Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil vom 20.3.2001
- 24 B 99.2709
-

(weitere Fundstellen: NVwZ 2001, 1291 f.)

Zum Sachverhalt:

1.

Am 9. 7. 1997 wurde der Kl., ein britischer Staatsangehöriger, gegen 18 Uhr am Zugang zum Englischen Garten im Bereich der Veterinärklinik von der Polizei, die dort in einem so genannten Unterstützungseinsatz verstärkt auf Drogenkonsumenten achtete, einer Personenkontrolle unterzogen. Eine INPOL (Informationssystem der bayerischen Polizei)-Überprüfung ergab, dass der Kl. mehrmals als Betäubungsmittelkonsument und Rauschgifthändler polizeilich in Erscheinung getreten war. Deshalb erteilte die Polizeibeamtin dem Kl. für den 9. 7. 1997 mündlich ein Betretungsverbot für den Englischen Garten. Der Kl. weigerte sich, dem Verbot Folge zu leisten. Er erklärte, noch nie etwas mit Drogen zu tun gehabt zu haben, außerdem seien seiner Meinung nach Cannabisprodukte keine verbotenen Betäubungsmittel. Der Kl. wurde daraufhin zur Durchsetzung der Platzverweisung in Handschellen zur Polizeiinspektion gebracht und gegen 21.15 Uhr wieder entlassen. Seiner Klage mit dem Antrag, festzustellen, dass die gegen ihn am 9. 7. 1997 getroffenen polizeilichen Maßnahmen – Personenkontrolle, Fesselung, Platzverweisung – rechtswidrig gewesen seien und ihn in seinen Rechten verletzten, gab das VG hinsichtlich der Platzverweisung statt.

2.

Die Berufung des Bekl. hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

3.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist – nach Rücknahme der Klage hinsichtlich der Ingewahrsamnahme und Fesselung und der rechtskräftigen Abweisung der Klage hinsichtlich der Personenkontrolle – nur noch die am 9. 7. 1997 angeordnete Platzverweisung.

4.

Die zulässige Berufung ist begründet. Das VG hat insoweit der Klage zu Unrecht stattgegeben. Das Urteil ist daher insoweit aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

5.

Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten (§ 40 I 1 VwGO) ist eröffnet. Die Polizei war im präventiven, nicht im Bereich der Strafverfolgung oder der Bekämpfung der Beschaffungskriminalität (§ 164 StPO bzw. § 46 I OWiG) tätig. Zweck der Maßnahme war nicht die Ermittlung oder Aufklärung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sondern die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Gefahrenabwehr.

6.

Zu Recht hat das VG die Feststellungsklage wegen der Wiederholungsgefahr nach § 113 I 4 VwGO für zulässig gehalten. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 130 b Satz 2 VwGO analog).

7.

Die Klage ist jedoch unbegründet, da die Platzverweisung nach Art. 16 S. 1 BayPAG rechtmäßig war.

8.

Nach Art. 16 S. 1 BayPAG kann die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten.

9.

Art. 16 S. 1 BayPAG ist auf den vorliegenden Fall anwendbar, auch wenn er nicht zu den typischen Anwendungsbereichen der Vorschrift gehört (vgl. dazu die Bsp. bei Schmidbauer/Steiner/ Roese, BayPAG, 1999, Art, 16, Anm. 6, 12, 17, 18, 23 und 35). Die Verweisung vom Platz ist im weitesten Rahmen der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässig (Berner/Köhler, BayPAG, 16. Aufl., Art. 16 Anm. 1). Der Gesetzgeber hat die Platzverweisung nur an die Voraussetzung der Erforderlichkeit zur Abwehr einer vorübergehenden Gefahr geknüpft. Mit der flexiblen Fassung der Vorschrift trägt der Gesetzgeber der notwendigen Anwendungsbreite einer Platzverweisung Rechnung, wobei die tatbestandliche Weite durch die zeitliche Befristung kompensiert wird.

10.

Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 16 S. 1 Alt. 2 BayPAG (Betretungsverbot) liegen vor.

11.

Mit der Platzverweisung begegnete die Polizei der Gefahr, die vom Kl. ausging, als er am 9. 7. 1997 den Englischen Garten betreten wollte. Denn es gab tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Kl. seinen Aufenthalt im Englischen Garten dazu benützen würde, Handel mit Drogen zu treiben, Drogen zu kaufen oder zu verkaufen, oder zur Anbahnung von solchen Geschäften Kontakte zu knüpfen. Es drohte ein Verstoß gegen Strafvorschriften des BTMG und gegen die Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt München vom 19. 4. 1994 (ABl 12/1994, 90), nach der es Personen verboten ist, den Bereich des Englischen Gartens zum Zwecke von Abgabe, Erwerb, Konsum, Lagerung oder Besitz von Betäubungsmitteln im Sinne des § 1 BTMG mit den Anl. 1 mit 3 zu betreten.

12.

Der Verdacht der Polizei gründete sich auf die Tatsache, dass im Informationssystem der bayerischen Polizei drei Einträge über den Kl. vorhanden waren, die darauf hindeuteten, dass er mit Heroin und Kokain handelte. Für die Gefahrenprognose spielt keine Rolle, ob der Kl. in allen registrierten Verdachtsfällen später auch tatsächlich strafrechtlich verurteilt wurde. Denn die von der Polizei anzustellende Gefahrenprognose ist auf der Grundlage der im Zeitpunkt der polizeilichen Entscheidung zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu treffen (VGH München, Urt. v. 22. 2. 2001 – 24 B 99.3318; Berner/Köhler, Art. 2 Anm. 10 m. w. Nachw.).

13.

Hinzu kam, dass der Kl. sich gegen die Platzverweisung mit der Behauptung wehrte, Cannabisprodukte seien keine verbotenen Betäubungsmittel. Diese Einlassung in dieser konkreten Situation musste von den Polizeibeamten so verstanden werden, dass der Kl. beabsichtigte, allgemein und auch an diesem Tag (nach seiner Ansicht legale) Geschäfte mit Cannabisprodukten zu tätigen.

14.

Dass der Kl. im Zeitpunkt der Personenkontrolle keine Betäubungsmittel mit sich führte, steht der polizeilichen Gefahrenprognose nicht entgegen, da sich der Verdacht gegen ihn auch als Käufer oder Vermittler von Rauschgift richten musste.

15.

Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Gefahrenprognose der Polizei zutreffend war, wie sich nachträglich (im Zeitpunkt der Personenkontrolle war diese Verurteilung offenbar den Polizeibeamten nicht bekannt) herausstellte: Der Kl. wurde mit Urteil des AG München vom 27. 3. 1997 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von fünf Tagessätzen zu je 20 DM verurteilt.

16.

Eine bestimmte Form für die Platzverweisung schreibt das Gesetz nicht vor. Sie kann durch Zeichen oder auch – wie hier – mündlich angeordnet werden. Eine förmliche Begründung war nach Art. 39 II Nr. 2 BayVwVfG nicht erforderlich, da dem Kl. der Grund für die Maßnahme auf Grund der Auseinandersetzung zwischen ihm und den Polizeibeamten bekannt war. Damit ist im Übrigen die im Klageverfahren aufgestellte Behauptung widerlegt, dem Kl. sei erst am 10. 7. 1997 eine Begründung für die Platzverweisung gegeben worden.

17.

Die Bezeichnung der örtlichen Reichweite des Verbots (Englischer Garten) genügte den nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu stellenden Anforderungen an die Bestimmtheit der Anordnung. Maßgebend sind gerade bei mündlichen polizeilichen Anordnungen, die ohne Verzug an Ort und Stelle getroffen werden müssen, die konkreten Umstände des Einzelfalles. Die Bestimmung des Ortes kann je nach Sachlage auch konkludent erfolgen. An eine mündliche Platzverweisung nach Art. 16 S. 1 BayPAG dürfen dabei keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Es kommt vor allem darauf an, wie der Betroffene die Maßnahme verstehen muss (Schmidtbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Anm. 13). Für den Kl. als Adressaten der Anordnung war hinreichend deutlich, was von ihm verlangt wurde. Die Maßnahme bezog sich auf den Bereich des Englischen Gartens, in dem sich die Treffpunkte der Drogenszene befinden. Das ist vor allem der Bereich an der Veterinärklinik und um den Monopteros. Da der Kl. selbst dem Kreis der Drogenkonsumenten bzw. -händler angehört, gab es insoweit auch am 9. 7. 1997 keinen Anlass für ein Missverständnis.

18.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 4 I BayPAG) wurde nicht verletzt.

19.

Die Platzverweisung war geeignet, die drohende Begehung einer Straftat bzw. einer Ordnungswidrigkeit – jedenfalls für den 9. 7. 1997 – zu unterbinden.

20.

Der Umfang des Ortes, auf den sich das Betretungsverbot bezieht, hat sich an der Notwendigkeit der Platzverweisung zu orientieren. Die Gefahrenlage bestimmt den Umfang der verbotenen Örtlichkeit. Ein Betretungsverbot für den gesamten Englischen Garten war zur Erreichung des Zwecks der Maßnahme nicht erforderlich. Die polizeiliche Anordnung war aber in diesem Sinne auch nicht zu verstehen.

21.

Es war auf Grund der maßgeblichen Gefahrenprognose der Polizei anzunehmen, dass der Kl. am 9. 7. 1997 den ihm als Treffpunkt der Drogenszene bekannten Teil des Englischen Gartens (Bereich Veterinärklinik, Monopteros) aufsuchen wollte. Für diesen Bereich galt eindeutig und für den Kl. erkennbar das Betretungsverbot.

22.

In welche anderen Bereiche des Englischen Gartens sich der Kl. an dem Abend begeben wollte und durch die polizeiliche Maßnahme gehindert wurde, wurde weder den Polizeibeamten am 9. 7. 1997 noch im Klageverfahren mitgeteilt.

23.

Insofern stellt sich die Frage nach dem über diesen Bereich hinausgehenden Umfang des Betretungsverbots hier nicht.

24.

Die angefochtene polizeiliche Maßnahme kann auch nicht mit der Oberlegung als unverhältnismäßig oder ungeeignet und deshalb rechtswidrig eingestuft werden, dass mit Maßnahmen nach Art. 16 S. 1 BayPAG die Begehung von Straftaten nach dem BTMG nicht wirksam verhindert werden kann. Dabei wird der Regelungszweck des Gesetzes verkannt und nicht berücksichtigt, dass durch die Platzverweisung sehr wohl einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung – nämlich an dem konkreten Ort und zudem konkreten Zeitpunkt – vorgebeugt werden kann.

25.

Zwar wäre auch ein dauerhaftes Betretungsverbot nach Art. 11 II Nr. 1 BayPAG i.V. mit den Strafvorschriften des BTMG oder der Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt München vom 19. 4. 1994 zur Unterbindung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit in Betracht gekommen. Dies berührt aber die Rechtmäßigkeit der Platzverweisung nicht: Die Polizei hatte die Möglichkeit, nach Art. 41 BayPAG unter beiden möglichen Maßnahmen zu wählen. Beide Maßnahmen weisen ähnliche Voraussetzungen und Folgen auf – in einer Maßnahme nach Art. 11 II Nr. 1 BayPAG durch Anordnung eines Betretungsverbots ist eine Platzverweisung typischerweise mit enthalten –; die Platzverweisung ist aber wegen der zeitlichen Beschränkung ein weniger belastender Eingriff für den Betroffenen. Die beiden Eingriffsnormen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich. Während Art. 16 BayPAG der Abwehr einer vorübergehenden Gefahr dient, richtet sich die Abwehr länger dauernder Gefahren nach Art. 11 BayPAG (vgl. dazu Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Anm. 6). Der Anwendungsbereich beider Vorschriften kann sich – wie hier – überschneiden. Es bleibt dem Ermessen der Polizei überlassen, welche von den beiden möglichen und geeigneten rechtmäßigen Maßnahmen sie ergreift, um eine Gefahr abzuwehren (Art. 4 I, Art. 5 11 I BayPAG). Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass sie sich für die den Kl. weniger belastende Maßnahme nach Art. 16 S. 1 BayPAG entschieden hat.

26.

Mit der auf Art. 16 S. 1 BayPAG gestützten Maßnahme kann der Kl. zwar nicht generell daran gehindert werden, Straftaten (im Englischen Garten) zu begehen. Eine solche – die Anwendung der Vorschrift einschränkende – Zielsetzung ist Art. 16 S. 1 BayPAG aber auch nicht zu entnehmen. Bei der Platzverweisung handelt es sich um eine vorübergehende Maßnahme, mit der nicht die Kriminalität generell bekämpft, sondern einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung örtlich und zeitlich begrenzt begegnet werden soll.

27.

Auch mit einer in ihrer unmittelbaren Wirkung auf den Einzelfall beschränkten Maßnahme kann im Übrigen Kriminalität allgemein wirksam bekämpft werden. In einem ähnlichen Zusammenhang hat der Senat dazu in der von dem Bekl. Zitierten Entscheidung vom 18. 2. 1999 (BayVBl 2000, 85) Folgendes ausgeführt:

28.

„Auf Grund polizeilicher Erkenntnisse steht fest, dass sich in den angesprochenen Bereichen ... eine so genannte Drogenszene gebildet und verfestigt hat. Wird hiergegen nicht eingeschritten, so führt dies zwangsläufig zu einer offenen Drogenszene mit ihren Folgen, die aus anderen bundesdeutschen Großstädten aus Medienberichten hinlänglich bekannt sind. Des Weiteren veranschaulichten Fernsehberichte aus dem In- und Ausland deutlich die Konsequenzen, wenn einer derartigen Verfestigung tatenlos zugesehen wird. Das Bild der Drogenumschlagplätze ist geprägt von kranken und abhängigen jungen Menschen, die zum Teil am Rande der Verwahrlosung leben und deren Lebensinhalt darin besteht, für entsprechenden Nachschub zu sorgen. Neben der unmittelbaren Betroffenheit der Drogensüchtigen, besteht durch das Anbieten von Drogen an Dritte weiterhin die Gefahr, dass bislang Unbeteiligte in diesen Sog geraten und sich der Kreis der Süchtigen ausbreitet. Zudem ist die Gefahr nicht zu unterschätzen, dass ganze Stadtviertel hierdurch in ihrer sozialen Struktur verändert werden, weil sie zum Teil wegen des Gefahrenpotenzials gemieden werden. Die Tatsache, dass möglicherweise durch das Aufenthaltsverbot die Schauplätze verlagert werden oder sich neue Drogenumschlagplätze bilden, lässt die getroffene Maßnahme nicht als ungeeignet erscheinen. Mit dem Aufenthaltsverbot wird primär der Zweck verfolgt, einer Verfestigung der Drogenszene an stark frequentierten Punkten entgegenzuwirken und zu erreichen, dass bestimmte Anlaufpunkte, die unter den Dealern und Konsumenten bekannt sind, unpopulär sind bzw. werden. Die angefochtene Maßnahme kann jedenfalls einen Beitrag dazu leisten, den Drogenhandel zu erschweren. Eine Maßnahme ist nicht schon allein deswegen ungeeignet, weil das Grundproblem hierdurch nicht generell beseitigt werden kann."

29.

Die im Rahmen der Ermessensentscheidung nach Art. 5 I BayPAG getroffene Maßnahme war geeignet und erforderlich, den mit ihr beabsichtigten Zweck zu erreichen. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Zu berücksichtigende Belange des Kl., die der Platzverweisung entgegengehalten werden könnten, sind weder vom Kl. am 9. 7. 1997 noch im gerichtlichen Verfahren vorgetragen worden. Insbesondere wurde nichts dafür vorgetragen, dass das Verbot, den Englischen Garten an diesem Tag zu betreten, den Kl. unangemessen in irgendeinem schürzenswerten Belang beeinträchtigt hätte.