Bundesverwaltungsgericht
Urteil vom 12.3.1965
- VII C 113/61
-

 (weitere Fundstellen: BVerwGE 20, 325)

 

Tatbestand

1.

Die Klägerin betreibt einen Handel mit natürlichen, Mineralwasser und Fruchtsaftgetränken. Sie gibt in Geschäftsräumen von Einzelhändlern, die ihre Erzeugnisse führen, ihre Getränke an interessierte Kunden unentgeltlich in kleinen Gläsern zur Probe ab. Dieser Probeausschank findet jeweils nur für kurze Zeit, oftmals nur für Stunden, in ein und demselben Einzelhandelsgeschäft statt. Dann wird er in einem anderen Geschäft fortgesetzt. Der beklagte Oberstadtdirektor hat wiederholt gegenüber der Klägerin die Ansicht vertreten und ungeachtet ihrer Einwendungen daran festgehalten, daß für diesen Probeausschank nach dem Gaststättengesetz eine Erlaubnis – gegebenen. falls eine Gestattung – erforderlich sei, und hat für den Fall. des weiteren Ausschanks ohne eine solche Erlaubnis oder Gestattung die im Gaststättengesetz vorgesehenen Maßnahmen angekündigt. Die Klage mit dem Antrage auf Feststellung, daß die Klägerin für den Probeausschank einer Gestattung nach dem Gaststättengesetz nicht bedürfe, wurde in den Vorinstanzen als unbegründet abgewiesen, hatte jedoch im Revisionsverfahren Erfolg.

 

Aus den Gründen:

2.

Die Zulässigkeit der von der Klägerin erhobenen Feststellungsklage ist in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht zu bejahen (BVerwGE 12, 261 = NJW 61, 1989; BVerwGE 14, 202 und BVerwGE 14, 235 = NJW 62, 1690; BVerwGE 16, 92).

3.

Die Klage ist entgegen der von den Vorinstanzen vertretenen Auffassung auch begründet.

4.

Nach § 1 Abs. 1. GaststG bedarf der Erlaubnis – unter den Voraussetzungen des § 8 dieses Gesetzes, zu denen sich der erkennende Senat in der am gleichen Tage ergangenen Entscheidung v. 12. 3. 1965, BVerwG VII C 167/64 (in ds. Heft S. 1244) geäußert hat, nur einer Gestattung –‚ „wer Gastwirtschaft, Schankwirtschaft oder Kleinhandel mit Branntwein betreiben will". Da die Klägerin nur alkoholfreie Getränke, aber keinen Branntwein vertreibt, kann sich die rechtliche Erörterung auf die Frage beschränken, ob sie mit dem von ihr durchgeführten Probeausschank eine Schankwirtschaft betreibt. Dies hat der Beklagte bejaht. Ihm haben sich die im ersten und zweiten Rechtszuge ergangenen Entscheidungen angeschlossen. Der erkennende Senat vermag dem nicht zu folgen.

5.

Was unter einer Schankwirtschaft i. S. des Gaststättengesetzes zu verstehen ist, bestimmt dieses Gesetz nicht, muß daher im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung des Sinnes und Zweckes der gesetzlichen Regelung ermittelt werden.

6.

Das Berufungsgericht geht bei seiner Beurteilung von der herkömmlichen Begriffsbestimmung aus, demzufolge eine Schankwirtschaft dann betrieben wird, wenn gewerbsmäßig Getränke – gleichviel welcher Art – zum Genuß an Ort und Stelle verabreicht werden. Mit Hilfe dieser Begriffsbestimmung wird sich in aller Regel eine zutreffende Auslegung des Gesetzes gewinnen lassen. Daß sie nicht in jedem Fall dem Sinn und Zweck des Gesetzes gerecht wird, zeigt der hier zur Entscheidung stehende Sachverhalt.

7.

Auch das Berufungsgericht verkennt nicht, daß nach allgemeinem Sprachgebrauch ein Probeausschank, wie er von der Klägerin durchgeführt wird, nicht als Betrieb einer Schankwirtschaft angesehen wird. Es meint aber, bei der rechtlichen Beurteilung müsse diese Frage gleichwohl bejaht werden, und befindet sich dabei in Übereinstimmung mit dem einschlägigen Schrifttum (vgl. MICHEL, Gaststättengesetz, 4. Auflage 1952, Anmerkung I/1 zu § 1 S. 25; ROHMER-EYERMANN, Gaststättengesetz, Anmerkung 3f. zu § 1 S. 13; JANISCH, GewArch. 61, 3) und auch mit der Rechtsprechung, namentlich mit zahlreichen älteren Entscheidungen von Strafgerichten (vgl. REGER, Entscheidungen der Gerichte und Verwaltungsbehörden aus dem Gebiet des Verwaltungs- und Polizeistrafrechts, Bd. 3, 364; 15, 3 und 4; 16,7; GewArch. 26, 350; 34, 56; ebenso aus neuerer Zeit; LVG Hamburg in GewArch. 57/58, 36).

8.

Diese Auslegung mag mit der Zielsetzung des Gaststättengesetzes vielleicht noch vereinbar gewesen sein, solange der Zugang zum Gaststättengewerbe noch einem von nachgewiesenen Bedürfnis abhängig war und die Handhabung des Gesetzes damit zu einem weitgehenden Schutz der bestehenden Gaststättenbetriebe gegen den Wettbewerb neu hinzutretender Berufsbewerber führte. Nachdem die in § 1 Abs. 2 GaststG vorgesehene Bedürfnisprüfung wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz nach der Rechtsprechung des BVerwG (BVerwGE 1, 48 = NJW 54, 524 und BVerwGE 1, 269 = NJW 55, 763) nicht mehr zulässig ist, der Gesichtspunkt des Konkurrenzschutzes bei der Anwendung des Gaststättengesetzes mithin auszuscheiden hat, läßt sich die bisher im Schrifttum und in der Rechtsprechung vertretene Auslegung, daß für einen Probeausschank von Getränken, wie ihn die Klägerin durchführt, eine Erlaubnis oder auch nur eine Gestattung nach dem Gaststättengesetz erforderlich sei, nicht mehr aufrechterhalten.

9.

Das Gaststättengesetz unterwirft den Ausschank von Getränken im wesentlichen deswegen einer Kontrolle der Behörden, um dem Alkoholmißbrauch und unerwünschten Folgen entgegentreten zu können, die sich aus dem Beisammensein von Gästen zur Einnahme von Getränken ergeben könnten. Lediglich aus diesem Grunde wird unter bestimmten Voraussetzungen auch der nicht gewerbsmäßige Ausschank von Getränken den Vorschriften des Gesetzes unterworfen (§ 23 GaststG). Diesen maßgeblichen Zielen dienen die wichtigsten Vorschriften des Gesetzes, welche die Fernhaltung unzuverlässiger Unternehmer, ihrer Stellvertreter oder leitenden Angestellten (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, § 6, § 17 Abs. 1), die Sicherstellung geeigneter Räumlichkeiten (§ 2 Abs. 1 Nrn. 3-5), die Beschränkung der Erlaubnis auf eine bestimmte Betriebsart sowie auf bestimmte Getränke und Räume (§ 3) und durch bestimmte Auflagen (§ 11), die zeitliche Einschränkung des Gaststättenbetriebes (§§ 14, 15) und die Beschäftigung weiblicher Arbeitnehmer (§ 17 Abs. 2) betreffen.

10.

Eine zu Zwecken der Werbung erfolgende Abgabe von Getränkeproben in kleinen Mengen diesen Vorschriften zu unterwerfen, ist unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Gaststättengesetzes weder sinnvoll noch erforderlich. Insbesondere ist kein sachlich beachtliches Bedürfnis dafür erkennbar, in derartigen Fällen die Frage der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden selbst, seiner Stellvertreter und leitenden Angestellten nach Maßgabe der Vorschriften des Gaststättengesetzes zu prüfen. Auch soweit eine Anwendung des Gesetzes über die Berufsausübung im Einzelhandel v. 5. 8. 1957 (BGBl. I 1121) und die dort vorgesehene Prüfung der Zuverlässigkeit entfallen oder nicht ausreichen sollte, würde gegebenenfalls § 35 GewO die Möglichkeit zu einem nach Lage des Falles gebotenen Einschreiten der Behörden eröffnen. Jedenfalls sind keine einleuchtenden Gründe ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, die Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden, der Getränke lediglich als unentgeltliche Kostproben verabreichen will, unter den besonderen für die Zulassung von Gaststättenbetrieben beachtlichen Gesichtspunkten im voraus zu prüfen. Ebensowenig sind die Voraussetzungen für eine sinnvolle Anwendung der übrigen in § 2 GaststG aufgeführten Versagungsgründe auf die unentgeltliche Abgabe von Getränkekostproben gegeben. Auch die in dem Berufungsurteil angedeuteten Besorgnisse bezüglich der hygienischen Verhältnisse der Räumlichkeiten, in denen ein solcher Probeausschank durchgeführt werden soll, und der Gefäße, die hierbei verwendet werden, rechtfertigten es nicht, einen derartigen Probeausschank den Vorschriften des Gaststättengesetzes zu unterwerfen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein solcher Probeausschank schon aus wirtschaftlichen Überlegungen nur in Geschäften des Lebensmitteleinzelhandels durchgeführt werden wird, deren Inhaber nach § 3 EinzelhandelsG v. 5. 8. 1957 (BGBl. I 1121) einer Erlaubnis bedürfen, die einem unzuverlässigen Gewerbe- treibenden versagt werden muß, und daß etwaigen Mißständen, die sich bei einem Probeausschank ergeben sollten, mit gewerbe- und gesundheitspolizeilichen Maßnahmen wirksam begegnet werden kann. Insbesondere ist schlechterdings nicht einzusehen, weshalb die letztgenannten Maßnahmen, die für die Abgabe anderer Kostproben – z. B. von Puddingen, Suppen und Fleischbrühen – allein zur Verfügung stehen, nicht auch für die Abgabe von Getränkekostproben ausreichen sollten. Auch die weiteren Schwerpunkte der gesetzlichen Regelung, wie sie namentlich in § 14 GaststG für die Handhabung der Sperr-(Polizei-)stunde und in § 17 des Gesetzes für die Beschäftigung weiblicher Arbeitnehmer getroffen sind, sind ihrer Zielsetzung nach einer sinnvollen Anwendung auf den unentgeltlichen Probeausschank von Getränken nicht zugänglich.

11.

Hiernach sind unter Berücksichtigung der mit der Regelung des Gaststättengesetzes insgesamt und im einzelnen verfolgten Ziele keine sachlichen Gründe ersichtlich, die es insbesondere nach dem Fortfall der Bedürfnisprüfung noch rechtfertigen könnten, im Wege der Gesetzesauslegung auch die unentgeltliche Abgabe von Getränkeproben den Vorschriften des Gaststättengesetzes zu unterwerfen. Dies würde in der überwiegenden Mehrzahl aller Fälle zu einer nur formalen Prüfung führen, die eine nicht vertretbare Belastung der Behörden wie der beteiligten Geschäftskreise bedeuten würde.

12.

Hinzu kommt, daß eine Unterwerfung eines solchen Probeausschanks unter den Erlaubniszwang des Gaststättengesetzes die Gefahr einer uneinheitlichen, beinahe willkürlichen Gesetzesanwendung mit sich bringen könnte. Das Berufungsgericht verneint in Übereinstimmung mit MICHEL (aaO S. 26) und der Rechtsprechung (vgl. GewArch. 31, 122; 84, 56) einen gewerbsmäßigen Ausschank, mithin auch eine Erlaubnispflicht für den Fall, daß der unentgeltliche Probeausschank dem Kunden nur die Auswahl zwischen verschiedenen Sorten ermöglichen soll. Es ist aber unter sinnvoller Berücksichtigung der Zielsetzung des Gaststättengesetzes nicht einzusehen, weshalb der Probeausschank an einen Kunden, der zum Kauf entschlossen ist und nur seine Wahl unter verschiedenen angebotenen Getränken erst von einer Probe abhängig machen möchte, anders behandelt werden soll als ein Probeausschank, durch den der Entschluß zu kaufen erst herbeigeführt werden soll, zumal die für eine solche Unterscheidung maßgebliche innere Einstellung des Kunden nach außen häufig kaum in Erscheinung tritt. Jedenfalls kann nicht geleugnet werden, daß in dem einen wie im anderen Fall die Probe nicht aus Freigebigkeit, sondern zu dem Zweck verabreicht wird, den Kunden zum Kauf zu veranlassen, mittelbar also in beiden Fällen ein geschäftlicher Gewinn erstrebt wird.

13.

Eine nach den Grundsätzen einer gleichmäßigen Behandlung (Art. 3 GG) und der Freistellung. der Berufsausübung von allen sachlich nicht gebotenen, jedenfalls nicht sinnvollen Einschränkungen (Art. 12 Abs. 1 GG) ausgerichtete Handhabung des Gesetzes muß hiernach dazu führen, im Gegensatz zu der der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde liegenden Gesetzesauslegung die Anwendbarkeit des Gaststättengesetzes auf eine unentgeltliche Abgabe von Getränkeproben – gleichviel ob es sich hierbei, wie im vorliegenden Falle, um alkoholfreie oder um alkoholhaltige Getränke handelt – zu verneinen. Es versteht sich von selbst, daß eine andere Beurteilung dann geboten sei kann, wenn – wofür hier allerdings keine Anhaltspunkte gegeben sind – unter Mißbrauch der Form eines Probeausschanks ein Schankbetrieb getarnt werden sollte.