Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss vom 16.07.1993
- 20 B 92.1841
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 (weitere Fundstellen: BayVBl 1994, 441 f.)

 

 

Zum Sachverhalt:

1.

Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren der Kläger, die Beklagte zur Beseitigung eines über ihr - der Kläger - Grundstück verlaufendes Bahngleis zu verpflichten. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Freistaates Bayern hatte Erfolg.

 

Aus den Gründen:

 

II.

2.

[...]. Mit Recht hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

3.

Indem die Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Beseitigung einer planfestgestellten Bahnanlage (§ 36 Abs. 1 BBahnG) begehren, machen sie einen öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch geltend, für den der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gegeben ist (vgl. BGH vom 12.7.1967 DÖV 1968, 132 zur Herausgabe eines mit einem öffentlichen Weg überbauten Grundstücksteils). Richtige Klageart für das Abwehrbegehren ist die allgemeine Leistungsklage. Eines Vorverfahrens (§§ 68 ff. VwGO) bedurfte es deshalb nicht.

4.

Der von den Klägern geltendgemachte Abwehranspruch steht ihnen nicht zu. Es ist anerkannt, daß gegen Störungen des Eigentums durch die öffentliche Hand ebenso wie bei einem Eigentumseingriff Privater ein Abwehranspruch besteht (vgl. BVerwG vom 29.4.1988, BayVBl 1989, 20). Offen geblieben ist lediglich die dogmatische Verankerung dieses Anspruchs (§ 1004 BGB analog oder Art. 14 Abs. 1 GG). Die Kläger können die Beseitigung des über ihr Grundstück verlegten Stammgleises aber deshalb nicht verlangen, weil sie zu dessen Duldung verpflichtet sind.

5.

Die Verpflichtung der Kläger, diese Anlage zu dulden, ergibt sich allerdings nicht schon daraus, daß sie unanfechtbar planfestgestellt ist. Die Planfeststellung eines Vorhabens verleiht allein noch nicht das Recht, zum Zweck der Verwirklichung des Vorhabens auf fremdes Eigentum zuzugreifen. Insoweit ist der Träger des Vorhabens vielmehr auf die Gestattung durch den Eigentümer oder auf die Enteignung angewiesen (vgl. Meyer/Borgs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., RdNr. 7 zu § 75; Stelkens/Bonk/Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl., RdNr. 18 zu § 75). Eine Duldungsverpflichtung der Kläger folgt ferner nicht ohne weiteres daraus, daß ein Rechtsvorgänger der Beklagten in dem mit dieser geschlossenen, in dem notariellen Vertrag vom 31. März 1955 einbezogenen Vergleich vom 2. März 1954 die Anlage des Stammgleises auf dem ihm rückübereigneten Grundstück gestattet hatte. Mangels dinglicher Belastung des Grundstücks schloß diese Gestattung für sich gesehen lediglich einen Abwehranspruch des Eigentümers aus, der sie ausgesprochen hatte; die Kläger als Rechtsnachfolger kann sie hingegen nicht ohne weiteres binden (vgl. BGH vom 19.12.1975, NJW 1976, 416). Ob eine Bindung der Kläger an die fragliche Gestattung im Wege stillschweigender Schuldübernahme eingetreten ist (vgl. hierzu BGH a.a.O. und die Anmerkung von Schapp, NJW 1976, 1093), kann dahinstehen. Dem von den Klägern erhobenen Beseitigungsanspruch steht nämlich jedenfalls die Eigenschaft des in Rede stehenden Gleises als öffentliche Sache entgegen.

6.

Das Gleis, dessen Entfernung die Kläger verlangen, erhielt seine Eigenschaft als öffentliche Sache durch die im Planfeststellungsbeschluß vom 12. Januar 1956 liegende Widmung und die nachfolgende Indienststellung (vgl. Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., § 56 I).

7.

Der Einwand der Kläger, daß im Bundesbahngesetz im Gegensatz zu den Straßengesetzen des Bundes und der Länder eine Widmung nicht vorgesehen sei, geht fehl. Es trifft zwar zu, daß im Bundesbahngesetz die Widmung einer Sache für Zwecke des öffentlichen Bahnbetriebs nicht ausdrücklich geregelt ist. Insbesondere ist in § 36 Abs. 1 BBahnG lediglich von der Planfeststellung von Anlagen der Deutschen Bundesbahn die Rede. Die Entstehung öffentlicher Sachen kraft Widmung ist deshalb im Eisenbahnverkehrsrecht aber nicht ausgeschlossen. Es ist anerkannt, daß es die Widmung einer Sache zu einer öffentlichen Sache durch Verwaltungsakt auch in Rechtsbereichen gibt, in denen besondere Vorschriften hierüber fehlen. Die Widmung bedarf dann keiner Form. Sie kann auch durch stillschweigenden Verwaltungsakt erfolgen, insbesondere in einem Planfeststellungsbeschluß enthalten sein (vgl. Wolff/Bachof a.a.O. § 56 II e III). Dementsprechend geht das Bundesverwaltungsgericht für den Bereich des Eisenbahnverkehrsrechts in ständiger Rechtsprechung von der Existenz dem Bahnbetrieb - durch Planfeststellungsbeschluß nach § 36 Abs. 1 BBahnG oder in sonstiger Weise - gewidmeter Anlagen aus (vgl. BVerwG vom 29.8.1961 Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 47, S. 16/21; vom 16.12.1988 BVerwGE 81, 111/113/115; vom 20.9.1989 Buchholz 442.08 § 38 BBahnG Nr. 2; vom 5.2.1990 Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 17; vom 7.1.1992 Buchholz 442.08 § 36 BBahnG Nr. 20).

8.

Die privatrechtliche Verfügungsmacht des Widmenden als Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Widmung des Bahngleises war gegeben. Die Beklagte hatte sie dadurch erlangt, daß sich ein Rechtsvorgänger der Kläger in § 3 des - in den notariellen Vertrag vom 31. März 1955 einbezogenen - Vergleichs von 2. März 1954 ihr gegenüber verpflichtet hatte, den für den Bau des Anschlußstammgleises notwendigen Grund und Boden unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Einer Übertragung des Eigentums oder der Einräumung eines sonstigen dinglichen Rechts bedurfte es nicht. Die Zustimmung des damaligen Eigentümers genügte (vgl. Wolff/Bachof a.a.O. § 56 IV a).

9.

Ob die Behauptung der Kläger zutrifft, die planfestgestellte und die tatsächliche Lage des streitgegenständlichen Gleises wichen voneinander ab, kann offenbleiben. Selbst wenn der Abstand dieses Gleises zur südlichen Grundstücksgrenze nach dem Planfeststellungsbeschluß 5 m, tatsächlich aber 8 m betragen sollte, stünde die Existenz einer wirksamen Widmung nicht in Frage. In diesem Fall stellte sich die Anlage des Gleises zwar möglicherweise nicht mehr als Ausführung des Planfeststellungsbeschlusses dar mit der Folge, daß die Widmung des Gleises nicht schon im Planfeststellungsbeschluß erblickt werden könnte. Sie wäre dann aber in dem späteren tatsächlichen Vorgang der Indienststellung zu sehen. An der privatrechtlichen Verfügungsmacht der Beklagten hätte es auch für eine etwa gegenüber dem Planfeststellungsbeschluß in der geltend gemachten Weise geänderte Lage des Gleises nicht gefehlt. Das in dem Vergleich vom 2. März 1954 vom damaligen Eigentümer des Grundstücks erklärte Einverständnis mit der Schaffung einer Bahnanlage war nicht auf eine bereits genau festgelegte Trasse beschränkt. Die Lage des Gleises war vielmehr, wie sich aus § 2 des Vergleichs ergibt, durch einen beiliegenden Plan nur "ungefähr" bestimmt worden. Eine genaue Festlegung der Trasse sollte nach dieser Vergleichsbestimmung erst später unter Berücksichtigung der Wünsche des damaligen Eigentümers im Rahmen der eisenbahntechnischen Möglichkeiten erfolgen. Es ist weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich, daß die schließlich gewählte Trasse auf den Widerspruch des damaligen Eigentümers gestoßen ist. Davon abgesehen hätte selbst der Mangel der Zustimmung des damaligen Eigentümers nicht zur Unwirksamkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit der Widmung des Gleises geführt (vgl. BGH vom 12.7.1967 DÖV 1968, 132; Wolff/Bachof a.a.O. § 56 IV a II m.w.N.). Dafür, daß die Widmung des Gleises durch einen Voreigentümer der Kläger jemals mit dem Ziel der Aufhebung erfolgreich angegriffen worden ist, besteht kein Anhalt.

10.

Schließlich braucht in diesem Zusammenhang auch der Behauptung der Kläger nicht weiter nachgegangen zu werden, die Beklagte habe mit der Planfeststellung des in Rede stehenden Gleises nicht die angegebenen Zwecke - Schaffung einer Verbindung zu bahneigenen Kiesflächen bzw. zum Oberbaugerätelager M. - Ost - verfolgt, sondern neue Transportvolumina von Industrieansiedlungen gewinnen wollen. Erwiese sich diese Behauptung als zutreffend, stünde allenfalls ein zur Anfechtung berechtigender Fehler der Planfeststellung in Frage. Mangels Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses bestünde jedoch kein Anlaß, an der wirksamen Begründung der Eigenschaft des Gleises als öffentlicher Sache zu zweifeln.

11.

Auf die Eigenschaft des Gleises als öffentliche Sache blieb ein der Widmung und Indienststellung nachfolgender Wechsel des Eigentümers des Grundstücks ohne Einfluß. Die durch die öffentlich-rechtliche Zweckbestimmung einer Sache der privatrechtlichen Herrschaftsmacht des Eigentümers gesetzten Grenzen wirken - als Ausfluß der Dinglichkeit des Widmungsakts - auch gegen Rechtsnachfolger. Einen Schutz des guten Glaubens nach § 936 BGB hinsichtlich dieser Beschränkungen gibt es nicht (vgl. Wolff/Bachof a.a.O. § 57 II b; zum Straßen- und Wegerecht Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech, Bayerisches Straßen- und Wegegesetz, Stand Mai 1990, RdNr. 22 zu Art. 6). Die Zustimmung des Eigentümers zu der auf Entstehung einer öffentlichen Sache gerichteten Widmung ist ferner - auch für Rechtsnachfolger - unwiderruflich (vgl. Sieder/Zeitler/Kreuzer/Zech a.a.O. RdNr. 20 zu Art. 6). Die von den Klägern mit Schreiben an die Beklagte vom 22. April 1988 ausgesprochene Kündigung des dieser etwa von einem Voreigentümer eingeräumten Benutzungsrechts war deshalb nicht geeignet, die Eigenschaft des Gleises als öffentliche Sache aufzuheben. Eine Entwidmung durch die Beklagte, die diese Folge haben könnte, ist bisher nicht erfolgt.

12.

Die nach allem gegen die Kläger wirkende öffentlich-rechtliche Zweckbestimmung des über ihr Grundstück verlaufenden Gleises schließt die Geltendmachung von Eigentumsrechten, die dieser Zweckbestimmung zuwiderläuft, aus. Der geforderte Abbau des Gleises würde dessen öffentlich-rechtliche Zweckbestimmung offensichtlich beeinträchtigen. Das Beseitigungsverlangen der Kläger kann aus diesem Grund keinen Erfolg haben.