Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil vom 29.5.1984
- 1 S 474/84
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 (weitere Fundstellen: DVBl. 1984, 729 f.)

 

 

Tatbestand

1.

Die Kl. sind Mitglieder einer Fraktion des Gemeinderats der Stadt K., welche unter dem 10. 5. 1983 bei dem bekl. Oberbürgermeister beantragte, folgenden Beschlußantrag als Verhandlungsgegenstand in die Tagesordnung der nächsten öffentlichen Gemeinderatssitzung aufzunehmen:

1. Der Gemeinderat der Stadt K. ist entschlossen, im Rahmen des geltenden Rechts keine Maßnahmen zuzulassen oder zu unterstützen, die der Stationierung oder der Lagerung von Atomwaffen, chemischen oder biologischen Waffen im Gebiet der Stadt K. dienen.

2. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, im Hinblick auf die gemeindliche Planungshoheit der Stadt wie auch ihre Verantwortung für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit in ihrem Bereich in Verhandlungen mit den zuständigen Dienststellen und Behörden, insbesondere mit dem Bundesminister für Verteidigung, darauf hinzuwirken, daß Transport und Lagerung atomarer, chemischen und biologischer Waffen Im Gebiet der Stadt K. verhindert werden.

3. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, beim deutschen Städtetag auf eine Entschließung des Inhalts hinzuwirken, daß die Stationierung und Lagerung der genannten Waffen in Städten unterbleibt.

2.

Mit Schreiben vom 17. 5. 1983 lehnte der Bekl. die Aufnahme des Beschlußantrags in die Tagesordnung mit der Begründung ab, der angesprochene Verhandlungsgegenstand gehöre nicht zum Aufgabengebiet des Gemeinderats.

3.

Das VG hat den Bekl. verpflichtet, die Anträge Nrn. 1 und 2 auf die Tagesordnung der übernächsten Gemeinderatssitzung aufzunehmen und die Klage im übrigen abgewiesen. Die Berufung des Bekl. blieb erfolglos.

 

Aus den Gründen:

4.

Die im kommunalverfassungsrechtlichen Organstreit durchsetzbare Rechtspflicht des Bekl., die Anträge Nrn. 1 und 2 in die Tagesordnung spätestens der übernächsten Sitzung des Gemeinderats aufzunehmen, ergibt sich aus der Regelung in § 34 Abs. 1 Satz 4 bis Satz 6 GO (i. d. F. der Bek. vom 3.10.1983, Gbl., S. 577). Sie lautet:

"Auf Antrag eines Viertels der Gemeinderäte ist ein Verhandlungsgegenstand auf die Tagesordnung spätestens der übernächsten Sitzung des Gemeinderats zu setzen. Die Verhandlungsgegenstände müssen zum Aufgabengebiet des Gemeinderats gehören. Satz 3 und 4 gilt nicht, wenn der Gemeinderat den gleichen Verhandlungsgegenstand innerhalb der letzten 6 Monate bereits behandelt hat."

5.

Die gesetzlich geregelten Voraussetzungen des Anspruchs des Viertels der Gemeinderäte auf Aufnahme eines Verhandlungsgegenstands in die Tagesordnung sind erfüllt. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig, soweit es darum geht, daß ein ordnungsgemäßer Antrag vorliegt, das Quorum erreicht ist und die Sperrfrist des §34 Abs. 1 Satz 6 GO nicht eingreift. Entgegen der Auffassung des Bekl. scheitert der geltend gemachte Anspruch, soweit er im Berufungsverfahren verfolgt wird, aber auch nicht an § 34 Abs. 1 Satz 5 GO.

6.

1. Diese Bestimmung regelt eine gesetzliche Anspruchsvoraussetzung, nicht dagegen die allgemeine sachliche Zuständigkeit der Gemeinde und ihrer Organe, wie das VG und die Kl. unterstellen. Das ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang, in dem § 34 Abs. 1 Satz 5 GO steht. Er bezieht sich auf die vorangehenden Sätze des Abs. 1 und begrenzt damit nicht nur die dem Bürgermeister in Satz 1 zugewiesene ausschließliche Kompetenz zur Aufstellung der Tagesordnung, sondern auch die dem Gemeinderat bzw. dem Quorum in Satz 4 eingeräumte Mitwirkungsmöglichkeit hinsichtlich der Tagesordnung. Eine erschöpfende Regelung der Grenzen des Befassungsrechts des Gemeinderats findet sich dagegen in § 24 GemO, der die Überschrift "Rechtsstellung und Aufgaben" trägt, und wäre in § 34 GO, in dem es um die Vorbereitung und Einberufung der Sitzung geht, systematisch fehl am Platz.

7.

Der von den Kl. bezeichnete Verhandlungsgegenstand gehört, soweit er im Berufungsverfahren zu würdigen ist (Ziff. 1 und 2 des Beschlußantrags), i. S. der Anspruchsvoraussetzung des § 34 Abs. 1 Satz 5 GO zum Aufgabengebiet des Gemeinderats. Gegenstand der angestrebten Beratung und Beschlußfassung ist die Haltung der Stadt zu (etwaigen) verteidigungsstrategischen Maßnahmen auf ihrem Gebiet. Das ergibt sich aus dem Inhalt des angestrebten Verhandlungsauftrags für den Bekl. in Nr. 2 und dem Handlungsprogramm in Nr. 1 des Antrags. Es zielt, wie der Bezug auf das geltende Recht deutlich macht, im wesentlichen auf Stellungnahmen der Stadt in etwaigen Anhörungsverfahren und auf ihre Mitwirkung bei der Beschaffung von Gelände zu den bezeichneten militärischen Zwecken ab. Gegenstand der angestrebten Befassung ist dagegen nach dem Wortlaut des Antrag Für und Wider einer Stationierung von ABC-Waffen in der Bundesrepublik oder die Nachrüstung schlechthin (vgl. hierzu auch den Beschluß des Senats vom 20.12.1983, VBlBW 1984, 149 f.).

8.

Die Zugehörigkeit des beschriebenen Verhandlungsgegenstandes zum Aufgabengebiet des Gemeindrats ergibt sich entgegen der Auffassung der Kl. Und des VG freilich nicht schon daraus, daß sachliche Zuständigkeiten des Bekl. insoweit ausscheiden (vgl. §24 Abs. 1 Satz 2 GO) und insbesondere weder ein Geschäft der laufenden Verwaltung noch eine der sonstigen Aufgaben dem Bekl. gesetzlich zur Erledigung in eigener Zuständigkeit übertragen sind (§ 44 Abs. 2 und 3 GO). Der Begriff des Aufgabengebiets in § 34 Abs. 1 Satz 5 GO umschreibt nicht den Kreis denkbarer öffentlicher Aufgaben schlechthin, der nach Abzug der Aufgaben des anderen Verwaltungsorgans der Gemeinde übrigbleibt, sondern er setzt die Beschränkung auf die sachliche Zuständigkeit der Gemeinde insgesamt voraus. Er geht mit anderen Worten, inhaltlich nicht über die gesetzliche Beschreibung der gemeinderätlichen Aufgaben in § 24 GO hinaus. Die gegenteilige Auffassung (vgl. Hofmann. DVBl 1984, 116, 118, zu Anm. 18) verkennt, daß die sachliche Zuständigkeit des Organs notwendig durch diejenige der Körperschaft begrenzt wird. Daher geht die an sich richtige Feststellung, § 34 Abs. 1 Satz 5 GO spreche die Organzuständigkeit, nicht aber die Verbandszuständigkeit an, am Problem vorbei. Ein von der Verbandszuständigkeit losgelöstes Verständnis des Aufgabenbegriffs in § 34 Abs. 1 Satz 5 GO läßt sich nach Auffassung des Senats nicht begründen. Es würde vom Gebrauch dieses Begriffes abweichen, wie er im Bereich des Organisationsrechts allgemein üblich ist und auch § 24 GO zugrundeliegt, ohne daß systematische (vgl. hierzu oben) und teleologische Überlegungen zum Regelungsinhalt diese Abweichung tragen könnten.

9.

Zweck der Regelung in § 34 Abs. 1 Satz 5 GO ist es zu verhindern, daß der für die Aufstellung der Tagesordnung verantwortliche Bürgermeister, sei es auf eigene Initiative, sei es auf Antrag der Gemeinderäte, Verhandlungsgegenstände in die Tagesordnung aufnimmt, die der Zuständigkeit des Gemeinderats entzogen sind, weil es sich um Angelegenheiten entweder des Bürgermeisters oder fremder Aufgabenträger handelt. Derartige Angelegenheiten sollen nach der Intention des Gesetzes von vornherein der Befassung im Gemeinderat entzogen sein; ohne dass dort jeweils über die Befugnis zur sachlichen Behandlung diskutiert und entschieden wird. Damit lassen sich Kompetenzdebatten nicht gänzlich vermeiden, schon weil die Weigerung des Bürgermeisters, den Verhandlungsgegenstand in die Tagesordnung aufzunehmen, ihrerseits unter bestimmten Voraussetzungen zum Gegenstand der Debatte gemacht werden kann. Dennoch soll und kann die beschriebene gesetzliche Anspruchsvoraussetzung dazu beitragen, daß der Gemeinderat sich auf die sachliche Wahrnehmung seiner Aufgaben konzentrieren kann. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Bestimmung bestätigt dies ...

10.

Bei diesem Verständnis des Aufgabenbegriffs in § 34 Abs. 1 Satz 5 GO hat der Bürgermeister, da der Anspruch aus Satz 4 sich ausschließlich gegen ihn richtet, zu prüfen, ob der Verhandlungsgegenstand in die Zuständigkeit des Gemeinderats und damit der Gemeinde insgesamt fällt (so zu Recht Gern, VBlBW 1984, 64).

11.

Er hat hierbei allerdings keinerlei Beurteilungsspielraum, vielmehr handelt es sich um die Anwendung eines Rechtsbegriffs, die uneingeschränkt der aufsichtsbehördlichen und gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Die Annahme einer derartigen Prüfungs- bzw. Ablehnungskompetenz steht nicht im Widerspruch zur kommunalverfassungsrechtlichen Stellung beider Gemeindeorgane. Wenn der Bürgermeister nach 43 Abs. 2 Satz 1 GO verpflichtet ist, Gemeinderatsbeschlüssen zu widersprechen, die nach seiner Auffassung rechtswidrig sind (vgl. hierzu Art. 20 Abs. 3 GG), so. besagt dies nicht, daß er auch den besonderen Rechtsmangel fehlender Verbandszuständigkeit ausschließlich nach Ergehen des Beschlusses geltend machen darf. Für eine solche Verallgemeinerung geben § 43 Abs. 2 Satz 1 GO und auch sonstige Bestimmungen der GO nichts her, zumal § 34 Abs. 1 Satz 5 GO insoweit bei einer Auslegung nach anerkannten Regeln eine – freilich auf die Zuständigkeitsfragen beschränkte – präventive Prüfungskompetenz des Bürgermeisters vorsieht. Diese Regelung ist für die Beurteilung des Verhältnisses beider Organe zueinander ebenso von Bedeutung wie § 43 Abs. 2 Satz 1 GO. Rechtsstellung und Zusammenwirken beider Organe werden im übrigen durch eine Vielzahl von Bestimmungen vor allem im 2. Teil der GO komplex geregelt. Ihnen läßt sich kein Rechtsgedanke entnehmen, der eine andere Auslegung des § 34 Abs. 1 Satz 4 und 5 GO nahelegen würde. Vor allem ist die Charakterisierung des Gemeinderats als Vertretung der Bürger und Hauptorgan der Gemeinde in § 24 Abs. 1 Satz 1 GO zu allgemein, um die Annahme einer Ablehnungsbefugnis des Bürgermeisters nach § 34 Abs. 1 Satz 5 GO in Fällen fehlender Verbandszuständigkeit auszuschließen.

12.

Entsprechendes gilt für die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Volksvertretung in den Gemeinden (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 72 Abs. 1 LV). Sie beläßt dem Landesgesetzgeber bei der Gestaltung kommunalverfassungsrechtlicher Einzelfragen wie der hier streitigen einen weiten Spielraum, der mit der Regelung in § 34 Abs. 1 Satz 5 GO nicht überschritten ist.

13.

Eine verfassungsrechtlich bedenkliche Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten der Volksvertretung läßt sich hierin nicht sehen, zumal der Gemeinderat bzw. seine Mitglieder eine uneingeschränkte aufsichtsbehördliche oder gerichtliche Überprüfung der ablehnenden Entscheidung des Bürgermeisters herbeiführen können. Der Gefahr einer mißbräuchlichen Handhabung durch den Bürgermeister lässt sich hierdurch und im politischen Prozeß ausreichend begegnen. Sie ist im übrigen kaum größer als die vom Gesetzgeber ins Auge gefaßte Gefahr kompetenzüberschreitender Debatten im Gemeinderat. In beiden Bereichen ist dem für das Kommunalrecht zuständigen Senat kein Fall bekannt, der zu einem verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit geführt hätte. Ebenso geht der Einwand fehl, der Bürgermeister könne dank des Prüfungsrechts eine zulässige Befassung des Gemeinderats jedenfalls erheblich hinauszögern, denn auch in kommunalverfassungsrechtlichen Organstreit kann um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht werden. Unter diesen Umständen ist auch den mitgliedschaftlichen Interessen der qualifizierten Minderheit im Gemeinderat hinreichend Rechnung getragen (vgl. Gern, aaO, S.65). Hinweisen auf die demokratische Legitimation des Gemeinderats ist schließlich entgegenzuhalten, daß auch der Bürgermeister nach der GO von den Bürgern gewählt wird (S 45 Abs. 1 GO) und ebenso wie der Gemeinderat Organ und politischer Repräsentant der Gemeinde ist.

14.

Nach dem Gesagten läßt sich auch die Auffassung, die materielle Verwerfungskompetenz des Bürgermeisters beschränke sich auf Fälle offensichtlichen Fehlens der Verbandszuständigkeit, nicht mit dem bad.-württ. Gemeinderecht in Einklang bringen. Sie ist inkonsequent und inzwischen auch vom OVG Lüneburg, auf das sie zurückgeht (Beschluß vom 16.5.1983, DVBl. 1983, 814; ebenso VG Stuttgart, Urteil vom 1.12.1983, BWPr. 1984, 63), für den Bereich der GO Schl.-H. aufgegeben worden (Urteil vom 14.2.1984 – abgedr. unten S.734). Wenn jenes Gericht (aaO) und das OVG Münster (Urteil vom 16.12.1983, DVBl. 1984, 155 = DÖV 1984, 300) eine materielle Prüfungsbefugnis des Gemeinderatsvorsitzenden verneinen, so beruht dies darauf, daß die GO Schl.-H. und die GO NW eine dem § 34 Abs. 1 Satz 5 GO entsprechende Regelung nicht kennen und das Verhältnis von Gemeindevertretung und Vorsitzendem wesentlich anders geregelt haben. Damit geht auch die Berufung der Kl. auf jene Rechtsprechung fehl (zur Rechtslage in Bayern vgl. Süß, BayVBl. 1983, 513, 518; zur hess. GO vgl. Hofmann, aaO, 5. 118).

15.

2. Im Ergebnis ist für die Entscheidung der Frage, ob ein vom Quorum vorgeschlagener Verhandlungsgegenstand i. S. von § 34 Abs. 1 Satz 5 GO zum Aufgabengebiet des Gemeinderats gehört, auf die allgemeine Aufgabenbeschreibung in § 24 GO abzustellen. Danach legt der Gemeinderat unter anderem die Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde fest und entscheidet über alle Angelegenheiten der Gemeinde, soweit nicht der Bürgermeister kraft Gesetzes zuständig ist oder ihm der Gemeinderat bestimmte Angelegenheiten überträgt (§ 24 Abs. 1 Satz 2 GO). Für den vorliegenden Fall kommt es somit darauf an, ob der oben gekennzeichnete Verhandlungsgegenstand zu den Angelegenheiten der Stadt K. gehört. Dies bejaht der Senat.

16.

Für die Konkretisierung des Begriffs der Angelegenheiten der Gemeinde i. S. von § 24 Abs. 1 Satz 2 GO ist auf die Umschreibung gemeindlicher Aufgaben in § 2 GO zurückzugreifen. Dies sind die ohne Schwierigkeiten identifizierbaren, weil jeweils durch Gesetz auferlegten Pflichtaufgaben (§ 2 Abs. 2 und 3 GO) und der weite Kreis (sonstiger) öffentlicher Aufgaben, die die Gemeinde "in ihrem Gebiet allein und unter eigener Verantwortung verwaltet, soweit die Gesetze nichts anderes bestimmen" (§ 2 Abs. 1 GO). Ähnlich bezeichnet Art. 71 Abs. 2 LV die Gemeinden als Träger der öffentlichen Aufgaben in ihrem Gebiet, soweit nicht bestimmte Aufgaben im öffentlichen Interesse durch Gesetz anderen Stellen übertragen sind. Beide Formulierungen entsprechen letztlich der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts, welches Art. 28 Abs. 2 GG als das Recht bezeichnet, "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln". Die Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises hat das BVerfG in seinem Atombefragungsurteil vom 30.7.1958 (BVerfGE 8, 122, 134) als diejenigen Aufgaben umschrieben, "die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben und von dieser örtlichen Gemeinschaft eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können".

17.

Diese Formulierung des Örtlichkeitsmerkmals, auf die das BVerfG auch in jüngeren Entscheidungen zurückgegriffen hat (z. B. im Urteil vom 24.7.1979, BVerfGE 52, 95, 120 [= DVBl. 1980, 52]), erlaubt nach heute fast einhelliger Auffassung im staats- und kommunalrechtlichen Schrifttum keine eindeutige Abgrenzung der Handlungsbefugnisse von Kommunen und unmittelbarer Staatsverwaltung (aus dem allgemeinen Schrifttum vgl. z. B. Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 28 Rdnrn. 61 ff.; Roters, in: von Münch, GG, Art. 28, Rdnrn. 39ff.; Stern, in: BK, Art. 28 (Zweitbearbeitung), Rdnrn. 86 ff.; Blümel, VVDStRL 36 (1978), 171, 245 ff. m. N.; Grawert, aaO, S. 277, 286 f.; Burmeister, aaO, S. 364; Knemeyer, aaO, S. 365; im Zusammenhang mit dem Problem der "Atomwaffenfreien Zonen" vgl. Hofmann, aaO, S. 120 f. Meier/Wienbeck/Wollenteit, Der Städtetag 1983, 784, 788; zur Variabilität des Aufgabenbegriffs auch BVerwG, Urteil vom 4.8.1983, DVBl. 1983, 1152). Sie berücksichtigt nicht die vertikale Aufgabenverflechtung im gegliederten Gesamtstaat, wie sie unter anderem in der vielfältigen Mitwirkung der Gemeinden in überörtlichen Fach- und Gesamtplanungen, Projekten und Programmen sowie im Gesetzgebungsverfahren des Bundes und der Länder ihren Ausdruck findet (vgl. vor allem Art. 71 Abs. 4 LV, § 5 Abs. 2 ROG, §§ 14 Abs. 2 und 17 Abs. 2 LPG; Schlußbericht der Enquête-Kommission Verfassungsreform, BT-Drucks. 7/5924, S.221; Blümel, aaO, S. 252 ff., Grawert, aaO, S.282 ff.; Schmidt-Aßmann, AÖR 101 (1976), 520). Vor allem aber kann und soll die zitierte Formulierung keine Kriterien kommunaler Befassungskompetenz für die Fälle liefern, in denen es, wie hier, um Stellungnahmen der Gemeinde zu Maßnahmen eines überörtlichen Aufgabenträgers auf ihrem Gebiet geht (vgl. die ausführliche Exegese bei Meier/Wienbeck/Wollenteit, aaO, S.785 f.). Befaßt sich die Gemeinde mit den möglichen örtlichen Auswirkungen staatlichen Aufgabenvollzugs, so geschieht dies im Vorfeld eigener materieller Aufgabenerfüllung. Schon aus diesem Grund kann hier auch das Merkmal der "selbständigen Bewältigung" nicht gegen ein Befassungsrecht ins Feld geführt werden (Grawert, aaO, S.287; a. A. Graf Vitzthum, JA 1983, 557, 561 f.). Werden etwa auf dem Gebiet einer Gemeinde Vorhaben wie Sondermülldeponien, Kernkraftwerke oder Militärflugplätze geplant, so liegt auf der Hand, daß ihr ein Befassungsrecht nicht wegen fehlender Eigenbewältigung oder wegen der "Überörtlichkeit" der Aufgaben Sondermüllbeseitigung, Aufsicht über die Errichtung von Kernkraftwerken und Landesverteidigung abgesprochen werden kann. Entsprechendes gilt für die kommunale Mitwirkung in überörtlichen Raum- und Fachplanungen. Daher hat das BVerfG es in dem erwähnten Atombefragungsurteil vom 30.7.1958 auch als möglich bezeichnet, daß "die Gemeinde gegen eine sie speziell berührende staatliche Maßnahme" protestiert (Auswirkungen neuer Zolltarife auf Einfuhrhäfen) bzw. sich "gegen die konkrete Absicht, einen Flugplatz, eine militärische Anlage, z. B. eine Abschußbasis für Atomsprengkörper, zu errichten" (aaO, S. 134). Damit wird deutlich, daß sowohl nach traditionellem als auch nach funktionalem Selbstverwaltungsverständnis (so zu Recht Schmitt-Kammler, DÖV 1983, 869, 870) zu den eigenverantwortlich und selbständig zu bewältigenden Selbstverwaltungsaufgaben und den übertragenen Aufgaben Handlungsbefugnisse der Gemeinden in überörtlichen Bezügen hinzukommen, die als Angelegenheiten im Sinne von § 24 Abs. 1 GO zu bezeichnen sind. In diesem Punkt stimmen die Beteiligten auch insofern überein, als sie davon ausgehen, daß die Wahrnehmung gesetzlicher Anhörungsrechte bei verteidigungspolitischen Vorhaben, wie sie das SchBG, das LBG und das BBauG vorsehen, zu den Angelegenheiten der Gemeinde zählt, über die der Gemeinderat nach 24 Abs. 1 GO entscheidet.

18.

Aus diesem Verständnis des Begriffs der gemeindlichen Angelegenheiten bzw. Aufgaben folgt, daß die verfassungsrechtliche Regelung der Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeit für eine bestimmte Materie bei der Bestimmung des gemeindlichen Befassungsrechts keine entscheidende Rolle spielt. Ist im vorliegenden Zusammenhang dem Bund die Zuständigkeit für Fragen der militärischen Verteidigung eingeräumt (Art. 65 a, 73 Nr. 1, 87 a, 87 b GG), so besagt dies nicht, daß die Gemeinden sich mit verteidigungsstrategischen Maßnahmen auf ihrem Gebiet nicht befassen dürfen. Etwas anderes lässt sich der Rspr. des VGH nicht entnehmen. Der 10. Senat hat allerdings im Zusammenhang mit Klagen von Kommunen gegen atomrechtliche Genehmigungen wiederholt geäußert, die Übertragung einer bestimmten Aufgabe auf andere Verwaltungsträger schließe eine Zuständigkeit der Gemeinde insoweit aus, "gleichgültig, welche Bedeutung die übertragene Aufgabe für die örtliche Gemeinschaft habe (Urteil vom 19.1.1977, DVBl. 1977, 345, 346; Urteil vom 30.3.1982 – X 582/77 –,S.43). Der Zusammenhang in dem diese Formulierung steht, macht jedoch deutlich, daß es hier allein um die dem Land übertragen Wahrnehmungszuständigkeit geht (Aufsicht über Errichtung und Betrieb von Kernkraftwerken), nicht dagegen um die Befugnis der Gemeinde, sich mit den Maßnahmen des zuständigen Verwaltungsträgers wegen ihrer örtlichen Auswirkungen zu befassen. Auf den vorliegenden Fall übertragen heißt dies, daß die grundgesetzliche Kompetenzzuweisung auf dem Gebiet der Verteidigung der Gemeinde selbstverständlich keine einschlägigen Verwaltungszuständigkeiten beläßt (vgl. aber die Ausnahme in Art. 87 b Abs. 2 GG), über ein Befassungsrecht hinsichtlich ortsbezogener verteidigungsstrategischer Maßnahmen damit aber noch nichts gesagt ist.

19.

Eine solche kommunale Handlungsbefugnis als Recht zur organschaftlichen politischen Willensbildung und -äußerung besteht nach dem oben Gesagten fraglos hinsichtlich aller militärischen Vorhaben, für die Liegenschaften im Gemeindegebiet in irgendeiner Weise in Anspruch genommen werden, also in Fällen der Errichtung oder Erweiterung militärischer Anlagen, ferner etwa bei der Festlegung und Erweiterung von Schutzbereichen nach dem SchBG oder dem FluglärmG. Diese die Bodennutzung einschränkenden Maßnahmen berühren die in Art. 28 gewährleistete Planungshoheit der Gemeinde. Insoweit stehen ihr von Verfassungswegen Mitwirkungsbefugnisse in Gestalt von Informations- und Anhörungsrechten zu (BVerfG, Beschluß vom 7.10.1980, BVerfGE, 56, 298, 320; BVerwG, Urteil vom 7.7.1978, BVerwGE, 56, 110, 136 f.; ebenso z.B. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19.1.1977, aaO; Einzelheiten z. B. bei Burmeister/Bodenheim, Die Rechtsstellung der Gemeinden in der Landesverteidigung, München 1982, S. 91 f. Einschlägige Anhörungsrechte finden sich in §§ 1 Abs. 23, 33 LBG, S 37 Abs. 2 BBauG, § 1 Abs. 3 SchBG). Die Anerkennung derartiger gerichtlich durchsetzbarer Mitwirkungsrechte bei ortsrelevanten Planungen im Verteidigungsbereich setzt, was keiner weiteren Begründung bedarf, die gemeindliche Befassungskompetenz notwendig voraus.

20.

Aber auch die verteidigungsstrategischen Maßnahmen auf Gemeindegebiet, die die Planungshoheit der Gemeinde nicht einschränken, weil sie die Bodennutzung rechtlich unberührt lassen, können Gegenstan gemeinderätlicher Beratung und Beschlußfassung sein (zu einem Sonderfall vgl. Burmeister/Bodenheim, aaO, S 94 f.). Gemeint sind insbesondere die Lagerung biologischer und chemischer Kampfstoffe und die Stationierung bestimmter Waffensysteme mit Kernsprengköpfen in militärischen Einrichtungen sowie der damit verbundene Transport von Waffensystemen. Für eine Befassung ist ebensowenig wie bei den oben erwähnten Fachplanungen Voraussetzung, daß aus dem Selbstverwaltungsrecht fließende Rechtsposition der Gemeinde möglicherweise beeinträchtigt sind, wie dies für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erforderlich wäre (§ 42 Abs. 2 VwGO; hierzu BVerwG, Urteil vom 8.9. 1972, BVerwGE 40, 323, 330 f., und Urteil vom 29.6.1983, DVBl. 1984, 88 f.: Klagebefugnis bei Verkehrsbeschränkungen in einer Nachbargemeinde). Denn die Befassungskompetenz der Kommunen geht erheblich über den Bereich der Klagebefungis hinaus. Sie setzt im vorliegenden Zusammenhang jedenfalls immer dann ein, wenn überörtliche Entscheidungen die Aufgaben des durch Art. 28 Abs. 2 GG gewährleisteten eigenen Wirkungskreises (das betont Hofmann, aaO, S. 121 f. zu Recht) in tatsächlicher Hinsicht berühren können.

21.

Diese Anknüpfung der gemeindlichen Befassungskompetenz ist in anderem Zusammenhang nicht bestritten, wenn etwa die Landesverfassung in Art. 71 Abs. 4 den Gemeinden ein Anhörungsrecht bei Gesetzesvorhaben zu allgemeinen Fragen einräumt, welche sie "berühren" (vgl. hierzu GAbI. 1973, 1093), und wenn kommunale Mitwirkungsmöglichkeiten im Gesetzgebungsverfahren des Bundes in den Geschäftsordnungen des Bundestages und der Bundessministerien anerkannt werden (vgl. Einzelheiten bei Roters, in: Püttner (Hgb), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, 2. Aufl., Bd. 1, 5.288 ff.). Daher ist, soweit ersichtlich, bis heute auch ein Außerungsrecht der Gemeinden (und ihrer Verbände) zu bundesgesetzlichen Regelungen und Gesetzesvorhaben, die lediglich ihre spezifische Interessensphäre berühren, nicht aber ihre Rechtsstellung beeinträchtigen können, nicht in Frage gestellt worden (aktuelle Beispiele sind das LSchG, das BImSchG, das AsylVfG). Entsprechendes gilt im Bereich überörtlicher fachlicher Pläne, die lediglich den Charakter von Orientierungsrahmen haben (Beispiele im Bericht der Kimmission Land – Kommunen über die Möglichkeiten einer Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, Innenministerium Bad.-Württ., 1981, 5. 4ff.).

22.

Auswirkungen vergleichbarer Qualität können nach Auffassung des Senats auch der eben erwähnten zweiten Gruppe verteidigungsstrategischer Entscheidungen zukommen. Mit der Lagerung biologischer und chemischer Kampfstoffe und der Stationierung sowie dem damit verbundenen Transport von Waffensystemen mit nuklearen Sprengköpfen auf Gemeindegebiet ist nach Ansicht vieler die Gefahr einer "Magnetwirkung" für (vor allem computergestützte) gegnerische Atomwaffensysteme, vor allemaber auch die Gefahr schwerwiegender Zwischenfälle bei Betriebsstörungen und rechtswidrigen Eingriffen Dritter verbunden. Dies kann für die Standortgemeinde auf einer Reihe von Gebieten eine Vorgabe für ihr Aufgabenerfüllung bedeuten. So kommt in Betracht, daß ein besonderer Handlungsbedarf im Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes (vgl. § 1 Abs. 3, 2, 7 Abs. 3, 14, 15 ZivilschG, §§ 2, 4, 7, 10, 12 Abs. 4 KatschG), der Gemeindefeuerwehr (§§ 1, 2, 4, FeuerwehrG), der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (PolG, VersammlG), des Schutzes der kommunalen Wasserversorgung und sonstiger Einrichtungen und Veranstaltungen der Daseinsvorsorge entsteht. Auch für die Bauleit- und Straßenplanung können die realen oder von den Einwohnern vermuteten Gefahren ein Datum sein, dem die Gemeinde Rechnung zu tragen hat. Ob das Viertel der Gemeinderäte nach §34 Abs. 1 Satz 4 GO mit dem Antrag derartige Bezüge zur kommunalen Aufgabenerfüllung konkret aufzeigt, ist für die Aufnahme in die Tagesordnung unerheblich, da das Befassungsrecht bereits dann entsteht, wenn die örtlichen Dimensionen "überörtlicher Maßnahmen die kommunale Aufgabenerfüllung objektiv berühren können (zur Gefahrenbeurteilung a. A. Süß, aaO, S.517).

23.

Ist die Gemeinde nach alldem befugt, zu der verteidigungsstrategischen Entscheidung, die fraglichen Waffen auf ihrem Gebiet zu lagern bzw. zu stationieren, wegen des ihr damit auferlegten "Sonderopfers" einen politischen Willen zu bilden und zu äußern (von einer überschießenden Betroffenheit spricht Schmitt-Kammler, aaO, S. 873), so kann ihr eine entsprechende Befassungskompetenz auch nicht abgesprochen werden, wenn derartige Standortentscheidungen zu ihren Lasten zwar nicht ergangen bzw. bekanntgegeben sind, aber doch im Bereich des Möglichen liegen. Einer entsprechenden "konkreten Absicht" der zuständigen Stellen bedarf es hierzu nach Auffassung des Senats nicht. Diese Wendung im zit. Atombefragungsurteil des BVerfG (aaO, S. 134) bezeichnet nach dem Sinnzusammenhang, in dem sie steht, keine Mindestvoraussetzung für die gemeindliche Befassung, sondern beschreibt eine Situation, in der jedenfalls eine Befassung in Betracht kommt. Die Grenzen zulässiger Befassung mit ortsbezogenen Maßnahmen überörtlicher Aufgabeträger hatte das BVerfG in jenem Verfahren nicht zu bestimmen, da die dort von den hessischen Gemeinden aufgegriffene Frage der Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen keinen örtlichen Bezug hatte (so zu Recht Schmitt-Kammler, aaO, S. 875 f.; Meier/Wienbeck/Wollenteit, aaO, S.789; vgl. auch Huber, NVwZ 1982, 662, 663; a. A. offenbar Uechtritz, NVwZ 1983, 334, 335 und Penski, ZRP 1983, 161, 163).

24.

Gegen das Erfordernis einer aktuellen Stationierungsabsicht hinsichtlich des Gemeindegebiets sprechen zunächst die oben erwähnten, in der Praxis im wesentlichen unbestrittenen Kriterien der gemeindlichen Befassungskompetenz im überörtlichen legislativen und administrativen Bereich. Es kommt hinzu, daß ein solches Erfordernis den Gemeinden die Möglichkeit nehmen würde, im Vorfeld von Standortentscheidungen in gewissem Umfang Einfluß auf den Auswahlprozeß zu nehmen. Die Legitimität derartiger positiver oder negativer Einflußnahme ist, soweit ersichtlich, bisher in anderen Sachbereichen nicht in Frage gestellt worden. Bejahen etwa die zuständigen Stellen die Notwendigkeit der Errichtung einer Sondermülldeponie, eines Kühlwasserspeichers, eines Flughafens oder Kernkraftwerks, so wird man den Gemeinden, die wegen ihrer Lage jeweils als Standort in Betracht kommen, eine Kompetenz zu präventiver Befassung auch dann nicht absprechen können, wenn die Standortüberlegungen noch in einem frühen Stadium sind, also die Frage des "Wo", der räumlichen Konkretisierung, noch weitgehend offen ist. Es gehört grundsätzlich zu dem freien Gestaltungsraum, der den Gemeinden als allzuständigen, eigenverantwortlichen und demokratisch legitimierten örtlichen Aufgabenträgern eingeräumt ist, die Eintrittwahrscheinlichkeit eines ihre spezifischen Belange berührenden möglichen Ereignisse zu beurteilen und den Zeitpunkt für eine antizipierende Befassung zu wählen (ähnlich Däubler, ZRP 1983, 113, 114; Meier/Wienbeck/Wollenteit, aaO, S. 789; Schmitt-Kammler, aaO, S. 874 f., der sich auch mit den inhaltlichen Grenzen einer antizipierenden Befassung beschäftigt; vgl. auch Hofmann, aaO, S. 126). Ob der Gegenstand bereits entscheidungsreif ist oder gar Raum für unmittelbar vollziehbare Beschlüsse vorhanden ist, ist für die Kompetenz- frage nicht entscheidend. Eine "vorzeitige" Befassung mag überflüssig, zwecklos oder der wirkungsvollen Arbeit des Gemeinderats abträglich sein, sie läßt sich aber in kompetenzrechtlicher Hinsicht nicht beanstanden. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß es dem Gemeinderat unbenommen ist, eine sachliche Befassung mit nicht spruchreifen Minderheitsanträgen abzulehnen und zur Tagesordnung überzugehen (Urteil des Senats vom 30.10.1979, BWVPr. 1980, 211; siehe auch das Korrektiv in § 34 Abs. 1 Satz 6 GO).

25.

Kompetenzrechtliche Einwände greifen somit auch nicht gegen Debatten und Entschließungen durch, mit denen die Gemeinde ihre Haltung für den möglichen Fall festzulegen sucht, daß sie ihre aus der Planungshoheit fließenden und gesetzlich festgeschriebenen Anhörungsrechte wahrzunehmen hat. Ein solches Vorgehen wird die Gemeinde zwar, wenn sie tatsächlich angehört wird, nicht von der Aufgabe entbinden, das geplante Vorhaben auf seine Vereinbarkeit mit den spezifischen örtlichen Belangen zu prüfen und entgegenstehende Belange vorzubringen, doch ist der provisorische Charakter dieser "Beteiligung" kein hinreichender Grund, eine antizipierende Befassung mit möglichen. Maßnahmen auszuschließen (Schmitt-Kammler, aaO, S. 875; Huber, aaO, S.664; Däubler, aaO, S. 114; A. A. Penski, aaO, S. 163; Süß, aaO, S.517; Graf Vitzthum, aaO, S.561; Uechtritz, aaO, S.335).

26.

Nicht wesentlich anders liegen die Dinge hier. Da die Entscheidung für die Aufstellung neuer Mittelstreckenwaffen mit nuklearen Gefechtsköpfen in der Bundesrepublik mit der Zustimmung. der Bundesregierung zum Brüsseler Beschluß der Außen- und Verteidigungsminister der NATO vom 12.12.1979 gefallen ist (vgl. auch den Beschluß des BT in der 36. Sitzung am 22.11.1983, Sten-Ber. 5. 2590 ff.), ist davon auszugehen, daß eine Reihe von Gemeinden als Standorte ausgewählt worden sind bzw. ausgewählt werden. Die geplanten Stationierungsorte werden nach einer Entscheidung der Bundesregierung nicht bekanntgegeben (vgl. die Antwort des Innenministeriums Bad.-Württ. auf die Kleine Anfrage des Abg. Bran vom 15.12.1982, LT-Drucks. 8/3401). Aus der Sicht der Gemeinden erscheint eine Standortwahl zu ihren Lasten daher jedenfalls dann im Bereich des konkret Möglichen, wenn sich auf ihrem Gebiet, wie dies vorliegend der Fall ist, bereits militärische Einrichtungen befinden, in denen die Abschußvorrichtungen der neuen Waffen aufgestellt werden können. Jedenfalls unter diesen Umständen ist ihnen nach Auffassung des Senats eine Befassung mit einer möglichen, ihr Gebiet betreffenden Stationierungsentscheidung erlaubt (vgl. Schmitt-Kammler, aaO, S. 875; weitergehend wohl Huber, aaO, S. 664 und Däubler, aaO, S.114; enger dagegen Penski, aaC, S.163: wenn staatliche Vorüberlegungen zur Verteidigungsplanung Anhaltspunkte dafür geben, daß das betreffende Gemeindegebiet in sie einbezogen werden soll; a. A. Uechtritz, aaO, S. 335). Dies gilt sinngemäß auch, soweit die Lagerung biologischer und chemischer Kampfstoffe sowie die Stationierung und der damit verbundene Transport bereits vorhandener Atomwaffen in Rede stehen. Eine andere Sicht würde dieser Gruppe von Gemeinden, abgesehen von den Fällen der gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung, weitgehend die Möglichkeit nehmen, ihre spezifischen örtlichen Bedürfnisse und Interessen aus ihrer Sicht den zuständigen Stellen des Bundes rechtzeitig für die Abstimmung mit den militärischen Zielsetzungen zur Kenntnis zu bringen. Das grundgesetzliche Letztentscheidungsrecht des Bundes und der Primat der Verteidigung werden durch solche Äußerungen nicht berührt.

27.

Gegen die Annahme einer gemeindlichen Befassungskompetenz unter den beschriebenen Voraussetzungen spricht auch nicht eine etwaige Absicht der dem Quorum angehörenden Gemeinderatsmitglieder, eigenständig oder im Rahmen "konzertierter Aktionen" (vgl. die Angaben bei Rehn, DÖV 1984, 303) auf eine Änderung der zustimmenden Haltung der Bundesregierung zur Nachrüstung hinzuwirken. Die Absichten einzelner Mitglieder eines Kollegialorgans stehen zur Frage der sachlichen Kompetenz der Körperschaft in keinem rechtlichen Zusammenhang. Ob Zwecke, die hinter einem organschaftlich gebildeten Willen feststellbar sind, für die Kompetenzfrage von Bedeutung sind, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, da hier nicht die Rechtmäßigkeit sachlicher Gemeinderatsbeschlüsse in Frage steht (vgl. hierzu etwa Schmitt-Kammler, aaO, S. 871 f.).

28.

Bemerkt werden soll jedoch, daß das BVerfG in seinem Atombefragungsurteil (aaO, S. 135 ff.) die Zielsetzung der Volksbefragungsaktionen nicht mit der gemeindlichen Kompetenz in Zusammenhang gebracht hat, sondern sie als Voraussetzung gesehen hat, unter der die Hinnahme dieser ultra-vires-Aktionen durch das Land Hessen als Verstoß gegen die Pflicht zur Bundestreue zu werten war. Es spricht daher manches dafür, daß die Absicht einer Gemeinde, auch auf allgemeine Entscheidungen von Bundesorganen Einfluß zu nehmen, die oben beschriebene Anknüpfung der Befassungskompetenz grundsätzlich unberührt läßt (so Schmitt-Kammler, aaO, S. 872; Meier/Wienbeck/Wollenteit, aaO, S. 786; Hofmann, aaO, S. 126).

29.

3. Die Anwendung der oben entwickelten Kompetenzkriterien ergibt im vorliegenden Fall, daß der Gegenstand des streitigen Beschlußantrags der Kl. i. S. von § 34 Abs. 1 Satz 4 GO zum Aufgabengebiet des Gemeinderats gehört. Die im Antrag angesprochenen verteidigungsstrategischen Maßnahmen können jedenfalls angesichts der auf städtischem Gebiet vorhandenen militärischen Anlagen den Aufgabenkreis der Stadt berühren. Eine Willensbildung hierzu ist damit eine Angelegenheit der Gemeinde i. S. von § 24 Abs. 1 GO. Der Bekl. ist daher: verpflichtet, den Entschließungsantrag mit den Nrn. 1 und 2 in die Tagesordnung spätestens der auf die Rechtskraft dieses Urteils folgenden übernächsten Sitzung des Gemeinderats aufzunehmen.