Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt
Beschluss vom 22.1.2014
- 2 M 151/13
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 (weitere Fundstelle: NVwZ-RR 2014, 417)

 

Leitsatz

 

Die Zumutbarkeit von Lärmbelästigungen, die von einem Schimpansenhaus in einem Zoo für benachbarte Wohngrundstücke ausgehen, richtet sich maßgeblich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere auch der konkreten Betriebsweise

 

Gründe

 

I.

1.

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen einen Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin der Beigeladenen die Errichtung eines neuen Schimpansenhauses nebst Freigehege für bis zu 15 Tiere im Magdeburger Zoo genehmigte. Die Aussetzung der Vollziehung hält er für geboten, weil die Unterbringung der Tiere nach Art und Lage der Anlage Geräuschimmissionen verursache, die für ihn als Eigentümer eines benachbarten Wohngrundstücks nicht zumutbar seien.

2.

Das geplante und inzwischen weitgehend errichtete Gebäude hat einen rechteckigen Grundriss von etwa 28 m (westliche und östliche Außenwand) mal 38 m (nördliche und südliche Außenwand) und setzt sich zusammen aus einem westlich gelegenen, in der Grundfläche etwa 28 m x 30 m großen Schaugehege sowie einem östlich daran angrenzenden, etwa 28 x 8 m großen Stallgebäude mit vier Boxen und einem Technikraum. Im Norden und Osten ist das Gebäude von einem Freigehege umgeben. Dieses können die Affen von der nördlichen Außenwand des Schaugeheges aus über zwei 80 x 80 m große Öffnungen erreichen. Die Lüftung des Schauhauses erfolgt über Klappen, die auf beiden Seiten des 9,54 m hohen Dachfirstes angebracht werden und sich nach Norden und Süden öffnen lassen. Das Grundstück des Antragstellers grenzt nördlich an das Zoogelände an. Die kürzeste Entfernung zum Freigehege beträgt ungefähr 60 m und zur nördlichen Außenwand des Gebäudes etwa 85 m.

3.

Die Errichtung des Gebäudes nebst Freigehege hatte die Antragsgegnerin der Beigeladenen bereits mit einem ersten Bescheid vom 17.01.2013 genehmigt. Dessen Vollziehung setzte das Verwaltungsgericht allerdings auf Antrag des Antragstellers mit der Begründung aus, das genehmigte Vorhaben verursache nicht zumutbare Lärmbelästigungen (Beschluss vom 02.08.2013 – 1 B 299/13 MD – GA, Bl. 175 ff.). Am 15.08.2013 reichte die Beigeladene bei der Antragsgegnerin einen geänderten Genehmigungsantrag ein. Nach den neuen Bauvorlagen werden die Geräuschemissionen durch zusätzliche bauliche Vorrichtungen eingedämmt. Das Dach des Stallgebäudes wird mit Lichtkuppeln versehen, die zum Zwecke der Lüftung geöffnet werden können, aber während der nächtlichen Ruhezeit der Tiere (18.00 Uhr bis 8.00 Uhr) geschlossen bleiben. Die Belüftung erfolgt dann über eine Lüftungsanlage. Der Schall, der bei geöffneten Lichtkuppeln nach außen dringt, wird durch eine die Dachoberkante um 79 cm überragende Palisadenwand abgeschirmt. Darüber hinaus wird über der dem Grundstück des Antragstellers zugewandten Nordfassade und einem 2 m breiten Teil der Ostfassade die vorhandene Attika aus Stahlbeton auf eine Höhe von 2,4 m über der Dachoberkante erweitert. Die Geräuschimmissionen, die das Vorhaben unter Berücksichtigung dieser Änderungen voraussichtlich verursacht, hat der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige Dr.-Ing. B. in einer den Bauvorlagen beigefügten schalltechnischen Untersuchung vom 15.08.2013 dargelegt.

4.

Mit Bescheid vom 28.08.2013 hob die Antragsgegnerin ihre Genehmigung vom 17.01.2013 auf (Nr. 1 des Bescheidtenors) und genehmigte das geänderte Vorhaben (Nr. 2 des Bescheidtenors). Gleichzeitig ordnete sie die sofortige Vollziehung dieser Genehmigung an (Nr. 3 des Bescheidtenors).

5.

Der Antragsteller hat hiergegen am 06.09.2013 Widerspruch erhoben und am 12.09.2013 beim Verwaltungsgericht Magdeburg erneut um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Mit Beschluss vom 30.09.2013 (1 B 374/13 MD) hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt und die Antragsgegnerin verpflichtet, der Beigeladenen die weitere Vollziehung der Genehmigung bis auf Weiteres zu untersagen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Antragsgegnerin hätte die Vollziehung der Genehmigung nicht selbst anordnen dürfen, weil sie damit die materielle Rechtskraft des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 02.08.2013 (1 B 299/13 MD) missachtet und die Erforderlichkeit eines Änderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO umgangen habe. Einer Behörde sei es mit Rücksicht auf diese Regelung verwehrt, eine bereits vom Gericht ausgesetzte Vollziehung nochmals auszusetzen, wobei dies nicht nur hinsichtlich des ursprünglichen, sondern auch eines zwar neuen, aber mit diesem im Wesentlichen identischen Verwaltungsakts gelte. Einen solchen – nahezu – identischen Verwaltungsakt stelle die Genehmigung vom 28.08.2013 im Vergleich zu der ursprünglichen Genehmigung vom 17.01.2013 dar, weil sie diese nur in einigen unwesentlichen Details ändere. Im Übrigen seien auch die nunmehr geplanten baulichen Änderungen nicht dazu geeignet, die mit dem Betrieb des Schimpansenhauses verbundenen Geräuschimmissionen hinreichend zu reduzieren. Die neue immissionsschutzrechtliche Untersuchung setze sich wiederum nicht mit den besonderen Belästigungen auseinander, die insbesondere von besonders lauten und störenden Affenschreien ausgingen, sondern wende lediglich die Richtwerte der TA-Lärm schematisch an.

6.

Am 09.10.2013 hat die Beigeladene Beschwerde erhoben und zur Begründung ausgeführt: In der erneuten Anordnung des Sofortvollzugs liege keine Umgehung des § 80 Abs. 7 VwGO, weil sie die nunmehr genehmigte Anlage gerade hinsichtlich der hier maßgeblichen Geräuschimmissionen wesentlich verbessert habe. Vor allem während der Nachtstunden sei eine Einhaltung der zumutbaren Immissionswerte gewährleistet, weil das Stallgebäude mit einer Lüftungsanlage versehen und die Lichtkuppeln deshalb geschlossen bleiben könnten. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin haben sich zu der Beschwerde nicht geäußert.

 

II.

7.

Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde ist begründet.

8.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist das Interesse der Beigeladenen an einer Ausnutzung der ihr erteilten Genehmigung höher zu bewerten als das Aussetzungsinteresse des Antragstellers (§§ 80 Abs. 5, 80a Abs. 3 VwGO).

9.

An der erneuten Anordnung des Sofortvollzugs war die Antragsgegnerin nicht deshalb gehindert, weil das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 02.08.2013 (1 B 299/13 MD) die Vollziehung der ursprünglichen Genehmigung vom 17.01.2013 ausgesetzt hatte. Die Genehmigung vom 28.08.2013 ist mit dieser nicht identisch, weil das genehmigte Vorhaben bauliche und betriebliche Änderungen aufweist, die aller Voraussicht nach zu einer erheblichen Minderung der in Streit stehenden Lärmbelästigungen führen.

10.

Nach der im Eilverfahren allein maßgeblichen Aktenlage spricht auch Überwiegendes dafür, dass die Geräuschimmissionen aufgrund dieser Änderungen für die Bewohner der nördlich an das Zoogelände angrenzenden Grundstücke als zumutbar einzustufen sind. Die schalltechnische Untersuchung des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Dr.-Ing. B. vom 15.08.2013 erschöpft sich entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht in einer „schematischen Anwendung" der TA-Lärm, sondern setzt sich mit den Besonderheiten der vorliegenden Tiergeräusche auseinander. So berücksichtigt der Sachverständige nicht nur den Aufenthalt der Tiere an verschiedenen Stellen der Anlage, sondern auch die anzunehmende Häufigkeit von Affenschreien. Die Lärmbelästigungen, die nach der Untersuchung voraussichtlich verursacht werden, bewegen sich nach Einschätzung des Senats im Bereich des Zumutbaren. Eine entscheidende Verbesserung liegt für die Nachbarn darin, dass sich die Tiere nach der Betriebsbeschreibung (Nr. 10.2 in Verbindung mit der Geräuschuntersuchung vom 15.08.2013, S. 5) nur während der Öffnungszeiten des Zoos von 8.00 bis 18.00 Uhr im Schau- oder Freigehege aufhalten und in der übrigen Zeit in dem Stallgebäude mit geschlossenen Lüftungsklappen untergebracht sind. Bei dieser Art der Unterbringung reduzieren sich die nach außen dringenden Geräuschemissionen auf zumutbare Werte (S. 16 f. der Untersuchung). Soweit sich die Affen tagsüber im Frei- oder Schaugehege aufhalten, muss zwar in der Tat mit einer gewissen Lärmbelästigung gerechnet werden. Hierbei können die Geräusche zu den Zeiten, zu denen die Affen herumtollen, streiten, laute Schreie ausstoßen oder sich in sonstiger Weise besonders lebhaft verhalten, auch Pegelspitzen von nahezu 80 dB(A) erreichen (vgl. S. 16 f. der Untersuchung). Diese Problematik stellt sich aber in ähnlicher Weise etwa auch bei einem nahegelegenen Schulhof, Kindergarten oder Freibad. Die Wohngrundstücke im Steingewände grenzen an einen seit Jahrzehnten bestehenden Zoo an. Bei dieser Vorbelastung haben die Bewohner die von einer solchen Anlage üblicherweise ausgehenden Tiergeräusche grundsätzlich hinzunehmen.

11.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1; 52 Abs. 1 GKG.