Bundesverwaltungsgericht 
Urteil vom 9.6.1960
- I C 41/56
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 (weitere Fundstellen: NJW 1960, 2209 f.)

 

Leitsatz

 

Wird in demselben Raum sowohl Einzelhandel als auch ein Ausschank betrieben, so unterliegen der Schankbetrieb und sein Zubehörhandel dem Ladenschluß nicht.

 

Aus den Gründen:

1.

Der Kl. unterhält einen Kiosk, in dem er Tabakwaren, Süßwaren, Obst, Mineralwasser, Limonade, Flaschenbier, Eis, Zeitungen, Zeitschriften und Backwaren verkauft und alkoholfreie Getränke ausschenkt. Er hat diesen Betrieb am 28. 6. 1951 als Trinkhäuschen angemeldet. Da der Betrieb den behördlich gestellten Anforderungen entsprach, wurde dem Kl. der sogenannte Sperrstundenausweis für den Verkauf nach 19 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen unter Widerrufsvorbehalt erteilt. Mit Schreiben v. 17. 9. 1951 forderte die Bekl. den Kl. auf, seinen Gesamtumsatz und den Anteil der alkoholfreien Getränke und Speisen des Sofortverzehrs hieran nachzuweisen. Es sei fraglich geworden, ob der Betrieb noch als Trinkhalle angesehen werden könne. Nach einem Runderlaß des Präsidenten des Landesbezirks Baden v. 13. 6. 1951 seien die Voraussetzungen für die Anerkennung als Trinkhalle verschärft worden. Als solche könnten nur noch Betriebe anerkannt werden, deren Umsatz an alkoholfreien Getränken und zum sofortigen Verzehr bestimmten Waren mindestens 25 bis 30 % des Gesamtumsatzes betrage. Da der Kl. die geforderten Angaben nicht machte, sprach die Bekl. durch Verfügung v. 23. 3. 1952 dem Betrieb die Eigenschaft einer Trinkhalle ab und wies den Kl. darauf hin, daß der Betrieb als offene Verkaufsstelle den gesetzlichen Ladenschlußzeiten unterliege. Den Sperrstundenausweis zog sie ein. Im Einspruchsverfahren legte der Kl. eine Umsatzaufstellung vor, aus der sich ergab, daß der Anteil von Getränken und anderen Waren des Sofortverzehrs an seinem Gesamtumsatz in der Zeit von April 1951 bis Juni 1952 nur in den drei letzten Monaten einen Durchschnittssatz von 13,2% erreicht, im übrigen aber erheblich darunter gelegen hat. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Anfechtungsklage wurde abgewiesen; die Berufung blieb erfolglos. Gegen das Urt. des BerGer. richtet sich die Rev. des Kl. Er rügt, daß das BerGer. den Begriff der Trinkhalle verkannt habe.

2.

Die Rev. mußte Erfolg haben. Der Kl. will mit der Klage die Frage geklärt wissen, ob er berechtigt ist, den Ausschank alkoholfreier Getränke und den Verkauf von Zubehörwaren des Gaststättengewerbes aus seinem Kiosk außerhalb der für den Einzelhandel geltenden Öffnungszeiten auch künftighin fortzusetzen. Der Sachverhalt ist daher nach der Rechtslage im Zeitpunkt der revisionsgerichtlichen Entsch. zu beurteilen. Nach Erlaß des angef. Urt. ist das Ges. über den Ladenschluß v. 28. 11. 1956 (BGBl. I 875) in Kraft getreten. § 3 dieses Gesetzes setzt allgemeine Ladenschlußzeiten der Verkaufsstellen fest. Zu den Verkaufsstellen gehören nach § 1 LadenschlußG außer den in erster Linie genannten Ladengeschäften auch Verkaufsstände und -buden, Kioske, Basare und ähnliche Einrichtungen, falls in ihnen ebenfalls von einer festen Stelle aus ständig Waren zum Verkauf an jedermann feilgehalten werden. Unter Feilhalten ist das Anbieten bestimmter, in dem Verkaufsstand zur sofortigen Abgabe bereitgestellter Waren zum Mitnehmen zu verstehen. Gast- und Schankwirtschaften sind keine Verkaufsstellen im Sinne des LadenschlußG, da sie Waren zum Verzehr auf der Stelle und nicht zum Mitnehmen abgeben; für sie gelten die allgemeinen Vorschriften über die Polizeistunde. Die Eigenschaft eines Betriebes als Gaststättenbetrieb wird nicht dadurch berührt, daß die Käufer die an sich zum Verzehr auf der Stelle bestimmten Waren im Einzelfall nicht sofort verzehren, sondern mitnehmen.

3.

Der Kl. betreibt in seinem Kiosk sowohl einen Schankbetrieb, soweit er nämlich alkoholfreie Getränke ausschenkt, als auch Einzelhandel, da er während der üblichen Ladenöffnungszeiten Tabak-, Süß- und Backwaren, Obst, Eis, Flaschenbier, Zeitungen und Zeitschriften nicht nur an Gäste seiner Schankwirtschaft und nicht nur in kleinen Mengen, sondern in unbeschränktem Umfang an jedermann zum Mitnehmen verkauft. Dies ist zulässig. Das Gesetz verbietet nicht, daß in demselben Raum sowohl ein Einzelhandel als auch eine Schankwirtschaft betrieben wird. In einem solchen Fall liegt ein gemischter Betrieb vor, in dessen Rahmen zwei verschiedene Gewerbe betrieben werden, die aber trotz ihrer Vereinigung zu einem einheitlichen Gesamtbetrieb ihre rechtliche Eigenständigkeit behalten. Der Verkauf an jedermann unterliegt selbstverständlich dem LadenschlußG. Das bedeutet aber nicht, dass der Inhaber seinen Gesamtbetrieb nach Ladenschluß völlig stillegen muß. § 3 Abs. 1. LadenschlußG sagt zwar, dass Verkaufsstellen zu den allgemeinen Ladenschlußzeiten geschlossen sein müssen. Der Verkaufsraum muß aber nicht etwa abgeschlossen werden mit der Folge, daß dadurch auch der nicht an die Ladenschlußzeiten gebundene Teil des Betriebes zum Erliegen kommt. Der Inhaber muß lediglich den Einzelhandel in einer für die Kundschaft erkennbaren Weise einstellen. – Die Schließung des Schankbetriebes richtet sich dagegen ausschließlich nach dem Schankstättenrecht. Deshalb können keine Bedenken dagegen erhoben werden, daß der Inhaber eines Kiosks, soweit er den Ausschank betreibt, auch Waren, die als Zubehörwaren des Gaststättengewerbes in Betracht kommen und die deshalb im allgemeinen in Gaststätten an Sonn- und Feiertagen und nach dem werktäglichen Ladenschluß an Gäste abgegeben werden dürfen, über die Ladenschlusszeit hinaus bis zur Polizeistunde an Gäste verabfolgt, wenn er annehmen darf, daß diese Waren im wesentlichen zum sofortigen Verbrauch erworben werden. Der Sen. hat dementsprechend bereits in einem Urt. v. 26. 7. 1956 (DVBl. 56, 789 = DÖV 56, 733 = MDR 57, 56) ausgesprochen, daß, wenn in einem Kiosk nicht nur das Schankgewerbe, sondern auch der Einzelhandel mit Zigaretten, Süßigkeiten und Früchten betrieben wird, auf den Schankbetrieb die allgemeine Polizeistunde für Gast- und Schankwirtschaften Anwendung findet, während für den übrigen Teil des Geschäfts die Ladenschlußvorschriften des Einzelhandels gelten.

4.

Das BerGer. meint nun, daß von einem gemischten Betrieb bei Verbindung von Einzelhandel und Ausschank dann keine Rede sein könne, wenn der Warenhandel über wiege und dem Betrieb das Gepräge gebe. Nur echte Trinkhallen könnten als von den Bindungen des LadenschlußG befreit angesehen werden. Diese Auffassung findet im Gesetz keine Stütze. Schankbetriebe und Einzelhandel werden vom Gesetz als verschiedene Gewerbe behandelt. Durch die räumliche Zusammenfassung mit einem Handelsbetrieb verliert das Schankgewerbe nicht die ihm eigenen Merkmale. Insbesondere bleibt jeder gewerbsmäßige Getränkeausschank den Vorschriften des GaststättenG v. 28. 4. 1930 (BGBl. I 146) unterworfen, unabhängig davon ob er mit einem anderen Gewerbe verbunden ist und welches der beiden Gewerbe überwiegt. Ohne besondere gesetzliche Ermächtigung, wie sie z. B. in dem vom Bundesrat zum Entw. des Ges. über die sechste Änderung des GaststG vorgeschlagenen § 15a vorgesehen war (Bundestagsdrucksache 2128, 2. Wahlperiode des Deutschen Bundestag) besteht daher keine rechtliche Möglichkeit, den Ausschankbetrieb an die Verkaufszeiten des Einzelhandels zu binden. Da sich der Gewerbebetrieb, wenn er legal betrieben wird nach Ladenschluß auf den Ausschank und den zum Schankbetrieb gehörigen Zubehörverkauf beschränkt, verliert die Frage, welcher Gewerbezweig überwiegt, in diesem Zeitpunkt ihre Bedeutung; denn es wird nur noch das Schankgewerbe betrieben. Da der gemischte Betrieb von Ausschank und Einzelhandel in demselben Raum während der Ladenöffnungszeiten zulässig ist, können auch keine Einwendungen dagegen erhoben werden, daß der Ausschank einschließlich des erlaubten Zubehörhandels aus einem Raum, in dem bis zum Ladenschluß noch Einzelhandel betrieben worden ist, nach diesem Zeitpunkt allein erfolgt. Hier ergeben sich zwar besondere Probleme der Überwachung der mit Einzelhandel verbundenen Ausschankbetriebe, die für die Frage, wann der Schankbetrieb offengehalten werden darf, aber ohne Bedeutung sind. Für Trinkhallen sind keine Sonderregelungen getroffen. § 19 Abs. 2 des Entw. eines LadenschlußG (Drucksache 1461, 2. Wahlperiode des Deutschen Bundestages) hatte zwar ihre ausdrückliche Unterstellung unter den Ladenschluß vorgesehen, wenn ihr Schankumsatz 50 % des Gesamtumsatzes nicht erreichte. Dieser Vorschlag ist aber nicht Gesetz geworden, weil die Regelung der Öffnungszeiten für die Trinkhallen als zum Gaststättenrecht gehörig angesehen wurde.

5.

Die Sachlage wäre rechtlich anders zu beurteilen, wenn der Inhaber eines Kiosks den Getränkeausschank ernstlicht nicht betreiben will, sondern ihn nur der Form halber anmeldet, um sich auf diese Weise die Möglichkeit zu verschaffen, seinen Warenhandel nach Ladenschluß in unzulässiger Weise fortzusetzen. Im vorl. Fall kann an der Ernstlichkeit des Willens des Kl., seine Einnahmen auch mit Hilfe des Getränkeverkaufs zu vergrößern, nicht gezweifelt werden. Das beweist die Tatsache, daß er die für einen Ausschankbetrieb erforderlichen Einrichtungen geschaffen und, wie die Akten ergeben, in einem Jahre 24000 Flaschen Getränke umgesetzt hat.

6.

Entgegen der Ansicht der Bekl. kann in dem Ausschank aus Kiosken auch kein Nebenbetrieb gesehen werden; von einem solchen kann nur gesprochen werden, wenn ein Betrieb den Bedürfnissen der Kunden des Hauptbetriebes dienen soll; mit der Ausweitung des Warensortiments auf den Getränkeausschank oder des Getränkeausschanks auf den Warenkauf werden aber verschiedene Kundenkreise angesprochen.