Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss vom 17.2.1995
- 21 CS 95.616
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(weitere Fundstellen: BayVBl. 1995, 528 f.)

Aus den Gründen:

1.

Die Beschwerde ist begründet. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs ist nicht nur, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, im Hauptantrag unbegründet, sondern auch im Hilfsantrag, so daß er insgesamt abzulehnen ist. Die Auflage im Bescheid der Antragsgegnerin, dass der geplante Aufzug bereits am Ende der R.-Straße umzukehren und – nach einer eventuellen Zwischenkundgebung dort – wie angekündigt an den Ausgangspunkt zurückkehren müsse, ist rechtmäßig.

2.

1. Der Antrag ist nicht etwa deshalb von vornherein unbegründet, da der Antragsteller ausdrücklich nur gegen den ihn betreffenden und ihm zugestellten Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. 2. 1995 Widerspruch eingelegt und Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs gestellt hat, nicht dagegen auch gegen die ihm nicht bekanntgegebene Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 14. 2. 1995. Mit dieser Allgemeinverfügung wird über den vom Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. 2. 1995 erfaßten Bereich der H.- und B.-Straße hinaus ein allgemeines Versammlungsverbot unter freiem Himmel für einen bedeutend weiteren Bereich zwischen der G., L.- und Br.-Straße für denselben Zeitpunkt verfügt, innerhalb dessen sich der vom Bescheid vom 13. 2. 1995 erfaßte Bereich befindet, so daß für diesen durch beide Bescheide ein Versammlungsverbot festgelegt wurde. Da somit der Widerspruch des Antragstellers und auch dessen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO aber nur dann Erfolg haben können, wenn sie sich gegen beide Bescheide richten, sind sie dahingehend auszulegen, daß sie sich trotz des alleinigen Bezugs auf den Bescheid vom 13. 2. 1995 auch auf Allgemeinverfügung vom 14. 2. 1995, soweit diese einem Erfolg der Rechtsbehelfe entgegensteht, beziehen. Es kann zwar nicht beanstandet werden, wenn die Antragsgegnerin mit der wesentlich weiter gefassten Allgemeinverfügung versucht, eventuelle nicht vorher angemeldete Ersatzveranstaltungen in dem als schutzwürdig eingeschätzten Bereich der Umgebung des Wohnhauses des bayerischen Innenministers zu verbieten und dadurch zu verhindern. Nimmt sie von diesem Verbot den Veranstalter der angemeldeten Versammlung aber nicht aus und gibt sie es diesem auch nicht gesondert bekannt, so daß dieser die Möglichkeit hat, rechtzeitig vor Versammlungsbeginn auch gegen dieses ihn behindernde zusätzliche Verbot Rechtsbehelfe einzulegen, so ist es zur Durchsetzung des durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten Rechtsschutzes geboten, in Unkenntnis dieses zusätzlichen Verbots nur gegen beeinträchtigende Verfügungen im dem Veranstalter zugestellten Bescheid gerichtete Rechtsbehelfe ohne weiteres auch als gegen dieses zusätzliche Verbot gerichtet auszulegen. Denn andernfalls hätte es die Behörde in der Hand, durch solche unerwartete zusätzliche Verbote einen wirksamen Rechtsschutz bis zum Versammlungsbeginn faktisch unmöglich zu machen. Dies widerspräche der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, die grundsätzlich auf einen effektiven Rechtsschutz vor Wirksamwerden der Entscheidungen gerichtet ist (vgl. BVerwGE 16, 289/293 = BayVBl. 1964, 120, BVerfGE 38, 52/58 = BayVBl. 1974, 669). Da die Antragsgegnerin hier weder die vom Antragsteller angemeldete Versammlung aus dem Verbotsbereich der Allgemeinverfügung vom 14. 2 1995 ausgenommen hat noch diese dem Antragsteller zugestellt hat, kommt zu seinen Gunsten diese Auslegung seiner Rechtsbehelfe zum Zuge.

3.

2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen die Bescheide vom 13. und 14. 2. 1995, soweit letzterer die Veranstaltung des Antragstellers betrifft, ist jedoch nicht begründet. Die Bescheide begegnen bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren des Versammlungsrechts erforderlichen intensiven Prüfung (vgl. BVerfGE 69, 315/364 = BayVBl. 1985, 589 ff., 623 ff.) keinen ernsthaften Rechtmäßigkeitszweifeln.

4.

2.1 Die von der Antragsgegnerin gegebene Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO entspricht noch den Anforderungen des Gesetzes. Die Antragsgegnerin beruft sich zu Recht auf die unmittelbar bevorstehende Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des bayerischen Innenministers durch den angemeldeten Verlauf des Aufzugs wie auch vorhersehbare Gewalttätigkeiten eines Teils des Anhanges des Veranstalters mit dessen Duldung, die ohne den Sofortvollzug der Beschränkung der Wegstrecke bis zum Ende der R.-Straße unmittelbar verwirklicht wird, ohne daß dagegen wirksamer polizeilicher Schutz für die Betroffenen möglich wäre. Diese offensichtliche Gefahr rechtfertigt auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z. B. BVerfGE 35, 382/402 = BayVBl. 1974, 190; 38. 52/58 = BayVBl. 1974, 669; BVerfG, DVBl. 1985, 669/670; DVBl. 1991, 482/483; BVerfGE 69, 315/363 f. = BayVBl. 1985, 589 ff., 623 ff.) den angeordneten Sofortvollzug, zumal selbst der Antragsteller diese Gefahr nicht in Abrede stellt, sondern nur als hinzunehmend oder ihm angeblich nicht zuzurechnend darzustellen versucht.

5.

2.2 Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung könnte nur dann Erfolg haben, wenn bei einer Abwägung das private Interesse des Antragstellers, vom Sofortvollzug verschont zu bleiben, dieses dargelegte öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Dabei fallen entsprechend § 80Abs. 4 Satz 3 VwGO die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs Wesentlich ins Gewicht. Bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts oder, wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, kann der angeordnete Sofortvollzug keinen Bestand haben (vgl. Kopp, VwGO, 10. Aufl., § 80 RdNrn. 81 ff. m.w.N.). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide sind jedoch nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, daß jedes nähere Heranrücken des Aufzuges an das Wohnhaus des bayerischen Innenministers in der B.-Straße über das Ende der R.-Straße hinaus zu einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) i.d.F. der Bek. vom 15. 11. 1978 (BGBl. I S. 1790), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. 6. 1989 (BGBl. I S. 1059), führt, die durch die angegriffene Auflage und das in der Allgemeinverfügung insoweit ausgesprochene Verbot verhindert werden muß.

6.

2.2.1 Wie der Antragsteller selbst angegeben hat, wollte er den von ihm angemeldeten Aufzug bis auf 20 m an das Wohnhaus des bayerischen Innenministers in der B.-Straße, hilfsweise zumindest bis an die ca. 50 m entfernte Kreuzung H.-/B.-Straße heranführen und dort eine in ihrer Zeitdauer nicht genau festgelegte Zwischenkundgebung veranstalten, bei der gemäß den Formulierungen des Einladungsflugblatts sehr scharfe Kritik an der Politik des bayerischen Innenministers, insbesondere im Hinblick auf die Behandlung und Abschiebung von Ausländern, die Repression gegen bestimmte "asoziale" Personengruppen und die Gewährung und Ausnützung erweiterter Vollmachten für die Polizei geübt werden sollte, da die hinter dem Antragsteller stehenden Gruppen dies für eine reaktionäre Politik und für das Anzeichen eines menschenfeindlichen Systems halten. Dazu sollten Lautsprecher, Transparente, Plakate und Flugschriften zur Aufklärung der Bevölkerung zum Einsatz, gebracht werden. Der Demonstrationsort sei nach den Angaben bei der Anhörung durch, die Antragsgegnerin deshalb gewählt worden, da die mitwirkenden Gruppen deutlich machen wollten daß der Innenminister nicht im, Fernsehen. und nicht in der Staatskanzlei auffindbar und mit ihrer Kritik ansprechbar sei. Die Absicht des Veranstalters und der Demonstrationsteilnehmer war daher darauf gerichtet, den bayerischen Innenminister gerade dort mit ihrer Kritik lautstark zu konfrontieren, wo sie ihn am einfachsten und wirksamsten glauben zwingen zu können, ihre Kritik zur Kenntnis nehmen zu müssen. Diese Zielsetzung des Aufzugs und der Demonstration überschreitet jedoch den Schutzbereich der Art. 8 Abs. 1, Art.5 Abs. 1 GG und stellt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG dar.

7.

Es ist zwar richtig, dass gerade Politiker insbesondere in ihrer Eigenschaft als maßgebliche Repräsentanten des Staates, wie es die Position des Innenministers eines Bundeslandes darstellt, sich im Rahmen des nach Art. 5 Abs. 2 GG Erlaubten der öffentlichen Kritik stellen müssen, auch und besonders wenn sie von andersdenkenden Minderheiten kommt. Dieses Recht kann dabei auch in Form einer Versammlung ausgeübt werden, die seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewußten Bürgers gilt und deshalb unter besonderem verfassungsrechtlichen Schutz steht, da die sie tragende Meinungsfreiheit für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung konstituierend ist (vgl. BVerfGE 69, 315/343 ff. = BayVBl. 1985, 589 ff., 623 ff.). Wegen der von öffentlichen Versammlungen und Aufzügen unter freiem Himmel ausgehenden Gefahr ist dieses Grundrecht dabei ebenso wie die Meinungsfreiheit allerdings nicht uneingeschränkt, sondern nur im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 GG gewährleistet. Auch die Kritikfreiheit an im öffentlichen Leben tätigen Politikern im Rahmen von öffentlichen Aufzügen und Versammlungen findet daher ihre Grenze dort, wo dadurch eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auftritt (vgl. § 15 Abs. 1 VersG; BVerfGE 69, 315/350 ff. = BayVBl. 1985, 589 ff., 623 ff.).

8.

Eine solche unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ist auch darin zu sehen, wenn durch den Zweck, den eine Versammlung und ein Aufzug verfolgen, in erheblicher Weise in das von Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Person, gegen die sich die Kritik richten soll, eingegriffen wird. Zu diesem durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegen erhebliche Eingriffe geschützten Bereich gehört insbesondere auch die Wohnung und das nähere Wohnumfeld nicht nur jedes einzelnen nicht im öffentlichen Leben stehenden Bürgers, sondern gerade auch der im öffentlichen Leben stehenden und daher in verstärktem Maß öffentlicher Kritik ausgesetzten Politiker. Grundsätzlich steht jedem einzelnen zur freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit ein eigenständiger "Innenraum" zu, in den er sich zurückziehen kann, zu dem einerseits der Staat keinen Zutritt hat und in dem er in Ruhe gelassen werden muß, für den andererseits der Staat ihm aber auch Schutz davor zu gewährleisten hat, daß nicht andere Personen, die an der Person etwas zu kritisieren finden, darin eindringen können (vgl. z. B. BVerfGE 6, 32/41; 27, 1/6; 32, 373/ 378 f.). Denn in diesem Bereich der Privatsphäre soll jeder Ruhe und Erholung von der mehr oder minder intensiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben finden können, um wieder Kraft für die weitere Teilnahme daran schöpfen zu können. Dieser unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung schützt insbesondere davor, sich durch Kritiker des bisherigen, in die Öffentlichkeit gedrungenen Verhaltens auch in diesem "Innenbereich" der Wohnung und deren unmittelbaren Umgebung anprangern lassen zu müssen (vgl. die vom BVerfG als verfassungsmäßig bestätigten Ausführungen der Instanzgerichte in NJW 1987, 3245; ebenso HessVGH, NJW 1994, 1750). Dieses Abwehrrecht von Meinungsäußerungen in Gestalt von Demonstrationen im Wohnbereich steht den im öffentlichen Leben und damit verstärkt auch in der öffentlichen Kritik stehenden Politikern in gleicher Weise zu (vgl. OVG Koblenz, NJW 1986, 2659/2660; a.A. aber wenig überzeugend Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, 4. Aufl., Art. 8 RdNr. 33; Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder/Breitbach/Rühl/Steinmeier, Versammlungsrecht, § 15 RdNr. 255). Denn auch dieser Personenkreis steht wegen seiner politischen Betätigung allein nicht 24 Stunden im Licht und der Beobachtung der Öffentlichkeit, sondern hat auch, wenn auch in eingeschränkter Form, einen Anspruch auf Privatleben, in dessen unmittelbaren Bereich ebensowenig durch Demonstrationen und Aufzüge eingegriffen werden darf. Allein dadurch, daß jemand als Politiker in das besondere Licht der Öffentlichkeit getreten ist und eine staatliche Funktion übernommen hat, würde er sonst nämlich sein allgemeines Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG einbüßen, wofür das Grundgesetz aber keinerlei Anhalt bietet.

9.

Die Antragsgegnerin war daher zur Vermeidung einer erheblichen Verletzung dieses allgemeinen Persönlichkeitsrechts des bayerischen Innenministers verpflichtet, im Rahmen ihres Ermessens zur Vermeidung einer dadurch eintretenden unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beide Grundrechtspositionen nach Maßgabe der sogenannten praktischen Konkordanz und des Prinzips der Verhältnismäßigkeit miteinander in Einklang zu bringen (vgl. BVerfG, NJW 1987, 3245). Das Ergebnis dieser Ermessensausübung, den Schutzbereich für das allgemeine Persönlichkeitsrecht des bayerischen Innenministers bereits mit Beginn der Grünanlagen am Ende der R.-Straße beginnen zu lassen, kann nicht beanstandet werden. Der Bereich der unmittelbaren Umgebung der Wohnung, der in die Privatsphäre hier einzubeziehen ist, mußte vor der Antragsgegnerin nicht so eng gezogen werden, daß. gerade noch der ungestörte Zugang zur Wohnung möglich bleibt und dieser nicht zu einem "Spießrutenlaufen wird (so aber Breitbach a.a.O.). Vielmehr darf dieser Privatbereich soweit ausgedehnt werden, daß der Bereich entsprechend den örtlichen Gegebenheiten auch tatsächlich von der mit der Versammlung beabsichtigten Kritik und Anprangerung freigehalten bleibt, also Ausstrahlungen der beabsichtigten Kritik auf die Wohnung deren Bewohner und deren Nachbarn nicht mehr in erheblichem Ausmaß wahrgenommen werden können. Der vorn Antragsteller hilfsweise begehrte Zugang bis an die Kreuzung H.-/B.Straße mit einem Abstand von nur 50 m, den das Verwaltungsgericht für ausreichend angesehen hat, ist hiernach erheblich zu gering bemessen, da von dort nach dem vorliegenden Lageplan die beabsichtigte Kritik noch deutlich im Wohnbereich wahrgenommen werden kann. Ob andererseits generell, wozu der HessVGH zu neigen scheint (a.a.O.), ein Umkreis von 500 m um das Wohnhaus des Betroffenen anzusetzen ist, kann der Senat hier offenlassen. Der unterhalb dieser Entfernung von der Antragsgegnerin gewählte Endpunkt des Aufzuges am Ende der R.-Straße bei Beginn der Grünanlagen erfüllt auf jeden Fall nach den erkennbaren örtlichen Gegebenheiten diese zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des bayerischen Innenministers gebotenen Bedingungen. Andererseits belastet er den Antragsteller nicht unverhältnismäßig. Denn der von ihm geplante Aufzug und die Zwischenkundgebung können noch in einer die beabsichtigte Verbindung zur Person des bayerischen Innenministers für die Teilnehmer erkennbar und genügend deutlich machenden Weise abgehalten werden, so daß die Kritik an dessen Politik nicht vollständig ihren Sinn verliert und damit der Versammlungszweck verfehlt würde. Auch aus dieser Entfernung kann den Bürgern die Kritik der die Versammlung tragenden Gruppen ausreichend klargemacht werden. Einen Anspruch darauf andererseits, daß der angesprochene Minister selbst sich diese Kritik an seiner Politik anhören müsse, was nach den Angaben des Antragstellers den Kritikern an den Orten der öffentlichen Tätigkeit des Innenministers nicht gelungen sei, gibt das Versammlungsgrundrecht grundsätzlich nicht (vgl. auch BVerfGE 73, 206/250 BayVBl. 1987, 300 ff., 332/333).

10.

2.2.2 Zutreffend hat die Antragsgegnerin neben dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des direkt angesprochenen bayerischen Innenministers auch auf das Persönlichkeitsrecht seiner mit ihm zusammenlebenden Angehörigen abgestellt. Mag für die Nachbarschaft die Störung durch den Aufzug und eine Kundgebung in unmittelbarer Nähe des Hauses des Innenministers auch noch in den Bereich der Behinderungen fallen, die notwendig mit der Gewährleistung des Versammlungsrechts verbunden und daher als sozialadäquate Nebenfolgen hinzunehmen sind (vgl. BVerfGE 73, 206/250f. = BayVBl. 1987, 300 ff., 332/333 ff.), so gilt diese Beschränkung für die Angehörigen des bayerischen Innenministers nicht. Das ihnen aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zustehende allgemeine Persönlichkeitsrecht auf Freihaltung ihrer Wohnung und Wohnumgebung von Einwirkungen von Demonstrationen wird insoweit durch Art. 6 Abs. 1 GG verstärkt, so daß sie aus der politischen Tätigkeit ihres Angehörigen um so weniger verpflichtet sind, Eingriffe in diesen Bereich schutzlos hinnehmen zu müssen. Die Antragsgegnerin war daher berechtigt, gerade auch zum Schutz dieser Personen der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung die angegriffene Auflage zu machen. Der Schutz dieser Personen, von den Folgen der politischen Tätigkeit ihres Familienmitglieds in ihrem engeren Wohnfeld verschont zu bleiben, überwiegt generell das vom Antragsteller geltend gemachte Interesse an einer wirksamen Kritik gegenüber der Politik dieses Familienangehörigen.

11.

2.2.3 Da die vom Antragsteller angegriffene Auflage bereits mit den oben dargestellten, im Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. 2. 1995 ausgeführten Gründen rechtmäßig angeordnet wurde, kann hier offenbleiben, ob auch die von der Antragsgegnerin und dem Vertreter des öffentlichen Interesses im Gerichtsverfahren nachgeschobene Begründung, daß wegen der sehr wahrscheinlichen Teilnahme gewaltbereiter Personen aus dem Anhang der hinter dem Antragsteller stehenden Organisationen ein unfriedlicher Verlauf der Versammlung gedroht habe, den der Antragste1ler als Versammlungsleiter nicht hätte verhindern können und wollen und dem von der Polizei nur am mit der Auflage angeordneten Ende der Versammlung mit Beginn der Grünanlage am Ende der R.-Straße wirksam hätte begegnet werden können, die Auflage ebenfalls hätte tragen können. Immerhin sprechen nicht unerhebliche Indizien für die Richtigkeit der Prognose der Antragsgegnerin und der Landesanwaltschaft, daß es sich bei den in den Einladungsflugblättern enthaltenen Aufforderungen "auf, zu B.’s Haus, Zerren wir ihm die Maske des Biedermanns herunter", "die Verantwortlichen dieser Politik haben Namen und Adressen! Lassen wir ihnen keine Ruhe! Greifen wir sie an!" nicht um bloßen Verbalradikalismus handelt, wie der Antragssteller behauptet. Zutreffend weisen die Antragsgegnerin und die Landesanwaltschaft darauf hin, daß die vom Antragsteller vertretenen, hinter, der Versammlung stehenden Gruppen ihre Radikalität bereits früher einschlägig durch Begehung von Gewalttaten auch bei Demonstrationen unter Beweis gestellt haben, so daß gerade bei den hier im Mittelpunkt der Kritik stehenden Themen des staatlichen Vorgehens gegen gewalttätige Kurden, deren Abschiebung und der erweiterten Rechte für die Polizei gegenüber politischen Gewalttätern ernsthaft damit gerechnet werden mußte, daß der Unwille der das verbotene Handeln unterstützenden Gruppen gegenüber einer solchen Politik auch erneut durch Gewalttaten gerade gegenüber dem dafür verantwortlich gemachten Minister, dessen Angehörigen und dessen Eigentum zum Ausdruck gebracht werden sollte.

12.

Gegenüber dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch Gewalttätigkeiten von Teilnehmern des Aufzugs und der Versammlung kann der Antragsteller sich auch nicht darauf berufen, daß diese Flugblätter nicht von ihm selbst und den hinter stehenden Gruppen verbreitet worden seien, sondern von anderen Gruppen, mit denen sie nichts zu tun hätten und durch deren nicht ihrem Willen entsprechende – unterstellt – gewalttätige Teilnahme an der Versammlung ihm gegenüber die Auflage nicht gerechtfertigt werden könne. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 69, 315/361 = BayVBl. 1985, 589 ff., 623ff.) herausgestellt, daß beschränkende Maßnahmen gegen eine Versammlung dann nicht zulässig seien, wenn der Veranstalter und sein Anhang einen im ganzen friedlichen Verlauf der Versammlung anstreben, aber einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit dabei Ausschreitungen begehen, ohne daß dies vom Veranstalter und seinem Anhang zumindest gebilligt werde. Um diesen Fall handelt es sich vorliegend aber entgegen der Behauptung des Antragstellers nicht. Die Namensangaben der hinter ihnen stehenden Gruppen decken sich zwar bei den beiden Flugblättern nicht wörtlich. Der Antragsteller hat aber bei seiner Anhörung eingeräumt, daß das als Hauptveranstalter genannte "Antifaschistische Aktionsbündnis" aus wechselnden Gruppen bestehe, eine förmliche Mitgliedschaft von Gruppen nicht existiere und sich die Zusammensetzung immer wieder verändere. Insbesondere hat er sich aber nach dem Erscheinen des zweiten Flugblatts in keiner Weise von den dort genannten Gruppen und der dort genannten deutlichen Zielsetzung eines Angriffes gegen den bayerischen Innenminister auch nur versucht abzugrenzen und deutlich zu machen, daß diese Gruppen und diese Zielsetzung mit der von ihm und den hinter ihm. stehenden ‚Gruppen veranstalteten Versammlung nichts, zu tun haben und eine Teilnahme von Mitgliedern dieser Gruppen weder erwünscht sei noch von ihm geduldet werde. Die, bloße .Behauptung vor den Gerichten, mit diesen Gruppen nichts zu tun zu haben, ist daher nicht glaubhaft. Es spricht vielmehr die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, daß es sich auch bei diesen Gruppen um den Anhang des .Antragstellers und des "Antifaschistischen Aktionsbündnisses" handelt. Demgemäß muß sich der Antragsteller diese Aufforderung zur Gewa1ttätigkeit zurechnen lassen; ebenso war mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß er das angekündigte gewalttätige Verhalten dieser Personen aus seinem Anhang billigen werde. Eine derartige Versammlung wird aber als unfriedlich von der Gewährleistung des Art. 8 GG überhaupt nicht erfaßt (BVerfG, a.a.O., S. 360), so daß die Antragsgegnerin berechtigt war, mit dem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragenden Mittel einer Auflage solche Gewalttätigkeiten möglichst von vornherein zu verhindern, um die Versammlung nicht vollständig verbieten zu müssen.

13.

2.2.4 Schließlich kann sich der Antragsteller auch nicht auf den angeblichen Parallelfall einer bis vor die Privatwohnung einer Person gehenden Demonstration am 12. 2. 1995, gegen die die Antragsgegnerin nicht eingeschritten sei, berufen. Unabhängig von den Umständen, die die Antragsgegnerin veranlaßt haben, nicht auch hier durch eine Auflage für einen genügenden Abstand zu sorgen, kann sich der Antragsteller hierauf schon deshalb nicht berufen, da es sich entsprechend den obigen Ausführungen um ein erkennbar rechtswidriges Verwaltungshandeln handelte, das als Einzelfall auch noch nicht einer ständigen Übung bei der Antragsgegnerin entspricht. Grundsätzlich gibt aber der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG keinen Anspruch darauf, daß früheres rechtswidriges Verwaltungshandeln in einem später zu entscheidenden Fall wiederholt und auch hier ein mit dem Gesetz nicht vereinbares Verhalten des Veranstalters einer anderen Versammlung geduldet wird (vgl. BVerfGE 25, 216/229).