Oberlandesgericht Hamm
Beschluss vom 19.9.1990
- 2 Ss OWi 373/90
-

 (weitere Fundstellen: NStZ 1991, 44 f.)

 

Aus den Gründen:

1.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen, soweit das Urteil - noch - angefochten ist, wegen eines zumindest bedingt vorsätzlichen fortgesetzten Verstoßes gegen §§ 16 Abs. 1, 23 der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Stadt D. zu einer Geldbuße von 250,-- DM verurteilt. Es hat dazu im wesentlichen folgendes festgestellt bzw. ausgeführt:

2.

Der Betroffene, von Beruf Architekt, ist Besitzer eines Rottweilerhundes.

3.

Weil er diesen im Juni 1988 in einer öffentlichen Grün- und Erholungsanlage in D. unangeleint hatte frei laufen Lassen, war er wegen eines Verstoßes gegen § 16 Abs. 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung durch Urteil des Amtsgerichts D. vom 30. März 1989, rechtskräftig nach Verwerfung seines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde seit dem 3. Oktober 1989, zu einer Geldbuße von 100,-- DM verurteilt worden.

4.

Ferner war dem Betroffenen durch Ordnungsverfügung der Stadt D. vom 8. Februar 1989 aufgegeben worden, seinen Hund im Stadtgebiet von D. auf Straßen und in Anlagen an kurzer Leine zu führen oder von aufsichtsfähigen Personen so führen zu lassen, Gegen diese Verfügung hatte er Widerspruch eingelegt und nach dessen Zurückweisung Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Sein weiterer Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen bzw. anzuordnen, war durch Beschluß des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 12. April 1989 abgelehnt worden. Seine hiergegen gerichtete Beschwerde war durch Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 23. Mai 1989 zurückgewiesen worden.

5.

Obwohl dem Betroffenen die genannten Entscheidungen bekannt waren, er allerdings den Leinenzwang auf öffentlichen Straßen für nicht rechtmäßig hält und dort seinen Hund nur bei ihm notwendig erscheinenden Bedarf anleinen will, hat er ihn an folgenden Tagen auf öffentlichen Straßen in D., nämlich am 15. Juni 1989 gegen 7.50 Uhr auf der Straße Am B., am 6. Juli 1989 gegen 22.00 Uhr auf der S. straße und am 7. Juli 1989 gegen 16.40 Uhr wiederum Am B. unangeleint geführt.

6.

Aufgrund insbesondere der Kenntnis der Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen und des Oberverwaltungsgerichts Münster, die von einer Wirksamkeit des § 16 Abs. 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Stadt Dortmund ausgingen, hat das Amtsgericht das Vorliegen eines Verbotsirrtums im Sinne von § 11 Ab s. 2 OWiG verneint.

7.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, insbesondere die Unwirksamkeit der kommunalen Verordnung geltend macht.

8.

Soweit der Betroffene durch das angefochtene Urteil darüber hinaus wegen eines weiteren tatmehrheitlich begangenen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 16 Abs. 1 der genannten Verordnung zu einer Geldbuße von 150,-- DM verurteilt worden ist, weil er seinen Hund am 14. Juni 1989 gegen 20.00 Uhr in einer öffentlichen Grün- und Erholungsanlage unangeleint geführt hatte, hat er seinen zunächst gestellten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zwischenzeitlich zurückgenommen.

9.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen, und das gemäß § 349 Abs. 3 StPO Erforderliche veranlaßt. Seitens des Betroffenen ist eine Erwiderung nicht erfolgt.

10.

Der Senat hält die Rechtsbeschwerde ebenfalls für unbegründet.

11.

In sachlich-rechtlicher Hinsicht hat die Überprüfung des angefochtenen Urteils nach der Beurteilung der hierbei bedeutsamen Rechtsfragen durch den Senat Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen nicht ergeben. Die Feststellungen zur Person des Betroffenen sowie zum Tatgeschehen sind hinreichend vollständig und tragen den Schuldspruch sowie den Rechtsfolgenausspruch.

12.

Auch die Wirksamkeit der hier entscheidungserheblichen Vorschriften der Ordnungsbehördlichen Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Stadt Dortmund vom 23. Februar 1983, deren Zweckbestimmung nach § 1 die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf Straßen und in Anlagen der Stadt Dortmund ist, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Diese lauten:

§ 16 Hunde

(1) Auf Straßen und in Anlagen dürfen Hunde nur von aufsichtsfähigen Personen angeleint geführt werden. Bissige und böswillige Hunde müssen an kurzer Leine bei Fuß geführt werden und einen Maulkorb tragen.

(2) Hunde dürfen Straßen und Anlagen nicht verunreinigen. Halter oder sonst Verantwortliche sind zur sofortigen Beseitigung von Verunreinigungen verpflichtet.

(3) Das Mitführen von Hunden auf Spielplätzen ist untersagt.

13.

§ 23 Ordnungswidrigkeiten

(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig den Bestimmungen dieser Verordnung zuwiderhandelt.

(2) Die Verfolgung und Ahndung von Zuwiderhandlungen richtet sich nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten ... in der jeweils gültigen Fassung.

14.

Ferner enthält § 15 der Verordnung folgende Regelung:

§ 15 Tierhaltung

(1) Tiere dürfen durch aufsichtsfähige Personen nur so kontrolliert gehalten werden, daß Gefährdungen für Dritte sich damit nicht verbinden.

(2) Das Halten gefährlicher Tiere einer wildlebenden Art ist dem Amt für öffentliche Ordnung anzuzeigen. Diese Tiere dürfen auf Straßen und in Anlagen nicht mitgeführt werden.

15.

Nach Ansicht des Senats sind die vorgenannten Bestimmungen nicht wegen Verstoßes gegen höherrangiges Bundesrecht unwirksam:

16.

Soweit der Leinenzwang in öffentlichen Anlagen durch örtliche Polizeiverordnungen angeordnet wird, ist die Gültigkeit derartiger Regelungen bislang - soweit ersichtlich - nicht angezweifelt worden (vgl. OLG Hamm, Beschluß vom 3. Dezember 1987 in 4 Ss OWi 971/87 = NStZ 1988, 321 = NVWZ 1988, 671 = JMBlNW 1988, 69 = VRS 74, 306; OLG Hamm, Beschluß vom 4. Dezember 1986 in 1 Ss OWi 1050/86; OLG Düsseldorf, NVWZ 1988, 94).

17.

Entsprechendes hat auch für den Leinenzwang auf Straßen zu gelten.

18.

Die Ordnungsbehördliche Verordnung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 27 ff des Ordnungsbehördengesetzes NRW vom 13. Mai 1980 (GV S. 528) und hält sich im Rahmen der Ermächtigung, weil sie der allgemeinen Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dient.

19.

Zwar ist für örtliche, auf landesrechtlichen Ermächtigungen beruhende Verordnungen dann kein Raum, wenn der Bundesgesetzgeber von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz abschließend und erschöpfend Gebrauch gemacht hat.

20.

Soweit der Straßenverkehr und damit das Ziel der Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs in Frage stehen, hat er dies auch mit dem Straßenverkehrsgesetz getan, auf dessen Ermächtigung die ebenfalls als Bundesrecht geltende Straßenverkehrsordnung beruht. Unter diesen Gesichtspunkten ist auch die Teilnahme von Tieren am Straßenverkehr in § 28 StVO und in der Generalklausel des § 1 Abs. 2 StVO geregelt. Nach § 28 Abs. 1 StVO sind Haus- und Stalltiere, die den Verkehr gefährden können, von der Straße fernzuhalten. Sie sind dort nur zugelassen, wenn sie von geeigneten Personen begleitet sind, die ausreichend auf sie einwirken können. Es ist verboten, Tiere von Kraftfahrzeugen aus zu führen. Von Fahrrädern aus dürfen nur Hunde geführt werden.

21.

Absatz 2 dieser Vorschrift befaßt sich ausschließlich mit Reitern, Führern von Pferden sowie Treibern und Führern von Vieh und der insoweit mitzuführenden Beleuchtung.

22.

Nach § 1 Abs. 1 StVO erfordert die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Gemäß Abs. 2 hat sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, daß kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

23.

Daraus folgt jedoch, daß nur örtliche Polizeiverordnungen verkehrspolizeilichen Inhalts unwirksam sind (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 30. Aufl., Einl. Rdnr. 46 m. w. N.), da unter dieser Zielrichtung der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat.

24.

Wie bereits das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in seinem Beschluß vom 12. April 1989 dargelegt hat, ist auch der Senat der Ansicht, daß sowohl die Ermächtigungsgrundlage in § 27 OBG NRW als auch die darauf beruhende Vorschrift des § 16 Abs. 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung nicht der Abwehr mit dem Straßenverkehr, zu dem allerdings auch der Fußgängerverkehr auf dem Gehweg einer öffentlichen Straße gehört, verbundener Gefahren dienen, sondern der Abwehr allgemeiner Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. In diesem Sinn ist darunter zu verstehen, daß sich der Bürger an öffentlichen Orten frei bewegen kann, ohne Angst davor haben zu müssen, von frei umherlaufenden Hunden gefährdet oder auch nur belästigt zu werden (vgl. Beschluß des hiesigen 4. Senats für Bußgeldsachen vom 3. Dezember 1987 a.a.O.), wobei es unerheblich ist, ob es sich wie hier um einen Rottweiler, um einen kleinen oder großen, um einen sonst friedlichen oder eher gefährlichen Hund, für den ohnehin besondere Regelungen eingreifen, handelt.

25.

Bezogen auf die Ordnungsbehördliche Verordnung der Stadt Dortmund wird dies insbesondere durch die Generalklausel des § 15 Abs. 1 sowie den Absatz 2 dieser Vorschrift deutlich. Die hier streitige Regelung in § 16 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung dient allein der Abwehr von Gefährdungen und Belästigungen für Dritte, die sich aus der Hundehaltung als solcher ergeben, nicht aber bereits Einfluß auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, auch des Fußgängers als Verkehrsteilnehmers, haben.

26.

Hinzu kommt, daß durch die genannte Vorschrift jeglichen abstrakten Belästigungen durch Hunde bereits im Vorfeld einer konkreten Belästigung, wie sie § 1 Abs. 2 StPO voraussetzt, begegnet werden soll. Der Regelungsgehalt der §§ 1 Abs. 2 und 28 Abs. 1 StVO erstreckt sich nicht auf diese abstrakten Gefährdungen und Belästigungen, die sich aus der Hundehaltung als solcher ergeben, sondern bezieht sich auf konkrete Gefährdungen und Belästigungen unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf Straßen.

27.

In diesem Sinne ist eine Ergänzung des insoweit nicht erschöpfend bundesrechtlich geregelten Straßenverkehrsrechts durch örtliche, auf landesrechtlicher Ermächtigungsgrundlage beruhenden Verordnungen möglich. Ihre Notwendigkeit wird im übrigen auch daran deutlich, daß in jüngerer Zeit zahlreiche Vorfälle bekanntgeworden sind, bei denen es über Belästigungen und Gefährdungen hinausgehend zu erheblichen Personenschäden gekommen ist.

28.

Auch das Oberverwaltungsgericht Münster hat in diesem Zusammenhang in seinem Beschluß vom 23. Mai 1989 zu erkennen ergeben, daß es den Einwand, § 16 Abs. 1 der Ordnungsbehördlichen Verordnung könne wegen Verstoßes gegen bundesrechtliche Bestimmungen nichtig sein, für abwegig hält.

29.

Der Senat möchte daher die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unbegründet verwerfen. Hieran sieht er sich jedoch gehindert, weil er von einer nach dem 1. April 1950 ergangenen Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts abweichen würde, so daß, auch in einer Bußgeldsache, gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 121 Abs. 2 GVG die Vorlegung der Sache an den Bundesgerichtshof geboten ist (vgl. KK-OWiG-Steindorf, Rdnr. 149; Göhler, OWiG, 9. Aufl., Rdnr. 38 jeweils zu § 79).

30.

In dem Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. Dezember 1982 (VM 1983, S. 78 = Nr. 92) wird entscheidungserheblich ausgeführt, daß die Teilnahme von Tieren - u.a. Hunden - am Straßenverkehr unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten mit dem Ziel, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gewährleisten, in § 28 StVO und der Generalklausel des § 1 Abs. 2 StVO geregelt ist und die Bestimmung in einer örtlichen, auf landesrechtlichen Ermächtigungen beruhenden Verordnung, nach der das Führen von Hunden auf Gehwegen an einer kurzen Leine vorgeschrieben ist, in bereits vom Bundesgesetzgeber getroffene Regelungen eingreift, indem sie diese näher zu präzisieren und zu erweitern sucht; insoweit sei diese Bestimmung wegen Verstoßes gegen höherrangiges Bundesrecht nichtig.

31.

Diese Ansicht hat das Oberlandesgericht Düsseldorf im Beschluß vom 30. Juni 1987, wenn auch nicht in einer die Entscheidung tragenden Weise, bestätigt (vgl. NVWZ 1988, 94).

32.

Zwar bezieht sich die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. Dezember 1982 auf eine andere kommunale Verordnung, nämlich § 8 Abs. 3 der Straßenordnung der Stadt N, doch ändert weder dieser Umstand noch die abweichende Bezeichnung als "Straßenordnung" etwas daran, daß es sich vorliegend um dieselbe zu entscheidende Rechtsfrage handelt. Die Identität der Rechtsfragen ist nämlich immer dann gegeben, wenn wegen der Gleichheit der Rechtsprobleme die Entscheidung ohne Rücksicht auf die Verschiedenheit der Fälle oder der anwendbaren Vorschriften nur einheitlich ergehen kann (vgl. KK-Salger, 2. Aufl., GVG § 121 Rdnr. 34).

33.

Nach alledem war die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorzulegen:

"Ist die Bestimmung einer kommunalen Ordnungsbehördlichen Verordnung, nach der Hunde auf Straßen nur angeleint geführt werden dürfen, wegen Verstoßes gegen das höherrangige Bundesrecht der Straßenverkehrsordnung (§§ 1 Abs. 2, 28 Abs. 1) nichtig ?"