(weitere Fundstellen: VBlBW 1985, 18 f.)
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Aus den Gründen: |
1. |
Mit ihrem Begehren machen die Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte als Polizeibehörde geltend, ... daß die Polizeibehörde von dem ihr eingeräumten Ermessen bei ihrer Entscheidung nach § 1, 3 und 5 PolG in dem Sinne Gebrauch macht, daß ihnen eine andere als die ihnen zugewiesene Obdachlosenunterkunft zur Verfügung gestellt wird. Nach den genannten Bestimmungen entscheidet die Polizeibehörde über den Inhalt der für erforderlich gehaltenen Maßnahme nach Ermessen, wenn sie – wie dies hier der Fall ist – dem polizeiwidrigen Zustand der Obdachlosigkeit im Einzelfall begegnen will (zur Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Obdachlosigkeit vgl. Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, Bd. 2, S. 141, 142 m. N.). Dabei werden die in § 1 Abs. 1 PolG enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Lichte der Grundrechte auszulegen sein (vgl. u. a. BVerfGE 39, 1 ,41, 42) mit der Folge, daß die Polizeibehörde bei der Auswahl der von ihr eingesetzten Mittel zur Abwendung der Obdachlosigkeit unter anderem auch eine Unterkunft zur Verfügung stellen muß, die den Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung erfüllt. Dem korrespondiert ein Anspruch des betroffenen Obdachlosen auf Ausübung des Ermessens, bei dem diese Mindestanforderungen berücksichtigt werden (vgl. u. a. Beschl. d. Senats v. 16. 10. 1978 – I 3157/78 –; Beschl. v. 8. 4. 1983 – 1 S 198/83 –). |
2. |
Von dem ihr eingeräumten Ermessen hat die Beklagte bei der Zuweisung des in Rede stehenden Hauses H.-Str. 4 fehlerfrei Gebrauch gemacht. Denn diese Unterkunft entspricht — wie dies auch in Nr. 4.2.1 der Empfehlungen für das Obdachlosenwesen in Baden-Württemberg (Bekanntmachung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Sozialordnung vom 10. 6. 1976, GABI. S. 1042) gefordert wird – den Anforderungen an eine menschenwürdige Unterkunft. Zum menschenwürdigen Dasein in diesem Zusammenhang gehören nicht nur Eingriffsverbote, die sich gegen den Staat richten, und der Schutz der Menschenwürde gegenüber Angriffen Dritter, sondern auch Handlungsgebote (dazu Starck, JZ 1981, 457, 459 ff. m. N.). Die Menschenwürde wird dabei allgemein als Inbegriff aller Eigenschaften verstanden, die den Inhalt und den Wert der einzelnen Persönlichkeit ausmachen (von Mangold/Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl., S. 150; Dürig in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 1 RdNr. 18; Zippelius in: Bonner Kommentar (Zweitbearb.), GG, Art. 1 RdNr. 7 je m. N.). Sie ist unter anderem verletzt, wenn der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel oder zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird, seine ureigenste Intimsphäre mißachtet, seine Ehre in demütigender Weise verletzt oder die ökonomischen Bedingungen für seine Wertverwirklichung von außen her in einem Ausmaß verringert werden, das ihn zum bloßen Vegetieren verurteilt (BVerwGE 43, 312, 314 m, N.). Die Menschenwürde als solche ist also auch dann betroffen, wenn der Mensch gezwungen ist, ökonomisch unter Lebensbedingungen zu existieren, die ihn zum Objekt erniedrigen (so Zippelius, aaO; vgl. auch BVerfG, Urt. v. 15. 12. 1970, NJW 1971, 275, 279). Ob dies der Fall ist, richtet sich regelmäßig nach den Gegebenheiten des Einzelfalls (BVerfG, aaO). Ob der Auffassung der Beklagten zu folgen ist, daß die Bestimmung der Menschenwürde im vorliegenden Zusammenhang auch von den Gegebenheiten des (örtlichen) Wohnungsmarktes abhängig zu machen ist, kann der Senat dahingestellt sein lassen (vgl. etwa OVG Berlin, Beschl. v. 3. 7. 1980, NJW 1980, 2484 u. Greifeld, JuS 1982, 819). Denn auch ohne die Berücksichtigung der Belastungen des Wohnungsmarktes im Bereich der Beklagten kann von einer Herabwürdigung der Persönlichkeiten der Kläger nicht gesprochen werden. Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, daß der ihnen zur Verfügung gestellte Wohnraum, in dem das Familienleben stattfindet und in dem auch die Nachtruhe gepflegt werden muß, nicht den in den oben angeführten Empfehlungen vom 10. 6. 1976 enthaltenen Anforderungen genügt. Die dort genannten Wohnungsgrößen sind Richtlinien, die lediglich einen Anhalt dafür bieten, was als angemessener Wohnraum für eine Obdachlosenunterkunft der Verwaltungserfahrung nach anzusehen ist. Es liegt auf der Hand, daß die Wohnungsgröße für sich allein keine hinreichende Bestimmung dessen erlaubt, was als menschenwürdig in diesem Zusammenhang anzusehen ist. So wird etwa die zur Verfügung stehende Ausstattung einer Wohnung eine die Größenordnung der genannten Empfehlungen nicht erreichende Unterkunft ausgleichen können. Das Verwaltungsgericht hat aber insbesondere verkannt, daß den Klägern von der Beklagten nicht diese Wohnung zugewiesen worden ist, sondern den Klägern, einer weiteren Familie und einer einzelstehenden Person ein Wohnhaus mit drei Zimmern, einem Bad und einer Küche sowie verschiedenen Nebenräumen zugeteilt worden ist, das insgesamt eine Wohnfläche von annähernd 70 qm hat, legt man – wie dies allgemein üblich und auch in dem hier zu beurteilenden Fall zulässig ist – die Wohnflächenberechnung nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz zugrunde. Die Beklagte hebt zu Recht darauf ab, daß es sich bei den betroffenen Familien um Eltern und Kinder bzw. Enkelkinder handelt und der Mitbewohner Ali M., der Bruder des Klägers O. M. ist, es mithin um eine „Großfamilie" geht, bei der die jeweilige Familie deshalb nicht auf einen nach außen gegenüber Dritten abgeschirmten Bereich angewiesen ist, zumal da die nunmehr im Haus H.-Str. 4 wohnenden Personen bereits zuvor über einen längeren Zeitraum in nur einer – wenn auch größeren – Wohnung zusammengelebt haben. Insbesondere im Hinblick auf die zahlreich vorhandenen Nebenräume (drei im Erdgeschoß, jeweils einer im Obergeschoß und im Dachgeschoß sowie eine Garage) kann nicht davon ausgegangen werden, daß die notwendigsten Lebensbedürfnisse in den jeweiligen Räumen, die die Großfamilie selbst untereinander aufgeteilt hat, nicht befriedigt werden können. Entgegen der Auffassung der Kläger ist ihnen eine den Anforderungen an die Menschenwürde entsprechende Unterkunft auch dann zur Verfügung gestellt, wenn man ausschließlich auf den von ihnen hervorgehobenen Wohnraum (annähernd 15 qm Wohnzimmer, Bad- und Küchenmitbenutzung) abstellt. Denn der von ihnen bewohnte Raum ist in Anbetracht der im übrigen zur Verfügung stehenden Nebenräumlichkeiten ausreichend, um darin ein menschenwürdiges Familienleben zu verwirklichen. Es lassen sich dort alle Bedürfnisse einer einfachen Haushaltsführung verwirklichen, und auch das Zusammensein der Familie der Kläger ist trotz der Enge möglich. Auch wird man nicht davon ausgehen können, daß eine geordnete Lebensführung und besonders die Nachtruhe der Familie nicht gewährleistet wäre, zumal sich auch innerhalb eines Zimmers von annähernd 15 qm Schlafstätten für zwei Erwachsene und zwei Kinder aufstellen lassen, wenn die vorhandenen Nebenräume für eine Aufteilung hierfür nicht geeignet sein sollten. Da möglicherweise Hausratsgegenstände umgeräumt werden müssen, ist bei den vorhandenen Nebenräumen, die auch den Klägern zur Verfügung stehen, kein Gesichtspunkt, der die Unterkunft für sie unzumutbar macht. Diese Räume brauchen nämlich keinesfalls den Anforderungen genügen, die an eine ausreichend bequeme „Wohnung" zu stellen sind. Sie können auch Mängel und Nachteile aufweisen, sofern – was hier nicht zweifelhaft ist – diese nicht die Allgemeinheit berühren. Auch dann, wenn man die Betrachtung auf die von den Klägern nach interner Aufteilung in Anspruch genommene Wohnung beschränkt, ermöglicht diese Unterkunft einen vorübergehenden Aufenthalt in einfachster, aber ihrer Würde als Menschen entsprechender Form (vgl. dazu auch den genannten Beschl. d. Senats v. 16. 10. 1978 und Hegel, aaO, S. 50). |