Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Urteil vom 24.1.1985
- 1 U 175/81
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 (weitere Fundstellen: DVBl. 1985, 861 f.)

 

Leitsatz:

 

Für Abwehransprüche gegen liturgisches Glockengeläut von Kirchen, denen der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen ist, ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.

 

Aus den Gründen:

1.

Die Unzulässigkeit des auf den noch anhängigen Teil der Unterlassungsklage (Unterlassungsbegehren hinsichtlich des 7-Uhr-Läutens von montags bis samstags) bezogenen Rechtsmittels ergibt sich daraus, daß es diesem an der erforderlichen Sachurteilsvoraussetzung der Eröffnung des Zivilrechtswegs gemäß § 13 GVG fehlt, weil es sich vorliegend nicht um eine bürgerlichrechtliche, sondern um eine nach § 40 Abs. 1 VwGO den VG zugewiesene öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt.

2.

Das folgt in tatsächlicher Hinsicht aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme im zweiten Rechtszug, wonach davon auszugehen ist, daß die angegriffene Geräuschimmission als kirchlich-liturgisches Glockengeläut zum Zwecke des Gebetsaufrufs und nicht, wie vom Kl. behauptet ist, als bloße akustische Zeitangabe zu gelten hat.

3.

Den hierzu im Sachverständigengutachten des Beratungsausschusses für das Deutsche Glockenwesen, Darmstadt, vom 31. 5. 1983 getroffenen überzeugenden Feststellungen ist zu folgen. Sie sind in sich schlüssig und durch zahlreiche Belege kirchen- und zeitgeschichtlicher Art durchweg sachlich untermauert, so daß keine Bedenken gegen eine Übernahme des von dem als hinreichend fachkundig anzusehenden Gutachtergremium dargestellten Ergebnisses bestehen. Danach ist erwiesen, daß das vom Turm der G. Stadtkirche ausgehende Glockenläuten entsprechend der historischen Entwicklung und der daraus folgenden, nach kirchlichen Selbstverständnis bis in die Gegenwart beibehaltenen Tradition als liturgisches Morgenläuten und damit als Kulthandlung des Bekl. zum Zwecke des Gebetsaufrufs anzusehen ist, also nicht der Zeitangabe dient und auch von durch rein private oder polizeirechtliche Initiative veranlaßter Betätigung der Glocken zu trennen ist.

4.

Daraus ergibt sich in rechtlicher Hinsicht, daß der gegen das liturgische Läuten gerichteten Immissionsklage der Charakter einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit beigemessen werden muß, für die der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Dies folgt aus dem gemäß Art. 137 Abs. 5 WRV i. V. mit Art. 140 GG der Evangelischen Kirche verliehenen Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, welcher dem der Kirche inkorporierten beklagten Gemeindeverband in gleicher Weise zukommt. Die Kirchenglocken sind aufgrund dieser Privilegierung und der daraus folgenden Widmung zu kultischen Zwecken »res sacrae« und damit öffentliche Sachen. Das Rechtsverhältnis, das mit der Klage beeinflußt werden soll, gehört folglich dem öffentlichen Recht an.

5.

Der Senat schließt sich damit der in seiner wesentlichen Begründung als zutreffend zu erachtenden Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts an, das erst kürzlich in einem gleichgelagerten Fall über die Rechtswegfrage in diesem Sinne entscheiden hat (BVerwG, DVBl. 1984, 227).

6.

Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist dabei in erster Linie die der Kirche verfassungsrechtlich zuerkannte Eigenschaft einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Diese Institutionsgarantie hat keineswegs nur verbale Bedeutung i. S. eines bloßen Ausdrucks der Gewährleistung von einigen spezifischen öffentlich-rechtlichen Befugnissen als Vorrechten aus einfachem Recht (z.B. Dienstherrnfähigkeit, Kirchengerichtsbarkeit, Kirchensteuererhebung etc.), wie dies teilweise unter Negierung einer weitergehenden Bedeutung der Statusverleihung vertreten wird (Schatzscheider, Anm. in NJW 84, 991; Scheuner, ZevKRG, 1957/58, 24; Stolleis, BayVBl. 72, 23). Vielmehr hat der Staat die Kirchen damit aus dem Kreis der Religionsgemeinschaften, deren Wirken er der Privatrechtsordnung unterstellt, herausgehoben und auf diese Weise deutlich gemacht, daß die den Kirchen verliehene besondere Rechtsstellung dem öffentlichen Recht zugeordnet ist. Zwar unterscheidet sich diese von derjenigen anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften, welche Aufgaben der mittelbaren Staatsverwaltung wahrnehmen. Die Kirchen handeln somit – von ihren auf Beleihung beruhenden Befugnissen abgesehen – nicht hoheitlich.

7.

Ihr Handeln ist jedoch im Falle typischer Lebensäußerungen, zu denen die Widmung von Glocken zu Kultzwecken und deren widmungsgemäßer Gebrauch in Form des liturgischen Glockengeläuts zu rechnen sind, als öffentlich-rechtliches Handeln zu qualifizieren, weil nur dann die verfassungsrechtliche Rechtsformgarantie eine eigenständige Bedeutung haben kann. Selbstverständlich können nicht alle Akte kirchlichen Handelns diesen Anspruch erheben. Die Rechtsformgarantie würde jedoch letztlich leerlaufen und der Körperschaftsstatus die eigentliche, aus eigenem kirchlichen Recht fließende religiöse Wirklichkeit nicht abdecken, wenn nicht die Existenz damit aufs engste verknüpfter spezifischer Handlungsformen anerkannt und deren Ausübung als öffentliches Handeln gewertet würde (Isensee, Gedächtnisschrift für Constantinesco, 1983, S. 301, 315 ff.).

8.

Aufgrund dieser Privilegierung erlangen Kirchenglocken im Wege der kirchlichen Widmung als res sacrae den Status einer öffentlichen Sache. Die Widmungsbefugnis ergibt sich ihrerseits aus der Institutsgarantie des Art. 137 Abs. 5 WRV i. V. mit Art. 140 GG. Es handelt sich somit um einen öffentlich-rechtlichen Widmungsakt. Die Widmung schafft folglich eine öffentlich-rechtliche Beziehung zwischen der Kirche als dem öffentlich-rechtlichen Träger der Sache und dem Nachbarn, der durch den widmungsgemäßen Gebrauch betroffen wird. Bei der Widmung handelt es sich um einen dinglichen öffentlich-rechtlichen Akt kirchlichen Handelns. Deshalb ist eine Unterscheidung zwischen kirchenangehörigen und kirchenfremden Personen nicht möglich; die Widmung kennt keinen Adressaten und ist daher an keine Mitgliedschaft gebunden. Sie schafft generell ein öffentlich-rechtliches Nachbarschaftsverhältnis (BVerwG, aaO; OVG Koblenz, DVBl. 56, 624; Renck, BayVBl. 82, 329, 330; Isensee, aaO, S.318).

9.

Soweit dem entgegengehalten wird, die öffentlich-rechtliche Sacheigenschaft der Glocken besage nichts über die Rechtsform ihres widmungsgemäßen Gebrauchs (Schatzschneider, BayVBl. 80, 564), ist zum einen nicht einzusehen, daß zwar die Widmung dem öffentlichen Sonderrecht unterfällt, der widmungsgemäße Sachgebrauch dagegen aber privatrechtlich zu verurteilen sein soll (BVerwG, aaO), zumal auch der Glockengebrauch eine typische Lebensäußerung der Kirchen darstellt. Das Morgenläuten dient als Gebetsaufruf der zentralen Aufgabe der Kirche einer Verkündung der christlichen Botschaft und ist zugleich Zeichen der Präsenz der Kirche in der Gesellschaft, also elementare Lebensäußerung und damit ebenso Verwirklichung der Körperschaftsgewährleistung wie die Ausübung des darauf beruhenden Widmungsrechts selbst.

10.

Zum anderen dürfte es für die Rechtswegfrage entscheidend nur auf die Qualifikation des Widmungsakts als öffentlich-rechtlich ankommen, nach der sich auch die rechtliche Einordnung des Gebrauchs der gewidmeten Sache, von der durch den Gebrauch Immissionen ausgehen, zu bestimmen ist (BGH, NJW 76, 570).

11.

Die vorstehend dargelegte Rechtsauffassung steht auch im Einklang mit der in Rechtswegfragen anzuwendenden Zuordnungs- bzw. Sonderrechtstheorie, da das auf def Institutsgarantie beruhende öffentlich-rechtliche Widmungsrecht und dessen Ausübung so in der Hand eines Privaten nicht denkbar ist. Dem steht nicht entgegen, daß privatrechtlich verfaßte Religionsgemeinschaften bei ihrer Rechtsausübung dem bürgerlichen Recht unterfallen und sich im Rahmen ihrer Religionsausübung ebenfalls eines Glockengeläuts bedienen könnten. Wie ausgeführt, ist diese auf der Heraushebung der Kirchen als öffentlich- rechtliche Körperschaften beruhende Dualität im Rechtssystem bewußt so angelegt, mag sie als sinnvoll erscheinen oder nicht.

12.

Die teilweise in der Literatur gegenüber der hier in Anlehnung an das BVerwG (aaO) vertretenen Auffassung veröffentlichte Kritik vermag nicht zu überzeugen (Goerlich: Res Sacrae und Rechtsweg, JZ 84, 221 ff.; Schatzschneider, Anm. in NJW 84, 991). Die darin zum Ausdruck kommende Verkürzung der Bedeutung der Institutsgarantie auf eine bloße Bestandsgarantie, auf die Gewährleistung der schon aus Art. 137 Abs. 3 WRV und Art 4 Abs. 2 GG folgenden Rechte auf Selbstbestimmung und freie Religionsausübung und auf die bloße Statuierung eines Öffentlichkeitsanspruchs wird der bewußten Verleihung des Körperschaftsstatus an die Kirchen nicht gerecht. Ein nur formell zuerkannter öffentlich-rechtlicher Status würde jeglicher Rechtfertigung entbehren. Es geht auch nicht darum, daß der verliehene Status materiell aufgeladen wird, um eine Steigerung der Effektivität der Rechtsformgarantie zu ermöglichen. Vielmehr handelt es sich lediglich darum, daß einem als öffentlich-rechtliche Körperschaft ausgestatteten Rechtsträger die diesem kraft derartiger Ausstattung ermöglichte Form öffentlichen Handelns zugestanden werden muß, wie in dem Gutachten Isensees (aaO) überzeugend dargelegt ist. Ebenso wird dabei verkannt, daß von der die Eigentumsfrage unberührt lassenden Rechtsnatur eines als öffentlich-rechtlicher Widmungsakt anzusehenden kirchlichen Handelns auszugehen ist und daher dem Umstand, daß die Glocken im kirchlichen Eigentum verbleiben (Goerlich, aaO, S. 225) insoweit keine die Kritik rechtfertigende Bedeutung beizumessen ist.

13.

Ebensowenig sind die im übrigen vertretenen Rechtsansichten, die den Zivilrechtsweg für eröffnet ansehen, als überzeugend begründet zu erachten. Soweit darauf abgestellt wird, kirchliches Glockengeläut legitimiere sich nur aus Art. 4, 19 Abs. 3 GG – der Körperschaftsstatus trete nur als zusätzliche Gewährleistung hinzu –‚ so daß bei Konflikten unter Grundrechtssubjekten privatrechtliche Gleichordnung angenommen werden müsse (Stolleis, ZEvKR 17, 1972, 152 f.), muß dem entgegengehalten werden, daß widerstreitende Grundrechtsinteressen zwar überwiegend, jedoch nicht notwendig als gleichgeordnet, gelten. So liegt etwa Grundrechtsausübung in hoheitlicher Form bei Rundfunk und Fernsehen vor (Isensee, aaO, S. 310) und ermöglicht das geltende Recht zumindest diese Handlungsformen.

14.

Auch soweit zu Gunsten einer bürgerlichrechtlichen Streitigkeit argumentiert wird, das Läuterecht folge nur aus Art. 4 Abs. 2 GG, so daß es nicht darauf ankomme, ob eine Religionsgemeinschaft öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich verfaßt sei und sich daher – weil bei privatrechtlicher Verfassung der Zivilrechtsweg eröffnet ist – für: Nachbarn bei gleichartigen Immissionen kein unterschiedlicher Rechtsweg eröffnet sein dürfe (Stolleis, aaO; VGH München, NJW 80, 1973; von Campenhausen, DVBl. 72, 316, 319), ist dem entgegenzusetzen, daß eine faktisch. gleiche Betroffenheit kein taugliches Unterscheidungskriterium sein kann. Vielmehr hängt der Rechtsweg traditionell von der Verwaltungsfunktion ab, deren Nebenwirkung die Immission darstellt (Isensee, aaO, 313). Gleichbehandlungsargumenten ist ein eigener Begründungswert abzusprechen, wenn und solange eine Rechtswegunterscheidung für Immissionsklagen überhaupt vorgenommen wird.

15.

Vorbehalte sind auch gegenüber der Meinung angebracht, die eine Eröffnung des Zivilrechtsweges damit zu begründen versucht, daß die kirchliche Rechtsordnung einen gänzlich anderen Rechtsboden als die staatliche Ordnung bildet und folglich einer Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht entzogen sein müsse (Schatzschneider, Anm. in NJW 84, 991). Dem ist entgegenzuhalten, daß die Rechtsordnung eine weitere Alternative nicht bereithält. Im übrigen ist Kirchenrecht historisch immer dem öffentlichen Recht zugeordnet gewesen.

16.

Nach allem handelt es sich im vorliegenden Falle um eine den VG gemäß § 40 Abs. 1 VwGO zugewiesene öffentlich-rechtliche Streitigkeit.