Anmerkung zur Zulässigkeit eines Widerspruchs

(Stand der Bearbeitung: 22. Dezember 2025)

© Ulrich Stelkens (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer)

mit freundlicher Unterstützung der jurmatix Legal Intelligence UG (haftungsbeschränkt), Gersheim

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Wird in einer Klausur - direkt oder verklausuliert - nach den Erfolgsaussichten eines Widerspruchs gefragt, ist grundsätzlich - wie auch bei einer Klage - vorab die Zulässigkeit eines Widerspruchs zu prüfen. Das ergibt sich z.B. aus § 72 VwGO, der der Ausgangsbehörde die Möglichkeit zur Abhilfe nur für den Fall eröffnet, dass sie den Widerspruch für begründet hält, und mit dieser Wortwahl die Bejahung der Zulässigkeit offensichtlich voraussetzt.

Aus dem Vorschaltcharakter des Widerspruchsverfahrens folgt, dass Rechtsschutz durch die Verwaltungsbehörden prinzipiell in demselben Umfang wie durch die Verwaltungsgerichte gewährt wird. Deshalb gelten die für die Klage zu prüfenden Sachentscheidungsvoraussetzungen grundsätzlich in gleicher Weise für den Widerspruch; sie werden häufig als Sachbescheidungsvoraussetzungen bezeichnet.

Die Prüfung dieser Voraussetzungen erfolgt im Allgemeinen in derselben Reihenfolge wie bei einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (siehe hierzu diesen Hinweis); im Einzelnen ist regelmäßig zu untersuchen (zur Begründetheit eines Widerspruches siehe hier):

I. Ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 VwGO eröffnet?

Die Prüfung der Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges ist zwingend zuerst zu prüfen, weil davon abhängt, ob die Verwaltungsgerichtsordnung mit ihren Regelungen über Zuständigkeit und Statthaftigkeit sowie Frist und Form Anwendung findet. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs muss auch im Widerspruchsverfahren geprüft werden, weil § 68 VwGO das Widerspruchsverfahren mit der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs verknüpft.

Anmerkung: Siehe hierzu Hufen, § 6 Rn. 2.

II. Ist die angerufene Behörde zur Entscheidung über den Widerspruch berufen?

Im Einzelnen sind folgende Konstellationen denkbar:

Zum Behördenbegriff der §§ 68 ff. VwGO siehe im Übrigen diesen Hinweis.

III. Ist der Widerspruch statthaft?

Hier ist zu beachten, dass es keine mit § 40 Abs. 1 VwGO, Art. 19 Abs. 4 GG vergleichbare Generalklausel bezüglich des Vorverfahrens gibt. Der Widerspruch ist vielmehr nur dann zulässig, wenn ausdrücklich ein Widerspruchsverfahren angeordnet ist.

1. Dies ist zunächst der Fall beim Anfechtungswiderspruch (§ 68 Abs. 1 i.V.m. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO), soweit das Widerspruchsverfahren nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Voraussetzung ist hier, dass sich der Widerspruchsführer gegen einen Verwaltungsakt im Sinne  der Legaldefinition des § 35 VwVfG, des § 31 SGB X, des § 118 AO und der entsprechenden Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder wendet, die als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch für die Auslegung der VwGO maßgeblich ist.

Anmerkung: Zum Verwaltungsaktsbegriff der VwGO U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 12, 15.

2. Statthaft ist auch der Verpflichtungswiderspruch (§ 68 Abs. 2 i.V.m. 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO), soweit das Widerspruchsverfahren nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Voraussetzung ist, dass der Widerspruchsführer einen Verwaltungsakt im Sinne  der Legaldefinition des § 35 VwVfG, des § 31 SGB X, des § 118 AO und der entsprechenden Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder begehrt, die als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch für die Auslegung der VwGO maßgeblich ist

Anmerkung: Siehe zum Verwaltungsaktsbegriff der VwGO erneut U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 35 Rn. 12, 15.

3. Nach herrschender Meinung nicht statthaft ist jedoch ein Fortsetzungsfeststellungswiderspruch (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO), soweit es nicht ausdrücklich angeordnet ist.

Anmerkung: Siehe hierzu Hufen, § 6 Rn. 13 m.w.N.

4. Wenn im Klageverfahren eine allgemeine Leistungs- oder Feststellungsklage statthaft wäre, ist der Widerspruch nur statthaft, soweit das Vorverfahren ausdrücklich - wie vor allem in § 54 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG - angeordnet ist.

Anmerkung: Siehe zu den sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen Jäde, Rn. 130.

IV. Ist der Widerspruchsführer widerspruchsbefugt ?

Entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO wird allgemein für die Zulässigkeit eines Widerspruchs eine Widerspruchsbefugnis verlangt; es gibt keinen "Popularwiderspruch", vielmehr muss der Widerspruchsführer die Verletzung eigener subjektiv-öffentlicher Rechte geltend machen. Dies ergibt sich auch aus § 70 Abs. 1 VwGO, nach dem "der Beschwerte" Widerspruch einlegen kann. Die Adressatentheorie (siehe hierzu diesen Hinweis) findet Anwendung.

(V. Sind die am Widerspruchsverfahren Beteiligten beteiligtenfähig?

Dies bestimmt sich wegen (dem nach § 1 Abs. 1 SVwVfG anwendbaren) § 79 VwVfG, weil das Vorverfahren ein Verwaltungsverfahren ist, nach § 11 VwVfG (doch sind die für den Verwaltungsprozess geltenden Erwägungen hier in entsprechender Weise anzustellen), bedarf jedoch regelmäßig keiner näheren Prüfung [anders dann, wenn ein Fall des § 11 Nr. 2 VwVfG - Beteiligtenfähigkeit teilrechtsfähiger Vereinigungen - vorliegt].)

VI. Ist die Widerspruchsform und -frist eingehalten?

Dies bestimmt sich nach § 70 VwGO.

Anmerkung: Siehe zur Fristberechnung siehe den Feuer-und-Flamme-Fall und den Soccer-Arena-Fall.

Ist die Frist verstrichen, so ist zu fragen, ob die Widerspruchsbehörde trotzdem dem Widerspruch stattgeben kann, was sehr umstritten ist.

Anmerkung: Siehe hierzu Hufen, § 6 Rn. 32 und den Ausgehöhlt-Fall sowie den Genug-Vergnügt-Fall.

Denkbar ist bei Verstreichen der Frist auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, sofern ein entsprechender Antrag vorliegt (§ 70 Abs. 2 i.V.m. § 60 VwGO).