Bundesverwaltungsgericht
Entscheidung vom 12.10.1962
- 7 C 6/62 -

 (weitere Fundstellen: BVerwG 15, 63 ff.)

 

Leitsatz:

 

Die Anordnung des militärischen Bereitschaftsdienstes durch die Bundesregierung (§ 6 Abs. 7 des Wehrpflichtigesetzes i. d. F. vom 28. November 1960) ist weder ein Verwaltungsakt noch eine Rechtsverordnung, sondern ein der richterlichen Kontrolle nicht unterliegender politischer Akt.

 

Zum Sachverhalt:

1.

Der Kläger wurde zur Ableistung einer Wehrübung im Bereitschaftsdienst, der durch einen Beschluß der Bundesregierung vom 20. September 1961 angeordnet war, für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 1961 einberufen. Den Einberufungsbescheid focht er mit der Klage an. Sie wurde abgewiesen. Die Revision des Klägers war erfolglos.

 

Aus den Gründen:

2.

Die Rüge, daß das Verwaltungsgericht die Bedeutung des § 6 Abs. 7 des Wehrpflichtgesetzes i. d. F. vom 28. November 1960 (BGBl. I S. 853) – WehrPflG – verkannt und deshalb die Art. 80 und 82 GG zu Unrecht nicht beachtet habe, ist unbegründet. In § 6 Abs. 7 WehrPflG ist bestimmt, daß für eine von der Bundesregierung als Bereitschaftsdienst angeordnete Wehrübung die sonstige Höchstdauer von drei Monaten (§ 6 Abs. 1 Wehr- PflG) und die Anrechnung auf die Gesamtdauer der Wehrübungen (§ 6 Abs. 2 bis 6 WehrPflG) nicht gelten; diese Anrechnung kann aber angeordnet werden. Die Vorschrift des § 6 Abs. 7 WehrPflG regelt also die Wehrpflichtdauer. Diese Dauer beanstandet der Kläger nicht; er macht vielmehr geltend, daß er überhaupt nicht habe einberufen werden dürfen, weil die Bundesregierung zu ihrer Anordnung vom 20. September 1961 rechtlich nicht ermächtigt gewesen sei und diese nicht gesetzmäßig verkündet habe.

3.

Dieser Begründung ist das Verwaltungsgericht mit Recht nicht gefolgt. Über die Einberufung der Wehrpflichtigen zum Wehrdienst besagt das Gesetz, daß ungediente Wehrpflichtige auf Grund der Anordnungen des Bundesministers für Verteidigung durch die Kreiswehrersatzämter und gediente Wehrpflichtige durch die Wehrersatzbehörden einberufen werden (§§ 21 Abs. 1 und 3, 23 Abs. 1 WehrPflG); überdies kann die Bundesregierung Wehrübungen gedienter Wehrpflichtiger als Bereitschaftsdienst (§ 6 Abs. 7 WehrPflG) und, wenn der Verteidigungsfall droht, die Einberufung ungedienter Wehrpflichtiger, die einen Bereitstellungsbescheid erhalten haben, ohne Einhaltung einer Frist (§ 21 a Abs. 5 WehrPflG) anordnen. Zu diesen Maßnahmen sind die Bundesregierung und der zuständige Bundesminister auf Grund der ihnen verfassungsrechtlich zugewiesenen Stellung und Aufgabe gesetzlich ermächtigt worden. Die im Grundgesetz anerkannte Notwendigkeit einer Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik zieht nach der Aufstellung von Streitkräften die Befugnis der Regierung zur Einberufung der Wehrpflichtigen, aber auch die Bestimmung des jeweiligen Zeitpunktes der Einberufung ohne weiteres nach sich; nur hinsichtlich der Stärke der Streitkräfte besteht eine Bindung an den Haushaltsplan (Art. 87 a GG). Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Regierungsgewalt und ihrer politischen Verantwortung (Art. 65 GG) ist der Bundesregierung insbesondere die zeitweilige Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft durch die in den §§ 6 Abs. 7 und 21 a Abs. 5 WehrPflG gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen zugestanden worden.

4.

Die Anordnung erhöhter Wehrbereitschaft ist aber kein anfechtbarer Verwaltungsakt. Denn sie ergeht nicht zur Ausführung des die Rechtsbeziehungen des Wehrpflichtigen regelnden Wehrpflichtgesetzes und hat für ihn keine unmittelbare Wirkung; erst der wehrbehördliche Einberufungsbescheid enthält die für den einzelnen verbindliche Regelung. Aber auch eine in gewissem Umfang der Rechtskontrolle unterliegende gesetzgeberische Tätigkeit übt die Bundesregierung mit der Anordnung des militärischen Bereitschaftsdienstes nicht aus. Ihre Anordnung ist keine auf § 6 Abs. 7 WehrPflG beruhende Rechtsverordnung. Diese Vorschrift regelt die Wehrdienstdauer und erlangt für den einzelnen erst für den Fall normative Bedeutung, daß die Bundesregierung eine konkrete Maßnahme zur BVerwGE 15, 63, Seite 65Erhöhung der Wehrbereitschaft beschlossen hat; diese Anordnung löst die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 7 erst aus. Der Vorgang ist damit vergleichbar, daß die Feststellung des Verteidigungsfalles durch den Bundestag (Art. 59 a GG) die Pflicht zu einem unbefristeten Wehrdienst nach sich zieht (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 WehrPflG); auch diese Feststellung ist kein förmliches Gesetz, sondern ein besonders zu verkündender Beschluß (Art. 59 a Abs. 1 Satz 2 GG). Inhaltlich enthält ein derartiger durch den Bundestag oder die Bundesregierung erlassener Staatsakt selbst keine Rechtssätze, eine normative Kraft entfaltet er aber dadurch, daß nunmehr das für diesen Fall bereits gesetzte Recht anzuwenden ist. Die Befugnis der Bundesregierung zur Anordnung des Bereitschaftsdienstes hat wohl auch der Bundestag nicht als Betätigung der gesetzgeberischen Gewalt, sondern als Ausfluß der politischen Regierungsgewalt angesehen. In seinen Beratungen der Novelle zum Wehrpflichtgesetz vom 28. November 1960 (BT St.Ber. 3. Wahlp. Bd. 46 S. 6897 ff.) und der dem § 6 Abs. 7 WehrPflG vorhergegangenen Vorschrift in § 4 des Gesetzes über die Dauer des Grundwehrdienstes und die Gesamtdauer der Wehrübungen vom 24. Dezember 1956 (BGBl. I S. 1017) (BT St.Ber. 2. Wahlp. Bd. 33 S. 9738 ff.) hat nicht eine gesetzgeberische Kompetenz der Bundesregierung, sondern die etwa notwendig werdende Verlängerung der Wehrdienstdauer im Falle eines politischen Spannungszustandes in Frage gestanden. Da die Anordnung des Bereitschaftsdienstes aus diesen Gründen keine Rechtsverordnung zur Durchführung des Wehrpflichtgesetzes darstellt, ist die auf die Art. 80 und 82 GG gestützte Revisionsrüge unbegründet.

5.

Eine andere Möglichkeit, den Bestand dieser Anordnung richterlich zu prüfen, besteht nicht. Nach ihrem Inhalt ist sie eine Weisung an die Verwaltung zur Vornahme von Einberufungsmaßnahmen. Für einen solchen allgemeinen Entschluß der Regierungsgewalt besteht keine vorgegebene Norm, deren Verletzung dem einzelnen ein Recht auf richterliche Nachprüfung einräumen könnte; auch die Vorschrift des Art. 87 a GG, wonach die zahlenmäßige Stärke der Streitkräfte dem Haushaltsplan folgen muß, dient, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, nur der parlamentarischen Kontrolle. Die Anordnung des Bereitschaftsdienstes insbesondere ist nicht an rechtliche, der gerichtlichen Nachprüfung zugängliche Voraussetzungen geknüpft, sondern beruht stets nur auf der Einschätzung einer BVerwGE 15, 63, Seite 66politischen Situation. Die Bundesregierung muß hierzu zwar rechtlich ermächtigt sein, sie handelt aber nach einem lediglich politischen Ermessen, und die Gerichte besitzen keinen rechtlichen Maßstab dafür, ob die Anordnung zu billigen ist. Nur die Rechtskontrolle ist ihnen aber zugewiesen; unter der Verletzung von Rechten des einzelnen im Sinne der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sind allein Verstöße gegen die Rechtsordnung zu verstehen, die Entscheidung hierüber muß nach Maßgabe des Rechtes möglich sein. Daran fehlt es, wenn die Regierungsgewalt ein gesetzlich vorgesehenes Mittel lediglich nach ihrem politischen Gutdünken handhaben darf. In diesem Falle ist allein die parlamentarische Kontrolle gegeben, sie legt die politische Verantwortlichkeit zugrunde und beurteilt die Richtigkeit nach der Zweckmäßigkeit und dem Erfolg. Diese Betrachtungsweise ist den Gerichten verwehrt.