Hessischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss vom 30.4.2009
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3 A 1284/08.Z -

(weitere Fundstellen: UPR 2010, 104 f.)

Leitsätze

1.

Eine bauplanungsrechtlich relevante Nutzungsänderung im Sinne von § 29 BauGB kann auch dann gegeben sein, wenn sich sowohl die bisherige als auch die beabsichtigte Nutzung nach den Maßstäben der Baunutzungsverordnung als kerngebietstypische Nutzung darstellt.

2.

Die Umnutzung einer ehemaligen Diskothek in einen bordellartigen Betrieb stellt eine Nutzungslinderung gemäß § 29 BauGB dar, da hierdurch andere städtebaulich relevante Aspekte zur Überprüfung anstehen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass beide Nutzungsformen kerngebietstypische Vergnügungsstätten sind, die in Gebieten, die auch dem Wohnen dienen, nicht zulässig sind.

Aus den Gründen:

1.

Soweit die Kl. meinen, das VG habe rechtsfehlerhaft angenommen, die Nutzungsänderung der auf dem streitgegenständlichen Grundstück genehmigten Diskothek in eine bordellartige Einrichtung sei bodenrechtlich relevant und daher genehmigungsbedürftig, kann dem nicht gefolgt werden. Die gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Gegenstand der Bauvoranfrage vom 27. Juni 2006 lediglich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Umnutzung ist.

2.

Dabei ist den Kl. zwar beizupflichten, dass Nutzungsänderungen nur dann unter den Anwendungsbereich des § 29 BauGB fallen, wenn sie städtebaulich relevant sind. Bei Änderungen der Zweckbestimmung einer baulichen Anlage folgt die städtebauliche Relevanz allerdings unmittelbar aus der veränderten rechtlichen Qualität der Nutzung (z, B. frei verfügbarer Wohnraum anstelle einer Betriebsleiterwohnung). Bei Änderungen der tatsächlichen Nutzung kommt es darauf an, ob damit die jeder Art von Nutzung eigene Variationsbreite verlassen wird und durch die Aufnahme der veränderten Nutzung bodenrechtliche Belange neu berührt werden, so dass sich die Genehmigungsfrage neu stellt (vgl. Schrödter, BauGB, Kommentar, 7. Aufl., München 2006, § 29 Rdnr. 17 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 11.11.1988 – 4 C 50/87 – UPR 1989, 458). Der Umstand, dass sowohl die bisherige als auch die neue Nutzung zu den in dem betreffenden Baugebiet allgemein zulässigen Nutzungen zählt, steht der Annahme dieser Voraussetzungen nicht entgegen (vgl. Schrödter, a.a.O., § 29 Rdnr. 17 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 11.11.1988, a.a.O.). Eine Nutzungsänderung hat das BVerwG zum Beispiel in folgenden Fällen bejaht: Umwandlung einer Pension in ein Kurheim (Urteil vom 11.11.1988, a.a.O.), eines Kinos in eine Spielhalle (Beschluss vom 1.3.1989 – 4 B 24/89 – in juris online), eines Kinderheims in ein Altenheim (Beschluss vom 03.08.1995 – 4 B 155/95 – in juris online), einer Gastwirtschaft mit Tanzsaal in eine Diskothek (Beschluss vom 11.7.2001 – 4 B 36/01 – in juris online), des Lagerplatzes eines Bauunternehmens in eine Verkaufsstätte für gebrauchte Maschinen, Kraftfahrzeuge und Fahrzeugteile (Beschluss vom 14.4.2000 – 4 B 28/00 – in juris online), einer Diskothek in eine Spielhalle (Urteil vom 18.5.1990 – 4 C 49/89 – in juris online). Bezogen auf die Umwandlung einer Diskothek in eine Spielhalle hat das BVerwG dabei zur Begründung ausgeführt, unterschiedliche gewerberechtliche Regelungen für die alte und die neue Nutzung seien in der Regel ein Indiz dafür, dass die beabsichtigte Nutzung auch als bodenrechtlich relevant zu gelten habe (vgl. insgesamt Schrödter, a.a.O., §29 Rdnr. 17).

3.

Es mag zwar zutreffend sein, dass sowohl die genehmigte Diskothek als auch der nunmehr zur Genehmigung gestellte bordellartige Betrieb kerngebietstypische Nutzungen sind, die beide allenfalls dort, nicht jedoch in einem Mischgebiet zulässig sind. Aus der der Genehmigung des Diskothekbetriebs folgenden Variationsbreite können die Kl. jedoch nicht die Genehmigungsfreiheit ihres Vorhabens ableiten, da hinsichtlich der Zulässigkeit eines bordellartigen Betriebs – auch – bauplanungsrechtlich andere Gesichtspunkte zur Überprüfung anstehen, als dies bei der Genehmigung einer Diskothek der Fall ist. So sind insbesondere Gesichtspunkte der Differenzierung von Wohnnutzung und bordellartiger Nutzung aus Gründen des Jugendschutzes, aber auch allgemein des Schutzes der Wohnbevölkerung relevant, während bei der Genehmigung einer Diskothek überwiegend Lärmgesichtspunkte eine Rolle spielen dürften. Dabei liegt für den Senat auf der Hand, dass auch nach Erlass des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse von Prostituierten (Prostitutionsgesetz) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I, S. 3983) bauplanungsrechtlich bordellartige Betriebe nur in Kerngebieten zulässig sein sollen. Das Prostitutionsgesetz stellt lediglich klar, dass durch die Vereinbarung mit einer Prostituierten eine rechtswirksame Forderung begründet wird (während bislang ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB angenommen wurde), wodurch den Prostituierten auch der Zugang zu den Sozialversicherungssystemen ermöglicht wird. Das Gesetz verhält sich jedoch nicht zu der Frage, wie bordellartige Betriebe oder vergleichbare Einrichtungen planungsrechtlich zu bewerten sind. Zwar mag durch das Prostitutionsgesetz der generelle Vorwurf der „Unsittlichkeit" bezogen auf die zivilrechtlichen Verhältnisse beseitigt worden sein, dies bedeutet jedoch nicht, dass das Planungsrecht bei den von ihm vorgenommenen Differenzierungen nunmehr von der sittlichen Neutralität der Prostitution auszugehen hat. Vielmehr ist es dem Planungsrecht unbenommen, auch weiterhin prostitutionsfördernde Anlagen aus Gründen des Jugendschutzes, aber auch dem Schutz der Wohnbevölkerung allgemein als mit einer Wohnnutzung unvereinbare Nutzung anzusehen. So kann auf Grund der bei einem bordellartigen Betrieb zu erwartenden Besucher, der voraussichtlichen Öffnungszeiten derartiger Anlagen und der in diesem Zusammenhang zu erwartenden Belästigungsanfälligkeit nicht von einem störungsfreien Nebeneinander von Wohnnutzung und bordellartigem Betrieb ausgegangen werden. Dies rechtfertigt die Verweisung derartiger Betriebe in Baugebiete, die nicht dem Wohnen dienen.

4.

Entgegen der Auffassung der Kl. ist das Vorhaben auch im Übrigen bauplanungsrechtlich unzulässig. Das Vorhaben liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 729, in dem ausweislich der voll dem VG durchgeführten Inaugenscheinnahme zumindest auch, wenn auch nicht überwiegend, gewohnt wird und der in dem fraglichen Bereich eine Mischgebietsausweisung vorsieht. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 8 BauNVO sind in Mischgebieten zulässig Vergnügungsstätten im Sinne des § 4a Abs. 3 Nr.2 BauNVO in den Teilen des Gebietes, die überwiegend durch gewerbliche Nutzungen geprägt sind. § 4a Abs. 3 Nr.2 BauNVO bestimmt, dass ausnahmsweise in Gebieten zur Erhaltung und Entwicklung der Wohnnutzung Vergnügungsstätten zugelassen werden können, soweit sie nicht wegen ihrer Zweckbestimmung oder ihres Umfangs nur in Kerngebieten allgemein zulässig sind. Entgegen der Auffassung der Kl. sind bordellartige Betriebe, auch in der von ihr vorgesehenen Form, in Mischgebieten nicht zulässig. In der erst- und zweitinstanzlichen Judikatur besteht Übereinstimmung darin, dass ein bordellartiger Betrieb in einem Mischgebiet – unabhängig davon, ob er als sonstiger Gewerbebetrieb oder als Vergnügungsstätte hauplanungsrechtlich zu bezeichnen ist – generell unzulässig ist; diese Nutzung verträgt sich grundsätzlich nicht mit der im Mischgebiet ebenfalls zulässigen Wohnnutzung (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, Kommentar, 11. Aufl., Stuttgart 2008, § 6 Rdnr.2.1 mit Rechtsprechungsnachweisen). Dem folgt der Senat. Bordellartige Betriebe sind aus verschiedenen Gründen mir einer Wohngebietsausweisung nicht zu vereinbaren, dies sowohl aus Gründen des Jugendschutzes, aber auch wegen der mit derartigen Einrichtungen zu befürchtenden Belästigungen und des zu befürchtenden Trading-Down-Effekts.

5.

Soweit die Kl. meinen, das Störpotenzial der genehmigten Diskothek gehe wesentlich über das des bordellartigen Betriebes hinaus, rechtfertigt auch dies die Zulassung der Berufung nicht. Während bei Diskotheken im Wesentlichen Lärmbelästigungen als problematisch anzusehen sind, sind bei bordellartigen Betrieben Aspekte des Jugendschutzes, von dem Verhalten der Besucher ausgehende Störungen, sowie allgemein Trading-Down-Effekte durch Ansiedlung der „Rotlichtmilieus" in die Prüfung einzustellen, die es allgemein rechtfertigen, bordellartige Betriebe von Wohnnutzungen zu trennen.