Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
Urteil vom 10.09.1982
- 15 A 1223/8
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 (weitere Fundstellen: NVwZ 1983, 485 ff.)

 

Leitsätze:

1.

Das Rauchen während der Ratssitzungen verstößt gegen die Sitzungsordnung, sofern es auch nur von einem Ratsmitglied als Belästigung geltend gemacht wird.

2.

DKann die Belästigung nicht auf andere Weise behoben werden, so ist der Ratsvorsitzende zur Anordnung eines Rauchverbots für die Sitzung verpflichtet.

 

Zum Sachverhalt:

1.

Der Kl., ein Nichtraucher, ist Ratsmitglied in der Stadt L. Mit der gegen den Bürgermeister als Vorsitzenden des Rates gerichteten Klage erstrebt er die - zuvor mehrfach erfolglos im Rat beantragte - Anordnung eines Rauchverbots für Rats- und Ausschußsitzungen. Zur Begründung macht er geltend, er fühle sich durch das ihm in den Sitzungen zugemutete Einatmen von Tabakauch in seiner geistigen Leistungsfähigkeit und seinem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt.

2.

Die vom VG als unbegründet abgewiesene Klage hatte in der Berufungsinstanz Erfolg.

 

Aus den Gründen:

3.

Die Berufung hat (nur) insoweit Erfolg, als die Klage auf die Anordnung eines Rauchverbots für Sitzungen des Rates abzielt. Soweit die Klage darüber hinaus auch Ausschußsitzungen betrifft, ist die Berufung unbegründet.

4.

Die Zulässigkeit der gegen den Bürgermeister gerichteten Klage beurteilt sich nach den von der Rspr. entwickelten Grundsätzen des kommunalverfassungsrechtlichen Organstreits, der ausschließlich die aus dem kommunalen Organisationsrecht folgenden und den organschaftlichen Funktionsablauf bestimmenden Befugnisse und Pflichten kommunaler Organe untereinander (Interorganstreit) oder innerhalb eines kommunalen Organs (Intraorganstreit) und damit allein die Innenrechtsbeziehungen der Gemeinde oder ihrer Organe betrifft. Danach kann unter anderem ein einzelnes Ratsmitglied die Verletzung ihm zugeordneter organschaftlicher Befugnisse gerichtlich geltend machen und ggf. die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen (vgl. dazu u. a. OVG Münster, OVGE 27, 258 f.; 32, 192 f. und Urt. v. 19. 12. 1978 - XV A 1031/77, nicht veröff.; sowie BVerwG, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 179; zum Stand der Diskussion um den Organstreit vgl. ferner Hoppe, NJW 1980, 1017 ff.; Papier, DÖV 1980, 292 ff.; Bethge, DVBl 1980, 309 ff.; ders., DVBl 1980, 824 ff.; Erichsen, Verw.Arch 71 (1980), 429 ff.).

5.

Die vom Kl. erhobene Klage ist als allgemeine Leistungsklage (vgl. § 43 II 1 VwGO) statthaft, denn sie ist auf ein schlichtes Verwaltungshandeln des Bekl., nämlich auf eine im Einzelfall, d. h. in der jeweiligen Sitzung zu treffende Maßnahme der Geschäfts- oder Sitzungsordnung i. S. des § 36 I NRWGO gerichtet. Eine solche sitzungsleitende Maßnahme, die in ihrem Anwendungsbereich der Ausübung des dem Bürgermeister in § 36 I NRWGO gleichfalls übertragenen Hausrechts aus Gründen der Spezialität vorgeht (vgl. BGH, NJW 1982, 947 (zur Ordnung in den Gerichtssitzungen); sowie Leinius, NJW 1973, 448 f.) stellt keinen (mit der Verpflichtungsklage gegenüber dem Bürgermeister als Behörde zu verfolgenden) Verwaltungsakt dar. Ihr Regelungsgehalt ist vielmehr auf den organinternen Rechtskreis begrenzt und deshalb gegenüber den in Betracht kommenden Adressaten (Ratsmitgliedern, Zuhörern und Bediensteten der Gemeinde) nicht auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet. Bekl. einer allgemeinen Leistungsklage kann der Bürgermeister nur im körperschaftsinternen Organstreit sein, weil sich hier - entsprechend den Besonderheiten dieses "Insichprozesses" - (vgl. Bethge, DVBl 1980, 314) die passive Prozeßführungsbefugnis des Bekl. nicht nach dem dafür grundsätzlich maßgebenden Rechtsträgerprinzip, sondern vielmehr nach der innerorganisatorischen Kompetenz- und Pflichtenzuordnung richtet (zur gleichartigen Problematik bei der Feststellungsklage vgl. das Urt. d. Senats v. 19. 12. 1978 - XV A 1031/77, sowie BVerwG, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 179).

6.

In Anwendung der Grundsätze des kommunalverfassungsrechtlichen Organstreitverfahrens ergibt sich, daß die Klage auch im übrigen zulässig ist. Der Kläger ist für den prozessual zutreffend mit der allgemeinen Leistungsklage (vgl. dazu BVerwG, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 179 m. w. Nachw.; Hoppe, Organstreitigkeiten vor den Verwaltungs- und Sozialgerichten, S. 128 f.; Papier, DÖV 1980, 298, Bethge, DVBl 1980, 824 sowie Krebs, VerwArch 68 (1977), 189 ff. (195)) geltend gemachten Anspruch auf eine sitzungsleitende Maßnahme insoweit klagebefugt und beteiligtenfähig (vgl. § 61 Nr. 2 VwGO), als er damit ihm als Ratsmitglied durch die Gemeindeordnung zugewiesene mitgliedschaftsrechtliche Wahrnehmungszuständigkeiten verfolgt. Damit ist zugleich gesagt, daß im vorliegenden Verfahren für die Geltendmachung der im Außenrechtsbereich angesiedelten subjektiv-öffentlichen Rechtspositionen, insbesondere der umfangreich vorgetragenen grundrechtlichen Gewährleistungen, die dem Kl. nur als Person, nicht aber in seiner Eigenschaft als Mitglied des Rates zustehen können, kein Raum ist (vgl. dazu Bethge, DVBl 1980, 314; Erichsen, VerwArch 71 (1980), 437; Hoppe, NJW 1980, 1021).

7.

Pflichtsubjekt des Klageanspruchs ist der Bürgermeister als Ratsvorsitzender. Dies gilt jedoch nur, soweit es um Maßnahmen der Sitzungsordnung im Rat selbst geht. Denn nur dafür sind ihm durch § 36 I NRWGO die entsprechenden Befugnisse übertragen worden. Hingegen wird die Sitzungsordnung in den Ausschüssen - das trifft auch für den Hauptausschuß zu - gem. § 42 II 1 i. V. mit § 36 I NRWGO allein durch den jeweiligen Ausschußvorsitzenden ausgeübt, mit der Folge, daß sich die Klage gegen den falschen Bekl. richtet, soweit sie die der Leitungsgewalt des Ratsvorsitzenden entzogenen Ausschußsitzungen betrifft.

8.

Im übrigen ist die Klage mit der Maßgabe begründet, daß der Bekl. zur Anordnung eines auf die jeweilige Ratssitzung beschränkten Rauchverbots verpflichtet ist, sofern dies in der Sitzung beantragt wird.

9.

Der der Verpflichtung des Bekl. korrespondierende Leistungsanspruch des Kl. folgt aus dessen Mitgliedschaftsrechten im Rat. Zu den dem einzelnen Ratsmitglied mit der Pflicht zur Aufgabenerfüllung (vgl. § 30 I NRWGO) durch den Gesetzgeber zur Wahrnehmung zugewiesenen innerorganisatorischen Befugnissen gehört u. a. das Recht, vom jeweiligen Sitzungsvorsitzenden die Abwehr solcher organisatorischer Störungen zu verlangen, die den ordnungsgemäßen Organisationsablauf beeinträchtigen (zum innerorganisatorischen Störungsbeseitungsanspruch vgl. Hoppe, Organstreitigkeiten, S. 191 f.).

10.

Im vorliegenden Fall ist eine dergestalt rechtserhebliche Störung darin zu sehen, daß das Rauchen während der Ratssitzungen, sofern sich auch nur ein Ratsmitglied dadurch belästigt fühlt, gegen die Sitzungsordnung verstößt, deren Einhaltung der Ratsvorsitzende im Rahmen seiner Leistungs- und Ordnungsgewalt im Interesse eines ordnungsgemäßen Sitzungsablaufs zu gewährleisten hat. Der in § 36 I NRWGO angesprochene, aber nicht näher umschriebene Begriff der "Ordnung" in den Sitzungen umfaßt nicht nur die den Verfahrensablauf regelnden normativen Bestimmungen der Gemeindeordnung und der kommunalen Satzungen und Geschäftsordnungen, sondern darüber hinaus auch den Gesamtbestand der - im Parlamentsrecht zumindest der Konvention zugerechneten - innerorganisatorischen Verhaltensregeln, die für einen reibungslosen Geschäftsablauf notwendig sind. Derartige parlamentarische Verhaltensregeln (vgl. dazu BVerfG, DÖV 1982, 690; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland II, S. 81 f.; Trossmann, Parlamentsrecht des deutschen Bundestages, 1977, S. 260; Hatschek, Das Parlamentsrecht des Deutschen Reiches, 1915, S. 42), die nicht nur auf die Mitwirkungsbefugnisse des einzelnen Ratsmitgliedes, sondern auch auf die Leitungspflichten des Ratsvorsitzenden einwirken, finden ihren Geltungsgrund in dem Umstand, daß ein kollegiales Gremium, in dem eine Vielzahl von divergierenden Individualwillen zu einem organschaftlichen Gesamtwillen zusammengefaßt werden soll, nicht ohne eine selbstorganisierte Ordnung von Rechten und Pflichten seiner Mitglieder auskommen kann.

11.

Zum unabdingbaren Bestand dieser Verhaltensregeln gehört u. a. das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme, das in seiner Bedeutung und Zielrichtung darauf hinausläuft, die schutzwürdigen Funktionsinteressen der - einer Teilnahmepflicht unterliegenden - Ratsmitglieder untereinander auszugleichen und Kollisionen auszuschließen. Welche Anforderungen an die Verhaltensweisen der Ratsmitglieder das Gebot der Rücksichtnahme als Kollisionsregel im einzelnen begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab und entzieht sich einer generellen Festlegung. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Position dessen ist, dem die Rücksichtnahme bei der Wahrnehmung seines Mandats zugute kommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem in Frage stehenden Verhalten verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht Rücksicht genommen werden. Bei diesem Ansatz kommt es für die Feststellung, ob ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliegt, auf die Abwägung dessen an, was einerseits dem Begünstigten und andererseits dem Belasteten nach Lage der Dinge billigerweise zugemutet werden kann.

12.

Bei der Bestimmung dessen, was Rauchern und Nichtrauchern unter den Ratsmitgliedern danach gegenseitig zugemutet werden kann, ist davon auszugehen, daß sich Nichtraucher durch das Rauchen in geschlossenen Räumen belästigt fühlen können, wobei der Grad der Belästigung fließend ist und - je nach Empfindlichkeit des "Passivrauchers" und der Intensität der Rauchkonzentration - vom bloßen Angewidertsein bis zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen (wie z. B. Kopfschmerzen und Übelkeit) reichen kann. Diese Tatsache ist offenkundig und bedarf deshalb keines weiteren Nachweises (vgl. dazu Martens, NJW 1976, 384, (Anm. zu OVG Berlin, NJW 1975, 2261).

13.

Eine solche Belästigung ist - ohne daß ein bestimmter, an eine meßbare Gesundheitsbeeinträchtigung oder -gefährdung heranreichender Grad erreicht sein müßte - im Blick auf das Funktionsinteresse des Rates stets rechtserheblich. Denn auch mit einer nur geringfügigen, vorübergehenden und nur subjektiv spürbaren Belästigung eines einzelnen Ratsmitgliedes kann ein für den Funktionsablauf nachteiliges Nachlassen des Leistungsvermögens wie z. B. durch verminderte Aufmerksamkeit oder Aufnahmefähigkeit, verbunden sein. Insoweit begründet das Funktionsinteresse des Rates, was im Schrifttum insbesondere von Mandelartz-Wendt (vgl. dazu Mandelartz-Wendt, Verwaltungsrundschau 1979, 296) und auch vom Bekl. übersehen wird, nicht nur schon die Rechtserheblichkeit geringfügiger Belästigungen, sondern begrenzt damit zugleich auch den für Ratssitzungen maßgebenden Rahmen in dem noch davon ausgegangen werden kann, das Rauchen und seine nachteiligen Auswirkungen auf Nichtraucher seien als sozialadäquat hinzunehmen.

14.

Demgegenüber sind die Bedürfnisse der Raucher nicht durch das Funktionsinteresse des Rates gedeckt. Selbst wenn unterstellt wird, daß das Rauchen zur Erhaltung oder gar zeitweisen Steigerung der Leistungsfähigkeit einzelner Ratsmitglieder beitragen kann, gehört es doch zu den Verhaltensweisen, die zumindest kurzfristig - für die Dauer der jeweiligen Sitzung oder eines durch Pausen begrenzten Sitzungsabschnitts - ohne einen das individuelle Leistungsvermögen des Rauchers und damit das Funktionsinteresse des Rates berührenden Nachteil verzichtbar sind. Auch dieser Umstand ist offenkundig und bedarf deshalb keines weiteren Nachweises. Dies wird für den hier interessierenden Bereich der parlamentarischen Sitzungstätigkeit insbesondere dadurch belegt, daß bisher nicht behauptet ist, die Sitzungstätigkeit z. B. der Mitglieder des Bundestages, der Landtage oder zahlreicher Gemeinderäte könne durch das Unterlassen des in diesen Gremien (zumeist aus Gründen ihrer Würde und ihres Ansehens) unüblichen Rauchens negativ beeinflußt sein. Anders als der Nichtraucher, der sich in der Sitzung dem als belästigend empfundenen Tabakrauch nicht entziehen kann, kann der Raucher seinem Rauchbedürfnis - gleichsam mit Vorratswirkung für die Sitzung - auch außerhalb der Sitzung hinreichend nachkommen, zumal es dem Rat unbenommen bleibt, den Sitzungsablauf durch Einlegung ausreichender (Rauch-) Pausen zu gliedern.

15.

Die vorstehenden Erwägungen führen bei der unter dem Postulat der gegenseitigen Rücksichtnahme vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Belange dazu, daß im Blick auf das Funktionsinteresse des Rates dem schutzwürdigen Wunsch eines Ratsmitgliedes, von Belästigungen durch Tabakrauch verschont zu bleiben, grundsätzlich der Vorrang einzuräumen ist. Das hat zur Folge, daß derartige Belästigungen zugleich mit der Verletzung der gebotenen Rücksichtnahme gegen die Sitzungsordnung verstoßen (so im Ergebnis auch Witzsch, BayVBl 1975, 327 f.).

16.

Damit gehört das Rauchen allerdings noch nicht zu den generell unzulässigen Verhaltensweisen im Rat. Denn das Merkmal der Belästigung hat einen subjektiven Einschlag; ihr Vorliegen ist infolgedessen nur dann beachtlich, wenn sie vom Ratsmitglied in der Sitzung mit dem Antrag auf Erlaß eines Rauchverbots geltend gemacht wird. Für den jeweiligen Vorsitzenden ist wegen der individuell sehr unterschiedlichen und von vielfältigen äußeren Umständen abhängigen Auswirkungen des Rauchens auf Nichtraucher nicht von vornherein anhand objektiver Kriterien erkennbar, ob das Rauchen tatsächlich belästigend wirkt; dies wird für ihn - ebenso für die einzelnen Raucher unter den Sitzungsteilnehmern - erst mit der Geltendmachung in der Sitzung erkennbar. Erst die Geltendmachung löst auch den Anspruch auf Rücksichtnahme aus und führt bei einem Verstoß dagegen zu einer Reaktionspflicht. Dabei folgt aus der bereits dargelegten Schutzwürdigkeit und Vorrangigkeit der mitgliedschaftsrechtlichen Position der nichtrauchenden Ratsmitglieder, daß es über die Geltendmachung der Belästigung hinaus keines konkreten Nachweises der Belästigung mehr bedarf (vgl. dazu auch Witzsch, BayVBl 1975, 328).

17.

Der Annahme einer Störung der Sitzungsordnung steht eine etwaige Berufung der Raucher unter den Ratsmitgliedern auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. Art. 2 I GG) nicht entgegen. Denn soweit es um die durch die Sitzungsordnung geregelte Ausgestaltung der mitgliedschaftsrechtlichen Befugnisse der Ratsmitglieder geht, die den Gegenstand des vorliegenden Organstreits bilden, sind sie - das gilt für die durch das Gebot der Rücksichtnahme Begünstigten und Belasteten gleichermaßen - nicht Zuordnungssubjekt eigener Rechte und Pflichten und damit in Hinblick auf die Modalitäten ihrer organinternen Amtsausübung auch nicht grundrechtsfähig.

18.

Die an das Verhalten der Ratsmitglieder anzulegenden Maßstäbe bestimmen - mittelbar - zugleich auch den Rahmen dessen, was den sonstigen Sitzungsteilnehmern erlaubt ist. Denn auch diese sind, wenn und soweit sie an Ratssitzungen teilnehmen, ebenfalls der Sitzungsordnung unterworfen. Daher ist ein Verstoß gegen die Sitzungsordnung nicht nur dann anzunehmen, wenn die Belästigung von einem Ratsmitglied ausgeht, sondern (erst recht) auch dann, wenn sie von einem zu der Sitzung zugezogenen Bediensteten der Gemeinde oder aber von einem Zuhörer verursacht wird.

19.

Liegt ein im vorgenannten Sinne geltend gemachter Verstoß gegen die Sitzungsordnung vor, so kann das durch den Verstoß in seinen Mitgliedschaftsrechten betroffene Ratsmitglied vom Sitzungsvorsitzenden verlangen, daß dieser zur Beseitigung der Störung gegen den Störer einschreitet. Insoweit läßt das Vorliegen einer Störung des Funktionsablaufs einen Entscheidungsspielraum des Ratsvorsitzenden hinsichtlich der Frage, ob eingeschritten werden soll, entfallen. Die vom VG hierzu vertretene gegenteilige Rechtsauffassung (vgl. dazu auch Mandelartz-Wendt, Verwaltungsrundschau 1979, 297) verkennt die Rechtsnatur des organschaftlichen Beseitigungsanspruchs, bei dem es nicht um einen etwa an den Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts auszurichtenden Individualanspruch auf Einschreiten des Staates gegen einen Dritten geht, sondern vielmehr um die im Interesse des Organs entsprechend der innerorganisatorischen Pflichtenregelung vorzunehmende Abgrenzung und Durchsetzung von Befugnissen und Wahrnehmungszuständigkeiten. Von daher kommt dem Sitzungsvorsitzenden bei der Ausübung der ihm übertragenen Leitungsfunktion ein Spielraum nur hinsichtlich der Frage zu, mit welcher Maßnahme er im Einzelfall zur Wahrung der Sitzungsordnung eingreifen will. Auch der Auswahlspielraum entfällt allerdings, wenn nur eine bestimmte Ordnungsmaßnahme als geeignet in Betracht kommt; in diesem Fall hat das Ratsmitglied einen Anspruch auf Erlaß dieser Maßnahme.

20.

Nach alledem ist hier ein Anspruch des Kl. auf Anordnung eines Rauchverbots mit der Maßgabe gegeben, daß er diesen in der jeweiligen Ratssitzung geltend macht.

21.

Zwar mag der Sitzungssaal, in dem die Sitzungen des Rates der Stadt L. stattfinden, alle bauordnungsrechtlichen Anforderungen erfüllen und speziell hinsichtlich seiner lüftungstechnischen Anlagen den dazu eingeführten technischen Baubestimmungen entsprechen. Das schließt jedoch nicht aus, daß der Kl. auf Tabakrauch besonders empfindlich reagiert und die trotz der üblichen und möglichen Lüftungsmaßnahmen verbleibenden Rauchwirkungen als Belästigung empfindet. Insoweit geht auch der Bekl. selbst nur davon aus, daß durch die räumlichen und technischen Gegebenheiten lediglich "erhebliche" nicht aber alle Belästigungen ferngehalten werden können. Bei dieser Situation kommt als zur Störungsbeseitigung allein geeignete Maßnahme der Sitzungsordnung nur die Anordnung des vom Kl. beantragten Rauchverbots in Betracht.