Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil vom 6. März 1968
- II OE 59/67 -

(weitere Fundstellen: DÖV 1968, 574 ff.)

Tatbestand

1.

In Zusammenhang mit Tarifauseinandersetzungen in Hessen 1966 hat der klagende Arbeitgeberverband Aussperrungsmaßnahmen angekündigt. Wegen Hinweisen der Hessischen Landesregierung auf Art. 29 Abs. 5 der Hessischen Verfassung, wonach die Aussperrung rechtswidrig ist, hat der Kläger gegen das Land Hessen Unterlassungs-, Folgenbeseitigungs- und vorbeugende Unterlassungsklage erhoben. Diese Anträge blieben in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Gründe:

2.

Rechtsirrig hat die Beigeladene (Industriegewerkschaft) in der Berufungsverhandlung geltend gemacht, daß für den vorliegenden Rechtsstreit der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben sei. Denn es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art, die auch nicht durch Gesetz anderen Gerichten ausdrücklich zugewiesen ist (vgl. § 40 Abs. 1 VwGO). Richtig ist zwar, daß es dem Kläger im Grunde darum geht, ein gerichtliches Erkenntnis darüber herbeizuführen, ob Art. 29 Abs. 5 der Verfassung des Landes Hessen – HV – vom 1.12.1946, der die Aussperrung für rechtswidrig erklärt, gültig ist, und daß es sich hierbei um eine Frage verfassungsrechtlicher Art handelt. Diese rechtliche Bedeutung des in Art. 29 Abs. 5 HV enthaltenen Verbots der Aussperrung könnte im vorliegenden Rechtsstreit aber nur als Vorfrage der eigentlich begehrten Entscheidung geklärt werden. Denn der Streitgegenstand eines jeden Prozesses wird durch den betreffenden Kläger bestimmt und ergibt sich aus dem Klageantrag bzw. den Klageanträgen, die durch die Klagebegründung ihre Ausgestaltung erfahren. Vorliegend begehrt der Kläger mit seinen Klageanträgen eine Verurteilung des Beklagten, daß diesem untersagt werde, den Kläger durch Androhungen in seiner Aussperrungsfreiheit zu behindern (Antrag zu 1). Außerdem soll der Beklagte gerichtlicherseits dazu verpflichtet werden, durch seine zuständigen Organe richtigzustellen, daß er im Falle einer vom Kläger beschlossenen Aussperrung keine polizeilichen Maßnahmen gegen den Kläger auf Grund des Art. 29 Abs. 5 HV beschließen oder veranlassen werde (Antrag zu 2). Schließlich soll dem Beklagten durch das Gericht untersagt werden, auf Grund des Art. 29 Abs. 5 HV polizeiliche Verwaltungs- und Vollzugsakte gegen einen vom Kläger gefaßten Aussperrungsbeschluß oder gegen dessen Durchführung zu treffen oder zu veranlassen (Antrag zu 3). Mit sämtlichen drei Anträgen einschließlich der zu jedem Antrag wiederum gestellten Hilfsanträge will der Kläger also den Beklagten an einem bestimmten hoheitlichen Verhalten hindern und insbesondere irgendwelchen Polizeiakten bei künftigen im Rahmen eines Arbeitskampfes getroffenen Aussperrungsmaßnahmen vorbeugen.

3.

Sonach erstrebt der Kläger ein verwaltungsgerichtliches Urteil, durch das dem Beklagten ein bestimmtes behördliches Verhalten vorgeschrieben oder untersagt wird. Daraus folgt, daß es sich hier gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art handelt, während die mit Art. 29 Abs. 5 HV in Zusammenhang stehenden verfassungsrechtlichen Erwägungen nur als Vorfrage der eigentlich erbetenen Entscheidung von Bedeutung sein könnten. Streitgegenstand ist nach dem Vortrag des Klägers sonach ein Sachverhalt auf dem Gebiete des Verwaltungsrechts, wobei es im einzelnen um die Unterlassung behördlicher Äußerungen, um Folgenbeseitigung und um vorbeugenden Rechtsschutz geht.

4.

Die sonach im Verwaltungsrechtsweg statthafte Klage konnte jedoch keinen Erfolg haben. Denn dem Kläger steht keiner der von ihm geltend gemachten Ansprüche zu.

5.

Mit seinem Unterlassungsantrag (zu 1) begehrt der Kläger, dem Beklagten gerichtlich zu untersagen, ihn durch Androhungen in seiner Aussperrungsfreiheit zu behindern und ihn insbesondere für den Fall einer Abwehraussperrung mit polizeilichen Maßnahmen auf der Grundlage des Art. 29 Abs. 5 HV zu bedrohen. Ein solcher Unterlassungsausspruch wäre aber nur dann gerechtfertigt, wenn der Kläger hinreichenden Grund zu der Befürchtung hätte, zukünftig vom Beklagten in der Tat durch irgendwelche Androhungen in seiner Aussperrungsfreiheit behindert zu werden, wenn der Beklagte also in der Vergangenheit durch ein bestimmtes Verhalten dem Kläger begründete Veranlassung zu einer solchen Besorgnis gegeben hätte. Etwas Derartiges war aber nicht der Fall.

6.

Der Kläger leitet seine Befürchtung, zukünftig durch Androhungen in seiner Aussperrungsfreiheit behindert zu werden, aus vier Umständen her:

Aus Äußerungen des Hessischen Ministerpräsidenten anläßlich einer Besprechung in der Staatskanzlei am 9.2.1966,

aus einer Erklärung des Hessischen Ministerpräsidenten im Hessischen Landtag am 16.2.1966, mit der er die Anfrage des SPD-Abgeordneten R. beantwortet hat,

aus einem Interview mit dem Hessischen Ministerpräsidenten, das im "Industrie-Kurier" vom 29.10.1966 veröffentlicht worden ist und

aus einem weiteren Interview mit dem Hessischen Minister für Wirtschaft, erschienen im "Industrie-Kurier" vom 3.11.1966.

7.

Aus keiner dieser vier Erklärungen oder Äußerungen kann aber entnommen werden, daß in Bezug auf den Kläger eine Drohung oder Warnung oder gar eine Ankündigung polizeilicher Anordnungen für den Fall von künftigen Aussperrungsmaßnahmen erfolgt ist.

8.

a) Die Äußerungen des Hessischen Ministerpräsidenten vom 9.2.1966 fanden im Verlauf eines Gespräches statt, das seinerzeit zwischen dem Vorsitzenden des Klägers und Mitgliedern der hessischen Landesregierung in der Staatskanzlei geführt worden ist. Erkennbar wollten die Vertreter des Klägers erkunden, welche Haltung die anwesenden Mitglieder der hessischen Landesregierung zur Frage der Weitergeltung des in Art. 29 Abs. 5 HV enthaltenen Aussperrungsverbots einnähmen. Hierzu erklärte der Hessische Ministerpräsident, die Landesregierung sei an die Verfassung des Landes Hessen gebunden und gehalten, die Bestimmungen der Verfassung durchzusetzen; es gäbe zwar über die Gültigkeit des in Art. 29 Abs. 5 HV enthaltenen Aussperrungsverbots verschiedene Auffassungen und Lehrmeinungen; solange diese Verfassungsbestimmung aber nicht im Verfassungsrechtsweg aufgehoben sei, sei sie zu beachten; eventuelle gerichtliche Verbote der Aussperrung müßten erzwungen werden.

9.

Mit dieser Erklärung, die der Kläger als eine Androhung oder Warnung wertet, hat der Hessische Ministerpräsident aber lediglich eine Auffassung bekundet, die sich in einem Rechtsstaat von selbst versteht. Die Haltung, die er eingenommen hat, war ihm zudem durch die HV als Amtspflicht vorgeschrieben. Denn der Hessische Ministerpräsident ist an seinen bei Antritt seines Amtes gemäß Art. 111 HV geleisteten Amtseid gebunden, wonach er u. a. die HV zu befolgen und zu verteidigen hat. Des weiteren ist es insbesondere vornehmste Pflicht des Hessischen Ministerpräsidenten als Regierungschef, nach Art. 146 HV für den Bestand der Verfassung mit allen ihm zu Gebote stehenden Kräften einzutreten. Dieser vorgenannten Verpflichtung aus Art. 146 HV und aus seinem nach Art. 111 HV abgelegten Amtseid mußte der Hessische Ministerpräsident auch bei der Besprechung mit den Vertretern des Klägers Rechnung tragen. Das ist insofern geschehen, als er bei dieser Gelegenheit darauf hinwies, daß die Landesregierung an die Verfassung des Landes Hessen gebunden sei und die Bestimmungen dieser Verfassung durchzusetzen habe. Diese Erklärung war sonach lediglich ein Hinweis auf die ihm als Ministerpräsident obliegenden Dienstpflichten. Auch seine weitere Bemerkung, daß die Auffassungen und Lehrmeinungen zu Art. 29 Abs. 5 HV geteilt seien, und daß Verfassungsbestimmungen, also auch Art. 29 Abs. 5 HV, solange beachtet werden müßten, als sie nicht durch ein Verfassungsgericht aufgehoben seien, war richtig. Wenn schon einfache Gesetze für jedermann verbindlich sind, solange sie nicht verfassungsgerichtlich für ungültig erklärt werden, so trifft dies in erhöhtem Maße auf verfassungsrechtliche Bestimmungen zu. Die Äußerungen des Hessischen Ministerpräsidenten bei der Besprechung am 9.2.1966 können nach alledem nur als eine Erläuterung seiner sich aus der HV ergebenden Pflichten und als Hinweis auf allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze verstanden werden. Eine Drohung oder Warnung gegenüber dem Kläger oder gar eine Ankündigung polizeilicher Maßnahmen im Falle künftiger Aussperrungsmaßnahmen des Klägers enthielten sie dagegen nicht. Im Gegenteil läßt die weitere Erklärung des Hessischen Ministerpräsidenten, daß eventuelle gerichtliche Verbote einer Aussperrung notfalls erzwungen werden müßten, deutlich die Absicht erkennen, daß mit späteren Aussperrungsmaßnahmen zunächst die zuständigen Gerichte befaßt werden sollten, ehe für irgendwelche polizeilichen Maßnahmen gegen den Kläger (oder seine Mitglieder) Raum sei. Die Rechtmäßigkeit von Aussperrungsmaßnahmen sollte nach der Vorstellung des Hessischen Ministerpräsidenten sonach zunächst im Rechtswege geprüft und entschieden werden, ehe polizeiliche Anordnungen in Betracht gezogen werden sollten.

10.

Sonach ist nicht feststellbar, daß bei der Besprechung in der Staatskanzlei am 9.2.1966 seitens des Hessischen Ministerpräsidenten irgendeine Drohung oder Warnung gegenüber dem Kläger für den Fall künftiger Aussperrungsmaßnahmen gefallen ist. Davon, daß bei dieser Gelegenheit bestimmte polizeiliche Maßnahmen beim Ergehen eines künftigen Aussperrungsbeschlusses des Klägers angekündigt worden sind, kann schon gar keine Rede sein.

11.

b) Auch aus der Äußerung des Hessischen Ministerpräsidenten, die er am 16.2.1966 auf die Anfrage des Abgeordneten R. im Hessischen Landtag abgegeben hat, kann nichts Derartiges entnommen werden. Der Ministerpräsident hat seinerzeit lediglich erklärt, daß die Hessische Landesregierung mit der Prüfung der Frage befaßt sei, welche Maßnahmen gemäß Art. 29 Abs. 5 HV ergriffen werden könnten; sie werde die danach möglichen Maßnahmen zu dem ihr geeignet erscheinenden Zeitpunkt einleiten. Mit dieser Stellungnahme war also nichts Konkretes darüber gesagt, ob solche Maßnahmen überhaupt ergriffen und – wenn ja – wann sie eingeleitet, welches Ausmaß sowie welchen Inhalt sie im einzelnen haben würden. Die vom Hessischen Ministerpräsidenten gewählte Ausdrucksweise macht vielmehr deutlich, daß von ihm jede Festlegung für die Zukunft bewußt vermieden wurde. Von beabsichtigten polizeilichen Maßnahmen war überhaupt nicht - auch nicht andeutungsweise – die Rede. Eine Androhung oder Warnung gegenüber dem Kläger kann der Äußerung des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16.2.1966 sonach ebenfalls schlechterdings nicht entnommen werden. Dazu war diese Erklärung, wie dargelegt, viel zu allgemein und zu unverbindlich gehalten.

12.

Der erkennende Senat ist zudem der Auffassung, daß Äußerungen, mit denen seitens der Regierung Anfragen von Abgeordneten im Parlament beantwortet werden, keine Verwaltungstätigkeit darstellen. Die Beantwortung solcher parlamentarischer Anfragen erfolgt vielmehr in der Regel im politischen und damit im justizfreien Raum. Deshalb sind derartige Äußerungen von Regierungsseite regelmäßig nicht im Rechtswege angreifbar oder überprüfbar. Abweichendes kann allenfalls dann gelten, wenn bei solcher Gelegenheit gegenüber einer ganz bestimmten Person eine sogenannte "gezielte" Erklärung erfolgt, der rechtliche Tragweite innewohnt, wie es zum Beispiel bei beleidigenden oder herabsetzenden Äußerungen der Fall sein kann. Ansonsten handelt es sich aber bei Erklärungen, die Regierungsmitglieder im Parlament auf Anfragen von Abgeordneten abgeben, um politisches Handeln im Rahmen der Regierungstätigkeit. Das gilt insbesondere dann, wenn sich – wie im vorliegenden Falle – die Äußerung nicht auf eine bestimmte Person bezieht, sondern völlig allgemein gehalten ist. Eine solche Beantwortung parlamentarischer Anfragen vollzieht sich im Bereich politischer Tätigkeit und entzieht sich der rechtlichen Wertung. Folglich ist eine solche Art der Regierungstätigkeit nicht im Verwaltungsrechtsweg justiziabel, da sie keine Verwaltung darstellt. Wären solche im politischen Bereich abgegebene Erklärungen, die auf parlamentarische Anfragen erfolgen, in Bezug auf ihren Inhalt gerichtlich überprüfbar, so wäre eine sinnvolle Regierungstätigkeit im Parlament kaum mehr gewährleistet. Auch aus diesem Grunde entzieht sich die Äußerung des Hessischen Ministerpräsidenten im Landtag vom 16.2.1966 einer rechtlichen Wertung und kommt ihr die vom Kläger geglaubte Bedeutung nicht zu.

13.

c) d) Ähnliches gilt für die Interviews, die der Hessische Ministerpräsident und der Wirtschaftsminister dem "Industrie-Kurier" gewährt haben. Bei solchen Interviews mit Zeitungsreportern handelt es sich ebenfalls nicht um Verwaltungstätigkeit. Die hierbei abgegebenen Erklärungen stellen vielmehr, soweit sie durch Politiker erfolgen, politische Äußerungen dar, die dem allgemeinen Informationsbedürfnis dienen sollen und mit denen eine politische Meinungsbildung in der Öffentlichkeit beabsichtigt ist. Deshalb sind Interviews, soweit sie mit im politischen Leben stehenden Persönlichkeiten geführt werden, als politische Meinungsäußerungen anzusehen, es sei denn, daß sie sich auf eine bestimmte Person beziehen und von erfaßbarer rechtlicher Tragweite sind. Beides war vorliegend aber nicht der Fall. [...]

14.

Fehlt es aber an den vom Kläger behaupteten Drohungen und Warnungen, so entfällt der mit der vorliegenden Klage gegen den Beklagten geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung solcher künftiger Erklärungen. Denn dann hatte der Kläger auf Grund der Vergangenheit keine konkrete Veranlassung, für die Zukunft solche Androhungen oder Warnungen für den Fall einer Aussperrung zu befürchten. Sein Klageantrag, mit dem er gleichwohl einen solchen gerichtlichen Unterlassungsausspruch gegen den Beklagten begehrt, ist sonach nicht gerechtfertigt.

15.

Mit dem Haupt- und Hilfsantrag zu 2) erstrebt der Kläger eine Folgenbeseitigung. Mit seinem Hauptantrag wünscht er eine Verurteilung des Beklagten des Inhalts, durch seine zuständigen Organe richtigzustellen, daß er – der Beklagte – im Falle einer Aussperrung bzw. Abwehraussperrung durch den Kläger keine polizeilichen Maßnahmen auf Grund des Art. 29 Abs. 5 HV gegen den Kläger beschließen oder veranlassen werde. Klagen, mit denen eine Folgenbeseitigung begehrt wird, sind im Verwaltungsrechtsweg zwar grundsätzlich statthaft. Voraussetzung hierfür ist aber stets, daß in der Vergangenheit gegenüber dem betreffenden Kläger ein mit Nachteilen für ihn verbundener Eingriff in seine rechtlich geschützte Sphäre erfolgt ist. Denn nur dann kommt eine Beseitigung solcher Folgen im Rechtsweg in Betracht. Hat ein nachteilige Folgen auslösender Eingriff in die Individualsphäre des betreffenden Klägers jedoch gar nicht stattgefunden, so ist für eine Folgenbeseitigung keinerlei Raum.

16.

Im vorliegenden Falle fehlt es – wie ausgeführt – an jeglicher Erklärung der "zuständigen Organe" des Beklagten, daß im Falle von Aussperrungsmaßnahmen polizeiliche Maßnahmen gegen den Kläger auf Grund des Art. 29 Abs. 5 HV beschlossen oder veranlaßt würden. Mithin scheidet eine Richtigstellung der vom Kläger erstrebten Art schon begrifflich aus, da mangels entsprechender Äußerungen nichts richtigzustellen ist.

17.

Mit dem Hauptantrag und den beiden Hilfsanträgen zu 3) begehrt der Kläger vorbeugenden Rechtsschutz. Zwar ist auch eine vorbeugende Unterlassungsklage im Verwaltungsrechtsweg grundsätzlich statthaft (vgl. BVerwG, DVBl. 1965, 364; Hess. VGH ESVGH 11, 152; OVG Münster, DVBl. 1964, 883). Erforderlich ist in diesem Falle aber, daß ein bestimmter Sachverhalt vorliegt, der für die Zukunft konkrete behördliche Maßnahmen, welchen der jeweilige Kläger mit Hilfe des Gerichts vorbeugen will, befürchten läßt (vgl. BVerwGE 16, 92). Denn ohne das Vorliegen eines solchen bestimmten Sachverhalts besteht für eine vorbeugende Unterlassungsklage einmal kein Rechtsschutzbedürfnis, zum anderen würde der in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Gewaltenteilung in nicht zulässiger Weise durchbrochen, wenn die Gerichte befugt wären, künftiges Verwaltungshandeln der vollziehenden Gewalt ohne weiteres, also ohne einen den vorbeugenden Rechtsschutz dringend notwendig machenden Tatbestand, zu unterbinden.

18.

Was den vorliegenden Fall betrifft, so ist eine konkreter Sachverhalt, der hinsichtlich des Klägers einen vorbeugenden Rechtsschutz erforderlich erscheinen lassen könnte, nicht feststellbar. Nach dem Hauptantrag zu 3) begehrt der Kläger einen dahingehenden Urteilsausspruch, daß es dem Beklagten untersagt sein soll, auf Grund des Art. 29 Abs. 5 HV polizeiliche Verwaltungs- und Vollzugsakte gegen einen von ihm – dem Kläger – erlassenen Aussperrungsbeschluß sowie gegen dessen Durchführung zu treffen oder zu veranlassen. Einer solchen vorbeugenden Unterlassungsklage könnte jedoch nur dann Erfolg beschieden sein, wenn der Kläger auf Grund bestimmter Geschehnisse der Vergangenheit begründete Veranlassung hätte, konkrete behördliche Maßnahmen, denen er mit Hilfe des Urteilsausspruchs vorbeugen will, zu befürchten. Der Kläger hätte also Umstände dafür nachweisen oder wenigstens glaubhaft machen müssen, aus denen mit hinlänglicher Wahrscheinlichkeit geschlossen werden könnte, daß bei einem von ihm erlassenen künftigen Aussperrungsbeschluß oder bei dessen Durchführung der Beklagte auf Grund der Verfassungsbestimmung des Art. 29 Abs. 5 HV polizeiliche Verwaltungs- oder Vollzugsmaßnahmen einleiten oder durchführen wird. Eine solche Absicht des Beklagten ist aber, wie bereits mehrfach ausgeführt, nicht feststellbar. [...]

19.

Abgesehen davon ist das Begehren des Klägers, welches er mit seinem Hauptantrag zu 3) verfolgt, auch nicht hinreichend bestimmt. Denn es läßt sich gegenwärtig in keiner Weise übersehen, wie Inhalt und Ausmaß eines künftigen Aussperrungsbeschlusses des Klägers sein würden, ob sich ein solcher Beschluß nur auf einzelne Unternehmen der hessischen Metallindustrie oder auf alle Mitgliedsunternehmen des Klägers bezöge. Gerade von Inhalt und Ausmaß eines künftigen Aussperrungsbeschlusses würde aber eine eventuelle staatliche Reaktion abhängen. Diese Reaktion läßt sich deshalb zur Zeit ebensowenig wie die Art eines künftigen Aussperrungsbeschlusses des Klägers übersehen. Sonach entbehrt der Hauptantrag zu 3) der notwendigen Bestimmtheit, da er wegen seiner zu allgemein gehaltenen Formulierung nicht alle künftigen staatlichen Maßnahmen, die auf einen Aussperrungsbeschluß des Klägers hin denkbar sind zu erfassen vermag.

20.

Was hinsichtlich des Hauptantrags zu 3) ausgeführt ist, gilt in gleicher Weise für den ersten Hilfsantrag zu 3). Denn letzterer unterscheidet sich von dem zu ihm gehörigen Hauptantrag nur dadurch, daß der Kläger hilfsweise den begehrten vorbeugenden Rechtsschutz auf den Fall einer künftigen Abwehraussperrung und deren Durchführung beschränkt. Alles was bezüglich des Hauptantrags zu 3) hinsichtlich der mangelnden Bestimmtheit ausgeführt worden ist, gilt sonach auch für den ersten Hilfsantrag zu 3). Im Falle eines künftigen vom Kläger gefaßten Abwehraussperrungsbeschlusses ist die dann gegebene Situation - aus heutiger Sich gesehen - noch weniger überschaubar, weil ein solcher Beschluß die Gegenmaßnahme auf einen von der Beigeladenen ausgerufenen Streik wäre. Es ist aber völlig ungewiß, ob es in absehbarer Zeit zu einem solchen Streik kommen wird, und - falls dies der Fall sein sollte - welches Ausmaß ein solcher Streik haben würde. Von Letzterem würden aber Inhalt und Umfang eines Abwehraussperrungsbeschlusses entscheidend abhängen und dies wiederum würde die Art eventueller staatlicher Reaktion beeinflussen. Die vorgenannte Ursachenkette mit ihren gegenwärtig nicht bestimmbaren einzelnen Faktoren ist derzeitig sonach nicht vorhersehbar, zumal sich in Hessen bisher kein Vergleichsfall ereignet hat, der den Kläger einen künftigen polizeilichen Einsatz im Fall von irgendwelchen Aussperrungsmaßnahmen konkret befürchten lassen könnte.

21.

Mit dem zweiten Hilfsantrag zu 3) kann der Kläger schließlich ebenfalls nicht durchdringen. Denn mit ihm wird - losgelöst von jeglichem zugrundeliegenden Sachverhalt - die Entscheidung einer abstrakten Rechtsfrage begehrt, die dahin geht, ob Art. 29 Abs. 5 HV zur Grundlage polizeilicher Maßnahmen gegen den Kläger gemacht werden kann. Zur Entscheidung abstrakter Rechtsfragen kann verwaltungsgerichtlicher Schutz jedoch nicht in Anspruch genommen werde, da dies praktisch auf eine rein gutachtliche Tätigkeit der Gerichte hinauslaufen würde.