Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
Urteil vom 16.9.1985
- 15 A 2856/83
-

 (weitere Fundstellen: DVBl. 1986, 697 ff.)

 

Leitsätze:

1.

Eine öffentliche Parkanlage ist auch in unmittelbarer Nähe zu einem Wohngebäude grundsätzlich nicht zu beanstanden.

2.

Die Gemeinde ist als Betreiberin der Anlage für Geräuschbe1ästigungen nicht verantwortlich, die von den Benutzern einer Parkbank durch eine mißbräuchliche Benutzung verursacht werden, sofern zu dieser Art der Benutzung nach den örtlichen Gegebenheiten kein besonderer Anreiz besteht (hier: Benutzung durch Jugendliche und Stadtstreicher.

 

Tatbestand

1.

Die Kl. bewohnt aufgrund eines dinglichen Wohn- und Nutzungsrechts das Gebäude Im K. 19 in A. Dieses Gebäude ist das ehemalige Kutscherhaus der von der bekl. Gemeinde als »Bürgerzentrum- genutzten Burg H. und grenzt seitlich an deren Garten an. Im Jahre 1981 ließ die Bekl. den Burggarten als öffentliche Parkanlage herrichten und u. a. von den beiden südl. Erdgeschoßfenstern des von der Kl. bewohnten Gebäudes in einem Abstand von ca. 3 bis 4 m zwei Parkbänke aufstellen. Die auf die Entfernung der beiden Bänke gerichtete Klage wurde vom OVG insgesamt abgewiesen. 

 

Aus den Gründen:

2.

Die Kl. stützt ihre Klage auf ihr dingliches Wohn- und Nutzungsrecht am Gebäude Im K. 19 in A. und sieht dieses Recht durch schlicht-hoheitliches Handeln der Bekl. verletzt. Daher kommt, wovon das VG zutreffend ausgegangen ist, als Grundlage ihres Begehrens allein ein allgemeiner öffentlich-rechtlicher Abwehr- und (Folgen-)Beseitigungsanspruch in Betracht, der den Bürger von einer rechtswidrigen Beeinträchtigung seiner grundrechtlich geschützten Individualrechtssphäre. insbesondere seines Eigentumsgrundrechts (Art. 14 GG), durch hoheitlichen Realakt schützt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. 9.1984 4 C 51.80 -, BayVBl. 1985, 154; Urteil des Senats vom 10.9. 1982 - 15 A 654/79 -, NVwZ 1983,356; OVG NW, Urteil vom 21. 4.1983 - 11 A 424/82 -, DÖV 1983,1020, jeweils m. w. N.). Zwar ist als Eigentum i. S. des Art. 14 GG' nicht nur das Eigentum nach § 903 BGB anzusehen; vielmehr genießen den Schutz der Verfassung auch andere vermögenswerte Rechtspositionen, zu denen u. a. das dingliche Wohn- und Nutzungsrecht der Kl. gezählt werden mag (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 8.7.1976 - 1 BvL 19 und 20/75, 1 BvR 148/75 -, BVerfGE 42, 263 [292 L]). Die Voraussetzungen eines allgemeinen öffentlich-rechtlichen Abwehr- und Beseitigungsanspruchs sind hier aber deshalb nicht erfüllt, weil die Kl. durch die Aufstellung der Parkbänke. deren Entfernung sie verlangt, nichtrechtswidrig in ihrem Eigentumsrecht beeinträchtigt wird.

3.

Gemeindliche Parkanlagen zählen zu den im Rahmen der Erschließungstätigkeit der Gemeinde und der Daseinsvorsorge für ihre Einwohner zu schaffenden öffentlichen Einrichtungen i. S. von § 18 Abs. 1 GO NW. Da die Gemeinde insoweit im Bereich der Selbstverwaltung tätig wird, steht ihr die Entscheidung darüber zu, ob und an welcher Stelle die Einrichtung zu den genannten Zwecken zu schaffen ist, wie sie ausgestaltet wird und wie sie zu benutzen ist (vgl. v. Loebell/Oerter, GO NW, 4. Aufl., Stand März 1985, § 18 Fußn. l, 4; Kottenberg/Rehn, GO NW, 10. Aufl., Stand Mai 1985, § 18 GO Fußn. I, 1,2). Bel dieser Entscheidung genießt die Gemeinde eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, ist jedoch grundsätzlich an die für jedermann geltenden allgemeinen Rechtssätze. insbesondere an die Vorschriften des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts gebunden (vgl. Urteil des Senats vom 10.9.1982 - 15 A 654179 -, aaO, m. w. N.). 

4.

1. Die Herstellung der Parkanlage neben der Burg H. - und folglich auch die Aufstellung der zugehörigen Parkbänke - ist bauplanungsrechtlich nicht zu beanstanden...

5.

2. Auch aus bauordnungsrechtlicher Sicht ergeben sich gegen die Aufstellung der streitigen Parkbänke. die wegen ihrer Herstellung aus Baustoffen und Bauteilen sowie ihrer Verbindung mit dem Erdboden »bauliche Anlagen« i. S. von § 2 Abs. 1 BauO NW (1984) sind und daher grundsätzlich den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechen müssen, keine durchgreifenden Bedenken.

6.

a) Insbesondere sind diese Bänke nicht entgegen § 6 BauO NW innerhalb der das Gebäude Im K. 19 umgebenden Abstandsflächen aufgestellt. Denn nach § 6 Abs. 1 und 10 BauO NW müssen Abstandsflächen nur bei der Errichtung von Gebäuden oder solchen Anlagen und Einrichtungen eingehalten werden, »von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen«. Die möglichen Auswirkungen einer Parkbank auf die Umgebung sind - gemessen an dem Zweck des § 6 BauO NW, nämlich der Gewährleistung ordnungsgemäßen Brandschutzes, einer ausreichenden Belichtung und Belüftung sowie dem Schutz des Nachbarn vor Beengung und Einsicht - mit denjenigen eines Gebäudes nicht vergleichbar.

7.

b) Die streitigen Parkbänke genügen auch den bei der Errichtung baulicher Anlagen zu beachtenden allgemeinen Anforderungen des § 3 Abs.l BauO NW. Nach dieser Vorschrift sind bauliche Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und zu unterhalten, daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet wird. Zu einer Störung der Sicherheit und Ordnung können u. a. auch Lärmeinwirkungen führen, die - schon unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsgefährdung - das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß überschreiten (vgl. BVerwG Urteil vom 13.12.1979 - 7 C 46.78 -, DVBI. 1980, 299 mit Anm. von Steiner, S. 417). Gehen die Einwirkungen von einer bauplanungsrechtlich zulässigen öffentlichen Einrichtung i. S. von § 18 Abs. 1 GO NW aus, so ist zur Bestimmung des im jeweiligen Einzelfall Zulässigen eine Abwägung des Funktionsinteresses der Einrichtung mit den betroffenen privaten Interessen erforderlich, die gewährleistet, daß die Rechtsgüter der Bürger durch die Einrichtung nicht stärker beeinträchtigt werden, als dies bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unvermeidbar erscheint (vgl. Urteil des Senats vom 10.9.1982 - 15 A 654/79 -, aaO, m. w. N., OVG NW, Urteil vom 25.4.1983 - 10 A 2080/80 -; Urteil vom 29.7.1983 - 4A 1063/82 -, insoweit in DÖV 1984, 80 n. v.). Diese Abwägung fällt hinsichtlich der hier streitigen Parkbänke zu Lasten der KI. aus: Die Bänke sind Teil einer Parkanlage, die einheitlich geplant und hergestellt worden ist. Nach den von der Bekl. vorgelegten Planungsunterlagen wurde die Anlage unter Mitwirkung des Landeskonservators auf den barocken Baustil des unmittelbar angrenzenden Burggebäudes abgestimmt; das bedingte eine streng symmetrische Gestaltung. Dabei wurden die Bänke, wie sich aus ihrer Form und der Regelmäßigkeit ihrer Anordnung ergibt, bewußt als Gestaltungsmittel eingesetzt. Da die zur Verfügung stehende Fläche begrenzt war und ihre Mitte freigehalten werden sollte, kam allein eine Anordnung der Bänke am Rande in Betracht. Diese Anordnung war zugleich geeignet, den aus denkmalpflegerischen Gründen erwünschten Eindruck der Geschlossenheit zu verstärken.

8.

Unter diesen Umständen war die Bekl. nicht verpflichtet, im Interesse der KI. von der Aufstellung der beiden streitigen Bänke in der Nähe des Gebäudes Im K. 19 abzusehen. Zwar war wegen des geringen Abstands zwischen dem Gebäude und den Bänken mit spürbarer Geräuschbeeinträchtigungen der Kl. zu rechnen. Doch ist die Störwirkung einer mit normaler Lautstärke geführten Unterhaltung von Benutzern einer Parkbank auch dann nicht unerträglich, wenn die Unterhaltung nur wenige Meter entfernt stattfindet; sie entspricht etwa der Geräuschbelästigung, die in einem Wohngebiet mit geschlossener Bebauung durch übliche Gartennutzungen entsteht. Es kommt hinzu, daß gemeindliche Parkanlagen - auch insoweit vergleichbar mit Wohngärten - üblicherweise nur tagsüber und bei günstiger Witterung genutzt werden und daß sich die Kl., wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem VG selbst angegeben hat, nicht ganzjährig in dem Gebäude Im K. 19 aufhält. Die Bekl. hat in diesem Zusammenhang ferner zu Recht darauf hingewiesen, daß das Gebäude Im K. 19 innerhalb eines Gebiets liegt, das im Bebauungsplan als Kerngebiet (§ 7 BauNVO) ausgewiesen ist und auch tatsächlich so genutzt wird. Anders als etwa in einem reinen Wohngebiet kann in einem Kerngebiet mit einem lärmfreien Wohnen von vornherein nicht gerechnet werden. Gemessen an den in einem derartigen Gebiet nach dessen Zweckbestimmung zulässigen und üblichen Geräuschen fallen die Geräusche, denen die KI. durch die Unterhaltungen erholungsuchender Parkbenutzer ausgesetzt ist, nicht ins Gewicht. Demgemäß fühlt sich die Kl. selbst nicht so sehr durch diese Geräusche als vielmehr dadurch gestört, daß die streitigen Parkbänke lärmenden Jugendlichen und Stadtstreichern als Treffpunkt dienen.

9.

Auch die von der Kl. hauptsächlich beklagten Störungen lassen die Aufstellung der streitigen Parkbänke nicht als rechtswidrig erscheinen. Denn für etwaige Belästigungen dieser Art ist die Bekl. nicht verantwortlich, weil sie nicht auf eine bestimmungsgemäße, sondern auf eine mißbräuchliche und überdies ·von der Bekl. durch Verbote bekämpfte Benutzung der Parkanlage zurückzuführen sind. Insoweit wird die KI. mithin, wenn überhaupt nicht durch die Bekl., sondern ausschließlich durch die jeweiligen Lärmverursacher gestört. Allerdings muß einer Gemeinde unter Umständen sogar eine mißbräuchliche Benutzung ihrer Einrichtungen durch Dritte als eigene Störung zugerechnet werden (vgl. Urteil des Senats vom 10.9.1982 - 15 A 654179 -:-, aaO). Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß sich gerade in dem jeweiligen Mißbrauch eine mit der Einrichtung geschaffene besondere Gefahrenlage ausdrückt und der Mißbrauch deshalb - bei einer wertenden Betrachtungsweise - als Folge des Betriebs der Einrichtung anzusehen ist (vgl. zur Störereigenschaft nach § 1004 BGB in den Fällen einer »mittelbaren Störung«: BGH, Urteil vom 30.10.1981 - V ZR 191/80 -, NlW 1982,440; vom 15.6.1977 - V ZR 44175 -, BGHZ 69,105 (112); vom 11. 7. 1963 - III ZR 55/62 -, N]W 1963, 2020 und vom 21.9.1960 - V ZR 89/59 -, N]W 1960,2335; Staudinger/Gursky, BGB, 12. Aufl. 1982, § 1004 Rdnr. 90). 

10.

Diese Voraussetzung ist hinsichtlich der von der Kl. behaupteten Belästigung durch Jugendliche und Stadtstreicher nicht erfüllt. Es trifft zwar zu, daß eine Gemeinde mit der Schaffung öffentlicher Parkanlagen jedermann den Zutritt ermöglicht. Es ist auch nicht etwa ganz unwahrscheinlich, daß die genannten Personengruppen Parkbänke zu ihrem- ständigen Treffpunkt wählen und daß infolgedessen in der Nähe wohnende Bürger gestört werden. Doch ist diese Möglichkeit andererseits nicht derart naheliegend, daß sie als eine mit der Schaffung von Parkanlagen und der Aufstellung von Parkbänken - auch solcher in der Nähe von Wohngebäuden - allgemein verbundene Gefahr bezeichnet werden könnte. Eine hinreichend greifbare Gefahr ergibt sich insoweit allenfalls aufgrund besonderer, zum Mißbrauch anreizender örtlicher Gegebenheiten. Solche Gegebenheiten sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Weder sind die beiden Parkbänke neben dem Gebäude Im K. 19 besonders versteckt aufgestellt noch sind sonst in der Örtlichkeit Gründe dafür erkennbar, daß sich Jugendliche und Stadtstreicher - wie die Kl. behauptet - gerade an diesen Bänken lärmend versammeln. Im Gegenteil sind in der Parkanlage zahlreiche andere Bänke vorhanden, die sich für solche Versammlungen nicht weniger gut eignen. Sollte die K!. tatsächlich gerade deswegen in besonderem Maße gestört werden, weil sich die von ihr genannten Personengruppen vorzugsweise an den beiden streitigen Parkbänken treffen, so wäre dies ein eher zufälliger Umstand, der der Bek!. nicht als eigene Störung angelastet werden könnte.

11.

3. Ob bei der Bestimmung des zulässigen Maßes hoheitlicher Immissionen ergänzend auf die im Verhältnis zwischen privaten Nachbarn geltende Vorschrift des § 906 BGB zurückzugreifen ist (so BGH, Urteil vom 29. 3. 1984 - III ZR 11/83 -, DÖV 1985, 115; OVG NW, Urteil vom 21. 4. 1983 - 11 A 424/82 -, aaO; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 3.5.1984 - 10 S 951/83 -, VBIBW 1985,19; verneinend Erichsen/Martens, in: Erichsen/Martens [Hrsg.], Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auf!. 1983, S. 315 f.; zweifelnd Papier, JuS 1985,184 [188]), bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Sollte diese Frage zu bejahen sein, würde sich hieraus nichts" zugunsten der Kl. ergeben, weil die Geräuschbelästigungen, die von den streitigen Parkbänken ausgehen, entweder nicht »wesentlich« oder aber, falls wesentlich, »ortsüblich« und - bei Aufrechterhaltung der bisherigen Nutzung - nicht durch wirtschaftlich zurnutbare Maßnahmen zu verhindern sind. Die Umgebung und damit auch die »Ortsüblichkeit« wird hier durch die Burg H. mitsamt der ihr zugeordneten Parkanlage geprägt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 26.9.1975 - V ZR 204/73 -, LM § 906 BGB Nr. 49). Auch in diesem Zusammenhang kann die Bekl. nur für die Folgen einer bestimmungsgemäßen Benutzung der Parkbänke und nicht auch für diejenigen einer mißbräuchlichen Benutzung durch Jugendliche und Stadtstreicher als Störerin verantwortlich gemacht werden.