Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss vom 9. April 1987
- 1 S 851/87 -

 (weitere Fundstellen: NJW 1987, 2697 f.)

Tatbestand

1.

Die Antragstellerin beabsichtigte, am 11./12.4.1987 ihren Landesparteitag in S. durchzuführen. Im September 1986 bat sie zu diesem Zweck um Überlassung der Stadthalle der Antragsgegnerin. Mit Schreiben vom 20.2.1987 erklärte sich die Antragsgegnerin zum Abschluß eines entsprechenden Mietvertrages unter der Voraussetzung bereit, daß sich die Antragstellerin verpflichte,

"a) alle etwaigen Personen- und Sachschäden zu ersetzen, die aus Anlaß des NPD-Landesparteitages am 11./12.4.1987 in S. entstehen, auch wenn der konkrete Schädiger nicht namhaft gemacht werden kann, und

b) hierüber den Nachweis einer hinreichenden Versicherung zu führen."

2.

Am 24.3.1987 beantragte die Antragstellerin beim VG, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr die Stadthalle zur Durchführung des Landesparteitages zur Verfügung zu stellen. Sie vertrat die Ansicht, die Antragsgegnerin dürfe die Überlassung der Stadthalle nicht davon abhängig machen, daß die Antr agstellerin Sicherheit für eventuelle Schädigungen durch Dritte leiste. Durch Beschluß vom 30.3.1987 verpflichtete das VG die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung, die Antragstellerin zur Benutzung der Stadthalle für den Landesparteitag vom 11.4.1987, 16.00 Uhr bis zum 12.4.1987, 19.00 Uhr, unter den Voraussetzungen zuzulassen, daß die Antragstellerin für alle an der Stadthalle innen oder außen während dieser Zeit im Zusammenhang mit dem Parteitag auch durch Dritte verursachten Schäden die Übernahme der Haftung erklärt und diese Haftungsübernahme durch Versicherung, Kaution oder Bankbürgschaft in Höhe von 100 000,- DM absichert. Im übrigen wurde der Antrag abgelehnt. Die Beschwerde der Antragstellerin blieb ohne Erfolg.

Gründe:

3.

Zu Recht ist das VG davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) vorliegen. Insbesondere darf in diesem Verfahren die in der Hauptsache angestrebte Entscheidung ausnahmsweise vorweggenommen werden, weil ein wirkungsvoller Rechtsschutz auf andere Weise nicht erreicht werden kann. Auf das Klageverfahren kann die Antragstellerin nicht verwiesen werden, denn ein vollstreckbares Urteil ist bis zum vorgesehenen Veranstaltungstermin nicht erreichbar und danach für sie nicht mehr von Interesse, zumal der satzungsgemäß einmal jährlich durchzuführende Landesparteitag nicht ohne weiteres verschoben oder nachgeholt werden kann.

4.

Zutreffend ist auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO) sei nur mit der Einschränkung glaubhaft gemacht, daß sich die Antragstellerin nach Maßgabe des Entscheidungsausspruchs zur Haftungsübernahme bereiterklärt und entsprechende Sicherheit leistet. Die uneingeschränkte Zulassung zur Benutzung der Stadthalle kann die Antragstellerin dagegen nicht beanspruchen. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn die Antragsgegnerin die Zulassung an die Bedingung knüpft, daß die Antragstellerin das Risiko einer Beschädigung der zu überlassenden öffentlichen Einrichtung oder ihres Inventars übernimmt. Das ergibt sich im einzelnen aus folgenden Erwägungen:

5 Die Antragstellerin als Landesverband einer politischen Partei, die ihre Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung zum Zweck der ihr obliegenden Durchführung des Landesparteitags (§ 9 Abs. 1 S. 3 PartG, § 5 Abs. 1 S. 2 der Satzung des Landesverbandes) begehrt, hat einen Anspruch auf die Nutzung der Stadthalle der Antragsgegnerin glaubhaft gemacht. Der Anspruch ergibt sich nicht unmittelbar aus § 5 Abs. 1 S. 1 PartG, diese Vorschrift begründet nicht die Verpflichtung der Gemeinden zur Vergabe von Räumen, sondern regelt nur die Anwendung des Gleichheitssatzes, wenn sich eine solche Verpflichtung aus anderen Umständen oder Vorschriften ergibt (BVerwG, Urt. v. 18.7.1969, BVerwGE 32, 333). Die Pflicht der Antragsgegnerin zur Überlassung der Stadthalle ist jedoch aus § 10 Abs. 2 S. 2, Abs. 4 GemO herzuleiten. Danach sind die Einwohner und ihnen gleichgestellte Personenvereinigungen im Rahmen des geltenden Rechts berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde nach gleichen Grundsätzen zu benutzen. Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit, daß die Stadthalle der Antragsgegnerin im öffentlichen Interesse kraft Widmung für eine unmittelbare und gleiche Nutzung der Einwohner auch zum Zweck parteipolitischer Veranstaltungen zur Verfügung steht und folglich eine öffentliche Einrichtung im Sinne des § 10 Abs. 2 S. 2 GemO ist.

6.

Zu den Personenvereinigungen, die in entsprechender Weise wie die Einwohner die Benutzung öffentlicher Einrichtungen verlangen können (§ 10 Abs. 4 GemO), gehören die Parteigliederungen mit Sitz im Gemeindegebiet (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.1967, DÖV 1968, 179). Der Antrag auf Überlassung der Stadthalle wurde von dem örtlichen Kreisverband der Antragstellerin gestellt, dem auch die organisatorische Durchführung des Landesparteitages obliegt. Ob sich schon hieraus ein Rechtsanspruch des antragstellenden Landesverbandes auf Benutzung der Stadthalle ergibt, bedarf in diesem Verfahren keiner Entscheidung. Denn auch wenn der Landesverband, der seinen Sitz in St. hat, als auswärtige Personenvereinigung behandelt wird, dürfte sein Zulassungsanspruch aus der bisherigen Zulassungspraxis der Antragsgegnerin folgen, die im Wege der Ermessensbindung zu einem entsprechenden Recht geführt hat (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 GG).

7.

Anhaltspunkte dafür, daß der hiernach gegebene Zulassungsanspruch der Antragstellerin wegen einer unmittelbar bevorstehenden Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausnahmsweise ausgeschlossen wäre, sind für den Senat nicht ersichtlich. Eine solche Beschränkung könnte sich allenfalls aus § 9 Abs. 1 PolG ergeben, der ein Einschreiten gegen den für die befürchtete Störung selbst nicht Verantwortlichen nur unter strengen Voraussetzungen zuläßt (s. Urt. d. Sen. v. 28.8.1986, VBlBW 1987 = DÖV 1987, 254). Diese Voraussetzungen dürften im vorliegenden Falle nicht gegeben sein. Selbst wenn nämlich davon auszugehen wäre, daß die angekündigten Protestaktionen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu dem Eintritt eines Schadens führen würden, fehlt es an hinreichenden Erkenntnissen für die Annahme, daß befürchtete externe Störungen der Veranstaltung bei Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht auf andere Weise verhindert werden könnten. Unter diesen Umständen ist es zuvörderst Aufgabe der Polizei, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, daß es anläßlich der Veranstaltung nicht zu rechtswidrigen Übergriffen Dritter kommt (BVerwG, Urt. v. 18.7.1969, aaO; Urt. v. 24.10.1969, Buchholz 150 § 5 PartG Nr. 2; Urt. d. Sen. v. 28.8.1986, aaO; HessVGH, Beschl. v. 12.12.1985, NJW 1986, 2660). Im Einklang mit diesen Rechtsgrundsätzen hat die Antragsgegnerin den Zulassungsanspruch der Antragstellerin trotz der befürchteten Schäden aufgrund rechtswidrigen Verhaltens Dritter nicht in Frage gestellt.

8.

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist die Antragsgegnerin hingegen berechtigt, mit Rücksicht auf befürchtete Schäden durch Dritte an oder in ihrer Stadthalle von der Antragstellerin zu verlangen, daß sie für die Überlassung der Räume eine sachlich auf Schäden an der Stadthalle oder ihrem Inventar beschränkte Haftungsgarantie übernimmt und entsprechende Sicherheit leistet. Das ist in den Gründen des angefochtenen Beschlusses im einzelnen zutreffend dargelegt, so daß der Senat auf diese Bezug nehmen kann (Art. 2 § 7 Abs. 1 EntlG). Zu dem Beschwerdevorbringen wird ergänzend bemerkt:

9. Zu Recht geht die Antragsgegnerin davon aus, daß der Landesparteitag der Antragstellerin unter den gegebenen Umständen eine "gefahrgeneigte Veranstaltung" darstellt. Nach Einschätzung der Antragsgegnerin führen die Veranstaltungen der Antragstellerin vor allem wegen der von dieser vertretenen extremen politischen Zielsetzungen nicht nur zu Polarisierungen und Gegendemonstrationen politischer Gegner, sondern nicht selten auch zu Krawallen mit Beschädigungen von Personen oder Sachen durch fanatische Aktionen radikalisierter Dritter. Protestaktionen gegen den Landesparteitag der Antragstellerin wurden nach dem Inhalt der dem Senat vorliegenden Akten bereits angekündigt. Mit Ausschreitungen aus Anlaß von Gegendemonstrationen trotz der bereitzustellenden Einsatzkräfte der Polizei muß nach Auffassung der Antragsgegnerin, an deren Richtigkeit zu zweifeln der Senat keinen Anlaß hat, gerechnet werden. Wie berechtigt diese Prognose der Antragsgegnerin in der Sache ist, erhellt übrigens auch die Tatsache, daß die Stadthalle der Antragsgegnerin nach Pressemeldungen (Stuttgarter Zeitung v. 7. und 9.4.1987, jeweils S. 7) vor wenigen Tagen durch unbekannte Täter, die sich nachts gewaltsam Zugang verschafft hatten, erheblich beschädigt und mit gegen den bevorstehenden Landesparteitag der Antragstellerin gerichteten Parolen besprüht wurde. Nach Lage der Dinge vermag der Senat die Annahme der Antragsgegnerin, daß die Veranstaltung der Antragstellerin ein erhebliches Risiko von durch Dritte herbeigeführten Schäden an oder in der Stadthalle mit sich bringt, die auch durch den gebotenen effektiven Polizeieinsatz nicht von vornherein ausgeschlossen werden können, rechtlich nicht zu beanstanden.

10.

Gegen dieses Schadensrisiko sich auf Kosten des Veranstalters abzusichern, ist die Antragsgegnerin grundsätzlich befugt (ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 7.6.1985, NJW 1985, 2347). Die Antragsgegnerin ist zur wirtschaftlichen und pfleglichen Verwaltung ihres Vermögens verpflichtet (§ 91 Abs. 2 S. 1 GemO). Das Schadensrisiko einer gefahrgeneigten Veranstaltung fällt, auch wenn es sich dabei um einen Landesparteitag handelt, von Rechts wegen nicht in den Verantwortungsbereich des Trägers einer öffentlichen Einrichtung, der diese für die Veranstaltung zu überlassen hat. Es ist vielmehr aus Gründen der Sachnähe dem Risikobereich des Veranstalters zuzurechnen, der deshalb dem Träger gegenüber vertraglich auch für solche Schäden an oder in der öffentlichen Einrichtung haftbar gemacht werden darf, für die der Veranstalter nicht als Störer im Sinne des Polizeirechts verantwortlich ist. Die Eigenschaft eines Veranstalters als rechtmäßig handelnder Nichtstörer schließt eine vertraglich begründete Haftung wegen nach der Lebenserfahrung zu erwartender Folgeschäden gegenüber dem Einrichtungsträger nicht aus. Denn die polizeirechtliche Verantwortlichkeit und die schadensersatzrechtliche Risikoverteilung bestimmen sich nach rechtlichen Voraussetzungen und Maßstäbe, die sich keineswegs decken müssen (Ossenbühl, DVBl. 1973, 289/298).

11.

Die zur Überlassung ihrer Stadthalle verpflichtete Antragsgegnerin darf mithin im Wege von Vergabebedingungen oder privatrechtlichen Vereinbarungen das mit der Veranstaltung der Antragstellerin einhergehende Risiko eines Schadens an oder in der öffentlichen Einrichtung auf den Antragsteller grundsätzlich auch insoweit abwälzen, als Dritte für den Schaden verantwortlich sind. Demgemäß darf sie die Zulassung zur Benutzung davon abhängig machen, daß sich die Antragsgegnerin zur Erfüllung dieser Voraussetzungen bereiterklärt. Eine solche Ausgestaltung des Zulassungsanspruchs hält sich im Rahmen des geltenden Rechts (vgl. § 10 Abs. 2 S. 2 Gem0), sofern sie nicht zur Folge hat, daß der Zulassungsanspruch nicht mehr zu verwirklichen ist, faktisch ausgehöhlt wird oder zu einer sachwidrigen Benachteiligung führt. Diese Grenzen einer Abwälzung des Schadensrisikos auf den Veranstalter sind im vorliegenden Fall nicht überschritten:

12. Die Bereitschaft der Antragsgegnerin, der Antragstellerin die Stadthalle für den Landesparteitag zu überlassen, sobald die Haftungsübernahme erklärt und Sicherheit geleistet ist, ist ebensowenig zweifelhaft wie die Fähigkeit der Antragstellerin, die Übernahme der Haftung für die während des Parteitages und im Zusammenhang mit diesem an der Stadthalle verursachten Schäden zu erklären und durch Versicherung, Kaution oder Bankbürgschaft in Höhe von 100 000,- DM abzusichern. Weder durch die Haftungsgarantie noch durch die geforderte Sicherheit wird die Antragstellerin unverhältnismäßig belastet. Soweit sie der Antragsgegnerin gegenüber für eventuelle Schäden Dritter haftet, ist sie nicht gehindert, die Verantwortlichen im Wege des Rückgriffs in Anspruch zu nehmen. Daß der Nachweis schuldhaften Handelns insoweit der Antragstellerin als Urheberin der gefahrgeneigten Veranstaltung überbürdet wird, liegt sachlich näher als eine Abwälzung dieses Risikos auf die Antragsgegnerin als zur Überlassung der Stadthalle verpflichtete Eigentümerin. Die in diesem Rahmen begründete finanzielle Belastung der Antragstellerin hält der Senat für zumutbar. Die Antragstellerin kann ihr Risiko nach ihrer Wahl durch eine Sicherungsform abdecken, die aller Voraussicht nach nicht mit unangemessenem Aufwand verbunden ist. Ihre gegenteilige Behauptung, wonach sie über keinerlei Vermögen verfüge, aus dem sie eine Sicherheit dieser Art aufbringen könne, ist nicht glaubhaft gemacht. Zu der Annahme, daß die Antragstellerin gegenüber anderen Parteien sachwidrig benachteiligt würde, sieht auch der Senat keinen Anlaß. Denn die von der Antragsgegnerin gestellten Vergabebedingungen knüpfen an den sachgerechten Umstand einer schadengeneigten Veranstaltung an, von welcher die Antragsgegnerin, wie gezeigt, im vorliegenden Fall ausgehen durfte.

13.

Dagegen hat das VG die Forderung der Antragsgegnerin nach einer weitergehenden Haftungsübernahme zu Recht abgelehnt. Von einer Haftungsgarantie der Antragstellerin, die sich zusätzlich auf Schädigungen Dritter im Stadtgebiet aus Anlaß ihrer Veranstaltung erstreckt, darf die Antragsgegnerin die Zulassung zur Benutzung ihrer Stadthalle nicht abhängig machen. Denn insoweit fehlt es an dem erforderlichen sachlichen Zusammenhang mit dem gesetzlichen Zulassungsanspruch der Antragstellerin. Dieser darf im Wege von Vergabebedingungen oder vertraglichen Vereinbarungen lediglich durch solche Anforderungen ausgestaltet werden, die sich auf Nutzung und Erhaltung der öffentlichen Einrichtung, zu deren Überlassung die Antragsgegnerin verpflichtet ist, sowie auf deren Inventar beziehen. Eine Verpflichtung der Antragstellerin zur Haftung für Drittschäden ohne Bezug zu der öffentlichen Einrichtung wäre eine sachwidrige Beschränkung des Zulassungsanspruchs. Die Überwälzung dieses Risikos auf den Benutzer überschreitet den durch § 10 Abs. 2 S. 2 GemO gezogenen Rahmen des geltenden Rechts. Der Schutz solcher öffentlicher und privater Interessen kann nicht Gegenstand der Zulassungsbedingungen oder Vertragspflichten des Benutzers einer öffentlichen Einrichtung sein. Er obliegt vielmehr als allgemeine staatliche Aufgabe hier wie sonst der öffentlichen Gewalt.