Niedersächsischer Staatsgerichtshof
Urteil vom 13.3.1996
- StGH 1/94
-

 (weitere Fundstellen: NVwZ 1997, 58 ff.)

 

Tatbestand

1.

Die von zahlreichen niedersächsischen Gemeinden und Samtgemeinden sowie zwei Landkreisen erhobenen Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen die durch das 10. Gesetz zur Änderung der Niedersächsischen Gemeindeordnung und der Niedersächsischen Landkreisordnung - 10. NdsGOÄndG - vom 14. 6. 1993 (NdsGVBl S. 137) eingeführte Pflicht der Gemeinden und Samtgemeinden, soweit sie mehr als 10000 Einwohner haben, sowie der Landkreise, eine Frauenbeauftragte zu bestellen, die hauptberuflich und weisungsunabhängig tätig ist. Der NdsStGH entschied: Art. I Nrn. 1 u. 30 sowie Art. II Nr. 1 10. NdsGOÄndG sind mit Art. 57 NdsVerf. vereinbar, soweit Gemeinden und Samtgemeinden mit mehr als 20000 Einwohnern sowie Landkreise betroffen sind. Für Gemeinden und Samtgemeinden mit mehr als 10000 bis zu 20000 Einwohnern hat der Gesetzgeber in Ergänzung des Art. I Nr. 1 nach Maßgabe der Gründe eine Ausnahmeregelung zu schaffen.

 

Aus den Gründen:

2.

C. Die Verfassungsbeschwerden sind zum größten Teil unbegründet. Art. I Nrn. 1 u. 30 sowie Art. II Nr. 1 NdsGOÄndG verletzen Art. 57 NdsVerf. nicht, soweit Gemeinden und Samtgemeinden mit mehr als 20000 Einwohnern sowie Landkreise betroffen sind. Für Gemeinden und Samtgemeinden mit mehr als 10000 bis zu 20000 Einwohnern hat der Gesetzgeber eine Ausnahmeregelung zu schaffen:

3.

I. 1. I. 1. Die Gewährleistung des Art. 57 I NdsVerf. verleiht den Gemeinden und Landkreisen die Befugnis, ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu verwalten. Diese umfaßt das Recht, zur Sicherung der eigenen Handlungsfähigkeit ebenso wie zur funktionsgerechten Aufgabenwahrnehmung grundsätzlich selbst zu bestimmen, durch welche Organe und Personen sie die ihnen obliegenden Aufgaben durchführen wollen. Die Kommunen haben die Befugnis, die Angelegenheiten ihrer eigenen "inneren" Verwaltungsorganisation nach eigenem Ermessen zu gestalten und einzurichten. Insoweit ist die sog. Organisationshoheit der Gemeinden ein wesentlicher Bestandteil ihrer Selbstverwaltungsgarantie. Allerdings kann auch der Staat "im Rahmen der Gesetze" auf die Binnenorganisation Einfluß nehmen; er tut dies in der Regel durch Festlegung der Gemeindeverfassung in den Gemeindeordnungen, durch Genehmigungsvorbehalte von Gemeindesatzungen und im Wege der Kommunalaufsicht. Dabei muß der Staat jedoch der verfassungsrechtlichen Verbürgung einer mit wirklicher Verantwortlichkeit ausgestatteten Selbstverwaltung, durch die den Bürgern eine wirksame Teilnahme an den Angelegenheiten des Gemeinwesens ermöglicht wird, Rechnung tragen und die Gemeinden zur effektiven Wahrnehmung ihrer Aufgaben befähigen (vgl. BVerfGE 91, 228 (238) = NVwZ 1995, 677 m. w. Nachw.).

4.

2. Die sich daraus ergebenden Grenzen staatlicher Eingriffsbefugnis in die Organisationshoheit der Gemeinden können nicht abstrakt bestimmt werden. Insbesondere lassen sich aus der Unterscheidung zwischen einem "Kernbereich" kommunaler Selbstverwaltung und dessen zu sicherndem "Vorfeld" keine klaren Abgrenzungen zu gewinnen. Denn sowohl die verpflichtende Übertragung von Aufgaben zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung auf die Kommunen als auch damit verknüpfte oder davon unabhängige Eingriffe in die Organisation der kommunalen Selbstverwaltung können mit der Gewährleistung des Art. 57 I NdsVerf. unvereinbar sein. Ob das der Fall ist, bestimmt sich bei Eingriffen in die Organisationshoheit danach, ob der Eingriff im Hinblick auf die Bedeutung und Eigenart der Aufgabe, deren Erfüllung er sicherstellen soll, geeignet, erforderlich und im engeren Sinne proportional zum angestrebten Zweck ist.

5.

3. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Art. 57 III NdsVerf. nach seinem Wortlaut insoweit über Art. 28 II 1 GG hinausgeht, als er den Gemeinden nicht nur das Recht gewährleistet, "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln", sondern festlegt, daß sie "in ihrem Gebiet die ausschließlichen Träger der gesamten öffentlichen Aufgaben, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen", sind. Die damit von dem Merkmal der Ortsbezogenheit gelöste Allzuständigkeit der Gemeinden bekräftigt und verfestigt deren Befugnis, die organisatorischen Maßnahmen zur Erfüllung "der gesamten öffentlichen Aufgaben", also nicht nur der ortsbezogenen, auf der lokalen Ebene eigenverantwortlich zu treffen. Zugleich ergibt sich daraus, daß der in der Verfassungsbestimmung enthaltene Vorbehalt zugunsten ausdrücklich anderer gesetzlicher Regelungen den bereits beschriebenen Schranken unterliegt.

6.

4. Im vorliegenden Fall soll nach den Intentionen des Gesetzgebers durch hauptberufliche kommunale Frauenbeauftragte, die für Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern zwingend vorgeschrieben sind, "zur Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern" beigetragen werden (so Art. I Nr. 1 (§ 5a III 1 NdsGO), Art. II Nr. 1 (§ 4a III 1 NLKreisO) NdsGOÄndG). Die angegriffenen Regelungen knüpfen damit an eine Aufgabe an, die den Gemeinden und Landkreisen nicht erst durch Gesetz übertragen ist, sondern - ebenso wie dem Land - bereits von Verfassungs wegen obliegt. Nach Art. 3 II 3 NdsVerf. ist "die Achtung der Grundrechte, insbesondere die Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, ... eine ständige Aufgabe des Landes, der Gemeinden und Landkreise". Diese durch kommunale Frauenbeauftragte zu erfüllende Aufgabe hat mithin Verfassungsrang. Darüber hinaus handelt es sich um eine den Gemeinden und Landkreisen unmittelbar von der Verfassung zugewiesene, also originär kommunale Aufgabe, die mit der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 57 NdsVerf. auf der gleichen normativen Stufe steht. Im Konfliktfall ist daher beiden Verfassungsnormen in der Weise Rechnung zu tragen, daß sie, um jeweils optimale Wirksamkeit zu erlangen, zu einem schonenden Ausgleich gebracht werden.

7.

II. Nach diesen Maßstäben sind die angegriffenen Vorschriften im wesentlichen nicht zu beanstanden. Sie verstoßen - bis auf die Pflicht zur Bestellung hauptberuflicher Frauenbeauftragter auch für Gemeinden von mehr als 10000 bis zu 20000 Einwohnern - nicht gegen die durch Art. 57 NdsVerf. gewährleistete Organisationshoheit.

8.

1. Die in Art. I Nrn. 1, 30 u. in Art. II Nr. 1 NdsGOÄndG vorgesehene Verpflichtung der Gemeinden, Samtgemeinden und Landkreise zur Bestellung einer hauptberuflich tätigen Frauenbeauftragten greift als solche in die kommunale Organisationshoheit nicht unverhältnismäßig ein.

9.

a) Angesichts der Bedeutung, welche die Niedersächsische Verfassung in Art. 3 II 3 der "Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern" beimißt, beeinträchtigt die vom Gesetzgeber zwingend vorgeschriebene Bestellung von Frauenbeauftragten die betroffenen Kommunen nicht in der Weise, daß ihnen insoweit keinerlei Spielraum zur Ausgestaltung solcher Positionen mehr verbliebe. Mit dem Amt der kommunalen Frauenbeauftragten wird kein neues Gemeindeorgan geschaffen. Denn die Frauenbeauftragten besitzen keinerlei Entscheidungsgewalt; ihre Kompetenzen beschränken sich auf Informationsmöglichkeiten und Thematisierungschancen, auf Beteiligungs-, Mitwirkungs- und Anregungsrechte sowie auf eine Widerspruchsbefugnis. Darüber hinaus bleibt den Kommunen ein weiter Spielraum für die konkrete Ausgestaltung entsprechender Positionen: Die Bestellung von Frauenbeauftragten setzt nicht zwingend die Schaffung neuer Stellen voraus, weil mit dieser Aufgabe bei entsprechenden Ressourcen auch vorhandenes Personal betraut werden könnte; Neueinstellungen sind daher nicht unbedingt vom Gesetz gefordert. Auch wird die tarifliche Eingruppierung nicht vorgegeben; ebenso bleibt die Festlegung des zeitlichen Anteils, der auf die Tätigkeit der Frauenbeauftragten entfallen soll, Sache der Kommunen. Mit der vom Gesetz vorgeschriebenen "Hauptberuflichkeit" ist nur die Auflage verbunden, eine Frauenbeauftragte mit nicht weniger als 50 v.H. einer Vollzeitkraft zu beschäftigen. Im Ergebnis schreiben die angegriffenen Regelungen den Kommunen lediglich die Einrichtung eines bestimmten "Amtes im funktionellen Sinn" zur Erfüllung einer bereits unmittelbar von der Niedersächsischen Verfassung statuierten Aufgabe vor. Mit Rücksicht darauf und im Hinblick auf die den Kommunen verbleibende organisatorische Ausgestaltungsfreiheit muß bereits der Organisationseingriff selbst als minder schwer beurteilt werden.

10.

b) Aufgabe, Arbeitsweise und Befugnisse der Frauenbeauftragten sind geeignet, das mit den angegriffenen Vorschriften verfolgte, durch Art. 3 II 3 NdsVerf. vorgegebene Ziel zu fördern, "zur Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern beizutragen" (vgl. Art. I Nr. 1 (§ 5a III 1 NdsGO), Art. II Nr. 1 (§ 4a III 1 NLKreisO) NdsGOÄndG). Dabei gehen die Verfassung und das NdsGOÄndG über die bisherige Gewährleistung bloßer "Gleich berechtigung" von Männern und Frauen hinaus und erklären deren Verwirklichung in allen gesellschaftlichen Bereichen zur öffentlichen Aufgabe. Wo immer also die Gleichberechtigung von Männern und Frauen noch nicht oder nicht in vollem Umfang in die gesellschaftliche Realität umgesetzt worden ist, wo also in bezug auf die rechtlichen Bedingungen chancengleicher Entfaltung beider Geschlechter Defizite bestehen, soll nach den Intentionen der Niedersächsischen Verfassung ebenso wie der angegriffenen Normen die Frauenbeauftragte auf Abhilfe dringen.

11.

Die Annahme des Gesetzgebers, daß gegenwärtig und auf noch nicht absehbare Zeit gerade Frauen einer entsprechenden Förderung bedürfen und daß deshalb auch das Institut der Frauenbeauftragten zur Wahrnehmung dieser Aufgabe geeignet ist, kann nicht als offenkundig verfehlt bezeichnet werden. Es ist dem NdsStGH verwehrt, nach der jeweils zweckmäßigsten Lösung zu suchen und seine Eignungsprognose an die Stelle der Einschätzung des Gesetzgebers zu setzen. Denn in bezug auf die Eignung einer organisatorischen Maßnahme, die in das kommunale Selbstverwaltungsrecht eingreift, besitzt der unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber einen breiten Raum politischer Beurteilungen und Wertungen. Die Grenze zur Verfassungswidrigkeit ist erst dann überschritten, wenn eine Maßnahme offenkundig ungeeignet ist, das angestrebte Ziel zu erreichen. Das ist hier nicht der Fall.

12.

c) Die Pflicht zur Bestellung kommunaler Frauenbeauftragter ist auch erforderlich, um zur Verwirklichung der Gleichberechtigung der Geschlechter im gesamten gesellschaftlichen Leben einer Gemeinde beizutragen. Denn die Einschätzung des Gesetzgebers, dieses Ziel könne nicht mit gleich wirksamen, in die Organisationshoheit der Gemeinden indes weniger eingreifenden Mitteln erreicht werden, ist zumindest vertretbar.

13.

aa) Unstreitig sind bei den beschwerdeführenden Kommunen in der Regel sowohl in deren Organen und Gremien als auch in deren Verwaltungen Frauen nach wie vor unterrepräsentiert. Das gilt insbesondere für alle Wahlämter sowie für mittlere und höhere Gehaltsgruppen. Bei der Frage, ob und inwieweit aus diesem Grund die angegriffene Regelung erforderlich ist, darf der NdsStGH nicht an die Stelle des Gesetzgebers treten und seine Einschätzung der Legislative aufzwingen. Er kann lediglich prüfen, ob der Gesetzgeber bei seinem Erforderlichkeitsurteil von zutreffenden Tatsachen ausgegangen ist, ihrer Bewertung sachgerechte Maßstäbe zugrundegelegt hat und seine Prognose, allein mit dem von ihm vorgesehenen (und keinem milderen) Mittel werde das angestrebte Ziel zu erreichen sein, nachvollziehbar erscheint. Das ist hier auch in bezug auf die konkrete Ausgestaltung des Instituts der kommunalen Frauenbeauftragten der Fall.

14.

bb) Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Kommunen zur Bestellung von Frauenbeauftragten und zu deren Eingliederung in ihre Verwaltungen zu verpflichten. Er hat damit der obligatorischen Lösung den Vorzug vor freiwilligen Schritten der Kommunen gegeben. Die beschwerdeführenden Kommunen haben eine Reihe alternativer Modelle bezeichnet, die nach ihrer Auffassung gleichermaßen wirksam sind und weniger stark in die Organisationshoheit der Kommunen eingreifen. Der NdsStGH hat sich indessen nicht davon überzeugen können, daß dies zutrifft.

15.

Das Personalratsmodell erscheint schon deswegen ungeeignet, weil den Personalräten von Gesetzes wegen die Interessenvertretung aller Beschäftigten und nicht in erster Linie die Frauenförderung obliegt und es andererseits nicht allein und vorrangig die Aufgabe der Frauenbeauftragten ist, für die Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst zu sorgen. Das Modell einer Ratsbeauftragten oder eines besonderen Ratsausschusses hat den Nachteil, daß eine solche Person oder ein solches Gremium die Aufgaben der Frauenbeauftragten neben weiterer Ratsarbeit zu erfüllen hätte und nicht derart eng mit der laufenden Arbeit der Kommunalverwaltung und relevanter sozialer Gruppen verbunden sein könnte, wie es vom Gesetzgeber als erforderlich angesehen wird, um wirksamen Einfluß auf die Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen zu nehmen. Im übrigen wäre dieses Modell nur dann einheitlich zu verwirklichen, wenn es kommunalverfassungsrechtlich vorgeschrieben würde. Damit griffe es ebenfalls stark in die Selbstverwaltungshoheit der Kommunen ein. Schließlich wäre es ebenfalls mit Kosten verbunden. Dem Modell ehrenamtlicher Frauenbeauftragter steht entgegen, daß Inhaberinnen dieses Ehrenamts nicht in die Kommunalverwaltung eingegliedert wären und deswegen nicht davon ausgegangen werden könnte, daß sie auf deren Entscheidungen und Handlungen wie auch auf das Verhalten relevanter sozialer Gruppen vergleichbar nachhaltig einwirken könnten wie hauptberuflich in der Kommunalverwaltung tätige Frauenbeauftragte. Im übrigen kann die Annahme des Gesetzgebers nicht beanstandet werden, die Wahrnehmung der durch den Gleichstellungsauftrag gebotenen umfassenden und vielfältigen Aktivitäten und Initiativen einer Frauenbeauftragten fordere ein Mindestmaß an Professionalisierung und einen beachtlichen zeitlichen Einsatz, der ehrenamtlich nicht gleichermaßen zu leisten sei wie hauptamtlich.

16.

cc) Schließlich erweist sich auch die nähere Ausgestaltung des Amtes der kommunalen Frauenbeauftragten zur Erfüllung der ihr vom Gesetz zugewiesenen Aufgaben als erforderlich. Das gilt zum einen für die Weisungsfreiheit, die eine Amtsinhaberin instand setzen soll, möglichst unabhängig zu agieren, zumal sie selbst keinerlei Entscheidungsbefugnisse besitzt und daher einen von Entscheidungen anderer weitestgehend unbeeinflußbaren und gesicherten Rahmen für ein erfolgreiches Wirken benötigt. Zum anderen sind auch die einzelnen Informations-, Anregungs-, Beratungs- und Beteiligungsrechte, die das Gesetz vorsieht, unentbehrlich, damit eine kommunale Frauenbeauftragte ihre Anstoß- und Thematisierungsfunktion wirksam erfüllen kann. Eine Bindung an Weisungen von Gemeindeorganen oder Abstriche bei den einzelnen Kompetenzen der Frauenbeauftragten würden zweifellos auch die Effektivität ihrer Arbeit mindern und deshalb nicht gleichermaßen erfolgversprechend sein wie die in den angegriffenen Normen vorgesehenen Regelungen. Als Modalitäten der näheren Ausgestaltung des Instituts kommunaler Frauenbeauftragter sind auch sie zur Erreichung des gesetzgeberischen Zieles der Gleichstellung von Frauen und Männern erforderlich.

17.

d) Setzt man schließlich dieses von der Niedersächsischen Verfassung in Art. 3 II 3 selbst vorgegebene Ziel und das zu seiner Förderung vom Gesetzgeber für geeignet und erforderlich gehaltene Mittel einer Pflicht zur Bestellung hauptberuflicher kommunaler Frauenbeauftragter ins Verhältnis zu der Schwere und Intensität des Eingriffs in die Organisationshoheit der Kommunen, so erweisen sich die damit verbundenen Belastungen und Einbußen an Dispositionsmöglichkeiten für mittlere und größere Kommunen als durchaus zumutbar. Denn sie können durch Verlagerung von Stellen, Umschichtung von Ressourcen oder Neuverteilung von Zuständigkeiten die Kosten jedenfalls leichter auffangen als kleinere Kommunen. Deshalb hat der Gesetzgeber für Kommunen mit bis zu 10000 Einwohnern auch von einer Bestellungspflicht Abstand genommen und die Regelung der Rechtsstellung der Frauenbeauftragten dem Rat durch Satzung überlassen. Damit ist er den unter dem Aspekt der oben erörterten Mittel-Zweck-Relation zu stellenden Anforderungen jedoch nicht ausreichend gerecht geworden. Vielmehr hätte er entweder die Schwelle insgesamt höher ansetzen oder jedenfalls in bezug auf die Hauptberuflichkeit der Frauenbeauftragten eine besondere Regelung für Gemeinden mit mehr als 10000 bis zu 20000 Einwohnern treffen müssen.

18.

Solche eher kleineren Kommunen werden durch die Pflicht zur Bestellung einer hauptberuflichen Frauenbeauftragten unverhältnismäßig härter als einwohnerstärkere Kommunen betroffen, weil sie sehr viel weniger organisatorischen, personellen und finanziellen Spielraum haben als größere Kommunen. Sie würden für die Frauenbeauftragte in der Regel eine neue Stelle schaffen müssen, die wegen der vom Gesetz vorgeschriebenen Hauptberuflichkeit mindestens mit einer Halbtagskraft zu besetzen wäre. Je kleiner eine Gemeinde ist, desto einschneidender wirkte sich dies auch organisatorisch auf sie aus, ohne daß dem ein entsprechend gesteigerter Bedarf gegenüberstände. Eher kann davon ausgegangen werden, daß der zur Erfüllung des Gleichstellungsauftrages erforderliche Einsatz an Zeit und Arbeitskraft in solchen Gemeinden geringer ist als in größeren. In diesem Fall hat der Eingriff in die Organisationshoheit zugleich unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Finanzhoheit der eher kleineren Gemeinden.

19.

Mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist Art. I Nrn. 1 u. 30 NdsGOÄndG insoweit unvereinbar, als für Kommunen mit mehr als 10000 bis zu 20000 Einwohnern keine besondere Regelung vorgesehen ist. Die genannten Vorschriften genügen insoweit nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Für Gemeinden mit mehr als 10000 bis zu 20000 Einwohnern wird der Gesetzgeber eine ergänzende Regelung treffen müssen, die auf den besonders engen Dispositionsspielraum solcher Kommunen Rücksicht nimmt. Dies könnte etwa dadurch geschehen, daß die Einwohnergrenze in Art. I Nr. 1 (§ 5a VIII 1 NdsGO) NdsGOÄndG entsprechend heraufgesetzt wird oder daß die genannten Kommunen von der Verpflichtung befreit werden, die Frauenbeauftragte hauptberuflich, also mit wenigstens der Hälfte einer Vollzeitstelle, zu beschäftigen. Welchen Weg der Gesetzgeber wählt, um der Sondersituation solcher eher kleineren Kommunen Rechnung zu tragen, bleibt seiner Entscheidung überlassen.

20.

Deswegen beschränkt sich der NdsStGH darauf, insoweit die Unvereinbarkeit des Art. I Nrn. 1 u. 30 NdsGOÄndG mit Art. 57 NdsVerf. festzustellen, und sieht von einer Nichtigerklärung dieser Vorschriften ab. Bis zu einer entsprechenden Neuregelung sind die Kommunen mit mehr als 10000 bis zu 20000 Einwohnern nicht verpflichtet, hauptberufliche Frauenbeauftragte zu bestellen oder als solche weiterzubeschäftigen.

21.

2. Die Verpflichtung der Kommunen, eine hauptberufliche Frauenbeauftragte zu bestellen, die weisungsunabhängig tätig ist, verstößt nicht gegen das Demokratieprinzip in Art. 1 II, 2 I, das i.V. mit Art. 57 II NdsVerf. auch für die kommunale Selbstverwaltung gilt. Die Frauenbeauftragte ist dem Gemeinde-, Stadt- oder Oberkreisdirektor unterstellt; außerdem wird sie vom Rat bzw. Kreistag berufen und kann - mit Zweidrittelmehrheit - auch abberufen werden. Insofern ist das Legitimationsniveau bei ihr zwar niedriger als sonst in der öffentlichen Verwaltung. Ihr sind andererseits aber keinerlei Entscheidungsbefugnisse übertragen. Ihre in Unabhängigkeit wahrzunehmende Funktion erschöpft sich im wesentlichen darin, für die Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern argumentativ einzutreten. Insofern reicht hier die ihr durch die jeweilige Kommunalvertretung vermittelte demokratische Legitimation aus (vgl. auch BVerfGE 91, 228 (244) = NVwZ 1995, 677).

22.

III. Die beschwerdeführenden Kommunen sind nicht dadurch in ihrer durch Art. 57 NdsVerf. gewährleisteten Personalhoheit verletzt, daß sie zur Frauenbeauftragten nur eine Frau und nicht auch einen Mann berufen dürfen.

23.

Unabhängig davon, ob die beschwerdeführenden Kommunen im Rahmen der kommunalen Verfassungsbeschwerde auch die Verletzung des Gleichberechtigungsgebots, des Rechts auf gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst oder der Ungleichbehandlungsverbote wegen des Geschlechts rügen können (verneinend BVerfGE 91, 228 (245) = NVwZ 1995, 677), ist ihnen einzuräumen, daß die angegriffenen Bestimmungen sie daran hindern, diese für sie verbindlichen Verfassungsnormen zu beachten, und damit in ihre Personalhoheit eingreifen. Ein solcher Eingriff zugunsten eines bestimmten Geschlechts ist jedoch dann zulässig, wenn dafür überzeugende Gründe bestehen, die sich aus objektiven biologischen oder funktionalen Unterschieden ergeben und das zu regelnde Lebensverhältnis so maßgeblich prägen, daß die von der Verfassung vorgesehenen Gleichberechtigungsgebote und Ungleichbehandlungsverbote deswegen zurücktreten müssen (vgl. BVerfGE 10, 59, (74) = NJW 1959, 1483; BVerfGE 52, 369 (374) = NJW 1980, 823; BVerfGE 68, 384 (390) = NJW 1985, 1282).

24.

Diese Voraussetzungen hat der Gesetzgeber in bezug auf die Auswahl der Frauenbeauftragten dadurch als erfüllt angesehen, daß die ihm von der Niedersächsischen Verfassung aufgegebene Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern unter den bestehenden tatsächlichen Gegebenheiten spezifische Eigenschaften, Erfahrungen und Kenntnisse voraussetze, die nur Frauen haben könnten. Nur Frauen könnten sie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Situation aus eigenem Erleben erwerben und in der Tätigkeit einer Frauenbeauftragten sachgerecht einsetzen. Darüber hinaus verlange das Amt der Frauenbeauftragten bei der weiblichen Bevölkerung ein Maß an Akzeptanz, das die Besetzung der betreffenden Stellen allein mit einer Frau gegenwärtig nahezu unausweichlich mache. Diese Einschätzung des Gesetzgebers ist derzeit weder willkürlich, noch aus anderen Gründen mit der Niedersächsischen Verfassung unvereinbar, mag sie auch nicht in jedem Einzelfall zutreffen und mag sie im Hinblick darauf, daß der Gleichstellungsauftrag zugunsten von Frauen wie Männern wirkt, unter sich verändernden Verhältnissen ihre Rechtfertigung verlieren.

25

IV. Die in Art. 57 NdsVerf. ebenfalls gewährleistete Finanzhoheit der Kommunen wird durch die angegriffenen Regelungen nicht verletzt. Sie schützt die Kommunen lediglich davor, daß ihnen das eigene Wirtschaften mit Einnahmen und Ausgaben aus der Hand genommen wird, und garantiert ihnen nach Maßgabe der Art. 57 IV und 58 NdsVerf. eine angemessene Finanzausstattung (vgl. NdsStGH, NVwZ 1996, 585 = DVBl 1995, 1175). Beides wird von der Pflicht zur Bestellung hauptamtlicher Frauenbeauftragter nicht in Mitleidenschaft gezogen, so daß im vorliegenden Fall schon der Schutzbereich der kommunalen Finanzhoheit nicht berührt ist.