Bayerischer Verfassungsgerichtshof
Entscheidung vom 28.11.1990
- Vf. 9 - V/89
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(weitere Fundstellen: NVwZ 1991, 671 f.)

Zum Sachverhalt:

I.

1.

Dem Ausgangsverfahren liegt ein Bußgeldbescheid des Landratsamts München zugrunde, mit dem gegen die Betroffene eine Geldbuße von 40 DM festgesetzt wurde. Sie wird beschuldigt, sie habe ihren Hund innerhalb des Erholungsgebiets "Unterschleißheimer See" frei laufen lassen; das Mitbringen von Tieren sei während der Badesaison untersagt. Ihr wird ein Verstoß gegen § 3 II Nr. 8 der Satzung über die Benutzung des Erholungsgebiets "Unterschleißheimer See" zur Last gelegt. Nachdem die Betroffene gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hatte, setzte das AG das Verfahren aus und legte dem BayVerfGH die Sache zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des § 3 II Nr. 8 der Satzung des Landkreises München über die Benutzung des Erholungsgebiets "Unterschleißheimer See" vor: Das Gericht halte die vorgelegte Rechtsvorschrift insoweit für verfassungswidrig, als sie während der Badesaison (15. 5. bis 15. 9.) das Mitbringen von Tieren untersage. Die Regelung verstoße gegen das Grundrecht der Handlungsfreiheit (Art. 101 BayVerf.), weil danach eine wichtige Freizeitgestaltung, nämlich mit dem Hund zum Badesee zu gehen, nicht mehr möglich sei. Darin liege eine "nicht gerechtfertigte Einschränkung der Persönlichkeit". Außerdem verstoße die beanstandete Vorschrift gegen das Übermaßverbot. Der Wortlaut der Regelung beziehe sich ohne die Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung unterschiedslos auf alle Arten von Tieren, demnach auch auf solche, von denen naturgemäß keine Belästigung ausgehen könne.

Aus den Gründen:

2.

V. Den Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorlage braucht indessen nicht weiter nachgegangen zu werden; denn § 3 II Nr. 8 Halbs. 2 der Satzung des Landkreises München über die Benutzung des Erholungsgebiets "Unterschleißheimer See" ist mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.

3.

1. Die vorgelegte Satzungsbestimmung verstößt nicht gegen Art. 101 BayVerf.

4.

Das Grundrecht der Handlungsfreiheit ist nur innerhalb der Schranken der Gesetze gewährleistet. Zu den Gesetzen i. S. des Art. 101 BayVerf. zählt auch eine Satzung eines Landkreises. Art. 101 BayVerf. setzt allerdings seinerseits dem Normgeber Schranken bei dem Erlaß von Rechtsvorschriften, die die Freiheitssphäre begrenzen. Das als Freiheitsbeschränkung gewählte Mittel muß zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich sein; es darf die Handlungsfreiheit des Betroffenen nicht in unzumutbarer Weise einschränken (st. Rspr.; vgl. BayVerfGHE 28, 24 (39); 35, 56 (67); 36, 93 (100); 37, 43 (46); 37, 177 (180); 41, 17 (21) m. w. Nachw.).

5.

Wenn auch die Tierliebe in ihren verschiedenen Erscheinungsformen in den Schutzbereich des Grundrechts der Handlungsfreiheit fallen kann, zählt sie doch nicht zu dem absolut geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung, der von normativen Eingriffen weitgehend freibleiben muß. Vielmehr darf auch insoweit die Handlungsfreiheit durch normative Regelungen zum Schutz entgegenstehender Rechte Dritter oder im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit auf Grund einer Güterabwägung begrenzt werden (vgl. BayVerfGHE 32, 121 (129)). Die vorgelegte Satzungsbestimmung tastet weder den Wesensgehalt des Grundrechts der Handlungsfreiheit an noch führt sie zu einem unverhältnismäßigen, die persönliche Entscheidungsfreiheit des Bürgers unzumutbar einschränkenden Eingriff. Die Menschen, die sich in der Badesaison im Erholungsgebiet "Unterschleißheimer See" aufhalten, machen ihrerseits vom Grundrecht der Handlungsfreiheit und in der Regel außerdem vom Grundrecht auf Erholung in der freien Natur (Art. 141 III 1 BayVerf.) Gebrauch. Der Normgeber darf sich von der Erwägung leiten lassen, daß das Mitbringen von Hunden - nur auf diese kommt es im Ausgangsverfahren an - eine Betätigung der Handlungsfreiheit ist, die in einem Erholungsgebiet in der Nähe einer Großstadt nicht so schutzwürdig ist wie das Recht anderer Menschen, sich dort zu erholen, ohne durch Hunde in der Ruhe beeinträchtigt zu werden oder die von Hunden ausgehenden Verunreinigungen des Gebiets oder sonstige Belästigungen hinnehmen zu müssen. Dem Hundebesitzer kann zugemutet werden, seinen Hund nicht gerade dort auszuführen, wo viele andere Menschen Erholung in möglichst ungestörter, sauberer Umgebung suchen. Er kann sich nicht darauf berufen, ihm müsse das Grundrecht auf Erholung in der freien Natur in der Form zugebilligt werden, daß er seinen Hund in das Erholungsgebiet "Unterschleißheimer See" mitbringt. Dem Grundrecht aus Art. 141 III 1 BayVerf. sind Schranken gesetzt, die sich aus seinem Wesen und Zweck ergeben. Beschränkungen des Rechts auf Erholung in der freien Natur sind dort zulässig, wo sie wegen der Gemeinschaftsbezogenheit des Menschen erforderlich sind. Ein hinreichender Grund liegt in der Berücksichtigung der Grundrechte und der rechtlich geschützten Interessen anderer Erholungsuchender, d. h. im Gebot der Gemeinverträglichkeit (vgl. BayVerfGHE 28, 107 (130); 32, 130 (137); 34, 131 (134); BayVerfGH, BayVBl 1990, 558 (560) m. w. Nachw.).

6.

2. Das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 I 1 BayVerf.) enthaltene Übermaßverbot ist ebenfalls nicht verletzt.

7.

Das AG sieht einen Verstoß gegen das Übermaßverbot darin, daß die vorgelegte Satzungsbestimmung sich auf Tiere aller Art beziehe, also auch auf solche, von denen keine Belästigung der anderen Erholungsuchenden ausgehen könne. Für das Ausgangsverfahren ist - wie ausgeführt - nur die Frage entscheidungserheblich, ob das Mitbringen von Hunden in der Badesaison untersagt werden darf. Aber auch unabhängig vom Sachverhalt des Ausgangsverfahrens ist festzustellen, daß die vorgelegte Bestimmung mit Art. 3 I 1 BayVerf. vereinbar ist. Eine am Übermaßverbot orientierte Auslegung des § 3 II Nr. 8 Halbs. 2 der Satzung muß sich am Grundtatbestand des § 3 I der Satzung ausrichten. Nach dieser Regelung ist innerhalb des Erholungsgebiets alles - aber auch nur das - zu vermeiden, was Sicherheit, Ordnung, Ruhe und Sauberkeit beeinträchtigt oder gefährdet. Es mag demnach Fälle geben, in denen das Mitbringen von Tieren trotz des weitergehenden Wortlauts nicht von § 3 II Nr. 8 Halbs. 2 der Satzung erfaßt wird, weil Beeinträchtigungen von Sicherheit, Ordnung, Ruhe und Sauberkeit von vornherein ausgeschlossen sind. Im Hinblick auf die Fallgestaltung des Ausgangsverfahrens braucht dem hier nicht im einzelnen nachgegangen zu werden.