tatsächlich gemessenen Spitzenwerten von 72 dB (A) überschreitet die hier konkret zu beachtende Grenze von 65 dB (A). Noch deutlicher ist dies bei dem Viertelstundenschlag, der mit Spitzenwerten von 70 dB (A) weit über der konkreten Grenze von 60 dB (A) liegt.

22.

Gleichwohl ist die auf § 24 S. 1 BImSchG gestützte Ermessensentscheidung des Bekl. rechtswidrig. Denn bei der Ausübung eines Ermessens nach § 24 S. 1 BImSchG hat er die zulässigen Grenzen des Einschreitens nicht beachtet. Eine Ermessensüberschreitung liegt unter anderem dann vor, wenn die Behörde eine Entscheidungsfreiheit hinsichtlich des Inhalts eines Verwaltungsakts in Anspruch nimmt, die ihr aufgrund des Gesetzes und der einschlägigen Rechtsvorschriften nicht zukommt (vgl. Kopp, VwGO, 8. Aufl, § 114 Rdnr. 7). Der Bekl. hat zu Unrecht angenommen, er könne den nichtsakralen kirchlichen Glockenschlag undifferenziert exakt wie Gewerbelärm behandeln und hat den dabei verbleibenden Ermessensspielraum nach § 24 S. 1 BImSchG völlig zum Nachteil der Kl. ausgeschöpft. Das Schlagwerk der Turmuhr wird in den angefochtenen Bescheiden ohne Differenzierung zwischen Stundenschlag und Viertelstundenschlag als einheitlicher Regelungsgegenstand angesehen, der wie Gewerbelärm zu behandeln ist. Dies ist rechtsfehlerhaft und muß zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide führen. Es ist nicht Sache des Gerichts, der Ermessensentscheidung des Bekl. nunmehr einen anderen Inhalt zu geben. Dies verbietet sich schon deshalb, weil auch unter Berücksichtigung dieses Urteils dem Bekl. ein Ermessensspielraum verbleibt, ob er den nunmehr deutlich enger gezogenen rechtlichen Rahmen seines Ermessensspielraums erneut voll ausschöpft. Es kommt auch durchaus in Betracht, daß die erforderliche Anhörung (§ 28 SaarlVwVfG) der Kl. ein behördliches Einschreiten ganz oder teilweise überflüssig macht. Da der nach erneuter Anhörung auszuübende Ermessensspielraum von dem Gericht beachtet werden muß, kommt die Aufrechterhaltung der immissionsschutzrechtlichen Anordnung mit einem vom Gericht selbst bestimmten differenzierten Inhalt hier nicht in Betracht.