Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil vom 24.09.1987
- 12 A 269/8
6 -

 (weitere Fundstellen: NVwZ 1988, 638)

 

 

Zum Sachverhalt:

1.

Der Kl. möchte die Rechtswidrigkeit eines gegen ihn gerichteten Versammlungsverbotes festgestellt wissen. Der Kl. plante für den 17. bis 20.5.1984 seine "17. Mitglieder-Jahreshauptversammlung und Suchdiensttreffen" in Bad Harzburg. Die offiziellen Veranstaltungen sollten im Kurhaus stattfinden, dessen Bewirtschaftung von einem privaten Pächter betrieben wird und mit dem ein entsprechender Mietvertrag bestand. Für die einzelnen sog. "Kompanie-Abende" waren umliegende Gasthäuser reserviert worden. Ab Herbst 1983 breiteten sich davon Informationen aus. Am 29.2.1984 schrieb daraufhin der Stadtdirektor der Bekl. an den Kl., sein Treffen in Bad Harzburg sei unerwünscht und er werde dringend aufgefordert, von sich aus den Termin in Bad Harzburg nicht stattfinden zu lassen. Nachdem sich im Verlauf des Frühjahrs die öffentliche Diskussion verstärkt hatte, eine immer einhelligere Ablehnung deutlich wurde und schließlich verschiedene Organisationen Proteste, Gegenkundgebungen und Aktionen "zur Verhinderung" des Jahrestreffens ankündigten, untersagte die Bekl. mit Bescheid vom 7.3. 1984 "das geplante Treffen des Kameradschaftsverbandes der Soldaten des I. Panzerkorps der ehemaligen Waffen-SS e. V. im Kurhaus der Stadt Bad Harzburg und alle anderen Veranstaltungen im Gebiet der Stadt". Das Verbot erging unter Anordnung der sofortigen Vollziehung. Gegen diese Verfügung erhob der Kl. umgehend Widerspruch. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren stellte das VG die aufschiebende Wirkung dieses Rechtsbehelfes wieder her, weil keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß der Antragsteller als ordnungsrechtlicher Störer anzusehen sei. Im Beschwerdeverfahren hob das OVG diese Entscheidung jedoch auf und bestätigte die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Nachdem die Veranstaltung nun nicht mehr stattfinden konnte, hat der Kl. Klage erhoben, der das VG stattgegeben hat. Die Berufung der Bekl. führte zur Klageabweisung.

 

Aus den Gründen:

2.

I. Die Klage ist als sog. Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO zulässig. Die strittige Verbotsverfügung hat sich dadurch erledigt, daß ihr Objekt, die konkrete Versammlung, tatsächlich nicht mehr stattgefunden hat. Zwar trat diese Erledigung schon vor Klagerhebung ein, es gilt heute jedoch als unstreitig, daß § 113 I 4 VwGO analog auch auf solche Fälle anwendbar ist (vgl. BVerwGE 12, 87 (90); BVerwGE 26, 161 (165); 45, 51 (54); BVerwGE 56, 24, (26); OVG Münster, NJW 1980, 1063 (1069); OVG Koblenz, NJW 1982, 1302). Gegen das noch unerledigte Versammlungsverbot wäre ein Vorgehen im Wege der Anfechtungsklage zulässig gewesen.

3.

Der Kl. hat auch ein entsprechendes Feststellungsinteresse. Sollte ihm mit den generalisierenden Erwägungen der strittigen Verfügung tatsächlich die Abhaltung einer Versammlung verboten werden können, droht ihm Vergleichbares auch künftig, wenn er seine Jahrestreffen organisiert. Unabhängig von der besonderen Konstellation in Bad Harzburg ist deshalb die Rechtsfrage für ihn von grundsätzlicher Bedeutung. Ein solches Vorsorgeinteresse wegen Wiederholungsgefahr genügt für das besondere Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerwG, DVBl 1983, 850 f.; OVG Münster, NVwZ 1982, 46 m. w. Nachw.). Außerdem ist der Kl. an der Rechtswidrigkeitsfeststellung interessiert, weil er sich von bestimmten Negativbeurteilungen wie polizeilich Verantwortlicher oder Störungs-Zweckveranlasser befreien will (zum grundsätzlichen Genügen eines solchen Rehabilitierungsinteresses für die Feststellung: BVerwGE 26, 161 (168); 49, 63 ff.; 61, 164 (165 f.) BVerwG, DÖV 1984, 385 f.). Dafür ist nicht erforderlich, daß der angefochtene Verwaltungsakt auf eine Diskriminierung des Adressaten abzielt; es reicht aus, daß er objektiv nachteilige Folgen hat, die dieser so nicht hinnehmen möchte.

4.

II. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedoch nicht begründet, denn der Verbotsbescheid war rechtmäßig.

5.

Diese Frage beurteilt sich dabei nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht. Die geplante Versammlung des Kl. war nur für die Mitglieder und andere individuell bestimmte Personen zugänglich. Es handelte sich also, wie auch die Vorinstanz zutreffend herausgestellt hat, um eine nichtöffentliche Versammlung, für welche die Spezialvorschriften des Gesetzes über Versammlungen und Aufzügen - VersG - i. d. F. vom 15. 11. 1978 (BGBl I, 1790) nicht gelten. Solche Veranstaltungen unterliegen bezüglich der Gefahrenabwehr vielmehr den Eingriffsbedingungen der polizeirechtlichen Generalklausel (OVG Saarlouis, AS 13, 208 (211); Frowein, NJW 1969, 1082; Schmidt=Jortzig, JuS 1970, 508; Götz, Allg. Polizei- u. OrdnungsR, 8. Aufl. (1985), Rdnr. 246; Schenke, Polizei- u. OrdnungsR, in: Arndt-Köpp-Oldiges-Schenke-Seewald-Steiner, Bes. VerwR, 2. Aufl. (1986), Rdnr. 120). Die besondere Bedeutung grundrechtlich geschützter Versammlung ist dabei in die Verhältnismäßigkeitsabwägung des Entschließungs- und Auswahlermessens einzubringen.

6.

1. Allerdings ist die Verbotsverfügung nicht aufgrund §§ 11, 6 I NdsSOG vom 17. 11. 1981 (GVBl S. 347) gerechtfertigt. Der Kl. hat die in Bad Harzburg seinerzeit bestehende polizeiliche Gefahr nicht selbst unmittelbar verursacht, er kann nicht als einfacher Verhaltensstörer angesehen werden.

7.

Der Kl. ist eine zivilrechtskonform gegründete und mit ihrer Existenz nicht gegen höherrangige Rechtsnormen verstoßende juristische Person des bürgerlichen Rechts (§§ 21, 54 ff. BGB). Es ist zwar unstreitig, daß sowohl die nationalsozialistische sog. Schutzstaffel - SS - allgemein als auch die Waffen-SS speziell durch die Gesetzgebung der Besatzungsmächte aufgelöst wurden und in keinerlei Form neugebildet werden durften: Art. 1 KontrollratsG Nr. 2 vom 10. 10. 1945 (ABl Kontrollrat S. 19) in Vollzug des Potsdamer Abkommens vom 2. 8. 1945 sowie der Proklamation Nr. 2 vom 20. 9. 1945. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob jener Rechtsakt oder andere in dieselbe Richtung gehende Regelungen der Besatzungsmächte später wirksam aufgehoben wurden, etwa durch Gesetz Nr. 16 der Alliierten Hohen Kommission der Westmächte vom 16. 12. 1949 (ABl AllHK S. 72) oder durch § 1 I des Dritten Gesetzes zur Aufhebung des Besatzungsrechts vom 23. 7. 1958 (BGBl I, 540, Teil B der Anl. 1 zu § 1). Heute kommt das Wirkungsverbot unmittelbar aus Art. 9 II GG, §§ 3 ff. VereinsG v. 5. 8. 1964 (BGBl III 2180-1). Auch kann in diesem Zusammenhang unerörtert bleiben, ob die Auffassung zutrifft, daß Art. 139 GG jede "faschistische Betätigung aus dem grundrechtlichen Schutz verfassungskräftig ausklammere" (dazu einerseits VGH Kassel, NJW 1986, 2660 = NVwZ 1986, 1047 - und v. 22. 1. 1986 - 2 TG 169/86, andererseits Kutscha-Stein, Die Fortgeltung des Verbotes der SS - Ein aktuelles Problem, hrsg. v. Präsidium des VVN/Bund der Antifaschisten, 1985). Der Senat hat hierzu bereits in dem Urteil v. 31. 1. 1985 (12 A 188/83) seine Skepsis deutlich gemacht und ausgeführt, der Artikel stelle objektiv-exegetisch "lediglich die Regelung eines Kollisionsproblemes mit vorgrundgesetzlich erlassenen Rechtsvorschriften (und damit) technisch eine Übergangsvorschrift dar". Jedenfalls aber gilt, daß der Kl., solange er nicht förmlich verboten wurde, als rechtmäßig existierend und handelnd angesehen werden muß: § 3 I 1 VereinsG. Im übrigen muß davon nach nüchterner Sicht auch materiell ausgegangen werden. Mag gegenüber Gefühlsprimat und Stimmungskonservierung von Kameradschaftspflege ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS auch kritische Distanz angebracht sein, nach seiner Satzung (§ 3) hat sich der Kl. eindeutig von nationalsozialistischem Gedankengut abgesetzt. Er "enthält sich (danach) jeder parteipolitischen Betätigung, bekennt sich zur Bundesrepublik Deutschland und ihrer freiheitlich-demokratischen Staatsordnung" und weist aus, daß "eine Restauration nationalsozialistischen Gedankengutes untersagt" sei. Weder die erklärten Ziele der Vereinigung noch nachzuweisende Aktivitäten können den Verdacht erhärten, daß gegen die auferlegte Selbstbeschränkung verstoßen werde.

8.

Als nicht verbotene Vereinigung hat der Kl. danach Grundrechtsschutz gem. Art. 9 I GG (Abs. 2 der Norm greift nicht ein), über Art. 19 III GG tritt Art. 8 GG "Versammlungsfreiheit" hinzu, und beide Grundrechte stehen in diesem Vereinigungsrahmen auch den Mitgliedern zu. Ganz ungeachtet der zivilrechtlichen Pflicht zur Abhaltung von Mitgliederversammlungen (§ 32 BGB i. V. mit § 11 der klägerischen Vereinssatzung) übte der Kl. also mit der Vorbereitung des Mai-Treffens 1984 in Bad Harzburg verfassungsmäßige Grundrechte aus. Schon deshalb kann er - da von seinem oder seiner Mitglieder Verhalten keinerlei Rechtsverstöße ausgehen - niemals ordnungsrechtlicher (Handlungs) Störer sein (ebenso OVG Saarlouis, DÖV 1970, 53 (54)).

9.

Ohnehin hat der Kl. aber auch tatsächlich nicht i. S. des § 6 I NdsSOG durch sein bzw. seiner Mitglieder Verhalten die sich abzeichnende Störung selbst herbeigeführt. Für Kausalitätsfragen gilt im Polizei- und Ordnungsrecht die Lehre von der unmittelbaren Verursachung (statt anderer OVG Lüneburg, OVGE 14, 396 (397); und Götz, Allg. Polizei- u. OrdnungsR, Rdnrn. 191 ff.; Drews-Wacke-Vogel-Martens, Gefahrensabwehr, S. 313 f.m. w. Nachw.). Danach ist eine konkrete Gefahr demjenigen zuzurechnen, der sie eigenständig und unmittelbar gesetzt hat bzw. selbst "die Gefahrengrenze überschreitet". Das, was die drohende Rechtsgutverletzung ausmachte, waren allein die zu erwartenden Gewalttätigkeiten, Zerstörungen und sonstigen Konfrontationen. Diese aber gingen - soweit sie sich überhaupt schon deutlicher abzeichneten - von undisziplinierten Gegendemonstranten aus. Diese waren es, welche die potentiellen Ausschreitungen polizeilich verursacht hätten. Sie also wären allein die unmittelbaren Verhaltensstörer i. S. des § 6 I NdsSOG. Der Kl. ist insoweit lediglich Auslöser der Gefahr und - da er ja die Versammlung absagen konnte - "Inhaber des Gegenmittels", in beiden Eigenschaften aber eindeutig nicht polizeipflichtig (VGH München, BayVBl 1979, 629; VGH Mannheim, DVBl 1987, 151; OVG Saarlouis, AS 13, 208 (211); VG Köln, NJW 1971, 210 f.; VG Gelsenkirchen, NJW 1971, 213).

10.

2. Gleichwohl erging das Verbot gegenüber dem Kl. rechtmäßig. Der Kl. muß als polizeirechtlicher "Zweckveranlasser" gesehen werden, und ein Fehler der Behörde bei Ausübung ihres pflichtmäßigen Ermessens ist nicht ersichtlich.

11.

Allerdings kann dem Kl. kaum angelastet werden, daß er die sich abzeichnenden Konfrontationen bewußt habe schüren oder hervorrufen wollen. Das Treffen war so zurückhaltend vorbereitet worden, daß selbst die Bekl. erst sehr spät davon erfuhr. Auch die an die Bet. herausgehende Einladung gibt sich eher vorsichtig und retardierend, eine "bewußte Provokation" ist darin nicht zu sehen. Die Passage, fehlende Werbung müßten "alle durch persönlichen Einsatz ausgleichen", läßt sich kaum als Aufforderung zu besonderer Außenaktivität hinstellen. Vielmehr wird darauf verwiesen, daß "in diesem Jahr hoffentlich nicht so viel Getöse" erfolge und auf die Veranstaltung nur "mit gebotener Zurückhaltung" aufmerksam gemacht werden solle; die erbetene persönliche Werbung für das Treffen soll ausdrücklich "in unseren Kreisen" bleiben.

12.

Die Figur des "Zweckveranlassers" stellt jedoch nicht auf subjektiv-intentionale Herbeiführungen ab. Entscheidend ist vielmehr der objektive Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang (Drews-Wacke-Vogel-Martens, Gefahrenabwehr, S. 315 f.; Götz, Allg. Polizei- u. OrdnungsR, Rdnrn. 193, 197 f.; Schenke, Polizei- u. OrdnungsR, Rdnr. 91; - w. Nachw. Erbel, JuS 1985, 260 f. Fußn. 41 ff. sowie zur Verantwortlichkeit des Gaststättenbetreibers für den Lärm der Gäste etwa BVerwG, DVBl 1965, 603 (604); Urt. v. 19. 3. 1982 (1 B 182/81), OVG Münster, GewArch 1974, 241; VGH München, BayVBl 1984, 113). Es kommt allein darauf an, ob aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten die erwartete Störung "nach Sätzen der Erfahrung eine naheliegende Folge (und nicht lediglich atypische Konsequenz) der an das Publikum gerichteten Handlung" ist (Götz, aaO, Rdnr. 196).

13.

Eine solch objektive Verknüpfung indes besteht hier aufgrund der speziellen historischen Belastetheit des gewählten Versammlungsortes. Wird im Zusammenhang mit nationalsozialistischen Vergangenheiten - und der Kl. steht nun einmal unauflöslich in diesem Kontext - von Bad Harzburg gesprochen, kommen unweigerlich die Ereignisse vom 10. und 11. 10. 1931 in Erinnerung, deren Ergebnis als "Harzburger Front" in die Geschichte eingegangen ist. Hier fand der politische Zusammenschluß von Nationalsozialisten, Deutschnationalen, Stahlhelm, Vereinigung Vaterländischer Verbände und einiger kleinerer Rechtsgruppen zur "Nationalen Opposition" statt, der später als Anfang vom Ende der Weimarer Republik und Meilenstein der nationalsozialistischen Machtergreifung eingeordnet wurde. Diese Verknüpfung der verhängnisvollen und verbrecherischen nationalsozialistischen Vergangenheit mit dem Namen "Bad Harzburg" gibt die Grundlage dafür ab, daß die Durchführung einer Veranstaltung des Kl., welcher allein schon mit seinem Namen die Erinnerung an eine besonders umstrittene Gruppierung des Nationalsozialismus - die SS - wachruft, zu besonderer Emotionalisierung der Verhältnisse führt. Der Kl. mag darauf nicht ausgewesen sein, aber er löste in einer wertenden Gesamtschau Kausalabläufe aus, die naheliegenderweise, ja zwangsläufig zu erhöhten Sicherheitsrisiken führen mußten. Allein die Tatsache der Wahl des Versammlungsortes Bad Harzburg läßt deshalb den Kl. als objektiven Zweckveranlasser erscheinen. Insoweit also ist er trotz seiner nur mittelbaren Verursachung der Gefahr polizeirechtlich als mit-verantwortlich zu behandeln.

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3. Auf die Frage einer Heranziehbarkeit des Kl. im sog. "polizeilichen Notstand" nach § 8 NdsSOG, d. h. als Nichtstörer, kommt es deshalb nicht mehr an.