Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss vom 16.05.2008
- 9 ZB 07.3224
-

(weitere Fundstellen: BauR 2008, 1851 f.)

Leitsatz:

 

Die Ausübung von Prostitution in sogenannten Terminwohnungen ist im Mischgebiet bauplanungsrechtlich unzulässig.

Aus den Gründen:

1.

Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 4 VwGO) hat keinen Erfolg.

2.

1. Aus den von der Klägerseite dargelegten Gründen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO) ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass der Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 2006, mit dem dem Kläger unter Androhung eines Zwangsgeldes die Nutzung und Gebrauchsüberlassung der Wohnung im ersten Obergeschoß des Anwesens … als Terminwohnung zur Ausübung der Prostitution untersagt wurde, rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

3.

Zutreffend geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass für die hier vorliegende Nutzung der als Wohnung genehmigten Räumlichkeiten eine bauaufsichtliche Genehmigung erforderlich ist und eine solche bisher weder erteilt noch in der für Bauanträge erforderlichen Weise (Art. 67 Abs. 2 BayBO 1998; Art. 64 Abs. 2 BayBO i.V.m der Bauvorlagenverordnung) beantragt wurde.

4.

Nicht zu beanstanden ist auch die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Voraussetzungen für eine Nutzungsuntersagung nach Art. 82 Satz 2 BayBO 1998 (nunmehr Art. 76 Satz 2 BayBO) grundsätzlich schon dann erfüllt sind, wenn eine bauliche Anlage formell illegal - d.h. ohne die erforderliche Genehmigung - genutzt wird. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Eine formell rechtswidrige Nutzung darf allerdings aus Gründen der Verhältnismäßigkeit dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist oder die Nutzung von Wohnraum untersagt wird, der für die Bewohner den alleinigen Mittelpunkt ihrer privaten Existenz bildet (BayVGH vom 5.12.2005 BayVBl 2006, 702).

5.

Zu Recht sieht das Verwaltungsgericht einen solchen Ausnahmefall hier nicht als gegeben an. Die von der Nutzungsuntersagung betroffenen Räume werden von den Prostituierten unstreitig nicht dauerhaft bewohnt. Die Untersagungsverfügung ist darüber hinaus nicht auf die Nutzung der Räume als Wohnraum gerichtet. Die untersagte Nutzung ist auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Vielmehr spricht sehr vieles für die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die vorliegende Nutzung bauplanungsrechtlich unzulässig ist. Das Baugrundstück befindet sich im Geltungsbereich des am 17. August 2001 ortsüblich bekannt gemachten qualifizierten Bebauungsplans 4/7 der Beklagten, der für diesen Bereich ein Mischgebiet ausweist und Vergnügungsstätten dort als nicht zulässig erklärt (§ 1 Abs. 5 BauNVO).

6.

Bei einer Einordnung der Nutzung von Räumen zum Zwecke der Prostitutionsausübung als Vergnügungsstätte (vgl. zum Meinungsstand: Bielenberg in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, RdNr. 58a zu § 4a BauNVO) würde die ausgeübte Nutzung den Festsetzungen des Bebauungsplans widersprechen. Das Vorhaben wäre daher nicht genehmigungsfähig.

7.

Soweit solche Nutzungen bauplanungsrechtlich als gewerbliche Nutzungen bewertet werden (so: BVerwG vom 28.6.1995 BayVBl 1995, 667; BayVGH vom 19.5.1999 BayVBl 2000, 280; vom 26.2.2007 Az. 1 ZB 06.2296 <juris>; VGH BW vom 13.2.1998 NVwZ-RR 1998, 550), ist für die Frage der Zulässigkeit entsprechender Vorhaben in einem Mischgebiet zu differenzieren: Gewerbliche Nutzungen sind im Mischgebiet dann zulässig, wenn sie das Wohnen nicht wesentlich stören (§ 6 Abs. 1 BauNVO). Während Bordelle und bordellartige Betriebe wegen ihrer typischen Auswirkungen auf die Nachbarschaft („milieubedingte Unruhe") eine wesentliche Störung des Wohnens darstellen und daher nicht als mischgebietsverträglich anzusehen sind, muss bei der Wohnungsprostitution die gleichfalls regelmäßig gegebene störende Wirkung typischerweise nicht so weit gehen, dass das Vorhaben generell unzulässig wäre (BayVGH vom 19.5.1999 a.a.O).

8.

Wohnungsprostitution liegt allerdings nur dann vor, wenn die Prostituierten in der Wohnung, in der sie ihrem Gewerbe nachgehen, auch wohnen (VGH BW vom 13.2.1998 a.a.O). Diese Voraussetzungen sind hier unstreitig nicht gegeben. Es kann auch dahinstehen, ob die Nutzung von Räumen ausschließlich zum Zwecke der Prostitution ohne damit verbundene Wohnnutzung in jedem Fall, d.h. auch dann, wenn kein größerer Betrieb vorliegt und etwa nur ein oder zwei Prostituierte dort ihr Gewerbe ausüben, schon als ein das Wohnen wesentlich störendes Gewerbe zu bewerten ist. Denn für solche Formen der Prostitution können keine geringeren bauplanungsrechtlichen Anforderungen gelten, als sie für eine im Mischgebiet zulässige Wohnungsprostitution gefordert werden. Diese ist aber nur dann bauplanungsrechtlich genehmigungsfähig, wenn die gewerbliche Nutzung nach außen nur „wohnähnlich" in Erscheinung tritt und dem Gebäude, in dem sie stattfindet, nicht „das Gepräge gibt" (BayVGH vom 19.5.1999 a.a.O.). Voraussetzung einer Wohnnutzung und damit auch einer „wohnähnlichen" Nutzung ist es aber, dass diese auf eine gewisse Dauer angelegt ist. Eine Nutzung, die – wie die streitgegenständliche hier – darauf beruht, die betreffenden Räume einem ständig wechselnden Personenkreis zu überlassen, weist schon aus diesem Grund kein „wohnähnliches Erscheinungsbild" auf und ist damit als ein das Wohnen wesentlich störendes Gewerbe anzusehen.

9.

Soweit der Kläger sich auf die Unwirksamkeit des Bebauungsplans und das Vorliegen eines faktischen Gewerbe- oder Kerngebiets bzw. auf den besonderen städtebaulichen Zuschnitt des Bereichs der … Straße beruft und daraus die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit seines Vorhabens ableiten will, sind dies Umstände, für deren Vorhandensein wenig spricht, die aber in jedem Fall nicht in einer Weise auf der Hand liegen, die die Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung in Frage stellt. Da im Rahmen einer Entscheidung über die Zulassung der Berufung Ermittlungen zum Sachverhalt, die die Hauptsache betreffen, nicht veranlasst sind (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 77 zu § 124a), kommt die Einnahme des beantragten Augenscheins nicht in Betracht. Von offensichtlicher Genehmigungsfähigkeit eines Bauvorhabens kann im Übrigen nicht ausgegangen werden, wenn über die Frage seiner materiellen Legalität nur aufgrund einer Beweiserhebung entschieden werden kann.

10.

2. Der Kläger kann sich auch nicht erfolgreich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) berufen. Die von ihm als grundsätzlich klärungsbedürftig angesehene Frage, ob eine baurechtliche Nutzungsuntersagung auch dann zulässig ist, wenn die Gemeinde auf den Erlass einer Sperrgebietsverordnung verzichtet hat, ist bereits höchstrichterlich geklärt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sagt eine Sperrgebietsverordnung nichts über die baurechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens aus. Es handelt sich vielmehr um getrennte Regelungsbereiche (BVerwG vom 28.6.1995 a.a.O.). Das Fehlen einer solchen Verordnung ist daher ohne Einfluss auf die baurechtliche Zulässigkeit einzelner Vorhaben und auch ohne Einfluss auf die Rechtmäßigkeit bauaufsichtlichen Einschreitens. Dass bei Erlass einer Sperrgebietsverordnung im Rahmen der Erwägung, welche Gebiete als Toleranzzonen ausgewiesen werden sollen, auch die vorhandene bauplanungsrechtliche Situation mit einzubeziehen ist (vgl. BayVGH vom 24.6.1998 BayVBl 1998, 723), steht dem nicht entgegen.

11.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG.