Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss vom 14.7.2005
- 20 CS 05.1732
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(weitere Fundstellen: BayVBl. 2006, 220 f.)

Tatbestand

1.

Dem Antragsteller wurde mit Bescheid des Landratsamts R. vom 23. 7. 1997 die Baugenehmigung zur Errichtung von zwei Werbeschildern mit dem Aufdruck "Pralinen ab Fabrik an der Ausfahrt L." an der Bundesautobahn A 3 erteilt. An dem Genehmigungsverfahren war die Autobahndirektion Südbayern beteiligt gewesen und hatte unter Berufung auf das Verbot der verkehrsablenkenden Werbung außerhalb geschlossener Ortschaften in § 33 der Straßenverkehrsordnung (StVO) die Zustimmung nach § 9 des Bundesfernstraßengesetzes zunächst versagt und dann nach Besprechungen und nach einer nach ihren Vorgaben erfolgten Ortsveränderung und Umgestaltung der Schilder erteilt. Die Schilder wurden aufgestellt und seither an Ort und Stelle belassen.

2.

Nachdem es zu Bezugnahmen anderer Bauwerber auf die Schilder gekommen war, ordnete die Autobahndirektion Südbayern nach Anhörung des Antragstellers mit Bescheiden vom 22. 6. 2004 unter Zwangsgeldandrohung an, dass die Werbetafeln bis spätestens 12. 7. 2004 zu beseitigen seien, und untersagte deren erneute Aufstellung. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Schilder seien formell rechtswidrig, weil neben der Baugenehmigung noch eine Ausnahmegenehmigung nach der Straßenverkehrsordnung erforderlich gewesen wäre.

3.

Mit Bescheid der Regierung der Oberpfalz vom 14. 4. 2005 wurde der Widerspruch des Antragstellers gegen den Ausgangsbescheid im Wesentlichen zurückgewiesen, und es wurde unter Ziffer VII folgende weitere sofort vollziehbare und mit Zwangsgeld bewehrte Regelung getroffen: "Spätestens drei Tage nach Zustellung dieses Bescheids sind die Werbeschilder bis zur Unanfechtbarkeit der Baubeseitigungsanordnungen mit Planen abzudecken". Wegen dieser Verpflichtung wurde inzwischen in einem weiteren Bescheid die Ersatzvornahme angedroht.

4.

Über die am 6. 5. 2005 erhobene Klage des Antragstellers gegen die Bescheide vom 22. 6. 2004 i. d. F. des Widerspruchsbescheids hat das Verwaltungsgericht bisher nicht entschieden. Den anschließenden Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage legte das Verwaltungsgericht dahin aus, dass er sich nur gegen Ziffer VII des Widerspruchsbescheides richtet, und gab ihm mit diesem Inhalt mit Beschluss vom 14. 6. 2005 statt. Der Antragsgegner hat Beschwerde eingelegt.

Aus den Gründen:

5.

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

6.

Das Verwaltungsgericht hat mit Recht dem Eilantrag des Antragstellers stattgegeben (§ 80 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Seine Zweifel an der Sinnhaftigkeit und an der Eilbedürftigkeit der streitigen Maßnahme sind zu unterstreichen. Außerdem und vor allem kommt ein Sofortvollzug nicht in Betracht, weil die zugrunde liegenden Beseitigungsanordnungen rechtswidrig sind. Mit ihnen wird versucht, an der fortbestehenden Baugenehmigung "vorbei" die Beseitigung der Werbeanlagen durchzusetzen. Dies ist im Regelfall und so auch hier unzulässig, weil es gerade Sinn einer Baugenehmigung ist, die materielle Rechtmäßigkeit einer Anlage formell zu bestätigen und damit die Anlage vor behördlichen Beseitigungsverlangen zu schützen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz, die das Gesetz für bestimmte Fälle vorsieht, ist hier nicht einschlägig.

7.

Die Baugenehmigung stellt die Vereinbarkeit des geplanten Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften fest. Nach der früheren Auffassung bezog sich dies auf sämtliche öffentlich-rechtliche Vorschriften, sodass die Baugenehmigung in Bezug auf deren Prüfung gleichsam den Schlusspunkt bildete (sogenannte Schlusspunkttheorie); dies bedeutete insbesondere, dass vor Erteilung der Genehmigung alle sonst noch erforderlichen öffentlich-rechtlichen Erlaubnisse vorliegen mussten. Inzwischen ist diese Auffassung in Rechtsprechung (BayVGH – Großer Senat – vom 18. 3. 1993, VGH n. F. 46, 47 = BayVBl. 1993, 370) und Gesetzgebung aufgegeben worden. Seit der Neubekanntmachung der Bayerischen Bauordnung vom 18. 4. 1994 (GVBl. S. 251) setzt die Erteilung der Baugenehmigung nicht mehr, wie vorher, die Beachtung sämtlicher öffentlich-rechtlichen Vorschriften voraus, sondern nur mehr solcher, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 79 Abs. 1, jetzt Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Demgegenüber kann eine Anordnung zur Baubeseitigung weiterhin auf einen Widerspruch zu sämtlichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften gestützt werden (Art. 82 Satz 1 BayBO). Dass die Vorschrift in diesem Sinne zu verstehen ist, wird in Art. 72 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO klargestellt: Danach bleiben von einer Beschränkung der Prüfung öffentlich-rechtlicher Vorschriften im Genehmigungsverfahren die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse unberührt. Infolge dieser Rechtslage ist eine Beseitigungsanordnung denkbar, die sich gegen ein (weiterhin) genehmigtes Vorhaben richtet und auf die Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften Bezug nimmt, die im vorangegangenen Baugenehmigungsverfahren nicht geprüft wurden (Lechner, in: Simon, BayBO, RdNr. 317 zu Art. 72). Vorauszusetzen ist demnach für einen derartigen ausnahmsweisen Eingriff trotz fortbestehender Genehmigung, dass die Genehmigung tatsächlich keine bestandskräftige Regelung in Bezug auf die fraglichen Vorschriften getroffen hat. Aus der Aufgabe der Schlusspunkttheorie folgt nämlich, dass zum Regelungsgehalt einer Baugenehmigung die Festlegung gehört, in Bezug auf welche öffentlich-rechtlichen Vorschriften das Bauvorhaben für rechtmäßig erklärt und demnach wir behördlichen Beseitigungsverlangen geschützt werden soll. Der Regelungsgehalt ist insoweit nach den üblichen Auslegungsmethoden aus dem Erklärungsinhalt der Baugenehmigung abzuleiten, hilfsweise – im Sinne einer gesetzeskonformen Auslegung – aus den bei Erteilung der Baugenehmigung geltenden Vorschriften.

8.

Die Auslegung führt im vorliegenden Fall zu einem eindeutigen Ergebnis: Die Baugenehmigung des Jahres 1997 hatte nicht nur auch, sondern sogar vorwiegend, wenn nicht ausschließlich die Vereinbarkeit der Werbetafeln mit § 33 Abs. I Nr. 3 StVO zum Gegenstand; nach dieser Vorschrift ist außerhalb geschlossener Ortschaften jede Werbung und Propaganda durch Bild, Schrift, Licht oder Ton verboten, wenn dadurch Verkehrsteilnehmer in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder belästigt werden können. Unter ausdrücklichem Bezug auf diese Vorschrift wurden die ursprünglich geplanten Werbeschilder im behördlichen Schriftverkehr, in zwei Besprechungen mit dem Bauwerber und einer damit verbundenen Umplanung so in Gestaltung und Situierung verändert, dass sie nach Auffassung der Autobahndirektion Südbayern unter dem Blickwinkel der Straßenverkehrsordnung genehmigungsfähig waren. Für den Kläger als Empfänger der damaligen Baugenehmigung war ohne weiteres erkennbar, dass dies der hauptsächliche Regelungsinhalt der erteilten Genehmigung war. Zu der vom Beklagten nunmehr vor allem vermissten Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 2 Satz I StVO, für die die Regierung der Oberpfalz zuständig gewesen wäre, ist im Übrigen zu bemerken, dass die behördlichen Entscheidungen des Jahres 1997 eher dahin zu verstehen sind, dass nach Umgestaltung der Schilder das Verbot des § 33 Abs. 1 Nr. 3 StVO gar nicht mehr berührt war und es infolgedessen keiner Ausnahmegenehmigung bedurfte; die Annahme, man habe in der Baugenehmigung zugleich eine Ausnahmegenehmigung gesehen, die wegen erkannter Verkehrsgefährdung notwendig geworden sei, liegt demgegenüber fern. Bei alledem ist für die Auslegung, wie auch in anderen Fällen, auf den Empfängerhorizont abzustellen, der im vorliegenden Fall weniger durch die insoweit inhaltslose Baugenehmigung als durch das den Kläger einbindende Verwaltungsverfahren geprägt war. Danach musste der Kläger eindeutig davon ausgehen, dass seine umgestalteten Schilder nunmehr auch und gerade in Bezug auf § 33 StVO "abgesegnet" waren. Keinesfalls sind Bürger, die eine derartige Genehmigung erhalten, zur Nachprüfung verpflichtet, ob sie rechtlich in Ordnung geht oder ob noch andere Behörden zu beteiligen gewesen wären; dies ist vielmehr Sache der Behörden. Ob die damalige Baugenehmigung zu Recht oder zu Unrecht ergangen ist, ist deshalb im gegebenen Zusammenhang bedeutungslos; sie ist jedenfalls, da Nichtigkeit offenbar ausscheidet, bestandskräftig geworden und ist dies weiterhin. Wenn die Behörden sie heute als eine Fehlentscheidung ansehen, müssen sie sich zunächst von ihr nach Art. 48 BayVwVfG durch Rücknahme zu lösen versuchen. Erst dann ist ein unmittelbares Vorgehen gegen die ehedem genehmigte Anlage rechtlich möglich.